Deutschland - Staat ohne Verfassung? (Gesellschaft)

Deutschland - Staat ohne Verfassung? (Gesellschaft)

Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
(Art.146GG)

Zum einen sagt dies aus, dass das Grundgesetz nur vorübergehend bis zur Deutschen Einheit gelten sollte und das gesamtdeutsche Volk letztendlich selbst eine Verfassung beschließen sollte; zum anderen sagt dies aus, dass die Bundesrepublik Deutschland de facto keine Verfassung hat und das Grundgesetz nur eine „Ersatzlösung” darstellt.

Warum wurde also nach der Wiedervereinigung keine Verfassung beschlossen, wie ursprünglich geplant war, sondern nur der Geltungsbereich des zu diesem Zeitpunkt eigentlich obsoleten Grundgesetzes auf die neuen Bundesländern erweitert? Welche Bedeutung hat es, dass Deutschland keine Verfassung hat? Würde dies nicht eigentlich bedeuten, dass die per Grundgesetz legal Regierenden tatsächlich illegitim an der Macht sind, weil die gesetzliche Grundlage (ergo das Grundgesetz) nicht vom deutschen Volk stammt?

Ich hatte zwar Geschichte als Leistungskurs, aber irgendwie hatten wir das nie behandelt - zumindest kann ich mich nicht daran erinnern und in meinen Geschichtsheftern konnte ich auch nichts dazu finden. Es wäre also schön, falls sich ein Geschichts- bzw. Politologiekundiger oder Jurist finden würde, der mir meine Fragen beantworten könnte.
Bekanntes Thema und mir erschliesst sich nicht, was daran besonders/das Problem ist. Laut dem zitierten Text könnte man fast meinen "Verfassung == Grundgesetz". Liest sich nach einer Formulierung, die Doubletten in der letzten Instanz verhindern soll.
Ich habe nicht direkt ein Problem damit, dass das Grundgesetz keine legitime Verfassung darstellt, mir geht es nur darum, ob die Vorgehensweise nach der Wiedervereinigung nicht eigentlich völkerrechtlich (keine Ahnung, ob völkerrechtlich hier das richtige Wort ist) illegal war. Schließlich gehörten ab 1990 auch alle Bürger der ehemaligen DDR zum (gesamt)deutschen Volk, wobei diese aber nicht die Gelegenheit hatten (genauso wenig wie die „Westbürger”), über die Verfassung ihres Staates abzustimmen, was ja aber ursprünglich geplant war.

Der andere Punkt ist der mit der freien Entscheidung: Das Grundgesetz wurde der BRD anno 1949 quasi „aufgedrückt”. Dass das Grundgesetz aber heute noch in dieser Form für die BRD gilt, bedeutet praktisch, dass die politische Situation noch immer direkt von den damaligen Besatzungsmächten abhängig ist und Deutschland damit eigentlich noch immer keinen souveränen Staat darstellt.

Im Prinzip ist das sicherlich nur Haarspalterei und klingt nach irgendwelchem ideologisiertem Liberalismus, aber wäre es dann nicht evtl. möglich, dass beispielsweise irgendwelche Links-/Rechtsextremen per Verfassungsklage die gegenwärtige Regierung abschaffen könnten und denen theoretisch Recht gegeben werden müsste?
Nö. Da steht nur, dass das GG seine Gültigkeit verliert WENN UND NACH der Einheit von allen über eine Verfassung abgestimmt wird. Da steht nicht, dass NACH der Einheit AUTOMATISCH abgestimmt werden muss. ;) Das GG ist die geltende Verfassung, darum würde eine Klage zu nichts führen.
OK, danke. Das Problem meinerseits war anscheinend nur, dass die Formulierung des Artikels einen zu großen Interpretationsspielraum zulässt.
Wobei mich jetzt interessieren würde, wo der Unterschied zwischen GG und einer Verfassung liegt/liegen würde.
Ich würde es anhand der Legitimität definieren. Soll heißen, dass die Verfassung einer Demokratie vom Volk abgesegnet werden muss, was beim GG ja nicht der Fall war.
"Soll heißen, dass die Verfassung einer Demokratie vom Volk abgesegnet werden muss"
Verfassungen, die nicht durch Volksabstimmungen legitimiert sind gibt es doch wie Sand am Meer. Das Volk ist zur Legitimation einer Verfassung nicht nötig - auch wenn eine Volksabstimmung natürlich der Rolls Royce unter den Legitimationen ist.
Naja, dass das Volk zur Legitimation nötig ist, ist nur meine persönliche Meinung - es hätte ja aber auch sein können, dass in irgendeiner Charta irgendetwas in der Art festgelegt ist, also dass eine Verfassung z.B. nicht von Außenstehenden aufgezwungen werden darf. Völkerrechtlich halte ich das nämlich wirklich für fragwürdig (wobei ich mit dem GG an sich sehr zufrieden bin). Schließlich muss es ja auch einen Grund gehabt haben, dass das GG von Anfang an nur als Provisorium geplant war und - unabhängig von der Formulierung von Artikel 146 - nach der Wiedervereinigung durch eine endgültige Verfassung ersetzt werden sollte. Ich hätte gedacht, dass man sich den provisorischen Charakter ja auch hätte sparen können, wenn es eh keine „Richtlinien” für eine Verfassung gibt.
@Tiwu

"provisorischen Charakter" hat daß überhaupt nicht! Vielmehr geht es darum das man sich die Möglichkeit offen hält, das Gesetz zum Willen des Volkes hin abändern zu können.
Ob es tatsächlich zum Willen der Mehrheit des Volkes geschieht, hängt natürlich dann schon wieder irgendwo von den jeweils gewählten Politikern ab....

Eine entgültiges und unabänderbares Grundgesetz wäre aber schon wieder eine Diktatur!

Selbst Religionen können heute nicht mehr ohne zeitgemäse Änderungen und Korrekturen bestehen...
Banana, das Grundgesetz wurde tatsächlich als Provisorium gefertigt. Steht z.B. auch in der Wikipedia. (Eine bessere Quelle wäre natürlich z.B. mein Geschichtslehrbuch, nur musste ich das nach der 12. Klasse leider abgeben und daher kann ich es nicht wörtlich zitieren. Sinngemäß stand dort aber dasselbe drin, nur soweit ich mich erinnern kann eben ohne die Antworten auf meine Fragen.)

Das Problem an der ganzen Sache ist eben nur, dass nach der Wiedervereinigung keine Abstimmung erfolgte, wie ursprünglich geplant war. Offiziell gilt also immer noch ein Dokument, das de facto als Provisorium geschaffen und nach erfolgter Wiedervereinigung durch eine Verfassung ersetzt werden sollte, die vom gesamtdeutschen Volk stammt. Stattdessen wurde es beibehalten und der Wirkungsbereich auf die neuen Bundesländer erweitert.

Mir geht es im Prinzip einfach nur darum, warum man sich diese Abstimmung eingespart hatte. Befürchtete man etwa, die absolute Mehrheit würde sich gegen das geltende GG entscheiden?
Hallo zusammen,

ich wollte letztens zu demselben Thema einen Thread eröffnen, bin allerdings dazu nicht gekommen.

Nun denn ich möchte jetzt einfach mal ein rein theoretisches Fallbeispiel machen und fragen, ob es überhaupt so funktionieren kann?

Angenommen ein reicher Bürger fertigt eine Verfassung an und startet eine Bundesweite Unterschriften Aktion. Falls dann die Mehrheit der Bürger diese Verfassung unterschreibt und diese dann als Petition eingereicht wird, was geschieht dann? Rein theoretisch müsste dies doch rechtskräftig sein, oder nicht?

Kann man das überhaupt als Otto Normalverbraucher rein theoretisch, wenn man die Kenntnisse und Mittel dafür hat?
Kann das System, die Politik damit vollkommen umgedreht/ umgemodelt und eventuell sogar wirklich gerecht für den Otto Normalverbraucher werden?
Was geschieht mit den Parteien und dem Bundestag sowie den ganzen Positionen?

Ich habe hier einmal einen reichen Bürger vorausgesetzt, da man so durch eventuelle Werbung mehr Aufmerksamkeit erregen kann und alles theoretisch im Alleingang ummodeln kann.

So ich denke das war es erst einmal. Dankeschön.

Schöne Grüße
Ju’on
Im Art.146GG steht, dass das GG erst seine Wirkung verliert, wenn eine Verfassung "in Kraft tritt". Selbst wenn jetzt 82 Millionen Menschen eine Verfassung unterzeichnen würden, bin ich mir nicht sicher ob sie so formal in Kraft treten kann. Ich denke, dass eine Verfassung durch Bundesrat/-tag mit großer mehrheitlicher Zustimmung gehen müsste. Aber durchaus interessanter Gedanke.
Für eine Änderung des Grundgesetzes ist eine 2/3-Mehrheit des Bundestages (vielleicht auch -rates, weiß ich jetzt nicht mehr genau) notwendig, mit Ausnahme einiger Artikel, die nicht änderbar sind - z.B. Art. 1. Ich könnte mir vorstellen, dass im Falle einer kompletten Ersetzung eine ähnliche Regelung zutreffen würde.

Kann das System, die Politik damit vollkommen umgedreht/ umgemodelt und eventuell sogar wirklich gerecht für den Otto Normalverbraucher werden?

Inwiefern hältst du denn das gegenwärtige System für ungerecht?
Also ich z.B. finde zunehmend schon bald ungerecht das Bürger die arbeiten und Steuern bezahlen, pro Person nur das gleiche Stimmgewicht haben wie Hartz4 Empfänger die noch nie, oder zumindest kaum einen Beitrag für den Staat geleistet haben..!
Wobei natürlich aber zu differieren ist, ob es sich z.B. um einen 50Jährigen Hartz4 Empfänger handelt der unschuldig in die Arbeitslosikeit gerutscht ist, oder ob es sich um einen extremen Punk handelt der einfach keinen Bock auf Staat und Arbeit hat... und sonstiges dazwischen und daneben.

Also im Grunde sollte meiner Meinung nach der Steuerzahlende Teil der Bevölkerung jeweils ein höheres Stimmgewicht haben als die Nutznießer der Gesellschaft.
Mit der Einstellung führst du eine Demokratie ad absurdum und in Richtung Oligarchie. Würde die arbeitende Bevölkerung ein höheres Stimmgewicht haben, hätten wir irgendwann eine extreme Schieflage in der Politik und es gäbe früher oder später keine Interessenvertreter mehr für den „Pöbel”. Man stelle sich nun vor, dieses Prinzip würde so ausgeweitet werden, dass das Stimmgewicht generell proportional zur Wirtschaftsleistung festgelegt wird...

Elitarismus und Klassismus sollten wir doch eigentlich inzwischen überwunden haben.

(Abgesehen davon, dass wir wieder vor dem altbekannten Problem stünden, klar zwischen Arbeitsunwilligen und Arbeitsunfähigen unterscheiden können zu müssen.)
Wenn aber Sozialleistungsempfänger immer mehr werden und Steuerzahler immer weniger, dann kippt die komplette Demokratie früher oder später eh weg...

Wenn schon Oligarchie (= Herrschaft weniger) dann sollten doch wenigstens hauptsächlich jene das Sagen haben die den Staat finanzieren und weniger die Schmarotzer...

Also ich will jetzt keinesfalls auf was neues totalitäres hinaus, aber eine gewisse Nachjustierung in Richtung der Leistungsträger halte ich schon unbedingt für erforderlich damit die Demokratie stabil bleibt...
Die Arbeitslosigkeit in Deutschland sinkt seit 2005 kontinuierlich, wohingegen die Zahl der Erwerbstätigen steigt (PDF). Es ist natürlich fraglich, wie lange der Trend anhält, aber es deutet zumindest nichts darauf hin, dass die Arbeitslosenrate steigt bzw. in naher Zukunft steigen wird.

Wäre es nicht sinnvoller, diejenigen entscheiden zu lassen, die A) von den Entscheidungen betroffen sind und B) Ahnung haben? Im Fall Deutschlands ist das vom Prinzip her meiner Meinung nach ganz gut gelöst: Die Wähler erfüllen Kriterium A und die Repräsentanten erfüllen Kriterium B - zumindest in der Theorie. Dass das in der Praxis leider nicht immer der Fall ist, liegt aber nicht am System, sondern an den Teilnehmern.

Mit einer „Nachjustierung” würdest du die Demokratie alles andere als stabilisieren. Wenn eine Interessengruppe größer wird als eine andere und folglich auch andere politische Entscheidungen getroffen werden, ist das schlicht demokratisch; eine bestimmte Interessengruppe auszuschließen hat hingegen in der Tat etwas Totalitäres.

Ich würde gerne von dir erfahren, was einen Steuerzahler deiner Meinung nach generell dafür qualifiziert, über die Köpfe der „Schmarotzer” hinwegentscheiden zu dürfen.
Diese Frage kann ich ganz einfach beantworten, nehmen wir mal hypothetisch es gäbe nur Du und Ich, wobei ich der Steuerzahler bin und Du der Schmarotzer:

Ich Steuerzahler verdiene durch eigenhändige und harte Arbeit gutes Geld, womit ich meinen Lebensunterhalt finanziere.
Dann kommst Du Schmarotzer und willst mir die Hälfte von meinem hart verdienten Lohn wieder wegnehmen, damit Du auch ganz gut leben kannst ohne aber nur einen Finger gerührt zu haben oder vor Mittags aus den Federn kommst...

Glaubst Du wirklich das Du gleichberechtigt über das Geld bestimmen kannst, das ich alleine erarbeitet habe..?
Banana, blöd an deinem ganzen Geschreibsel ist, dass man deine popeligen Ersparnisse gar nicht bräuchte, um in Deutschland eine zwei-Drittel-Mehrheit (nach Vermögen) zu erreichen. Denn zu den oberen zehn Prozent gehörst du trotz harter Arbeit ganz sicher nicht.

Bundeszentrale für politische Bildung: http://www.bpb.de/wissen/U4CJQA,0,0,Verm%F6gensverteilung.html|bpb.de: "Das Nettovermögen ist sehr ungleich verteilt: Werden die Personen nach der Höhe ihres Nettovermögens geordnet und dann in zehn gleich große Gruppen (Dezile) eingeteilt, so zeigt sich für das Jahr 2007, dass das reichste Zehntel über 61,1 Prozent des gesamten Vermögens verfügte."

Und sag mal, bist du eigentlich katholisch?
@Käpt'n LeChuck
Wie kommst du jetzt darauf das ich Ersparnisse oder gar Vermögen hätte..?
Ich hab nur ein Häuschen das zu 90% der finanzierenden Bank gehört, und einen relativ sicheren Arbeitsplatz...
Die oberen 10% sollen ja auch nicht viel zu sagen haben, sondern hauptsächlich jene Schicht, die durch ehrliche Arbeit das ganze System am laufen hält..

Ich war mal katholisch, bin aber damals schon ausgetreten um den Solidarzuschlag auszugleichen bei der Steuer. Ich trenne Religion von Glaube.. :-)
Blöd an dem Geschreibsel ist auch, dass es im Rahmen demokratischer Verhältnisse nie dazu kommen würde, dass durch die „Schmarotzer” ein Gesetz erwirkt werden würde, was ihnen 50% deines Einkommens bescheren würde. Damit es dazu kommt, müsste eine beachtliche Anzahl dieser Interessengruppe (Erwerbslose) entsprechend viele Vertreter wählen können, die ein derartiges Gesetz durchbringen würden (im Idealfall mehr als 50% des Bundestages). In letzter Instanz müsste dann natürlich auch noch der Bundespräsident dazu gebracht werden, einem derartigen Irrsinn zuzustimmen.

Solch ein Szenario würde aber unter Garantie nie stattfinden, weil es dazu eine Arbeitslosigkeit von über 50% bräuchte - abgesehen davon, dass dann natürlich auch noch alle Arbeitslosen wählen gehen müssten.

Die oberen 10% sollen ja auch nicht viel zu sagen haben, sondern hauptsächlich jene Schicht, die durch ehrliche Arbeit das ganze System am laufen hält..

Irgendwie pickst du dir hier willkürlich Kriterien heraus, die deiner Meinung nach einen Arbeitnehmer mehr als alle anderen Personen für eine politische Entscheidung qualifizieren. Zuerst hast du nur zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen unterschieden und jetzt schließt du auch noch die oberen Zehntausend aus, indem du noch das Kriterium „ehrliche Arbeit” aus der Luft greifst (btw, Definition von „ehrlicher Arbeit” bitte?).

Ich habe das Gefühl, du willst einfach nur, dass deine eigene Einkommensschicht ein größeres Stimmgewicht erhält, weil du dich von den amtierenden Repräsentanten nicht in deinen Interessen vertreten fühlst und die Schuld bei anderen Schichten suchst, obwohl deine Schicht gegenwärtig eine der zahlenmäßig größten sein dürfte. Doof, dass es in der Mittelschicht nur eben leider auch die meisten Nichtwähler gibt.
Ist das überhaupt noch eine Demokratie? Ich denke eher nicht!
Wessen "Geschreibsel" sich dann im Endeffekt als blöd herausstellt sehen wir eh erst in 10 15 oder 20 Jahren...
Ich bin das schon gewohnt das ich erst Jahre später Zustimmung bekomme von alten Themen.. ;-)
Was mich an der ganze Sache stört, ist, dass es sich bei unserem Grundgesetz um das "Grundgesetz !FÜR! die Bundesrepublik Deutschland". Nicht "von", nicht "der", nicht "das vom Volke beschlossene", sondern "für" die BRD. Welches uns von den 3 westlichen Siegermächten "erarbeitet" wurde. Das ist die deutsche Identifikation.
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