Alfred und die Abluft
Die Glastüren schwangen auf und zu, wieder und wieder. Jedes Mal, wenn jemand das Kaufhaus verließ, jedes mal, wenn es jemand betrat. Heute war Samstag, das Kaufhaus voll wie sonst nie, aber Alfred hatte den Drang nicht ignorieren können.
Er stand etwa zehn Meter vom Kaufhauseingang entfernt, im Schatten der Arkaden eines gegenüberliegenden Gebäudekomplexes, der an eine Eisdiele angrenzte. Obwohl er all dies schon gefühlte tausend Mal getan hatte, war es immer das gleiche Wechselbad an Gefühlen: Stress, Vorfreude, Angst und Erregung. In seinem Kopf waren zwei Stimmen – die der Vernunft und die der Sucht, und diese gewann letztendlich immer. Sie war es, die ihn jedes Mal von neuem dazu brachte, in die Stadt zu fahren, sich hinter die Arkaden zu stellen und zu warten. Manchmal tat er dies Stunden, manchmal nur Minuten. Er musste den richtigen Moment abpassen. Musste sich gedulden, bis der Menschenstrom abreißen würde und er sich für ein, zwei Minuten ungestört zwischen den Doppeltüren aufhalten konnte.
Selbst hier, Meter entfernt, meinte er schon, es riechen zu können – jedes Mal, wenn die Türen aufschwangen und ein Kunde, bepackt mit Tüten, das Kaufhaus verließ, oder jemand es betrat. Das war natürlich – das musste! – Einbildung sein, aber es sorgte dafür, dass sein Herz höher schlug und dass er sich kurz aus seinem Versteck hervorwagte und dann schnell wieder zurückging, mit beschämter Miene. Dann schaltete sich wieder die Stimme der Vernunft ein, die ihm sagte, dass er am besten nach Hause gehen sollte. Dass pausenlos Leute aus und ein gehen würden und dass er nicht einmal ungestört würde inhalieren können.
Doch das war ihm egal. Er brauchte es einfach, das würde er jedem sagen, genau so, wie es ein Junkie tun würde, wenn man ihn fragte, wieso er denn Drogen nahm.
Nur dass sein Suchtmittel nicht Alkohol oder Nikotin war – geschweige denn eine illegale Substanz – sondern, so verrückt das auch klang, Abluft. Besonders mochte er sie, wenn sie aus großen Kaufhäusern mit integriertem Restaurant stammte, oder – ein seltener Genuss – direkt aus de Abzügen einer Großküche.
Ja, es tat gut, die Dinge beim Namen zu nennen. Hätte er sich schon überwunden und eine Selbsthilfegruppe besucht (sofern denn eine für solch ein ausgefallenes Problem existierte), dann hätte er es genau so, wie man es in stereotypischen Filmen oder Comics sieht, gleich zu Beginn verkündet: „Hallo, mein Name ist Alfred und ich bin süchtig nach Abluft.“
Wie verschroben sich das doch anhörte! Doch der jahrelange Kampf mit sich selbst hatte ihm gelehrt, dass es keinen Sinn machte, sich die Befriedigung des Triebes zu verwähren, und schließlich schadete er ja niemandem damit.
Er achtete nur darauf, es unbemerkt zu tun, denn er hasste es, verstörte Blicke zu ernten. Das war ihm schon öfters passiert, besonders in jungen Jahren, als seine krankhafte Vorliebe erstmalig an die Oberfläche seiner Psyche getrieben war.
Wie lange das her war, wusste er nicht. Jedoch konnte er sich noch genau an ein Erlebnis aus der Zeit seines Erwachsenwerdens erinnern, als er mit sechzehn Jahren ein Abluftrohr an der rückwärtigen Wand einer Buchhandlung fand. So schön deren Fassade war, mit all ihren Auslagen, Ständen und Pappaufstellern, so hässlich war die kaum beachtete Rückseite, nur über einen schmalen Pfad zugänglich, welcher die knappe Trennlinie zwischen dem einen und dem anderen Gebäude – beides Altbauen – darstellte. Dieser enge Weg wurde kaum beachtet und es war nichts anderes als eine spontane Eingebung, die den damals sechszehnjährigen Alfred in die Seitengasse trieb. Kaum war er in den kühlen Schatten getreten, der einen Mantel von modrigem Geruch über ihn legte, sah er es da neben ihm aus der Wand ragen: Ein rechtwinklig abgekröpftes Abluftrohr, dessen ehemals weiße Farbe schon längst von Rost und Algen getrübt worden war, aber die „innere Schönheit“ des Rohres strahlte in Alberts Augen über alles Andere hinweg. Elegant zeigte es nach oben, in einer leicht spitz zulaufenden Form, die von einem filigranen Eisengitter gekrönt wurde. Die Höhe war perfekt: Er würde ohne Mühe seine Nase in den Duftstrom halten können.
Und das tat er auch sogleich, nicht ohne vorher den Teppich aus Staub, Spinnweben und Vogelkot von dem Gitter zu streichen.
Die Duftnote übersteig seine kühnsten Vorstellungen: Da war das Aroma von altem Papier, von Parfum, von Möbelpolitur, von Toilettenstein, von Teppichboden und dezent im Hintergrund das gewisse Etwas, das „Muffige“, dass er so sehr an allen Typen von Abluft liebte und dass die Komposition „abrundete“. Dazu noch war der Luftstrom rein von Schwebstoffen – kein Staubpartikelchen und keine Teppichfaser trübte den Genuss.
Die ersten Annäherungen mit Abluftrohren hatten bislang mit heftigen Hustenanfällen und einmal sogar mit Erbrechen geendet, als Alfred sich nicht schnell genug losreißen konnte und eine Hand voll Wollmäuse in den geöffneten Rachen geblasen bekam.
In diesem goldenen Moment des Inhalierens war ihm klarer als je zuvor: Dieses ganz spezielle Bedürfnis würde niemals von ihm weichen.
In den kommenden Wochen suchte er dieses spezielle Abluftrohr immer wieder auf – mehrfach verließ er sogar vorzeitig den Unterricht, mit dem Verwand, er habe Kopfschmerzen, um so schnell wie Möglich wieder in seine ganz persönliche Gasse zurückkehren zu können, wo ihm der herrliche Luftstrom die Sorgen des Alltags aus dem Kopf blasen würde.
Ja, das war eine der wenigen schönen Momente seiner Jugend…
„Mochten der Herrr kaufen eine Obdacklosenzeitung?“
Die plötzliche Stimme, die von hinten an sein Ohr drang, riss ihn aus seinen Erinnerungen. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er die vergangenen zehn Minuten regungslos auf die immer wieder auf- und zu klappenden Eingangstüren des Kaufhauses geschaut haben musste, und so hatte er nicht bemerkt, dass genau neben ihm, unter den Arkaden, ein Verkäufer der örlichen Straßenzeitung seinen Stand aufgebaut hatte.
„N-Nein. Danke.“, antwortete er verdattert, was ihm einen feindseligen Blick seitens des türkischen, aber mehr als voll integrierten Mitbürgers einbrachte.
Ein letztes Mal schaute er zu den Doppeltüren, die nach wie vor vom stetigen Kundenstrom hin- und ehr bewegt wurden – so schnell wie die Flügel eines Kolibris, kam es Alfred vor. Es hatte keinen Zweck, heute würde er keine Gelegenheit finden, dort zu inhalieren, aber schließlich war der Luftausströmer über den Eingangstüren, der die verbrauchte, warme Luft senkrecht ach unten blies, um ein Eindringen der kalten, frischen zu vermeiden, nicht seine einzige Quelle.
Endlich verließ er sein nun untaugliches Versteck („Wolle du kaufen wirklich keine Obdacklosezeitung?“) und ging geradewegs auf das Kaufhaus zu, bog jedoch vor dem Eingang nach links, um auf die andere Seite des Gebäudes zu gelangen. Dort, das hatte er bei einem seiner zahlreichen Erkundungsgänge in der Stadt herausgefunden, befand sich eine Reihe von Personal- und Lieferanteneingängen, die einem unbemerkt Zutritt zu den verschiedensten Bereichen des Gebäudes verschafften. Natürlich war es immer ein Risiko, sich in diesen für den normalen Kunden unsichtbaren, weit verzweigten Gängen zu bewegen, denn es konnte immer Personal unterwegs sein. Bisher hatte Alfred jedoch immer Glück gehabt und das führte ihn zum Schluss, dass sogar das Personal selbst diese Gänge zum Teil vergessen haben musste. Wie ein Höhlensystem durchzogen sie das gesamte Warenhaus, welches im Laufe seines jahrzehntelangen Bestehens schon öfters renoviert worden war.
Vorsichtig schaue Alfred noch einmal ums Häusereck – die Luft war rein. Kein angestellter war in Sicht, und sollte er doch einem begegnen, so würde er einfach den ahnungslosen Kunden spielen, der sich verirrt hatte.
Nur in diesen Wartungs- und Personalgängen, wo man keinen großen Wert auf Optik und Atmosphäre legte, hatte man direkten Zugang zum Lüftungssystem des Kaufhauses. Wie er es schon oft zuvor getan hatte, würde er sich einfach ein abgelegenes Eck suchen, sich dann auf eine Kiste oder etwas ähnliches Stellen und dann eine der zahlreichen Klappen öffnen, von denen das wurmartige Rohrnetz an der Decke gespickt war.
In den normalen, für jeden zugänglichen Verkaufsbereichen war das ganze „Innenleben“ des Gebäudes aufs Genauste vom Kunden abgeschirmt – durch Blenden und Verkleidungen.
Nur an wenigen Stellen kam man an die Abluft – zum Beispiel an den Ausgängen, wo sich Alfred normalerweise seine „Dosis“ holte, aber heute war dies leider nicht möglich gewesen.
Mit eiligen Schritten lief er zu einer der unscheinbaren, grauen Türen, auf denen rote Schilder mit dem Hinweis „Zutritt nur für Personal“ angebracht waren. Wie immer begannen seine Hände leicht zu zittern, als er die Klinke hinunterdrückte.
Vor ihm lag ein langer, dunkler Gang, dessen grabesähnliche Stille nichts von dem sprühenden Konsumleben verhieß, welches sich nur wenige Meter Beton entfernt von Alfred abspielte. Die einzige Beleuchtung dieses Ganges waren vergilbte Neonröhren – die eine oder andere defekt – alle hypnotisch brummend, wie ein Stock elektrischer Bienen, die darauf warteten, zuzustechen. Alfred schauderte bei dem Gedanken.
Nichtsdestotrotz trat er ein und ließ die Tür fester ins Schloss fallen als beabsichtigt. Der Knall schien ihm ohrenbetäubend und sein Echo pflanzte sich durch den Betonkorridor fort, wie eine abebbende Ozeanwelle. Hoffentlich hatte man ihn nicht gehört.
Er versuchte, die Aufregung zu dämpfen. Schließlich kannte er diesen Gang – schon vor gut einem Jahr hatte er seine erste „Expedition“ in diesen Teil des Kaufhauses unternommen.
Und für den Fall, dass er einmal einem Kaufhausarbeiter begegnen sollte, hatte er vorgesorgt: Unter seinem langen, unauffälligen Mantel trug er einen blauen Arbeiteranzug, mit dem man ihn ohne weiteres für einen Techniker oder Angestellten halten konnte.
Der Gang kam ihm jetzt noch länger vor, aber schließlich wusste er ja, wie er gehen musste. Kurz vor Ende würde eine Abzweigung nach links zu einem Treppenhaus führen, über welches er in das nächste Stockwerk des Gangsystems gehen würde. Nur durch dünne Trennwand vom Verkaufsbereich getrennt konnte er nach ein paar weiteren Türen und Abzweigungen einen Wartungskorridor erreichen, indem das Hauptabluftrohr der ersten Kaufhausebene verlief. Dort gab es eine leicht zu öffnende Klappe…
Es würde schon alles glatt gehen.
Er hatte den Gang fast durchquert und wollte in die Abzweigung nach links einbiegen, als er mit dem Fuß an einer Palette hängen blieb. Im Halbdunkel der Neonröhren hatte er sie einfach übersehen. Darauf stand ein Karton mit Kabeln. Sie waren allesamt rot. Alfred ignorierte den Schmerz in seinem linken Fußzeh und schaue in die Kiste, von der er seinen Blick nicht abwenden konnte.
Die Kabel bewegten sich. Wie ein Knäuel von Würmern schienen sie sich zu winden…
Entsetzt schüttelte er den Kopf. Wie kam er auf solche Gedanken? Natürlich bewegte sich in dem Karton nichts! Es musste an der schwachen Beleuchtung gelegen haben, dass er das dachte. Wie um sich das selbst zu beweisen zog er an einem der Kabel und ließ es gleich darauf angeekelt fallen. Es hatte sich klebrig angefühlt. Nun baumelte es lustlos von dem Rand des Kartons. Keine Spur von Leben.
Wieder ermahnte er sich, ruhig zu bleiben. Schließlich konnte er nicht an jeder Kiste mit Kabeln oder sonstigem Bauschutt stehen bleiben. Er bog um die Ecke und erreichte so das Treppenhaus. Durch ein Oberlicht fiel helles Mittagslicht, was ihn jedoch irgendwie deprimierte. Sollte man an solch einem hellen Tag nicht etwas Anderes zu tun haben, als in Kaufhausgängen herumzuirren?
Keine Zeit zum Nachdenken, sagte er sich immer wieder innerlich vor.
Er tat einen Ruck, wie um die Beklemmung abzuschütteln und begann, die Treppenstufen emporzusteigen, die an der Wand des quadratischen Treppenhauses verliefen. In dem senkrecht herabfallenden Lichtkegel, um den herum er sich nach oben schraubte, tanzten winzigste Staubkörner. Alfred wedelte mit der Hand, um sie zu bewegen. Er wusste nicht, warum er es tat.
Gleich darauf war er im ersten Stock angelangt. Auch hier mündete ein vergleichbarer Gang ins Treppenhaus wie im Erdgeschoss, aber diesmal würde er durch einen anderen Weg gehen. Es war eine kleine, alte Stahltür mit einem Warnschild, das zum tragen von Ohrenschützern anhielt, durch die er zu gehen beabsichtigte. Wieso das Schild da hing, wusste er nicht. Schließlich gab es ja keine schädlichen Lärmquellen.
Er fasste nach der Plastikklinke und sah noch einmal über die Schulter. Natürlich war niemand außer ihm hier, das würde er ja schon längst gehört haben.
Hören. Er runzelte die Stirn. Wieso hörte er nichts vom Kaufhausbetrieb? Er glaubte fest, sich erinnern zu können, dass das Stimmengewirr bei seinem letzten Besuch deutlich zu vernehmen gewesen war. Oder doch nicht? War die Trennwand doch dicker als vermutet? Achselzuckend tat er diesen Gedanken als unwichtig ab, ohne sich von dem seltsamen Gefühl befreien zu können, das von ihm Besitz ergriffen hatte.
Schwungvoll öffnete er die Tür und erstarrte.
Vor ihm lag absolute Dunkelheit. Dies machte ihm sofort wieder Angst, aber das war natürlich Blödsinn. In diesem alten, vernachlässigten Teil des Kaufhauses war einfach die Beleuchtung ausgefallen, weiter nichts. Aber im Dunkeln das Lüftungsrohr finden? Unmöglich.
Alleine die Vorstellung bereitete ihm Gänsehaut. Was, wenn sich die Kabel vorhin doch bewegt hatten? Wenn sich in der Dunkelheit eine dieser in Plastik gefangenen, stählernen Tentakeln um seinen Hals legen würde…
Feste schlug er die Tür zu. Ruhig bleiben, nicht in Panik verfallen, hallte es wie ein Mantra in seinem Kopf.
- WIRD FORTGESETZT -
Die Glastüren schwangen auf und zu, wieder und wieder. Jedes Mal, wenn jemand das Kaufhaus verließ, jedes mal, wenn es jemand betrat. Heute war Samstag, das Kaufhaus voll wie sonst nie, aber Alfred hatte den Drang nicht ignorieren können.
Er stand etwa zehn Meter vom Kaufhauseingang entfernt, im Schatten der Arkaden eines gegenüberliegenden Gebäudekomplexes, der an eine Eisdiele angrenzte. Obwohl er all dies schon gefühlte tausend Mal getan hatte, war es immer das gleiche Wechselbad an Gefühlen: Stress, Vorfreude, Angst und Erregung. In seinem Kopf waren zwei Stimmen – die der Vernunft und die der Sucht, und diese gewann letztendlich immer. Sie war es, die ihn jedes Mal von neuem dazu brachte, in die Stadt zu fahren, sich hinter die Arkaden zu stellen und zu warten. Manchmal tat er dies Stunden, manchmal nur Minuten. Er musste den richtigen Moment abpassen. Musste sich gedulden, bis der Menschenstrom abreißen würde und er sich für ein, zwei Minuten ungestört zwischen den Doppeltüren aufhalten konnte.
Selbst hier, Meter entfernt, meinte er schon, es riechen zu können – jedes Mal, wenn die Türen aufschwangen und ein Kunde, bepackt mit Tüten, das Kaufhaus verließ, oder jemand es betrat. Das war natürlich – das musste! – Einbildung sein, aber es sorgte dafür, dass sein Herz höher schlug und dass er sich kurz aus seinem Versteck hervorwagte und dann schnell wieder zurückging, mit beschämter Miene. Dann schaltete sich wieder die Stimme der Vernunft ein, die ihm sagte, dass er am besten nach Hause gehen sollte. Dass pausenlos Leute aus und ein gehen würden und dass er nicht einmal ungestört würde inhalieren können.
Doch das war ihm egal. Er brauchte es einfach, das würde er jedem sagen, genau so, wie es ein Junkie tun würde, wenn man ihn fragte, wieso er denn Drogen nahm.
Nur dass sein Suchtmittel nicht Alkohol oder Nikotin war – geschweige denn eine illegale Substanz – sondern, so verrückt das auch klang, Abluft. Besonders mochte er sie, wenn sie aus großen Kaufhäusern mit integriertem Restaurant stammte, oder – ein seltener Genuss – direkt aus de Abzügen einer Großküche.
Ja, es tat gut, die Dinge beim Namen zu nennen. Hätte er sich schon überwunden und eine Selbsthilfegruppe besucht (sofern denn eine für solch ein ausgefallenes Problem existierte), dann hätte er es genau so, wie man es in stereotypischen Filmen oder Comics sieht, gleich zu Beginn verkündet: „Hallo, mein Name ist Alfred und ich bin süchtig nach Abluft.“
Wie verschroben sich das doch anhörte! Doch der jahrelange Kampf mit sich selbst hatte ihm gelehrt, dass es keinen Sinn machte, sich die Befriedigung des Triebes zu verwähren, und schließlich schadete er ja niemandem damit.
Er achtete nur darauf, es unbemerkt zu tun, denn er hasste es, verstörte Blicke zu ernten. Das war ihm schon öfters passiert, besonders in jungen Jahren, als seine krankhafte Vorliebe erstmalig an die Oberfläche seiner Psyche getrieben war.
Wie lange das her war, wusste er nicht. Jedoch konnte er sich noch genau an ein Erlebnis aus der Zeit seines Erwachsenwerdens erinnern, als er mit sechzehn Jahren ein Abluftrohr an der rückwärtigen Wand einer Buchhandlung fand. So schön deren Fassade war, mit all ihren Auslagen, Ständen und Pappaufstellern, so hässlich war die kaum beachtete Rückseite, nur über einen schmalen Pfad zugänglich, welcher die knappe Trennlinie zwischen dem einen und dem anderen Gebäude – beides Altbauen – darstellte. Dieser enge Weg wurde kaum beachtet und es war nichts anderes als eine spontane Eingebung, die den damals sechszehnjährigen Alfred in die Seitengasse trieb. Kaum war er in den kühlen Schatten getreten, der einen Mantel von modrigem Geruch über ihn legte, sah er es da neben ihm aus der Wand ragen: Ein rechtwinklig abgekröpftes Abluftrohr, dessen ehemals weiße Farbe schon längst von Rost und Algen getrübt worden war, aber die „innere Schönheit“ des Rohres strahlte in Alberts Augen über alles Andere hinweg. Elegant zeigte es nach oben, in einer leicht spitz zulaufenden Form, die von einem filigranen Eisengitter gekrönt wurde. Die Höhe war perfekt: Er würde ohne Mühe seine Nase in den Duftstrom halten können.
Und das tat er auch sogleich, nicht ohne vorher den Teppich aus Staub, Spinnweben und Vogelkot von dem Gitter zu streichen.
Die Duftnote übersteig seine kühnsten Vorstellungen: Da war das Aroma von altem Papier, von Parfum, von Möbelpolitur, von Toilettenstein, von Teppichboden und dezent im Hintergrund das gewisse Etwas, das „Muffige“, dass er so sehr an allen Typen von Abluft liebte und dass die Komposition „abrundete“. Dazu noch war der Luftstrom rein von Schwebstoffen – kein Staubpartikelchen und keine Teppichfaser trübte den Genuss.
Die ersten Annäherungen mit Abluftrohren hatten bislang mit heftigen Hustenanfällen und einmal sogar mit Erbrechen geendet, als Alfred sich nicht schnell genug losreißen konnte und eine Hand voll Wollmäuse in den geöffneten Rachen geblasen bekam.
In diesem goldenen Moment des Inhalierens war ihm klarer als je zuvor: Dieses ganz spezielle Bedürfnis würde niemals von ihm weichen.
In den kommenden Wochen suchte er dieses spezielle Abluftrohr immer wieder auf – mehrfach verließ er sogar vorzeitig den Unterricht, mit dem Verwand, er habe Kopfschmerzen, um so schnell wie Möglich wieder in seine ganz persönliche Gasse zurückkehren zu können, wo ihm der herrliche Luftstrom die Sorgen des Alltags aus dem Kopf blasen würde.
Ja, das war eine der wenigen schönen Momente seiner Jugend…
„Mochten der Herrr kaufen eine Obdacklosenzeitung?“
Die plötzliche Stimme, die von hinten an sein Ohr drang, riss ihn aus seinen Erinnerungen. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er die vergangenen zehn Minuten regungslos auf die immer wieder auf- und zu klappenden Eingangstüren des Kaufhauses geschaut haben musste, und so hatte er nicht bemerkt, dass genau neben ihm, unter den Arkaden, ein Verkäufer der örlichen Straßenzeitung seinen Stand aufgebaut hatte.
„N-Nein. Danke.“, antwortete er verdattert, was ihm einen feindseligen Blick seitens des türkischen, aber mehr als voll integrierten Mitbürgers einbrachte.
Ein letztes Mal schaute er zu den Doppeltüren, die nach wie vor vom stetigen Kundenstrom hin- und ehr bewegt wurden – so schnell wie die Flügel eines Kolibris, kam es Alfred vor. Es hatte keinen Zweck, heute würde er keine Gelegenheit finden, dort zu inhalieren, aber schließlich war der Luftausströmer über den Eingangstüren, der die verbrauchte, warme Luft senkrecht ach unten blies, um ein Eindringen der kalten, frischen zu vermeiden, nicht seine einzige Quelle.
Endlich verließ er sein nun untaugliches Versteck („Wolle du kaufen wirklich keine Obdacklosezeitung?“) und ging geradewegs auf das Kaufhaus zu, bog jedoch vor dem Eingang nach links, um auf die andere Seite des Gebäudes zu gelangen. Dort, das hatte er bei einem seiner zahlreichen Erkundungsgänge in der Stadt herausgefunden, befand sich eine Reihe von Personal- und Lieferanteneingängen, die einem unbemerkt Zutritt zu den verschiedensten Bereichen des Gebäudes verschafften. Natürlich war es immer ein Risiko, sich in diesen für den normalen Kunden unsichtbaren, weit verzweigten Gängen zu bewegen, denn es konnte immer Personal unterwegs sein. Bisher hatte Alfred jedoch immer Glück gehabt und das führte ihn zum Schluss, dass sogar das Personal selbst diese Gänge zum Teil vergessen haben musste. Wie ein Höhlensystem durchzogen sie das gesamte Warenhaus, welches im Laufe seines jahrzehntelangen Bestehens schon öfters renoviert worden war.
Vorsichtig schaue Alfred noch einmal ums Häusereck – die Luft war rein. Kein angestellter war in Sicht, und sollte er doch einem begegnen, so würde er einfach den ahnungslosen Kunden spielen, der sich verirrt hatte.
Nur in diesen Wartungs- und Personalgängen, wo man keinen großen Wert auf Optik und Atmosphäre legte, hatte man direkten Zugang zum Lüftungssystem des Kaufhauses. Wie er es schon oft zuvor getan hatte, würde er sich einfach ein abgelegenes Eck suchen, sich dann auf eine Kiste oder etwas ähnliches Stellen und dann eine der zahlreichen Klappen öffnen, von denen das wurmartige Rohrnetz an der Decke gespickt war.
In den normalen, für jeden zugänglichen Verkaufsbereichen war das ganze „Innenleben“ des Gebäudes aufs Genauste vom Kunden abgeschirmt – durch Blenden und Verkleidungen.
Nur an wenigen Stellen kam man an die Abluft – zum Beispiel an den Ausgängen, wo sich Alfred normalerweise seine „Dosis“ holte, aber heute war dies leider nicht möglich gewesen.
Mit eiligen Schritten lief er zu einer der unscheinbaren, grauen Türen, auf denen rote Schilder mit dem Hinweis „Zutritt nur für Personal“ angebracht waren. Wie immer begannen seine Hände leicht zu zittern, als er die Klinke hinunterdrückte.
Vor ihm lag ein langer, dunkler Gang, dessen grabesähnliche Stille nichts von dem sprühenden Konsumleben verhieß, welches sich nur wenige Meter Beton entfernt von Alfred abspielte. Die einzige Beleuchtung dieses Ganges waren vergilbte Neonröhren – die eine oder andere defekt – alle hypnotisch brummend, wie ein Stock elektrischer Bienen, die darauf warteten, zuzustechen. Alfred schauderte bei dem Gedanken.
Nichtsdestotrotz trat er ein und ließ die Tür fester ins Schloss fallen als beabsichtigt. Der Knall schien ihm ohrenbetäubend und sein Echo pflanzte sich durch den Betonkorridor fort, wie eine abebbende Ozeanwelle. Hoffentlich hatte man ihn nicht gehört.
Er versuchte, die Aufregung zu dämpfen. Schließlich kannte er diesen Gang – schon vor gut einem Jahr hatte er seine erste „Expedition“ in diesen Teil des Kaufhauses unternommen.
Und für den Fall, dass er einmal einem Kaufhausarbeiter begegnen sollte, hatte er vorgesorgt: Unter seinem langen, unauffälligen Mantel trug er einen blauen Arbeiteranzug, mit dem man ihn ohne weiteres für einen Techniker oder Angestellten halten konnte.
Der Gang kam ihm jetzt noch länger vor, aber schließlich wusste er ja, wie er gehen musste. Kurz vor Ende würde eine Abzweigung nach links zu einem Treppenhaus führen, über welches er in das nächste Stockwerk des Gangsystems gehen würde. Nur durch dünne Trennwand vom Verkaufsbereich getrennt konnte er nach ein paar weiteren Türen und Abzweigungen einen Wartungskorridor erreichen, indem das Hauptabluftrohr der ersten Kaufhausebene verlief. Dort gab es eine leicht zu öffnende Klappe…
Es würde schon alles glatt gehen.
Er hatte den Gang fast durchquert und wollte in die Abzweigung nach links einbiegen, als er mit dem Fuß an einer Palette hängen blieb. Im Halbdunkel der Neonröhren hatte er sie einfach übersehen. Darauf stand ein Karton mit Kabeln. Sie waren allesamt rot. Alfred ignorierte den Schmerz in seinem linken Fußzeh und schaue in die Kiste, von der er seinen Blick nicht abwenden konnte.
Die Kabel bewegten sich. Wie ein Knäuel von Würmern schienen sie sich zu winden…
Entsetzt schüttelte er den Kopf. Wie kam er auf solche Gedanken? Natürlich bewegte sich in dem Karton nichts! Es musste an der schwachen Beleuchtung gelegen haben, dass er das dachte. Wie um sich das selbst zu beweisen zog er an einem der Kabel und ließ es gleich darauf angeekelt fallen. Es hatte sich klebrig angefühlt. Nun baumelte es lustlos von dem Rand des Kartons. Keine Spur von Leben.
Wieder ermahnte er sich, ruhig zu bleiben. Schließlich konnte er nicht an jeder Kiste mit Kabeln oder sonstigem Bauschutt stehen bleiben. Er bog um die Ecke und erreichte so das Treppenhaus. Durch ein Oberlicht fiel helles Mittagslicht, was ihn jedoch irgendwie deprimierte. Sollte man an solch einem hellen Tag nicht etwas Anderes zu tun haben, als in Kaufhausgängen herumzuirren?
Keine Zeit zum Nachdenken, sagte er sich immer wieder innerlich vor.
Er tat einen Ruck, wie um die Beklemmung abzuschütteln und begann, die Treppenstufen emporzusteigen, die an der Wand des quadratischen Treppenhauses verliefen. In dem senkrecht herabfallenden Lichtkegel, um den herum er sich nach oben schraubte, tanzten winzigste Staubkörner. Alfred wedelte mit der Hand, um sie zu bewegen. Er wusste nicht, warum er es tat.
Gleich darauf war er im ersten Stock angelangt. Auch hier mündete ein vergleichbarer Gang ins Treppenhaus wie im Erdgeschoss, aber diesmal würde er durch einen anderen Weg gehen. Es war eine kleine, alte Stahltür mit einem Warnschild, das zum tragen von Ohrenschützern anhielt, durch die er zu gehen beabsichtigte. Wieso das Schild da hing, wusste er nicht. Schließlich gab es ja keine schädlichen Lärmquellen.
Er fasste nach der Plastikklinke und sah noch einmal über die Schulter. Natürlich war niemand außer ihm hier, das würde er ja schon längst gehört haben.
Hören. Er runzelte die Stirn. Wieso hörte er nichts vom Kaufhausbetrieb? Er glaubte fest, sich erinnern zu können, dass das Stimmengewirr bei seinem letzten Besuch deutlich zu vernehmen gewesen war. Oder doch nicht? War die Trennwand doch dicker als vermutet? Achselzuckend tat er diesen Gedanken als unwichtig ab, ohne sich von dem seltsamen Gefühl befreien zu können, das von ihm Besitz ergriffen hatte.
Schwungvoll öffnete er die Tür und erstarrte.
Vor ihm lag absolute Dunkelheit. Dies machte ihm sofort wieder Angst, aber das war natürlich Blödsinn. In diesem alten, vernachlässigten Teil des Kaufhauses war einfach die Beleuchtung ausgefallen, weiter nichts. Aber im Dunkeln das Lüftungsrohr finden? Unmöglich.
Alleine die Vorstellung bereitete ihm Gänsehaut. Was, wenn sich die Kabel vorhin doch bewegt hatten? Wenn sich in der Dunkelheit eine dieser in Plastik gefangenen, stählernen Tentakeln um seinen Hals legen würde…
Feste schlug er die Tür zu. Ruhig bleiben, nicht in Panik verfallen, hallte es wie ein Mantra in seinem Kopf.
- WIRD FORTGESETZT -
In letzter Zeit habe ich mich ja nicht mehr so viel an diesem Unterforum beteiligt, aber diese Geschichte macht doch Lust auf einiges mehr. Eine Figur mit einer Schwäche für Abluft, sehr schön, aus dieser originellen Idee lässt sich zweifellos etwas machen. Schön, hier nicht den x-ten Tolkien-Abklatsch lesen zu müssen. Grundgerüst bislang top, ich bin gespannt, wie du es weiterführen willst. Den Wechsel in die doch recht detaillierte Beschreibung (bzw. mit dem Spannungsaufbau) in den Gängen des Kaufhauses mit den Kabeln usw. haben mich zwar kurzzeitig verwirrt, aber je nachdem, wie du es auflöst, sehe ich kein Problem dahinter.
Lege dich wenn möglich auf eine Sparte fest, auch wenn das ein wenig stiefmütterlich behandelt klingt; du solltest einfach schauen, wenn möglich nicht einen Horror-Satire-Mix zu machen (auch wenn es vielleicht Leser gibt, die das goutieren mögen).
Was die Geschichte zu Beginn noch einen Tick verwobener gestalten würde, wäre, dass du die direkte Erwähnung von Alfreds Abluftsucht (Von Nur dass sein Suchtmittel nicht Alkohol oder Nikotin war.... bis ...und schließlich schadete er ja niemandem damit.) wegliessest. Und damit auch solche Sachen wie "das hörte sich verschroben an" usw. Wenn du den Leser einfach gleich die Rückblende erleben lässt, merkt dieser selbst, dass es sich verschroben anhört:). Ausserdem käme auch der Charakter von Alfred besser zur Geltung, wenn er gerade nicht darüber nachdenken würde, wie verschroben sein Hobby klingt.
Der Herr mit der Obdachlosenzeitung bringt Würze in die Geschichte, sehr gut.
Zur Sprache.
Du schreibst grösstenteils flüssig, gute Leserführung, nur an einigen Stellen hapert's ein bisschen. Wie z.B. hier:
Das war natürlich – das musste! – Einbildung sein, aber es sorgte dafür, dass sein Herz höher schlug und dass er sich kurz aus seinem Versteck hervorwagte und dann schnell wieder zurückging, mit beschämter Miene.
Dort hinten ist nicht unbedingt der beste Platz für eine beschämte Miene:). Satz umschreiben spart ausserdem Kommas.
Und hier kommt noch etwas, was auch allgemein wieder mit der Sprache von Alfred zusammenhängt: benutz besser nicht so viel Anführungs- und Schlusszeichen.
Ich will einen psychisch gestörten Alfred sehen, und mich nicht noch dabei mit einem Autor herumschlagen, der die psychische Abhängigkeit von Alfred "rechtfertigt":). Je selbstverständlicher du seine Sucht ausleben lässt, desto besser.
Ansonsten: super, toll, mehr:)
Lege dich wenn möglich auf eine Sparte fest, auch wenn das ein wenig stiefmütterlich behandelt klingt; du solltest einfach schauen, wenn möglich nicht einen Horror-Satire-Mix zu machen (auch wenn es vielleicht Leser gibt, die das goutieren mögen).
Was die Geschichte zu Beginn noch einen Tick verwobener gestalten würde, wäre, dass du die direkte Erwähnung von Alfreds Abluftsucht (Von Nur dass sein Suchtmittel nicht Alkohol oder Nikotin war.... bis ...und schließlich schadete er ja niemandem damit.) wegliessest. Und damit auch solche Sachen wie "das hörte sich verschroben an" usw. Wenn du den Leser einfach gleich die Rückblende erleben lässt, merkt dieser selbst, dass es sich verschroben anhört:). Ausserdem käme auch der Charakter von Alfred besser zur Geltung, wenn er gerade nicht darüber nachdenken würde, wie verschroben sein Hobby klingt.
Der Herr mit der Obdachlosenzeitung bringt Würze in die Geschichte, sehr gut.
Zur Sprache.
Du schreibst grösstenteils flüssig, gute Leserführung, nur an einigen Stellen hapert's ein bisschen. Wie z.B. hier:
Das war natürlich – das musste! – Einbildung sein, aber es sorgte dafür, dass sein Herz höher schlug und dass er sich kurz aus seinem Versteck hervorwagte und dann schnell wieder zurückging, mit beschämter Miene.
Dort hinten ist nicht unbedingt der beste Platz für eine beschämte Miene:). Satz umschreiben spart ausserdem Kommas.
Und hier kommt noch etwas, was auch allgemein wieder mit der Sprache von Alfred zusammenhängt: benutz besser nicht so viel Anführungs- und Schlusszeichen.
Ich will einen psychisch gestörten Alfred sehen, und mich nicht noch dabei mit einem Autor herumschlagen, der die psychische Abhängigkeit von Alfred "rechtfertigt":). Je selbstverständlicher du seine Sucht ausleben lässt, desto besser.
Ansonsten: super, toll, mehr:)
Hi,
danke für die positive Kritik. Zur Sprache, da hast du recht, ich habe das bisherige direkt gepostet, ohne es gegen zu lesen. Außerdem hasse ich genau wie du den Fantasy-Mainstream, und möchte hier mal etwas dagegensetzen.
Die Geschichte wird villeicht nicht besonders lang - mal sehen. Ich kenne noch nicht das Ende, das entwickelt sich noch. ^^
In Kürze gehts weiter!
danke für die positive Kritik. Zur Sprache, da hast du recht, ich habe das bisherige direkt gepostet, ohne es gegen zu lesen. Außerdem hasse ich genau wie du den Fantasy-Mainstream, und möchte hier mal etwas dagegensetzen.
Die Geschichte wird villeicht nicht besonders lang - mal sehen. Ich kenne noch nicht das Ende, das entwickelt sich noch. ^^
In Kürze gehts weiter!
Die Treppe, die zum Untergeschoss hinunter führte, war von der restlichen abgesondert. Sie war nicht mehr als ein sich eng an die Wand kauernder Schacht, der steil hinab führte. Bei seinen früheren Besuchen war sie Alfred nie aufgefallen. Ebenso war ihm das alte Blechschild mit der Aufschrift „Untergeschoß“ entgangen, das neben dem Abgang an der Wand hing. Es gefiel ihm nicht, aber er konnte nicht sagen warum. Schrieb man „Untergeschoss“ nicht schon längst mit „ss“?
Ohne weiter darüber nachzudenken machte er sich an den Abstieg, nicht ohne vorher noch einmal über die Schulter zu sehen und sich der absoluten Stille zu vergewissern, die ihn fest umschloss wie ein Bleisarg.
Die Treppenstufen sahen anders aus, als die der Haupttreppe. Sie erschienen ihm viel älter, obwohl sie in keiner Weise ausgetreten waren. Ebenso stach ihm das Treppengeländer ins Auge: Ein langer, ehemals schreiend grüner Plastikwulst, über die zeit spröde und rissig geworden. Er vermied es, mit ihm in Kontakt zu kommen. Seine geübte Nase vernahm einen säuerlichen Geruch, wie von einem Weinkeller, der ihm aber nicht unangenehm war. Dazu mischten sich die Ausdünstungen von Beton, der sich hier unten ohne kaschierende Tapete und ohne Schutzlack darbot.
Erfreulicherweise war die Treppe relativ kurz und ihr Ende lag keinesfalls in Finsternis, sondern war ebenfalls von Neonröhren beleuchtet, welche allerdings allesamt intakt waren.
Noch einmal verspürte er kurz den Drang, einfach umzukehren, und überdeutlich sagte ihm die Stimme der Vernunft, dass hier unten sicher nur altes Gerümpel herumstünde, aber die Verheißung, endlich in den wohlverdienten Genuss einer Dosis Abluft zu kommen – und das womöglich in ungeahnter Qualität – war zu groß, als dass er hätte widerstehen können.
Dazu mischte sich eine gewisse Neugier. Hier unten war er noch nie gewesen…
Wieder trieb eine Erinnerung aus vergangenen Zeiten in ihm hoch – noch älter als die von seiner ersten Begegnung mit dem Abluftrohr.
Im Alter von sechs Jahren war er einmal mit Freunden in eine leer stehende Fabrik eingedrungen und hatte damals die gleiche erregte Neugier verspürt. Während die anderen über Skelette und verborgene Schätze im inneren der Fabrik spekulierten, hatte er sich vor allem für die Maschinen interessiert: Verendete Wesen aus Metall und Rost, versunken in ewigem Schlaf, begraben unter einer dicken Staubschicht. Was mochte in ihnen vorgegangen sein, als sie noch nicht zum Dahinscheiden verurteilt waren? In seinen Gedanken wurden die Maschinen lebendig, zu schnaufenden Drachen mit Venen aus Stahl, in denen Öl statt Blut floss, und die Abluft, das war ihr Atem.
Ohne weiter darüber nachzudenken machte er sich an den Abstieg, nicht ohne vorher noch einmal über die Schulter zu sehen und sich der absoluten Stille zu vergewissern, die ihn fest umschloss wie ein Bleisarg.
Die Treppenstufen sahen anders aus, als die der Haupttreppe. Sie erschienen ihm viel älter, obwohl sie in keiner Weise ausgetreten waren. Ebenso stach ihm das Treppengeländer ins Auge: Ein langer, ehemals schreiend grüner Plastikwulst, über die zeit spröde und rissig geworden. Er vermied es, mit ihm in Kontakt zu kommen. Seine geübte Nase vernahm einen säuerlichen Geruch, wie von einem Weinkeller, der ihm aber nicht unangenehm war. Dazu mischten sich die Ausdünstungen von Beton, der sich hier unten ohne kaschierende Tapete und ohne Schutzlack darbot.
Erfreulicherweise war die Treppe relativ kurz und ihr Ende lag keinesfalls in Finsternis, sondern war ebenfalls von Neonröhren beleuchtet, welche allerdings allesamt intakt waren.
Noch einmal verspürte er kurz den Drang, einfach umzukehren, und überdeutlich sagte ihm die Stimme der Vernunft, dass hier unten sicher nur altes Gerümpel herumstünde, aber die Verheißung, endlich in den wohlverdienten Genuss einer Dosis Abluft zu kommen – und das womöglich in ungeahnter Qualität – war zu groß, als dass er hätte widerstehen können.
Dazu mischte sich eine gewisse Neugier. Hier unten war er noch nie gewesen…
Wieder trieb eine Erinnerung aus vergangenen Zeiten in ihm hoch – noch älter als die von seiner ersten Begegnung mit dem Abluftrohr.
Im Alter von sechs Jahren war er einmal mit Freunden in eine leer stehende Fabrik eingedrungen und hatte damals die gleiche erregte Neugier verspürt. Während die anderen über Skelette und verborgene Schätze im inneren der Fabrik spekulierten, hatte er sich vor allem für die Maschinen interessiert: Verendete Wesen aus Metall und Rost, versunken in ewigem Schlaf, begraben unter einer dicken Staubschicht. Was mochte in ihnen vorgegangen sein, als sie noch nicht zum Dahinscheiden verurteilt waren? In seinen Gedanken wurden die Maschinen lebendig, zu schnaufenden Drachen mit Venen aus Stahl, in denen Öl statt Blut floss, und die Abluft, das war ihr Atem.
Freut mich, zu sehen, dass Gross- und Kleinschreibung, sowie Rechtschreibung und eine Palette an stilsicheren Formulierungen noch kulturell verwertbar sind.
Die Geschichte ausserdem ist kein Fantasy, was allgemein schonmal die Chancen vervielfachen, dass es sich um eine interessante Geschichte handelt. Mich als Leser hast du bestimmt mal gebucht ;)
Ich muss RPGamer zustimmen; in allen Punkten natürlich.
Mich verwundert auch die Aufziehung des Plots sehr. Ich kann mir nicht recht vorstellen, inwiefern eine solche Satire einen Plotaufbau aufrecht erhalten kann. Aber da ich weder die Länge noch erste Plotmuster erkennen kann, warte ich das Kritisieren noch ab.
Der Titel, was allerdings wahrscheinlich nur ein Arbeitstitel ist, scheint etwas spontan gewählt und wenn ich ihn mir ansehe, dann flösst er mir Angst ein. Die Angst nämlich, dass du den Titel aus Anhaltslosigkeit genommen hast und du keinen Plot hast, sondern ihn an einer spontanen Ausgangslage festmachst. Aber das ist nur eine Möglichkeit, ich will hier noch nichts selbst werten.
Die Charakterisierung Alfreds ist sehr sauber, sein Wahnsinn aber könnte noch stärker zur Geltung kommen, wie RPGamer schon erwähnt hat. Seine kleinen Psychosen sind dagegen sehr sauber eingearbeitet.
Gut ist auch dein Erzähltempo, das ausgelassen, ruhig, gemächlich, fast lässig ist. Auch sehr lobenswert ist, dass du darauf achtest, dass die Satire nicht zu sehr ins Lächerliche gezogen wird und sich darin verliert.
So erinnert es mich an ein stark ironisiertes "Parfum".
Toll, ich würde gerne mehr sehen und bin gespannt, wie du den Plot jetzt aufziehst.
Die Geschichte ausserdem ist kein Fantasy, was allgemein schonmal die Chancen vervielfachen, dass es sich um eine interessante Geschichte handelt. Mich als Leser hast du bestimmt mal gebucht ;)
Ich muss RPGamer zustimmen; in allen Punkten natürlich.
Mich verwundert auch die Aufziehung des Plots sehr. Ich kann mir nicht recht vorstellen, inwiefern eine solche Satire einen Plotaufbau aufrecht erhalten kann. Aber da ich weder die Länge noch erste Plotmuster erkennen kann, warte ich das Kritisieren noch ab.
Der Titel, was allerdings wahrscheinlich nur ein Arbeitstitel ist, scheint etwas spontan gewählt und wenn ich ihn mir ansehe, dann flösst er mir Angst ein. Die Angst nämlich, dass du den Titel aus Anhaltslosigkeit genommen hast und du keinen Plot hast, sondern ihn an einer spontanen Ausgangslage festmachst. Aber das ist nur eine Möglichkeit, ich will hier noch nichts selbst werten.
Die Charakterisierung Alfreds ist sehr sauber, sein Wahnsinn aber könnte noch stärker zur Geltung kommen, wie RPGamer schon erwähnt hat. Seine kleinen Psychosen sind dagegen sehr sauber eingearbeitet.
Gut ist auch dein Erzähltempo, das ausgelassen, ruhig, gemächlich, fast lässig ist. Auch sehr lobenswert ist, dass du darauf achtest, dass die Satire nicht zu sehr ins Lächerliche gezogen wird und sich darin verliert.
So erinnert es mich an ein stark ironisiertes "Parfum".
Toll, ich würde gerne mehr sehen und bin gespannt, wie du den Plot jetzt aufziehst.
THX fürs Lesen,
den Titel habe ich gewählt, weil ich am Anfang keinen besseren wusste. ^^
Zum Plot: Ich habe eine ungefähre Vorstellung, wie die Sache verläuft, aber die Details kommen erst beim schreiben. Ich kann nur sagen, dass es sehr, sehr bizarr wird und nicht jedem gefallen muss.
Außerdem wird die Geschichte eher kurz sein, also das Geschehen wird sich nicht über besonders lange Zeiträume (Tage, Wochen) erstrecken. Heut abend geht es weiter, denke ich.
den Titel habe ich gewählt, weil ich am Anfang keinen besseren wusste. ^^
Zum Plot: Ich habe eine ungefähre Vorstellung, wie die Sache verläuft, aber die Details kommen erst beim schreiben. Ich kann nur sagen, dass es sehr, sehr bizarr wird und nicht jedem gefallen muss.
Außerdem wird die Geschichte eher kurz sein, also das Geschehen wird sich nicht über besonders lange Zeiträume (Tage, Wochen) erstrecken. Heut abend geht es weiter, denke ich.
In seinen Gedanken wurden die Maschinen lebendig, zu schnaufenden Drachen mit Venen aus Stahl, in denen Öl statt Blut floss, und die Abluft, das war ihr Atem. Er hatte sein Ohr an das alte Metall gelegt und…
Alfred spitzte die Ohren und prompt verschwand das Bild des Sechsjährigen in seinem Kopf – da war ein Geräusch! Hörte er ein Brummen? Angestrengt konzentrierte er sich auf den vagen Ton, der kaum hörbar an sein Ohr drang. Tatsächlich. Von irgendwo her kam ein dunkles Brummen, wie es so nur von großen Trafoanlagen oder anderen elektrischen Geräten erzeugt wird.
Das gab ihm das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Was gäbe es Schöneres, als einmal etwas Neues zu entdecken? Würde er womöglich ungeahnte Geruchsdimensionen erreichen, die ihm bislang verborgen geblieben waren? Er würde es herausfinden.
Der Gang, der vor ihm lag, war lang und sein Boden bestand nicht aus den Industriefliesen, sondern aus einer weißen, plastikartigen Schicht. Überall waren schwarze Striemen zu sehen, wohl durch die Gummirollen von Lastkarren verursacht. Es gab zahlreiche Abzweigungen und Türen, aber Alfred rechnete fest damit, irgendwo einen Gebäudeplan zu finden, der ihm sagte, wo der Lüftungsraum war. Bestimmt, so dachte er sich, war das sogar gesetzliche Vorschrift.
Vorerst jedoch würde er sich einfach nach dem Brummen richten und herausfinden, was sein Ursprung war. Noch einmal horchte er genau. Das Geräusch kam eindeutig von der linken Seite des Ganges, also würde er eine der Türen zu seiner Linken nehmen. Die erste, an der er Vorbeikam, trug die Aufschrift „Kontrollraum“. Sie hatte eine massiv wirkende Stahltür und war verschlossen. Alfred runzelte die Stirn. Was gab es hier groß zu kontrollieren, alsdass man einen eigenen Raum dafür brauchte? Just in diesem Moment begannen seine Hände von neuem zu zittern. Das war ein klares Zeichen seines Körpers.
Verdammt, er brauchte Abluft! Hastig ging er weiter, ohne die Kontrollraumtür weiter zu beachten, bis er ungefähr in der Mitte des Korridors angekommen war. Hier schien das Brummen am intensivsten zu sein. Also trat er an die Tür, die am Nächsten lag. Mit beiden Händen, die mittlerweile schweißnass waren, drückte er den Griff nach unten und zog.
Nichts tat sich. Verschlossen. Verzweiflung machte sich in ihm breit.
Gerade wollte er zur nächsten Tür hechten, als ihm bewusst wurde, dass er nach außen gezogen hatte, wo doch die Tür nach innen öffnete. Er schüttelte den Kopf ob seiner eigenen Dummheit.
Nun würde er doch zu sehen bekommen, was hinter der Tür lag. Schwungvoll stieß er sie auf und blickte in einen großen Raum mit niedriger Decke, der nur von wenigen Glühbirnen beleuchtet wurde. Was er als Erstes registrierte war jedoch, dass das Brummen mit dem Öffnen der Tür in seinen Ohren stärker geworden war. Er war also auf dem richtigen Weg.
Es war ihm nicht angenehm, den Raum zu betreten, denn er sah nicht besonders einladend aus: Alles stand voller verstaubter Kisten und anderem Gerümpel, welches er im Dämmerlicht nicht genau erkennen konnte. An der ihm gegenüberliegenden Wand erkannte er eine weitere Tür. Diese war sein vorläufiges Ziel.
Alfred spitzte die Ohren und prompt verschwand das Bild des Sechsjährigen in seinem Kopf – da war ein Geräusch! Hörte er ein Brummen? Angestrengt konzentrierte er sich auf den vagen Ton, der kaum hörbar an sein Ohr drang. Tatsächlich. Von irgendwo her kam ein dunkles Brummen, wie es so nur von großen Trafoanlagen oder anderen elektrischen Geräten erzeugt wird.
Das gab ihm das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Was gäbe es Schöneres, als einmal etwas Neues zu entdecken? Würde er womöglich ungeahnte Geruchsdimensionen erreichen, die ihm bislang verborgen geblieben waren? Er würde es herausfinden.
Der Gang, der vor ihm lag, war lang und sein Boden bestand nicht aus den Industriefliesen, sondern aus einer weißen, plastikartigen Schicht. Überall waren schwarze Striemen zu sehen, wohl durch die Gummirollen von Lastkarren verursacht. Es gab zahlreiche Abzweigungen und Türen, aber Alfred rechnete fest damit, irgendwo einen Gebäudeplan zu finden, der ihm sagte, wo der Lüftungsraum war. Bestimmt, so dachte er sich, war das sogar gesetzliche Vorschrift.
Vorerst jedoch würde er sich einfach nach dem Brummen richten und herausfinden, was sein Ursprung war. Noch einmal horchte er genau. Das Geräusch kam eindeutig von der linken Seite des Ganges, also würde er eine der Türen zu seiner Linken nehmen. Die erste, an der er Vorbeikam, trug die Aufschrift „Kontrollraum“. Sie hatte eine massiv wirkende Stahltür und war verschlossen. Alfred runzelte die Stirn. Was gab es hier groß zu kontrollieren, alsdass man einen eigenen Raum dafür brauchte? Just in diesem Moment begannen seine Hände von neuem zu zittern. Das war ein klares Zeichen seines Körpers.
Verdammt, er brauchte Abluft! Hastig ging er weiter, ohne die Kontrollraumtür weiter zu beachten, bis er ungefähr in der Mitte des Korridors angekommen war. Hier schien das Brummen am intensivsten zu sein. Also trat er an die Tür, die am Nächsten lag. Mit beiden Händen, die mittlerweile schweißnass waren, drückte er den Griff nach unten und zog.
Nichts tat sich. Verschlossen. Verzweiflung machte sich in ihm breit.
Gerade wollte er zur nächsten Tür hechten, als ihm bewusst wurde, dass er nach außen gezogen hatte, wo doch die Tür nach innen öffnete. Er schüttelte den Kopf ob seiner eigenen Dummheit.
Nun würde er doch zu sehen bekommen, was hinter der Tür lag. Schwungvoll stieß er sie auf und blickte in einen großen Raum mit niedriger Decke, der nur von wenigen Glühbirnen beleuchtet wurde. Was er als Erstes registrierte war jedoch, dass das Brummen mit dem Öffnen der Tür in seinen Ohren stärker geworden war. Er war also auf dem richtigen Weg.
Es war ihm nicht angenehm, den Raum zu betreten, denn er sah nicht besonders einladend aus: Alles stand voller verstaubter Kisten und anderem Gerümpel, welches er im Dämmerlicht nicht genau erkennen konnte. An der ihm gegenüberliegenden Wand erkannte er eine weitere Tür. Diese war sein vorläufiges Ziel.
Der Weg dorthin war ihm durch zahlreiche Metallregale verstellt, die den meisten Platz des Lagerraumes für sich beanspruchen. Der Großteil von ihnen war mit verstaubten Aktenordnern gefüllt, alle in einem schlichten Grau und alle mit einem kleinen Datumsschild versehen. Alfred betrachtete sie im Vorbeigehen und las dabei die Jahrgänge – 1999, 1998, 1997… Staub kitzelte in seiner Nase und er sog gierig den muffigen Geruch der alten Akten ein. Er verspürte den Drang, einen der Ordner aus dem Regal zu ziehen – was sicher jahrelang niemand mehr getan hatte – und darin zu blättern, doch was würde er außer Rechnungen oder Inventurberichten schon finden? Nein, dies war ganz und gar sinnlos, reine Zeitverschwendung. Und dennoch konnte er den Blick nicht von den grauen Ordnerrücken abwenden – versteinerte Relikte der Zeit.
Die Regalreihe winkelte abrupt ab und er wäre fast in eine weitere Wand aus Akten gelaufen, denn nach wie vor las er Jahreszahl für Jahreszahl. Die Reihe zu seiner Rechten endete bei 1930! Alfred war verblüfft. Hatte es dieses Kaufhaus 1930 überhaupt schon gegeben? Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Wieso sollte man hier unten über siebzig Jahre altes Material aufbewahren? Es war ihm ganz und gar unverständlich.
Diesmal konnte er seiner Neugier nicht widerstehen. Er griff nach dem grauen Ordner, der das älteste Datum trug und zog ihn vorsichtig heraus. Der Buchrücken war brüchig und rissig, aber für sein Alter noch verhältnismäßig gut erhalten. Bei feuchterem Klima wäre er wohl schon längst vermodert, sagte sich Alfred und dachte sehnsüchtig an den damit verbundenen Geruch.
Aber auch das Odeur von vergangener Druckerschwärze und altertümlichem Papierbleichmittel war nicht zu verachten. Er schlug den Ordner ungefähr in der Mitte auf, schloss die Augen und nahm einen tiefen Zug. Seine Lunge war mittlerweile an den Feinstaub gewöhnt, sodass sich der Hustenreiz in Grenzen hielt. Der Papiergeruch zauberte ihm wieder Erinnerungen vor das innere Auge – er, als Grundschulkind, in der Bibliothek, vom Aroma eines in Leder gebunden Folianten fasziniert… Viele Menschen unterschätzen die Macht der Gerüche. Für die Meisten gelten sie entweder als Störfaktor oder nettes Beiwerk – ihren gerechten Stellenwert als Sinneseindruck, nicht minder intensiv als der Augenblick oder das Geräusch, haben sie nur selten. Alfred hatte gelernt, sich von ihnen berauschen und betören zu lassen, sie nicht in Schubladen wie „gut“ oder „schlecht“ zu stecken, sondern sie alleine nach ihrer Vielfalt und Ausdrucksstärke zu bewerten. Er verglich sich selbst mit einem Weinkenner auf Geruchsebene. Doch was es in ihm auslöste, war in der Nase noch lange nicht zu Ende – im Kopf erzählten ihm die Düfte Geschichten und sangen Lieder…
Er öffnete die Augen wieder, denn nun wollte er wissen, an welchem Dokument genau er gerade schnüffelte. Zu seinem Erstaunen war es keine Rechnung oder Beleg, sondern ein vergilbter Zeitungsartikel. Er war in der typischen Frakturschrift des dritten Reichs verfasst, was Alfred einen Schauer über den Rücken jagte. Dieses Thema hatte schon immer eine grausame Faszination auf ihn ausgeübt – was mochten die Opfer der schrecklichen Konzentrationslager gerochen haben, als sie-
Nein, ermahnte er sich, daran darfst du gar nicht erst denken. Angestrengt versuchte er, die Schrift zu entziffern. Es gelang ihm kaum, da Teile des Artikels stark verblichen und dadurch unleserlich waren. Auf der rechten Seite war ein unscharfes Foto, welches einen Mann vor einem seltsamen ovalen Objekt zeigte. Die Bildunterschrift war noch erkennbar: „Erste Testflüge mit dem Prototypen Vril 7 erfolgreich.“ Alfred runzelte die Stirn. Was sollte das heißen? Was war Vril 7? Die Abbildung gab ihm keine Hinweise – der ovale Schemen konnte alles Mögliche sein. Die Qualität war zu schlecht, als dass man es genau erkennen konnte.
Alfred wollte gerade den Ordner zurück in das Metallregal stellen, als die Glühbirne über ihm zwei Mal hell aufflackerte und dann ganz ausging. Sie war zwar nicht die einzige im Raum, aber der Lichtradius der übrigen war so klein, dass er jetzt in düsterem Halbdunkel stand. Zitternd schob er den Ordner zurück. Sein Atem ging stoßweise und ein beklemmendes Gefühl machte sich ihm breit. Er hatte den Eindruck, dass schon Tage vergangen wären, seit er das Kaufhaus betreten hatte, dabei konnte es noch kaum eine volle Stunde sein. Zu dumm, dass er keine Uhr dabei hatte.
Ein Rascheln. Sein Herz blieb fast stehen – was war das gewesen? Er hatte ganz deutlich gehört, wie sich irgendwo in seiner Nähe etwas bewegt hatte. Das war unmöglich, er war allein! Als er auf der Türschwelle gestanden war, da war ihm der Raum klein vorgekommen. Und völlig menschenleer, Irrtum ausgeschlossen. Aber jetzt, gefangen in diesem dunklen Schleier, schien ihm alles möglich…
Die Regalreihe winkelte abrupt ab und er wäre fast in eine weitere Wand aus Akten gelaufen, denn nach wie vor las er Jahreszahl für Jahreszahl. Die Reihe zu seiner Rechten endete bei 1930! Alfred war verblüfft. Hatte es dieses Kaufhaus 1930 überhaupt schon gegeben? Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Wieso sollte man hier unten über siebzig Jahre altes Material aufbewahren? Es war ihm ganz und gar unverständlich.
Diesmal konnte er seiner Neugier nicht widerstehen. Er griff nach dem grauen Ordner, der das älteste Datum trug und zog ihn vorsichtig heraus. Der Buchrücken war brüchig und rissig, aber für sein Alter noch verhältnismäßig gut erhalten. Bei feuchterem Klima wäre er wohl schon längst vermodert, sagte sich Alfred und dachte sehnsüchtig an den damit verbundenen Geruch.
Aber auch das Odeur von vergangener Druckerschwärze und altertümlichem Papierbleichmittel war nicht zu verachten. Er schlug den Ordner ungefähr in der Mitte auf, schloss die Augen und nahm einen tiefen Zug. Seine Lunge war mittlerweile an den Feinstaub gewöhnt, sodass sich der Hustenreiz in Grenzen hielt. Der Papiergeruch zauberte ihm wieder Erinnerungen vor das innere Auge – er, als Grundschulkind, in der Bibliothek, vom Aroma eines in Leder gebunden Folianten fasziniert… Viele Menschen unterschätzen die Macht der Gerüche. Für die Meisten gelten sie entweder als Störfaktor oder nettes Beiwerk – ihren gerechten Stellenwert als Sinneseindruck, nicht minder intensiv als der Augenblick oder das Geräusch, haben sie nur selten. Alfred hatte gelernt, sich von ihnen berauschen und betören zu lassen, sie nicht in Schubladen wie „gut“ oder „schlecht“ zu stecken, sondern sie alleine nach ihrer Vielfalt und Ausdrucksstärke zu bewerten. Er verglich sich selbst mit einem Weinkenner auf Geruchsebene. Doch was es in ihm auslöste, war in der Nase noch lange nicht zu Ende – im Kopf erzählten ihm die Düfte Geschichten und sangen Lieder…
Er öffnete die Augen wieder, denn nun wollte er wissen, an welchem Dokument genau er gerade schnüffelte. Zu seinem Erstaunen war es keine Rechnung oder Beleg, sondern ein vergilbter Zeitungsartikel. Er war in der typischen Frakturschrift des dritten Reichs verfasst, was Alfred einen Schauer über den Rücken jagte. Dieses Thema hatte schon immer eine grausame Faszination auf ihn ausgeübt – was mochten die Opfer der schrecklichen Konzentrationslager gerochen haben, als sie-
Nein, ermahnte er sich, daran darfst du gar nicht erst denken. Angestrengt versuchte er, die Schrift zu entziffern. Es gelang ihm kaum, da Teile des Artikels stark verblichen und dadurch unleserlich waren. Auf der rechten Seite war ein unscharfes Foto, welches einen Mann vor einem seltsamen ovalen Objekt zeigte. Die Bildunterschrift war noch erkennbar: „Erste Testflüge mit dem Prototypen Vril 7 erfolgreich.“ Alfred runzelte die Stirn. Was sollte das heißen? Was war Vril 7? Die Abbildung gab ihm keine Hinweise – der ovale Schemen konnte alles Mögliche sein. Die Qualität war zu schlecht, als dass man es genau erkennen konnte.
Alfred wollte gerade den Ordner zurück in das Metallregal stellen, als die Glühbirne über ihm zwei Mal hell aufflackerte und dann ganz ausging. Sie war zwar nicht die einzige im Raum, aber der Lichtradius der übrigen war so klein, dass er jetzt in düsterem Halbdunkel stand. Zitternd schob er den Ordner zurück. Sein Atem ging stoßweise und ein beklemmendes Gefühl machte sich ihm breit. Er hatte den Eindruck, dass schon Tage vergangen wären, seit er das Kaufhaus betreten hatte, dabei konnte es noch kaum eine volle Stunde sein. Zu dumm, dass er keine Uhr dabei hatte.
Ein Rascheln. Sein Herz blieb fast stehen – was war das gewesen? Er hatte ganz deutlich gehört, wie sich irgendwo in seiner Nähe etwas bewegt hatte. Das war unmöglich, er war allein! Als er auf der Türschwelle gestanden war, da war ihm der Raum klein vorgekommen. Und völlig menschenleer, Irrtum ausgeschlossen. Aber jetzt, gefangen in diesem dunklen Schleier, schien ihm alles möglich…
Ich muss wohl zugeben, das mir gefällt, was du hier schreibst. Bisher hatte die Geschichte viele schöne, innovative Aspekte. Jetzt gilt es nur acht zugeben, dass die Geschichte nicht in das bekannte Militär-Verschwörungs Klischee abrutscht.
– versteinerte Relikte der Zeit.
Die Formulierung gefällt mir irgendwie...
Sie war zwar nicht die einzige im Raum, aber der Lichtradius der übrigen war so klein, dass er jetzt in düsterem Halbdunkel stand.
Sie war zwar nicht die einzige im Raum, aber der Lichtradius, der übrig war, war so klein, dass er jetzt in düsterem Halbdunkel stand.
Ich weiß selber nicht so recht, ob das so stimmt.
Er hatte den Eindruck, dass schon Tage vergangen wären, seit er das Kaufhaus betreten hatte, dabei konnte es noch kaum eine volle Stunde sein. Zu dumm, dass er keine Uhr dabei hatte.
Er hatte den Eindruck, es wären schon Tage vergangen, während er in den unterirdischen Gängen des Kaufhauses umherschlich. Dabei konnte noch keine volle Stunde verstrichen sein.
Mit freundlichen Grüßen
Lycidas
– versteinerte Relikte der Zeit.
Die Formulierung gefällt mir irgendwie...
Sie war zwar nicht die einzige im Raum, aber der Lichtradius der übrigen war so klein, dass er jetzt in düsterem Halbdunkel stand.
Sie war zwar nicht die einzige im Raum, aber der Lichtradius, der übrig war, war so klein, dass er jetzt in düsterem Halbdunkel stand.
Ich weiß selber nicht so recht, ob das so stimmt.
Er hatte den Eindruck, dass schon Tage vergangen wären, seit er das Kaufhaus betreten hatte, dabei konnte es noch kaum eine volle Stunde sein. Zu dumm, dass er keine Uhr dabei hatte.
Er hatte den Eindruck, es wären schon Tage vergangen, während er in den unterirdischen Gängen des Kaufhauses umherschlich. Dabei konnte noch keine volle Stunde verstrichen sein.
Mit freundlichen Grüßen
Lycidas
@Lycidas: Thx für die Kritik - ich kann dich beruhigen, die Geschichte wird nichts mit Verschwörungen oder Militär zu haben, aber ich fand, dass dieses Vril-Projekt (ich gehe mal davon aus, dass du weisst, was es ist) gut zu dieser seltsamen Atmosphäre passte.
Am Anfang hatte ich nur die Idee von Alfred, dem Abluftschnüffler, aber mehr und mehr gelingt es mir, dieses Horror-Kaufhaus (wohlgemerkt: KEINE Zombies, keine Monster - es wird viel subtiler, auf psychischer Ebene) mit dem immer facettenreicheren Charakter des Alfred zu verbinden. Ich bin selbst gespannt, wie es weitergeht. ^^
Am Anfang hatte ich nur die Idee von Alfred, dem Abluftschnüffler, aber mehr und mehr gelingt es mir, dieses Horror-Kaufhaus (wohlgemerkt: KEINE Zombies, keine Monster - es wird viel subtiler, auf psychischer Ebene) mit dem immer facettenreicheren Charakter des Alfred zu verbinden. Ich bin selbst gespannt, wie es weitergeht. ^^
Da! Er hörte es wieder. Die Quelle des Geräusches war irgendwo hinter dem Regal zu seiner Rechten, an dem er jetzt ganz langsam und so leise wie möglich vorbeischlich. Links von ihm standen graue Stahlschränke, die ihm wie dunkle Monolithe vorkamen. Sie engten ihn ein, schienen, sich auf ihn zuzubewegen. Nur noch wenige Schritte trennten ihn vor dem Ende des Regals, hinter dem er die Ursache des Raschelns vermutete. Krampfhaft versuchte er, sich selbst zu beruhigen. Wahrscheinlich, so sagte er zu sich selbst, war es bloß eine Maus oder eine Ratte. Natürlich. Was sonst. Überhaupt kein Grund, so nervös zu werden.
Er ging nun etwas schneller und blickte dann gleich darauf ohne weiteres Zögern hinter das Regal. Und schrie. Die seltsame Akustik des niedrigen Raumes ließ seine Stimme verzerrt klingen, wie aus einer stählernen Kehle.
Leere, tote Augen stierten ihn an. Das Gesicht, zu dem sie gehörten war entstellt – es hatte keinen Mund und keine Ohren. Die Haut war komplett weiß, was selbst ihm schwachen Schein der Glühbirnen zu erkennen war.
Alfred drehte sich reflexartig um und wollte rennen, blieb jedoch mit dem Fuß an einem kleinen Karton hängen, der am Ende des Regals stand.
Noch im Sturz traf ihn die Erkenntnis wie ein weiterer Schlag: Das schreckliche Gesicht gehörte zu einer verdammten Schaufensterpuppe! Kein Wunder, dass es keine Ohren und keinen Mund besessen hatte. Wie weit war es mit ihm gekommen, dass er vor einer Plastikstatue derart erschrak? Er würde sich nun aufrappeln und sich noch einmal umdrehen um dann der vermeintlichen Gefahr noch einmal ins Gesicht zu sehen. Und als nächstes, das beschloss er hier und jetzt, würde er dieses unselige Kaufhaus verlassen, so stark der Drang nach Abluft in ihm auch war. Er hatte genug und schämte sich ob seiner eigenen Person. Weniger die Obsession für Abluft als seine übersteigerte Schreckhaftigkeit machte ihm zu schaffen.
Und dennoch… Innerlich sträube er sich, die Puppe ein weiteres Mal anzusehen.
Schließlich tat er es doch. Wächserne Plastikhaut, leere, pupillenlose Augenhöhlen. Im fahlen Licht war es kein Wunder gewesen, dass er sie für einen Menschen gehalten hatte. Mit einem Mal drängte sich ihm der Gedanke auf, dass die Puppe in ihrem Inneren doch lebendig sein könnte. Was wäre, wenn hinter dieser künstlichen Stirn ein ebenso künstliches Gehirn auf Hochtouren lief, sich seiner verfluchten, passiven Existenz vollauf bewusst und unfähig, sein endloses Martyrium herauszuschreien? Wieder einmal erschauerte er und schüttelte den Kopf.
In der Kiste, über die er gestolpert war, lagen abgeschraubte Gliedmaßen. Ein Puppenarm, ein Bein… eine grotesk abgewinkelte Hand, die aussah, als wäre sie gebrochen.
Mehr und mehr begann ihn dieser Raum anzuwidern und zu verängstigen. Er musste hier sofort raus!
So Schnell, wie es ihm möglich war, ging er denselben Weg zurück, den er gegangen war, ohne den Regalreihen mit ihren uralten Ordnern noch einen weiteren Blick zuzuwerfen.
Wenig später gelangte er an die Eingangstür zurück.
Und stieß ein entsetztes Keuchen aus. Sie hatte an der Innenseite keine Türklinke!
Mit zittrigen Händen befingerte er die Stahltür, als wollte sein Verstand nicht wahrhaben, dass sich aus diesem Raum heraus keine Möglichkeit bot, sie zu öffnen.
Der Türspalt! Er versuchte, mit den Fingernägeln in den kleinen Zwischenraum zu kommen um die hoffentlich nicht fest verschlossene Tür zu sich hin zu bewegen, doch es war unmöglich. Er war davon überzeugt, dass sie mit dem Zufallen auch fest verriegelt worden war. Nun konnte er nicht mehr zurück und war in diesem Raum gefangen!
Nein, halt. Alfred ermahnte sich wieder einmal mehr, vernünftig zu bleiben. Der Raum hatte ja auf der anderen Seite eine weitere Tür, die ja ursprünglich sein eigentliches Ziel war und hinter der nach wie vor dieses verheißungsvolle brummen zu vernehmen war.
Möglicherweise würde er hinter ihr wieder in das vertraute Gangsystem zurückgelangen oder vielleicht direkt einen Weg in den Verkaufsbereich finden. Sonst war ihm die Gegenwart anderer Menschen er unangenehm, aber mittlerweile kam er mehr und mehr zu der Erkenntnis, dass er sie so bald wie möglich brauchte, um nicht verrückt zu werden.
Er ging nun etwas schneller und blickte dann gleich darauf ohne weiteres Zögern hinter das Regal. Und schrie. Die seltsame Akustik des niedrigen Raumes ließ seine Stimme verzerrt klingen, wie aus einer stählernen Kehle.
Leere, tote Augen stierten ihn an. Das Gesicht, zu dem sie gehörten war entstellt – es hatte keinen Mund und keine Ohren. Die Haut war komplett weiß, was selbst ihm schwachen Schein der Glühbirnen zu erkennen war.
Alfred drehte sich reflexartig um und wollte rennen, blieb jedoch mit dem Fuß an einem kleinen Karton hängen, der am Ende des Regals stand.
Noch im Sturz traf ihn die Erkenntnis wie ein weiterer Schlag: Das schreckliche Gesicht gehörte zu einer verdammten Schaufensterpuppe! Kein Wunder, dass es keine Ohren und keinen Mund besessen hatte. Wie weit war es mit ihm gekommen, dass er vor einer Plastikstatue derart erschrak? Er würde sich nun aufrappeln und sich noch einmal umdrehen um dann der vermeintlichen Gefahr noch einmal ins Gesicht zu sehen. Und als nächstes, das beschloss er hier und jetzt, würde er dieses unselige Kaufhaus verlassen, so stark der Drang nach Abluft in ihm auch war. Er hatte genug und schämte sich ob seiner eigenen Person. Weniger die Obsession für Abluft als seine übersteigerte Schreckhaftigkeit machte ihm zu schaffen.
Und dennoch… Innerlich sträube er sich, die Puppe ein weiteres Mal anzusehen.
Schließlich tat er es doch. Wächserne Plastikhaut, leere, pupillenlose Augenhöhlen. Im fahlen Licht war es kein Wunder gewesen, dass er sie für einen Menschen gehalten hatte. Mit einem Mal drängte sich ihm der Gedanke auf, dass die Puppe in ihrem Inneren doch lebendig sein könnte. Was wäre, wenn hinter dieser künstlichen Stirn ein ebenso künstliches Gehirn auf Hochtouren lief, sich seiner verfluchten, passiven Existenz vollauf bewusst und unfähig, sein endloses Martyrium herauszuschreien? Wieder einmal erschauerte er und schüttelte den Kopf.
In der Kiste, über die er gestolpert war, lagen abgeschraubte Gliedmaßen. Ein Puppenarm, ein Bein… eine grotesk abgewinkelte Hand, die aussah, als wäre sie gebrochen.
Mehr und mehr begann ihn dieser Raum anzuwidern und zu verängstigen. Er musste hier sofort raus!
So Schnell, wie es ihm möglich war, ging er denselben Weg zurück, den er gegangen war, ohne den Regalreihen mit ihren uralten Ordnern noch einen weiteren Blick zuzuwerfen.
Wenig später gelangte er an die Eingangstür zurück.
Und stieß ein entsetztes Keuchen aus. Sie hatte an der Innenseite keine Türklinke!
Mit zittrigen Händen befingerte er die Stahltür, als wollte sein Verstand nicht wahrhaben, dass sich aus diesem Raum heraus keine Möglichkeit bot, sie zu öffnen.
Der Türspalt! Er versuchte, mit den Fingernägeln in den kleinen Zwischenraum zu kommen um die hoffentlich nicht fest verschlossene Tür zu sich hin zu bewegen, doch es war unmöglich. Er war davon überzeugt, dass sie mit dem Zufallen auch fest verriegelt worden war. Nun konnte er nicht mehr zurück und war in diesem Raum gefangen!
Nein, halt. Alfred ermahnte sich wieder einmal mehr, vernünftig zu bleiben. Der Raum hatte ja auf der anderen Seite eine weitere Tür, die ja ursprünglich sein eigentliches Ziel war und hinter der nach wie vor dieses verheißungsvolle brummen zu vernehmen war.
Möglicherweise würde er hinter ihr wieder in das vertraute Gangsystem zurückgelangen oder vielleicht direkt einen Weg in den Verkaufsbereich finden. Sonst war ihm die Gegenwart anderer Menschen er unangenehm, aber mittlerweile kam er mehr und mehr zu der Erkenntnis, dass er sie so bald wie möglich brauchte, um nicht verrückt zu werden.
die ja ursprünglich sein eigentliches Ziel war
„ja“ ist hier Umgangssprache
dieses verheißungsvolle brummen zu vernehmen war.
dieses verheißungsvolle Brummen zu vernehmen war.
Was wäre, wenn hinter dieser künstlichen Stirn ein ebenso künstliches Gehirn auf Hochtouren lief, sich seiner verfluchten, passiven Existenz vollauf bewusst und unfähig, sein endloses Martyrium herauszuschreien?
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Einfach nur große Klasse! Ich freu mich auf den nächsten Teil J
„ja“ ist hier Umgangssprache
dieses verheißungsvolle brummen zu vernehmen war.
dieses verheißungsvolle Brummen zu vernehmen war.
Was wäre, wenn hinter dieser künstlichen Stirn ein ebenso künstliches Gehirn auf Hochtouren lief, sich seiner verfluchten, passiven Existenz vollauf bewusst und unfähig, sein endloses Martyrium herauszuschreien?
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Einfach nur große Klasse! Ich freu mich auf den nächsten Teil J
Ein weiteres Mal hastete er durch den Raum, nahm diesmal aber eine andere Route, da er keine Lust mehr hatte, erneut durch die schmalen Regalkorridore zu laufen.
Diesmal kam er an Stapeln hölzerner Paletten vorbei, auf denen reihenweise Einmachgläser standen. So sehr es ihn auch zu der Tür zog, er musste einfach innehalten, denn er war fest davon überzeugt, aus den Augenwinkeln eine Bewegung innerhalb der Gläser wahrgenommen zu haben. Sein Herz schlug wie ein Presslufthammer während er auf die Gläser starrte. Da konnte sich unmöglich etwas bewegt haben!
Es handelte sich größtenteils um Essiggurken und anderes Einmachgemüse, welches da in bauchigen Gläsern schwamm, umgeben von trübem, bräunlichem Wasser. Der Markenname auf den Deckeln war schon lange verblichen – Alfred vermutete, dass das Verfallsdatum sicher schon ein Jahrzehnt überschritten war. Ihr Geruch, so dachte er sich, würde sicher delikat sein, aber irgendwie waren ihm die Gläser nicht geheuer.
Die Essiggurken zogen immer wieder seinen Blick auf sich. Sie waren nicht grün, sondern weiß – die Farbe einer Wasserleiche. War das normal, dass diese Frucht über die Zeit ihre Farbe verlor? Alfred runzelte die Stirn, denn er konnte sich es nicht wirklich vorstellen.
So bleich wie sie waren erinnerten sie ihn an blutleere Finger. Sogar die Krümmung kam ihm passend vor. Fehlten nur noch die Fingernägel, dachte er bei sich.
Und dann mit einem Mal begann sich eine der Gurken winden – wie ein dicker Wurm, der versuchte, im Wasser vorwärts zu kriechen. Eine weitere fiel mit ein… dann noch eine und noch eine – plötzlich bewegten sie sich alle, tupften gegen ihre Gläser und umschlangen einander.
Alfred war nicht fähig, zu schreien oder sich zu bewegen. Mit offenem Mund stierte er nur weiter auf die Paletten, in der die weißen, aufgedunsenen Früchte ihren Tanz vollführten.
Ihm war völlig klar, dass das unmöglich wirklich passieren konnte, aber ebenso war er sich bewusst, dass sich diese Bilder für immer und ewig in sein Gehirn einbrennen würden. Er würde sie morgens beim Aufstehen und – noch schlimmer – abends beim Zubettgehen vor seinem inneren Auge sehen, wieder und wieder.
Seine Wahrnehmung verschwamm und wurde von einem geistigen Hemmfeld getrübt, das seinen Verstand vor dem Wahnsinn zu bewahren versuchte, der sich ihm auf diesen Paletten darbot. Er hatte den Eindruck, sich selbst von außen zu sehen, wie einen Schauspieler in einem Film. Er verfolgte mit, wie er zur nahe gelegenen, Tür rannte, die ihn hoffentlich aus diesem Raum führen würde; stolpernd und strauchelnd, aber sich noch mit Mühe und Not auf den Beinen haltend hastete er voran.
Seine zittrigen Finger erfassten die Türklinke, und rüttelten daran, bis sie es schafften, sie nach unten zu drücken. Er stürzte regelrecht nach vorne durch die aufschwingende Tür, in einen langen, weißen Gang Mit einem Donnern fiel die Tür hinter ihm zu.
Dumpf hallten seine Schritte auf weißem Linoleum, welches regelrecht zu leuchten schien. Aus hohen Fenstern, durch die man vom Fuß des Ganges nicht nach draußen sehen konnte, fiel weiches Nachmittagslicht. Der Gang war hoch, so unsagbar hoch. Alfred hörte nur den Hall seiner Schritte, der mit seinem Herzschlag verschmolz. Er bemerkte nicht die Rohre, die überall um ihn herum an den Wänden verliefen, vom Boden bis zur kaum erkennbaren Decke empor.
Er hörte nur seine Schritte und bemerkte, wie sich langsam seine Sicht verdunkelte. Formen flimmerten am Rande seines Sichtfeldes. Aus weiter ferne hörte er sich noch einmal stöhnend Aufschreien und sah dann zu, wie sein schlaffer Körper in eine Ecke sank, hinter welcher der Gang wohl eine neue Richtung nahm, und sich dort zusammenkauerte. Dann verlor er sein Bewusstsein.
Diesmal kam er an Stapeln hölzerner Paletten vorbei, auf denen reihenweise Einmachgläser standen. So sehr es ihn auch zu der Tür zog, er musste einfach innehalten, denn er war fest davon überzeugt, aus den Augenwinkeln eine Bewegung innerhalb der Gläser wahrgenommen zu haben. Sein Herz schlug wie ein Presslufthammer während er auf die Gläser starrte. Da konnte sich unmöglich etwas bewegt haben!
Es handelte sich größtenteils um Essiggurken und anderes Einmachgemüse, welches da in bauchigen Gläsern schwamm, umgeben von trübem, bräunlichem Wasser. Der Markenname auf den Deckeln war schon lange verblichen – Alfred vermutete, dass das Verfallsdatum sicher schon ein Jahrzehnt überschritten war. Ihr Geruch, so dachte er sich, würde sicher delikat sein, aber irgendwie waren ihm die Gläser nicht geheuer.
Die Essiggurken zogen immer wieder seinen Blick auf sich. Sie waren nicht grün, sondern weiß – die Farbe einer Wasserleiche. War das normal, dass diese Frucht über die Zeit ihre Farbe verlor? Alfred runzelte die Stirn, denn er konnte sich es nicht wirklich vorstellen.
So bleich wie sie waren erinnerten sie ihn an blutleere Finger. Sogar die Krümmung kam ihm passend vor. Fehlten nur noch die Fingernägel, dachte er bei sich.
Und dann mit einem Mal begann sich eine der Gurken winden – wie ein dicker Wurm, der versuchte, im Wasser vorwärts zu kriechen. Eine weitere fiel mit ein… dann noch eine und noch eine – plötzlich bewegten sie sich alle, tupften gegen ihre Gläser und umschlangen einander.
Alfred war nicht fähig, zu schreien oder sich zu bewegen. Mit offenem Mund stierte er nur weiter auf die Paletten, in der die weißen, aufgedunsenen Früchte ihren Tanz vollführten.
Ihm war völlig klar, dass das unmöglich wirklich passieren konnte, aber ebenso war er sich bewusst, dass sich diese Bilder für immer und ewig in sein Gehirn einbrennen würden. Er würde sie morgens beim Aufstehen und – noch schlimmer – abends beim Zubettgehen vor seinem inneren Auge sehen, wieder und wieder.
Seine Wahrnehmung verschwamm und wurde von einem geistigen Hemmfeld getrübt, das seinen Verstand vor dem Wahnsinn zu bewahren versuchte, der sich ihm auf diesen Paletten darbot. Er hatte den Eindruck, sich selbst von außen zu sehen, wie einen Schauspieler in einem Film. Er verfolgte mit, wie er zur nahe gelegenen, Tür rannte, die ihn hoffentlich aus diesem Raum führen würde; stolpernd und strauchelnd, aber sich noch mit Mühe und Not auf den Beinen haltend hastete er voran.
Seine zittrigen Finger erfassten die Türklinke, und rüttelten daran, bis sie es schafften, sie nach unten zu drücken. Er stürzte regelrecht nach vorne durch die aufschwingende Tür, in einen langen, weißen Gang Mit einem Donnern fiel die Tür hinter ihm zu.
Dumpf hallten seine Schritte auf weißem Linoleum, welches regelrecht zu leuchten schien. Aus hohen Fenstern, durch die man vom Fuß des Ganges nicht nach draußen sehen konnte, fiel weiches Nachmittagslicht. Der Gang war hoch, so unsagbar hoch. Alfred hörte nur den Hall seiner Schritte, der mit seinem Herzschlag verschmolz. Er bemerkte nicht die Rohre, die überall um ihn herum an den Wänden verliefen, vom Boden bis zur kaum erkennbaren Decke empor.
Er hörte nur seine Schritte und bemerkte, wie sich langsam seine Sicht verdunkelte. Formen flimmerten am Rande seines Sichtfeldes. Aus weiter ferne hörte er sich noch einmal stöhnend Aufschreien und sah dann zu, wie sein schlaffer Körper in eine Ecke sank, hinter welcher der Gang wohl eine neue Richtung nahm, und sich dort zusammenkauerte. Dann verlor er sein Bewusstsein.
Das Erwachen war schmerzhaft. Alfreds Schädel brummte und sein Rücken schmerzte, da er so lange – Stunden? Tage? – unverändert in verrenkter Position in einer Ecke gelegen war. Verwirrt sah er sich um und blinzelte. Wo war er? Rohe Sinneseindrücke schlugen auf ihn ein. Das grelle Weiß des Bodens. Der abgestandene Geruch unbewegter, betongeschwängerter Luft. Bedrückende Stille. Abgesehen von diesem verheißungsvollen Brummen, jetzt deutlich lauter als vorher.
Nach und nach fiel ihm alles wieder ein – das Kaufhaus, die langen Gänge, der Keller, die Schaufensterpuppen… Dann dachte er an die Einmachgurken und erschauderte. Gab es keinen Weg, das zu vergessen? Er gab sich selbst die Antwort und schüttelte den Kopf.
Mühsam rappelte er sich auf, stellte fest, dass ihn seine wackeligen Beine noch trugen und sah sich um. Er hatte genau in einer Ecke gelegen, wo der hohe Gang, aus dem er gekommen war, rechtwinklig abbog und in einem neuen, schmäleren Korridor, weiterführte. Dieser war gleichermaßen hoch, doch seine Decke war besser zu erkennen, da in regelmäßigen Abständen grelle Industrielampen an ihr angebracht waren.
Er drehte wieder den Kopf und erblickte die Tür, durch welche er den Kelleraum verlassen hatte. Sofort wurde ihm bewusst, dass es keinen Sinn hätte, noch einmal dorthin zurück zu gehen, da die Eingangstür, die in den Keller führte, von innen nicht zu öffnen war, was maßgeblich zu seinem Panikanfall beigetragen hatte. Gleiches galt offensichtlich für diese, vom Kelleraum in den Gang führende Tür: Genauso wie ihre Vorgängerin hatte sie auf dieser Seite keine Türklinge und Alfred musste es nicht erst ausprobieren, um zu wissen, dass er sich nicht öffnen können würde.
Plötzlich fiel ihm etwas auf, was ihm verständlicherweise vor seiner Ohnmacht entgangen war: Die unglaubliche Anzahl an Rohren aller Art. Sie führten an Wänden entlang, verschwanden im Boden und tauchten auch wieder aus ihm auf. Es gab sie in allen Farben und Formen, manche alt und verrostet, andere augenscheinlich neu. Zu seinem großen Glück entdeckte Alfred auch ein einziges, dickes Abluftrohr, welches in unerreichbarer Höhe verlief. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er, seinem Verlauf zu folgen. Als kleine, haardünne Linie war es an der außerordentlich hohen Decke des Ganges zu erkennen, der von den nicht einsehbaren Fenstern nach wie vor mit warmem Licht erfüllt wurde.
Ein jäher Gedanke schoss ihm in den Kopf. Wie konnte das sein? Hätte es nicht inzwischen Nacht sein müssen? Dass er zu Boden gegangen war, schien ihm eine Ewigkeit her zu sein – nüchtern betrachtet waren es sicherlich mehrere Stunden.
Die nächste Beobachtung traf ihn noch viel schwerer. Wie war es überhaupt möglich, dass eine Tür aus einem Keller in einen Gang führte, der von Tageslicht erhellt war? Alfreds Orientierungssinn war sehr gut und er hatte bis jetzt fest geglaubt, er befände sich unter der Erde. Er stöhnte und fasste sich an den Kopf.
Was ein kurzer, wenn auch leicht riskanter Gang zum Abluftrohr hätte werden sollen, uferte nun zu einer möglicherweise lebensbedrohlichen Situation aus. Nicht nur, dass er sich hier unten (oder oben?) völlig verirrt hatte, auch der Hunger machte ihm so langsam zu schaffen. Er war es gewöhnt, über längere Zeit nichts zu essen, aber er wusste nicht, wie lange er es jetzt noch durchhalten würde.
Natürlich, so sagte er sich energisch, war das völlig absurd. Es war doch ausgeschlossen, dass er in den Gängen eines Kaufhauses, so unwichtig und unbeachtet sie waren, auf lange Sicht keiner Menschenseele begegnete! Irgendwann müsste er ja schließlich auf eine andere Person treffen, die ihm dann, so peinlich das auch werden würde, sicher sagen konnte, wie er wieder zurückkam. Die Stimme der Vernunft pflichtete dem begeistert bei, doch die andere Stimme, die ihn überhaupt in diese Situation gebracht hatte, bombardierte seinen Geist mit Fragen wie „Was wäre, wenn du hier unten der einzige Mensch bist?“
„Was wäre, wenn die Gurken tatsächlich lebendig gewesen waren?“
„Was wäre, wenn…“
Noch einmal stöhnte Walter auf und konzentrierte sich auf das mittlerweile eindeutig hörbare Brummen und fasste erneut den Entschluss, ihm zu folgen. Da er ja sowieso keine Ahnung hatte, wohin ihn diese Gänge führten, konnte er nur gehen, warten und hoffen.
Nach und nach fiel ihm alles wieder ein – das Kaufhaus, die langen Gänge, der Keller, die Schaufensterpuppen… Dann dachte er an die Einmachgurken und erschauderte. Gab es keinen Weg, das zu vergessen? Er gab sich selbst die Antwort und schüttelte den Kopf.
Mühsam rappelte er sich auf, stellte fest, dass ihn seine wackeligen Beine noch trugen und sah sich um. Er hatte genau in einer Ecke gelegen, wo der hohe Gang, aus dem er gekommen war, rechtwinklig abbog und in einem neuen, schmäleren Korridor, weiterführte. Dieser war gleichermaßen hoch, doch seine Decke war besser zu erkennen, da in regelmäßigen Abständen grelle Industrielampen an ihr angebracht waren.
Er drehte wieder den Kopf und erblickte die Tür, durch welche er den Kelleraum verlassen hatte. Sofort wurde ihm bewusst, dass es keinen Sinn hätte, noch einmal dorthin zurück zu gehen, da die Eingangstür, die in den Keller führte, von innen nicht zu öffnen war, was maßgeblich zu seinem Panikanfall beigetragen hatte. Gleiches galt offensichtlich für diese, vom Kelleraum in den Gang führende Tür: Genauso wie ihre Vorgängerin hatte sie auf dieser Seite keine Türklinge und Alfred musste es nicht erst ausprobieren, um zu wissen, dass er sich nicht öffnen können würde.
Plötzlich fiel ihm etwas auf, was ihm verständlicherweise vor seiner Ohnmacht entgangen war: Die unglaubliche Anzahl an Rohren aller Art. Sie führten an Wänden entlang, verschwanden im Boden und tauchten auch wieder aus ihm auf. Es gab sie in allen Farben und Formen, manche alt und verrostet, andere augenscheinlich neu. Zu seinem großen Glück entdeckte Alfred auch ein einziges, dickes Abluftrohr, welches in unerreichbarer Höhe verlief. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er, seinem Verlauf zu folgen. Als kleine, haardünne Linie war es an der außerordentlich hohen Decke des Ganges zu erkennen, der von den nicht einsehbaren Fenstern nach wie vor mit warmem Licht erfüllt wurde.
Ein jäher Gedanke schoss ihm in den Kopf. Wie konnte das sein? Hätte es nicht inzwischen Nacht sein müssen? Dass er zu Boden gegangen war, schien ihm eine Ewigkeit her zu sein – nüchtern betrachtet waren es sicherlich mehrere Stunden.
Die nächste Beobachtung traf ihn noch viel schwerer. Wie war es überhaupt möglich, dass eine Tür aus einem Keller in einen Gang führte, der von Tageslicht erhellt war? Alfreds Orientierungssinn war sehr gut und er hatte bis jetzt fest geglaubt, er befände sich unter der Erde. Er stöhnte und fasste sich an den Kopf.
Was ein kurzer, wenn auch leicht riskanter Gang zum Abluftrohr hätte werden sollen, uferte nun zu einer möglicherweise lebensbedrohlichen Situation aus. Nicht nur, dass er sich hier unten (oder oben?) völlig verirrt hatte, auch der Hunger machte ihm so langsam zu schaffen. Er war es gewöhnt, über längere Zeit nichts zu essen, aber er wusste nicht, wie lange er es jetzt noch durchhalten würde.
Natürlich, so sagte er sich energisch, war das völlig absurd. Es war doch ausgeschlossen, dass er in den Gängen eines Kaufhauses, so unwichtig und unbeachtet sie waren, auf lange Sicht keiner Menschenseele begegnete! Irgendwann müsste er ja schließlich auf eine andere Person treffen, die ihm dann, so peinlich das auch werden würde, sicher sagen konnte, wie er wieder zurückkam. Die Stimme der Vernunft pflichtete dem begeistert bei, doch die andere Stimme, die ihn überhaupt in diese Situation gebracht hatte, bombardierte seinen Geist mit Fragen wie „Was wäre, wenn du hier unten der einzige Mensch bist?“
„Was wäre, wenn die Gurken tatsächlich lebendig gewesen waren?“
„Was wäre, wenn…“
Noch einmal stöhnte Walter auf und konzentrierte sich auf das mittlerweile eindeutig hörbare Brummen und fasste erneut den Entschluss, ihm zu folgen. Da er ja sowieso keine Ahnung hatte, wohin ihn diese Gänge führten, konnte er nur gehen, warten und hoffen.
Dieser Ort bot dem Auge keinerlei Möglichkeit, sich zu verweilen: Alles war weiß. Der Boden, die Wände, die Decke und auch das künstliche Licht, welches von den zahllosen Neonröhren ausgestrahlt wurde. Einzige Ausnahme waren die Rohre die einzeln und zu Strängen, die Alfred an gebündelte Muskelfasern erinnerten, an der Wand verliefen. Instinktiv suchte er mit seinem Blick das einzig erkennbare Belüftungsrohr nach einer Wartungsklappe ab. Jedes Rohr besaß zahlreiche davon, das wusste er aus Erfahrung
Der Gang knickte ab und verlief ohne sichtbare Veränderung etwa fünfzehn Meter geradeaus, um sich dann zu gabeln – schon jetzt hatte Alfred keine Ahnung ob er nach links oder nach rechts gehen sollte. Daher blieb er einen Moment stehen und betrachtete die Wand genauer. Sie bestand aus weiß getünchten Backsteinen, alle gleich groß und im typischen Mauermuster angeordnet. Plötzlich viel ihm ein weiterer, unbedeutender Fetzen aus seiner Kindheit ein: Die Umkleidekabinen der mittlerweile baufälligen Schulsporthalle in seinem Heimatort hatten genau solche Wände besessen! Doch diese waren keineswegs so makellos weiß gewesen, sondern mit Blei- und Filzstiftgraffitis zahlloser Schülergenerationen beschmiert und vom Schmutz der Jahre getrübt. Einmal, als er alleine in der Umkleide gewesen war, völlig unbeobachtet, hatte er sich an die schmutzige Wand geschmiegt und daran geleckt.
Der Geschmack von Verfall, Putz und Beton lag plötzlich wieder auf seiner Zunge, obwohl dieses Erlebnis schon Jahrzehnte zurück lag.
Er war wie elektrisiert gewesen in dieser verlassenen Kabine. Von weit fern, so schien es ihm, hatte er das Stampfen der Füße auf dem Hallenboden hören können – jetzt hörte er nichts, außer dem gleichförmigen, alles überdeckenden Brummen.
Dieser Ort wirkte anziehend und abstoßend zugleich auf ihn. Er hatte keine Seele, das spürte er ganz deutlich.
Er ging zur gegenüberliegenden Wand an der das Abluftrohr inmitten von vielen anderen verlief, nun jedoch in einer erreichbaren Höhe. Der Gang war viel niedriger geworden – Alfred konnte nicht sagen, wann dies passiert war. Unmerklich musste die Decke über den Weg abgesunken sein, sodass es ihm komplett entgangen war.
Endlich setzte er sich wieder in Bewegung und hielt auf die Gabelung des Ganges zu. An der Kreuzung blieb er stehen und sah zuerst nach links, wo sich ihm ein verstörendes Bild bot: Der Gang setzte sich fort, ohne ein erkennbares Ende zu haben. Er fühlte sich an Bilder erinnert, die das Stilmittel des Fluchtpunktes illustrieren sollten und vier aufeinander zu laufende, räumliche Linien zeigten. Der Punkt, an dem sie zusammentrafen, war nicht zu erkennen. Schon in relativ naher Distanz schienen die Konturen zu verschwimmen, da das grelle Weiß der Wände keinerlei optischen halt bot.
Zu seiner Rechten endete der Gang glücklicherweise nach wenigen Metern an einer Tür. Auch sie war weiß getüncht.
Alfred betete, dass sie nicht verschlossen war. Mit schnellen Schritten hielt er auf sie zu und drückte den Griff nach unten.
Sie ließ sich öffnen.
Doch was hinter der Tür lag raubte ihm ebenso den Atem wie der endlose Gang. Sein Verstand schrie auf. So etwas konnte überhaupt nicht existieren. Er wollte den Blick abwenden, doch es war unmöglich. Seine geweiteten Augen verloren sich in der Weite und schieren Unendlichkeit des sich ihm bietenden Anblicks.
Plötzlich fiel die Starre von ihm ab und er schlug die Tür wieder zu, so fest es ging.
Flashbackartig zog das eben Gesehene an seinem inneren Auge vorbei.
Endlose Treppen.
Der Boden mit Schachbrettmuster.
Podeste.
Vorsprünge.
Abgründe.
Er war sich nun sicher, endgültig den Bereich des Erklärbaren hinter sich gelassen zu haben. Aber gab es ein Zurück? Auf keinen Fall. Er schloss einmal kurz die Augen, atmete tief durch und öffnete erneut die Tür, diesmal etwas gefasster.
Aber auch beim zweiten Mal raubte ihm der Anblick des dahinter liegenden Raumes den Atem.
Er war unsagbar groß – wie bei dem Gang zur linken Seite der Gabelung konnte man kein Ende ausmachen. Die Tür führte offenbar zu einer unteren Ecke dieses gigantischen, unfassbar riesigen Gebildes. Alfred trat durch sie hindurch und reckte den Hals. Er stand am Fuß einer gigantischen Treppe, von der wiederum zahllose weitere Treppen abgingen, in alle denkbaren Richtungen. Diese wiederum verzweigten sich wieder und mündeten in schmale Laufstege, die sich zum Teil spiralförmig in die Höhe schraubten…
Der Anblick war kaum in Worte zu fassen. Der Boden war in einem Schachbrettmuster gestaltet, bestehend aus weißen und schwarzen Kacheln. Diese waren aus kühlem Stein, doch die Platten grenzten nahtlos aneinander an. Etwas Vergleichbares hatte Alfred noch nie in seinem Leben gesehen. Wie war es möglich, solch eine unendlich große Zahl von Steinplatten absolut passend und ohne eine Fuge zu verlegen? Sogar die unzähligen Treppen waren damit bedeckt, waagerecht wie senkrecht. Die Kanten ihrer Stufen sahen messerscharf aus.
Neben der breiten Treppe, vor der Alfred stand gab es noch viele andere, die von dem grenzenlosen Schachbrett, das den Boden des gigantischen Raumes darstellte, nach oben führten, in allen denkbaren Richtungen. Alfred kniff die Augen zusammen – er befand sich in einem regelrechten Wald aus Treppen, der sich bis zum Horizont erstreckte. Auch aus statischer Hinsicht waren sie höchst verwunderlich: Sie besaßen keinerlei Stützen und waren außer mit ihrer ersten Stufe nirgends mit dem Boden verbunden. In der Luft jedoch schienen alle Treppen irgendwann auf die eine oder andere Weise zusammenzuführen – verknüpft durch zahllose Ebenen, welche sich selbst wiederum in kleineren Vorsprüngen und Auswüchsen verloren.
Dazwischen gab es auch Treppen, die mitten in der Luft aufhören oder begannen.
Gekachelte Säulen, die in die Höhe ragten und deren Ende nicht absehbar war.
Geometrische Körper, die frei im Raum schweben zu schienen, nur von schmalen Stegen gehalten.
Viele Laufstege krümmten sich oder rollten sich ein – ohne eine Abweichung in ihrem schwarz-weißen Schachbrettmuster zu zeigen.
Über allem lag das Brummen, das mittlerweile mehr zu einem Dröhnen geworden war und die Luft um Alfred herum scheinbar zum Vibrieren brachte.
Der Gang knickte ab und verlief ohne sichtbare Veränderung etwa fünfzehn Meter geradeaus, um sich dann zu gabeln – schon jetzt hatte Alfred keine Ahnung ob er nach links oder nach rechts gehen sollte. Daher blieb er einen Moment stehen und betrachtete die Wand genauer. Sie bestand aus weiß getünchten Backsteinen, alle gleich groß und im typischen Mauermuster angeordnet. Plötzlich viel ihm ein weiterer, unbedeutender Fetzen aus seiner Kindheit ein: Die Umkleidekabinen der mittlerweile baufälligen Schulsporthalle in seinem Heimatort hatten genau solche Wände besessen! Doch diese waren keineswegs so makellos weiß gewesen, sondern mit Blei- und Filzstiftgraffitis zahlloser Schülergenerationen beschmiert und vom Schmutz der Jahre getrübt. Einmal, als er alleine in der Umkleide gewesen war, völlig unbeobachtet, hatte er sich an die schmutzige Wand geschmiegt und daran geleckt.
Der Geschmack von Verfall, Putz und Beton lag plötzlich wieder auf seiner Zunge, obwohl dieses Erlebnis schon Jahrzehnte zurück lag.
Er war wie elektrisiert gewesen in dieser verlassenen Kabine. Von weit fern, so schien es ihm, hatte er das Stampfen der Füße auf dem Hallenboden hören können – jetzt hörte er nichts, außer dem gleichförmigen, alles überdeckenden Brummen.
Dieser Ort wirkte anziehend und abstoßend zugleich auf ihn. Er hatte keine Seele, das spürte er ganz deutlich.
Er ging zur gegenüberliegenden Wand an der das Abluftrohr inmitten von vielen anderen verlief, nun jedoch in einer erreichbaren Höhe. Der Gang war viel niedriger geworden – Alfred konnte nicht sagen, wann dies passiert war. Unmerklich musste die Decke über den Weg abgesunken sein, sodass es ihm komplett entgangen war.
Endlich setzte er sich wieder in Bewegung und hielt auf die Gabelung des Ganges zu. An der Kreuzung blieb er stehen und sah zuerst nach links, wo sich ihm ein verstörendes Bild bot: Der Gang setzte sich fort, ohne ein erkennbares Ende zu haben. Er fühlte sich an Bilder erinnert, die das Stilmittel des Fluchtpunktes illustrieren sollten und vier aufeinander zu laufende, räumliche Linien zeigten. Der Punkt, an dem sie zusammentrafen, war nicht zu erkennen. Schon in relativ naher Distanz schienen die Konturen zu verschwimmen, da das grelle Weiß der Wände keinerlei optischen halt bot.
Zu seiner Rechten endete der Gang glücklicherweise nach wenigen Metern an einer Tür. Auch sie war weiß getüncht.
Alfred betete, dass sie nicht verschlossen war. Mit schnellen Schritten hielt er auf sie zu und drückte den Griff nach unten.
Sie ließ sich öffnen.
Doch was hinter der Tür lag raubte ihm ebenso den Atem wie der endlose Gang. Sein Verstand schrie auf. So etwas konnte überhaupt nicht existieren. Er wollte den Blick abwenden, doch es war unmöglich. Seine geweiteten Augen verloren sich in der Weite und schieren Unendlichkeit des sich ihm bietenden Anblicks.
Plötzlich fiel die Starre von ihm ab und er schlug die Tür wieder zu, so fest es ging.
Flashbackartig zog das eben Gesehene an seinem inneren Auge vorbei.
Endlose Treppen.
Der Boden mit Schachbrettmuster.
Podeste.
Vorsprünge.
Abgründe.
Er war sich nun sicher, endgültig den Bereich des Erklärbaren hinter sich gelassen zu haben. Aber gab es ein Zurück? Auf keinen Fall. Er schloss einmal kurz die Augen, atmete tief durch und öffnete erneut die Tür, diesmal etwas gefasster.
Aber auch beim zweiten Mal raubte ihm der Anblick des dahinter liegenden Raumes den Atem.
Er war unsagbar groß – wie bei dem Gang zur linken Seite der Gabelung konnte man kein Ende ausmachen. Die Tür führte offenbar zu einer unteren Ecke dieses gigantischen, unfassbar riesigen Gebildes. Alfred trat durch sie hindurch und reckte den Hals. Er stand am Fuß einer gigantischen Treppe, von der wiederum zahllose weitere Treppen abgingen, in alle denkbaren Richtungen. Diese wiederum verzweigten sich wieder und mündeten in schmale Laufstege, die sich zum Teil spiralförmig in die Höhe schraubten…
Der Anblick war kaum in Worte zu fassen. Der Boden war in einem Schachbrettmuster gestaltet, bestehend aus weißen und schwarzen Kacheln. Diese waren aus kühlem Stein, doch die Platten grenzten nahtlos aneinander an. Etwas Vergleichbares hatte Alfred noch nie in seinem Leben gesehen. Wie war es möglich, solch eine unendlich große Zahl von Steinplatten absolut passend und ohne eine Fuge zu verlegen? Sogar die unzähligen Treppen waren damit bedeckt, waagerecht wie senkrecht. Die Kanten ihrer Stufen sahen messerscharf aus.
Neben der breiten Treppe, vor der Alfred stand gab es noch viele andere, die von dem grenzenlosen Schachbrett, das den Boden des gigantischen Raumes darstellte, nach oben führten, in allen denkbaren Richtungen. Alfred kniff die Augen zusammen – er befand sich in einem regelrechten Wald aus Treppen, der sich bis zum Horizont erstreckte. Auch aus statischer Hinsicht waren sie höchst verwunderlich: Sie besaßen keinerlei Stützen und waren außer mit ihrer ersten Stufe nirgends mit dem Boden verbunden. In der Luft jedoch schienen alle Treppen irgendwann auf die eine oder andere Weise zusammenzuführen – verknüpft durch zahllose Ebenen, welche sich selbst wiederum in kleineren Vorsprüngen und Auswüchsen verloren.
Dazwischen gab es auch Treppen, die mitten in der Luft aufhören oder begannen.
Gekachelte Säulen, die in die Höhe ragten und deren Ende nicht absehbar war.
Geometrische Körper, die frei im Raum schweben zu schienen, nur von schmalen Stegen gehalten.
Viele Laufstege krümmten sich oder rollten sich ein – ohne eine Abweichung in ihrem schwarz-weißen Schachbrettmuster zu zeigen.
Über allem lag das Brummen, das mittlerweile mehr zu einem Dröhnen geworden war und die Luft um Alfred herum scheinbar zum Vibrieren brachte.
Und all diese Rohre! Kreuz und quer durchzogen sie den Raum, ohne erkennbares Muster, ohne Ziel. Manche von ihnen hingen schlaff durch, schienen nur aus einer langen, von dünnem Gummi ummantelten Stahlspirale zu bestehen, während anderem aus solidem, blankem Stahl waren, dick wie Baumstämme und in regelmäßigen Abständen mit einem Barometer versehen.
Der Anblick dieses Raumes war so überwältigend, dass Alfred all seine Angst vergaß und nichts weiter tun konnte, als wie gelähmt da zu stehen und mit offenem Munde diese irreale Szenerie in sich aufzusaugen. Auch sein verstand war ohne Bewegung, wie ein Bergsteiger auf einer schmalen Klippe, der abzustürzen droht, sollte er zu viel wagen.
Es dauerte, bis Alfred wieder zu sich kam – wie lange vermochte er nicht zu sagen.
Und plötzlich keimte in ihm dieselbe Neugier auf, die ihn schon dazu getrieben hatte, überhaupt erst das Kellergeschoss des Kaufhauses zu betreten. Was würde er finden, wenn er diese Stufen emporstieg? War es eine Prüfung Gottes? War es womöglich die Hölle selbst?
Zweifelsohne hatte noch nie ein Mensch zuvor diese Hallen betreten und es war unmöglich zu erahnen, was ihn in ihren Tiefen und Höhen noch erwarten würde.
Langsam und ohne sich noch einmal umzudrehen – schließlich gab es eh kein Zurück – ging er auf die breite Treppe zu, die er als erstes gesehen hatte. Auch aus der Nähe verlor sich der Eindruck ihrer Vollkommenheit nicht. Er war sich sicher: Hätte man diese Treppen mit einem Lasermessgerät vermessen, wäre man auf exakt glatte und sich wiederholende Werte gekommen. Jede Treppenstufe glich der Vorherigen aufs Genaueste und erzeugte beim Begehen ein sattes, volles Geräusch, dass Alfred sofort mit den Atrien luxuriöser Hotels assoziierte.
Dann ging er schneller, Stufe um Stufe flog unter ihm vorbei. Er kam sich verloren vor, aber die Neugier und das Gefühl, tatsächlich etwas finden zu können, gaben ihm Halt. Nach einigen Minuten monotonen Laufens endete die Treppe auf einer großen, rechteckigen Plattform, auf der mehrere Autos Platz gefunden hätten. Verglichen mit den Dimensionen des Raumes jedoch wirkte sie wie eine Insel im Meer. Zu den drei Seiten um Alfred herum gingen jeweils weitere Treppen ab: Die zu seiner Rechten war so breit, wie diese Seite der Plattform selbst, die zu seiner linken ungefähr halb so breit und die Treppe direkt vor ihm war lächerlich schmal, sie maß von der einen Kante zur anderen vielleicht dreißig Zentimeter.
Doch ein weiterer entscheidender Faktor unterschied sie von den anderen beiden: Sie war die einzige Treppe, die nicht plötzlich nach einer mehr oder weniger langen Distanz in der Luft endete. Alfred hatte es gleich gesehen, aber kaum wahrhaben wollen, denn es bedeutete entweder umkehren oder sich auf diese lebensgefährlich schmale Treppe wagen zu müssen – beides keine verlockenden Optionen.
Daher beschloss er zuerst nach rechts zu gehen und die breiteste Treppe zu erklimmen, da sie eindeutig länger war als die zu seiner Linken – vielleicht konnte er sich von dort oben ein Bild verschaffen oder sich womöglich sogar auf eine andere Plattform oder Treppe fallen lassen, sofern denn eine nahe genug war.
Er war schnell am Ende der Treppe angelangt, die sie nur rund fünfzig Stufen lang war. Dennoch war die Aussicht atemberaubend. Den Boden konnte er noch klar erkennen, aber trotzdem verspürte er sofort den lähmenden Würgegriff der Höhenangst. Das Schachbrettmuster schien vor seinen Augen zu wabern. Er trat einen Schritt zurück, um nicht mehr bis ganz nach unten sehen zu können. Zwar konnte er den Weg nachvollziehen, den er bis jetzt gegangen war, doch ansonsten war er nicht in der Lage, irgend eine Struktur, die er vom Boden aus gesehen hatte, wieder zu erkennen. Das war angesichts der Reizüberflutung beim Betreten des Raumes nicht verwunderlich, aber früher oder später würde er mehr Acht geben müssen, um eine ungefähre Richtung beizubehalten und nicht auf irgendeine Weise im Kreis zu laufen. Diese Richtung war zunächst einmal ganz einfach: Nach oben.
Einen knappen Meter unter seiner aktuellen Position verlief eines der zahllosen Abluftrohre. Es war jedoch nicht wie viele andere waagerecht oder senkrecht, sondern stieg in einem 45-Grad Winkel schräg nach oben. Alfred war entzückt, als er bemerkte, dass es in regelmäßigen Abständen kleine Klappen aufwies, die man sicher leicht öffnen konnte. Er folgte ihm mit dem Blick in die Höhe. Nach einer weiten Distanz knickte es nach links ab – und traf auf die schmale, gefährliche Treppe, die ihn womöglich nicht nur in ungeahnte Höhen führte sondern auch endlich zu einem zugänglichen Abluftrohr, welches an dieser Kreuzstelle in einer perfekten Höhe von ungefähr Ein Meter Fünfzig über der Treppe zu schweben schien.
Der Anblick dieses Raumes war so überwältigend, dass Alfred all seine Angst vergaß und nichts weiter tun konnte, als wie gelähmt da zu stehen und mit offenem Munde diese irreale Szenerie in sich aufzusaugen. Auch sein verstand war ohne Bewegung, wie ein Bergsteiger auf einer schmalen Klippe, der abzustürzen droht, sollte er zu viel wagen.
Es dauerte, bis Alfred wieder zu sich kam – wie lange vermochte er nicht zu sagen.
Und plötzlich keimte in ihm dieselbe Neugier auf, die ihn schon dazu getrieben hatte, überhaupt erst das Kellergeschoss des Kaufhauses zu betreten. Was würde er finden, wenn er diese Stufen emporstieg? War es eine Prüfung Gottes? War es womöglich die Hölle selbst?
Zweifelsohne hatte noch nie ein Mensch zuvor diese Hallen betreten und es war unmöglich zu erahnen, was ihn in ihren Tiefen und Höhen noch erwarten würde.
Langsam und ohne sich noch einmal umzudrehen – schließlich gab es eh kein Zurück – ging er auf die breite Treppe zu, die er als erstes gesehen hatte. Auch aus der Nähe verlor sich der Eindruck ihrer Vollkommenheit nicht. Er war sich sicher: Hätte man diese Treppen mit einem Lasermessgerät vermessen, wäre man auf exakt glatte und sich wiederholende Werte gekommen. Jede Treppenstufe glich der Vorherigen aufs Genaueste und erzeugte beim Begehen ein sattes, volles Geräusch, dass Alfred sofort mit den Atrien luxuriöser Hotels assoziierte.
Dann ging er schneller, Stufe um Stufe flog unter ihm vorbei. Er kam sich verloren vor, aber die Neugier und das Gefühl, tatsächlich etwas finden zu können, gaben ihm Halt. Nach einigen Minuten monotonen Laufens endete die Treppe auf einer großen, rechteckigen Plattform, auf der mehrere Autos Platz gefunden hätten. Verglichen mit den Dimensionen des Raumes jedoch wirkte sie wie eine Insel im Meer. Zu den drei Seiten um Alfred herum gingen jeweils weitere Treppen ab: Die zu seiner Rechten war so breit, wie diese Seite der Plattform selbst, die zu seiner linken ungefähr halb so breit und die Treppe direkt vor ihm war lächerlich schmal, sie maß von der einen Kante zur anderen vielleicht dreißig Zentimeter.
Doch ein weiterer entscheidender Faktor unterschied sie von den anderen beiden: Sie war die einzige Treppe, die nicht plötzlich nach einer mehr oder weniger langen Distanz in der Luft endete. Alfred hatte es gleich gesehen, aber kaum wahrhaben wollen, denn es bedeutete entweder umkehren oder sich auf diese lebensgefährlich schmale Treppe wagen zu müssen – beides keine verlockenden Optionen.
Daher beschloss er zuerst nach rechts zu gehen und die breiteste Treppe zu erklimmen, da sie eindeutig länger war als die zu seiner Linken – vielleicht konnte er sich von dort oben ein Bild verschaffen oder sich womöglich sogar auf eine andere Plattform oder Treppe fallen lassen, sofern denn eine nahe genug war.
Er war schnell am Ende der Treppe angelangt, die sie nur rund fünfzig Stufen lang war. Dennoch war die Aussicht atemberaubend. Den Boden konnte er noch klar erkennen, aber trotzdem verspürte er sofort den lähmenden Würgegriff der Höhenangst. Das Schachbrettmuster schien vor seinen Augen zu wabern. Er trat einen Schritt zurück, um nicht mehr bis ganz nach unten sehen zu können. Zwar konnte er den Weg nachvollziehen, den er bis jetzt gegangen war, doch ansonsten war er nicht in der Lage, irgend eine Struktur, die er vom Boden aus gesehen hatte, wieder zu erkennen. Das war angesichts der Reizüberflutung beim Betreten des Raumes nicht verwunderlich, aber früher oder später würde er mehr Acht geben müssen, um eine ungefähre Richtung beizubehalten und nicht auf irgendeine Weise im Kreis zu laufen. Diese Richtung war zunächst einmal ganz einfach: Nach oben.
Einen knappen Meter unter seiner aktuellen Position verlief eines der zahllosen Abluftrohre. Es war jedoch nicht wie viele andere waagerecht oder senkrecht, sondern stieg in einem 45-Grad Winkel schräg nach oben. Alfred war entzückt, als er bemerkte, dass es in regelmäßigen Abständen kleine Klappen aufwies, die man sicher leicht öffnen konnte. Er folgte ihm mit dem Blick in die Höhe. Nach einer weiten Distanz knickte es nach links ab – und traf auf die schmale, gefährliche Treppe, die ihn womöglich nicht nur in ungeahnte Höhen führte sondern auch endlich zu einem zugänglichen Abluftrohr, welches an dieser Kreuzstelle in einer perfekten Höhe von ungefähr Ein Meter Fünfzig über der Treppe zu schweben schien.
Es geht noch heute Abend weiter, ich habe noch mehr in petto, nur bin ich noch nicht zum Korrigieren und Posten gekommen.
Dazwischen gab es auch Treppen, die mitten in der Luft aufhören oder begannen.
Gekachelte Säulen, die in die Höhe ragten und deren Ende nicht absehbar war.
Geometrische Körper, die frei im Raum schweben zu schienen, nur von schmalen Stegen gehalten.
Viele Laufstege krümmten sich oder rollten sich ein – ohne eine Abweichung in ihrem schwarz-weißen Schachbrettmuster zu zeigen.
Über allem lag das Brummen, das mittlerweile mehr zu einem Dröhnen geworden war und die Luft um Alfred herum scheinbar zum Vibrieren brachte.
Und all diese Rohre! Kreuz und quer durchzogen sie den Raum, ohne erkennbares Muster, ohne Ziel. Manche von ihnen hingen schlaff durch, schienen nur aus einer langen, von dünnem Gummi ummantelten Stahlspirale zu bestehen, während anderem aus solidem, blankem Stahl waren, dick wie Baumstämme und in regelmäßigen Abständen mit einem Barometer versehen.
Der Anblick dieses Raumes war so überwältigend, dass Alfred all seine Angst vergaß und nichts weiter tun konnte, als wie gelähmt da zu stehen und mit offenem Munde diese irreale Szenerie in sich aufzusaugen. Auch sein verstand war ohne Bewegung, wie ein Bergsteiger auf einer schmalen Klippe, der abzustürzen droht, sollte er zu viel wagen.
Es dauerte, bis Alfred wieder zu sich kam – wie lange vermochte er nicht zu sagen.
Und plötzlich keimte in ihm dieselbe Neugier auf, die ihn schon dazu getrieben hatte, überhaupt erst das Kellergeschoss des Kaufhauses zu betreten. Was würde er finden, wenn er diese Stufen emporstieg? War es eine Prüfung Gottes? War es womöglich die Hölle selbst?
Zweifelsohne hatte noch nie ein Mensch zuvor diese Hallen betreten und es war unmöglich zu erahnen, was ihn in ihren Tiefen und Höhen noch erwarten würde.
Langsam und ohne sich noch einmal umzudrehen – schließlich gab es eh kein Zurück – ging er auf die breite Treppe zu, die er als erstes gesehen hatte. Auch aus der Nähe verlor sich der Eindruck ihrer Vollkommenheit nicht. Er war sich sicher: Hätte man diese Treppen mit einem Lasermessgerät vermessen, wäre man auf exakt glatte und sich wiederholende Werte gekommen. Jede Treppenstufe glich der Vorherigen aufs Genaueste und erzeugte beim Begehen ein sattes, volles Geräusch, dass Alfred sofort mit den Atrien luxuriöser Hotels assoziierte.
Dann ging er schneller, Stufe um Stufe flog unter ihm vorbei. Er kam sich verloren vor, aber die Neugier und das Gefühl, tatsächlich etwas finden zu können, gaben ihm Halt. Nach einigen Minuten monotonen Laufens endete die Treppe auf einer großen, rechteckigen Plattform, auf der mehrere Autos Platz gefunden hätten. Verglichen mit den Dimensionen des Raumes jedoch wirkte sie wie eine Insel im Meer. Zu den drei Seiten um Alfred herum gingen jeweils weitere Treppen ab: Die zu seiner Rechten war so breit, wie diese Seite der Plattform selbst, die zu seiner linken ungefähr halb so breit und die Treppe direkt vor ihm war lächerlich schmal, sie maß von der einen Kante zur anderen vielleicht dreißig Zentimeter.
Dazwischen gab es auch Treppen, die mitten in der Luft aufhören oder begannen.
Gekachelte Säulen, die in die Höhe ragten und deren Ende nicht absehbar war.
Geometrische Körper, die frei im Raum schweben zu schienen, nur von schmalen Stegen gehalten.
Viele Laufstege krümmten sich oder rollten sich ein – ohne eine Abweichung in ihrem schwarz-weißen Schachbrettmuster zu zeigen.
Über allem lag das Brummen, das mittlerweile mehr zu einem Dröhnen geworden war und die Luft um Alfred herum scheinbar zum Vibrieren brachte.
Und all diese Rohre! Kreuz und quer durchzogen sie den Raum, ohne erkennbares Muster, ohne Ziel. Manche von ihnen hingen schlaff durch, schienen nur aus einer langen, von dünnem Gummi ummantelten Stahlspirale zu bestehen, während anderem aus solidem, blankem Stahl waren, dick wie Baumstämme und in regelmäßigen Abständen mit einem Barometer versehen.
Der Anblick dieses Raumes war so überwältigend, dass Alfred all seine Angst vergaß und nichts weiter tun konnte, als wie gelähmt da zu stehen und mit offenem Munde diese irreale Szenerie in sich aufzusaugen. Auch sein verstand war ohne Bewegung, wie ein Bergsteiger auf einer schmalen Klippe, der abzustürzen droht, sollte er zu viel wagen.
Es dauerte, bis Alfred wieder zu sich kam – wie lange vermochte er nicht zu sagen.
Und plötzlich keimte in ihm dieselbe Neugier auf, die ihn schon dazu getrieben hatte, überhaupt erst das Kellergeschoss des Kaufhauses zu betreten. Was würde er finden, wenn er diese Stufen emporstieg? War es eine Prüfung Gottes? War es womöglich die Hölle selbst?
Zweifelsohne hatte noch nie ein Mensch zuvor diese Hallen betreten und es war unmöglich zu erahnen, was ihn in ihren Tiefen und Höhen noch erwarten würde.
Langsam und ohne sich noch einmal umzudrehen – schließlich gab es eh kein Zurück – ging er auf die breite Treppe zu, die er als erstes gesehen hatte. Auch aus der Nähe verlor sich der Eindruck ihrer Vollkommenheit nicht. Er war sich sicher: Hätte man diese Treppen mit einem Lasermessgerät vermessen, wäre man auf exakt glatte und sich wiederholende Werte gekommen. Jede Treppenstufe glich der Vorherigen aufs Genaueste und erzeugte beim Begehen ein sattes, volles Geräusch, dass Alfred sofort mit den Atrien luxuriöser Hotels assoziierte.
Dann ging er schneller, Stufe um Stufe flog unter ihm vorbei. Er kam sich verloren vor, aber die Neugier und das Gefühl, tatsächlich etwas finden zu können, gaben ihm Halt. Nach einigen Minuten monotonen Laufens endete die Treppe auf einer großen, rechteckigen Plattform, auf der mehrere Autos Platz gefunden hätten. Verglichen mit den Dimensionen des Raumes jedoch wirkte sie wie eine Insel im Meer. Zu den drei Seiten um Alfred herum gingen jeweils weitere Treppen ab: Die zu seiner Rechten war so breit, wie diese Seite der Plattform selbst, die zu seiner linken ungefähr halb so breit und die Treppe direkt vor ihm war lächerlich schmal, sie maß von der einen Kante zur anderen vielleicht dreißig Zentimeter.
Jetzt hab ich versehentlich das Gleiche nochmal gepostet... Morgen kommt dann das richtige. Sorry.
Er wollte es sich selbst noch nicht eingestehen, aber innerlich hatte er bereits den Entschluss gefasst, die schmale Treppe emporzusteigen. Weniger, weil es die einzige von dreien war, die ihn weiter bringen würde, sondern vielmehr, weil er sich auf diesem Wege endlich an der so unbedingt benötigten Abluft erlaben können würde.
Zögerlich ging er wieder auf das Podest zurück und steuerte auf die schmale Treppe zu. Bei diesem Anblick musste er einmal wieder den Kopf schütteln. Das ist doch unmöglich, sagte er laut und erschrak sogleich, denn seine Stimme hört sich in diesem endlos großen Raum unsagbar schwach und brüchig an. Mit einem Mal überkam ihn das Gefühl, er befände sich in einem Traum, während sein Körper völlig von der Realität entkoppelt reglos da lag – vielleicht noch in der Ecke, wo er zusammengebrochen war, vor vielen, vielen Jahren. Er war nichts weiter als eine Puppe Gottes, ein Spielzeug, weggeworfen und vergessen.
Kurz schloss er die Augen und nahm allen Mut zusammen, um dann den Fuß auf die erste Stufe der Treppe zu setzen, die so eigentlich unmöglich existieren konnte. Wie er es schon vorher beobachtet hatte war in der Konstruktion keinerlei Vibration oder Schwankung zu spüren – die Stufe war stabil wie ein Felsen. Immer mehr bekam er den Eindruck, dass die Bauten an diesem Ort keinen statischen Gesetzen gehorchten.
Unweigerliche senkte er den Kopf und sah nach unten – ein Fehler. Sofort begann sein Herz zu rasen und ihm wurde schwindelig. Die Höhe war überwältigend und die schwarz-weißen Kacheln des Bodens nur noch als Graue Suppe zu erkennen, die sein Auge nicht genau auflösen konnte. Dazu kam, dass die Treppe so entsetzlich schmal war… Für einen kurzen Moment schloss er instinktiv die Augen – vor der Schwärze seiner Augenlider leuchtete das Muster des Bodens in pulsierendem Grün auf, als hätte es sich in seine Netzhaut eingebrannt.
Alfred taumelte und wäre beinahe umgekippt, hätte er sich nicht sofort auf die Knie fallen lassen, was ihm schmerzhafte Explosionen in den Knien bescherte, denn sie trafen genau auf die Kante einer Treppenstufe. Sein Atem ging schnell und stoßweiße, während schwarze Punkte vor seinen Augen tanzten.
Nur nicht noch einmal heruntersehen, sagte er zu sich selbst und beschloss, sicherheitshalber noch ein wenig sitzen zu bleiben. Völlig bewegungslos verharrte er auf der Treppe, die er noch nicht besonders weit hinaufgestiegen war. Mit zusammengekniffenen Augen suchte er die Wände des Raumes nach Türen oder Ausgängen ab. Die einzige Öffnung, die er erblicken konnte, war die von hier noch kaum auszumachende Tür, durch die er den Raum betreten hatte. Sie schien ihm unerreichbar fern. Von seiner jetzigen Position konnte er nur das zu ihm näher liegende Ende des Raumes überschauen, das andere war nicht auszumachen. Zu viele Treppen, Plattformen und Stege durchzogen das Sichtfeld.
Ein laut vernehmbares Knurren seines Magens erinnerten ihn daran, dass er womöglich bald ernsthafte Probleme bekommen würde, sollte er nicht irgendetwas Essbares auftreiben können. Und in dieser sterilen, surrealen Umgebung erschien ihm das äußerst unwahrscheinlich. Zu seiner großen Überraschung bereitete ihm diese Tatsache allerdings nicht die Angst, die für eine solche Situation normal gewesen wäre – er nahm es gelassen hin, ohne zu wissen, woher er diese innere Ausgeglichenheit nahm. War es dieser Ort an sich? betäubte diese Monotonie des Raumes mittlerweile schon sein Denken?
So ein quatsch, ich bin völlig normal im Kopf, sagte er laut, nur um eine Stimme zu hören. Sollte ihm der Hunger nicht das Leben kosten, würde er womöglich verrückt werden und sich einfach von einem der zahlreichen Treppen und Stegen ins scheinbare Nichts fallen lassen?
Er konnte es unmöglich sagen, doch wurden all diese Überlegungen auch von einer neu hinzugekommenen Empfindung verdrängt: Das Bedürfnis nach Abluft, welches auch eine Art von Hunger war, jedoch nicht auf physischer Ebene, sondern, und das war in gewisser Weise viel quälender, in seinem Kopf. Die Gewissheit, nur wenige Dutzend Stufen von einem Abluftrohr entfernt zu sein, gab ihm neue Kraft.
Zögerlich ging er wieder auf das Podest zurück und steuerte auf die schmale Treppe zu. Bei diesem Anblick musste er einmal wieder den Kopf schütteln. Das ist doch unmöglich, sagte er laut und erschrak sogleich, denn seine Stimme hört sich in diesem endlos großen Raum unsagbar schwach und brüchig an. Mit einem Mal überkam ihn das Gefühl, er befände sich in einem Traum, während sein Körper völlig von der Realität entkoppelt reglos da lag – vielleicht noch in der Ecke, wo er zusammengebrochen war, vor vielen, vielen Jahren. Er war nichts weiter als eine Puppe Gottes, ein Spielzeug, weggeworfen und vergessen.
Kurz schloss er die Augen und nahm allen Mut zusammen, um dann den Fuß auf die erste Stufe der Treppe zu setzen, die so eigentlich unmöglich existieren konnte. Wie er es schon vorher beobachtet hatte war in der Konstruktion keinerlei Vibration oder Schwankung zu spüren – die Stufe war stabil wie ein Felsen. Immer mehr bekam er den Eindruck, dass die Bauten an diesem Ort keinen statischen Gesetzen gehorchten.
Unweigerliche senkte er den Kopf und sah nach unten – ein Fehler. Sofort begann sein Herz zu rasen und ihm wurde schwindelig. Die Höhe war überwältigend und die schwarz-weißen Kacheln des Bodens nur noch als Graue Suppe zu erkennen, die sein Auge nicht genau auflösen konnte. Dazu kam, dass die Treppe so entsetzlich schmal war… Für einen kurzen Moment schloss er instinktiv die Augen – vor der Schwärze seiner Augenlider leuchtete das Muster des Bodens in pulsierendem Grün auf, als hätte es sich in seine Netzhaut eingebrannt.
Alfred taumelte und wäre beinahe umgekippt, hätte er sich nicht sofort auf die Knie fallen lassen, was ihm schmerzhafte Explosionen in den Knien bescherte, denn sie trafen genau auf die Kante einer Treppenstufe. Sein Atem ging schnell und stoßweiße, während schwarze Punkte vor seinen Augen tanzten.
Nur nicht noch einmal heruntersehen, sagte er zu sich selbst und beschloss, sicherheitshalber noch ein wenig sitzen zu bleiben. Völlig bewegungslos verharrte er auf der Treppe, die er noch nicht besonders weit hinaufgestiegen war. Mit zusammengekniffenen Augen suchte er die Wände des Raumes nach Türen oder Ausgängen ab. Die einzige Öffnung, die er erblicken konnte, war die von hier noch kaum auszumachende Tür, durch die er den Raum betreten hatte. Sie schien ihm unerreichbar fern. Von seiner jetzigen Position konnte er nur das zu ihm näher liegende Ende des Raumes überschauen, das andere war nicht auszumachen. Zu viele Treppen, Plattformen und Stege durchzogen das Sichtfeld.
Ein laut vernehmbares Knurren seines Magens erinnerten ihn daran, dass er womöglich bald ernsthafte Probleme bekommen würde, sollte er nicht irgendetwas Essbares auftreiben können. Und in dieser sterilen, surrealen Umgebung erschien ihm das äußerst unwahrscheinlich. Zu seiner großen Überraschung bereitete ihm diese Tatsache allerdings nicht die Angst, die für eine solche Situation normal gewesen wäre – er nahm es gelassen hin, ohne zu wissen, woher er diese innere Ausgeglichenheit nahm. War es dieser Ort an sich? betäubte diese Monotonie des Raumes mittlerweile schon sein Denken?
So ein quatsch, ich bin völlig normal im Kopf, sagte er laut, nur um eine Stimme zu hören. Sollte ihm der Hunger nicht das Leben kosten, würde er womöglich verrückt werden und sich einfach von einem der zahlreichen Treppen und Stegen ins scheinbare Nichts fallen lassen?
Er konnte es unmöglich sagen, doch wurden all diese Überlegungen auch von einer neu hinzugekommenen Empfindung verdrängt: Das Bedürfnis nach Abluft, welches auch eine Art von Hunger war, jedoch nicht auf physischer Ebene, sondern, und das war in gewisser Weise viel quälender, in seinem Kopf. Die Gewissheit, nur wenige Dutzend Stufen von einem Abluftrohr entfernt zu sein, gab ihm neue Kraft.
Schritt für Schritt tastete er sich voran, in leicht gebückter Haltung, als würde ihm die Nähe zum Boden zusätzliche Sicherheit verleihen. Es dauerte nicht lange, bis er am Rohr ankam. Es war auf Höhe seiner Brust, sodass er sich direkt daran klammern konnte, wie ein Ertrinkender. Der Stahl war kühl und schien zu vibrieren, genau in derselben Frequenz wie der über allem schwebende Brummton, den er mittlerweile gar nicht mehr bewusst wahrnahm.
Er öffnete die kleine Klappe, die sich direkt vor seinem Gesicht befand und sah einen Moment in die Dunkelheit der Röhre. Dann tauchte er, ohne weiter zu zögern, sein Kinn und seine Nase in die Öffnung. Mit heraushängender Zunge und weit aufgerissenem Mund nahm er den ersten Zug.
Es war unbeschreiblich. Unzählige Duftnoten explodierten in seinem Riechorgan und vor seinen Augen begannen wilde Farben zu tanzen. Er war erschrocken, aber konnte sich nicht bewegen – sein Körper schüttelte sich in Krämpfen der Verzückung. Das Rohr stand unter Druck, sodass die Abluft regelrecht in seine Lungen gepumpt wurde, und im Gehirn sofort ihre Wirkung zeigte. In seinem ganzen Leben hatte Alfred noch nie so intensiv empfunden wie in diesem Moment. Seine Nervenenden schienen zu vibrieren und er hatte den Eindruck, mit dem ganzen Körper zu riechen und nicht nur mit der Nase. Der Geruch – wobei dieser Ausdruck für den ihm sich bietenden Sinneseindruck völlig untertrieben war – ließ sich mit nichts vergleichen, was ihm jemals in die Nase gestiegen war. Er ähnelte nichts Bekannten und zugleich jedoch in gewisser Weise allem. Es war, als würde er eine Farbe sehen, die noch nie ein Mensch erblickt hat.
In seinen Ohren brauste es und sein Sichtfeld bestand weiterhin aus einem unbeschreiblichen Farbenbrei, der im Takt einer Melodie zu pulsieren schien, die jetzt plötzlich in seinem Kopf ertönte. Er wusste nicht, ob sie aus dem Rohr kam oder ob es womöglich nur Einbildung war – denn seine Umgebung schien sich aufgelöst zu haben. Er hatte das Gefühl zu schweben und zu fallen, womöglich war er von der schmalen Treppe gestürzt.
Dies alles schoss ihm in Sekundenbruchteilen durch den Kopf, aber ihm kam es vor wie ein Jahrhundert. Es war unmöglich zu sagen, ob er noch zittern und das Rohr umklammernd da stand, mit der Nase im Abluftstrom, oder ob er schon auf dem Schachbrettboden aufgeschlagen war und die psychedelischen Farben, die vor seinem inneren Auge nun immer greller wurden, nichts anderes waren, als der Tod selbst.
Dann, mit einem Schlag, setzte jegliche Sinneswahrnehmung aus und Alfred fiel in eine tiefe Ohnmacht.
Die Schwärze dauerte eine Unendlichkeit.
Schließlich, nach unsagbar langer Zeit, spürte er Licht jenseits seiner geschlossenen Augenlieder. Eine brüske Stimme sagte: „Verabreicht eine Injektion Dihydrocodein in den rechten Schädellappen. Möglicherweise müssen wir den Knochen noch einmal öffnen. Es ist…“
Ohne zu einem Gedanken fähig zu sein, dämmerte er wieder hinweg in das Meer aus Dunkelheit.
Nach einer weiteren, undefinierbar Langen Zeitspanne erwachte er. Mattes Neonlicht drang in seine Augen. Es war irgendwie anders, als das, was ihn aus seiner vorherigen Ohnmacht geweckt hatte. Wie, das vermochte er nicht zu sagen.
Ihm war schwindelig und er konnte nicht bestimmen, ob er stand oder lag. Vor ihm war eine weiße Wand mit langen, gleißend weißen Leuchtstoffröhren. Einen Moment später wurde ihm klar, dass es keine Wand, sondern die Decke war und dass er selbst am Boden lag. Er drehte den Kopf zur Seite.
Nein.. NEIN! Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit schrie Alfred.
Was er erblickte, war nichts anderes als das ewige, schwarzweiße Schachbrettmuster, das für ihn mittlerweile zum Symbol seiner Gefangenschaft in diesen Räumen geworden war. Es füllte Millimetergenau passend einen Gang aus, dessen Ende in beide Richtungen nicht absehbar war, der allerdings zu Alfreds Erleichterung zahlreiche Türen aufwies, von denen Manche sogar offen standen. Dies würde ihm hoffentlich ein Entkommen aus diesem schier endlosen Korridor ermöglichen.
Endlich raffte er sich auf und kam mühsam auf die Beine. Das Schwindelgefühl war noch nicht ganz verschwunden, aber schon wesentlich erträglicher. Überraschenderweise, so bemerkte er jetzt, war der Hunger, den er kurz vor seinem Ablufterlebnis verspürt hatte, völlig verschwunden. Waren das möglicherweise Nachwirkungen seiner Bewusstlosigkeit?
Plötzlich schossen ihm Wortfetzen in den Kopf und unterbrachen den Gedanken:
„….Injektion Dihydrocodein …. Schädellappen. Möglicherweise …. Knochen noch einmal öffnen. Es ist…“
War das wirklich passiert? Wer hatte diese seltsamen, beunruhigenden Sätze gesagt?
Das Abluftrohr und der Rausch, fiel es ihm ein. Was war passiert? Er erinnerte sich daran, das Bewusstsein verloren zu haben, aber demnach müsste er tatsächlich von der Treppe gestürzt und so am unsagbar tiefen Boden aufgeschlagen sein.
Immer mehr drängte sich ihm de Gedanken auf, dass all dies möglicherweise nicht real sein könnte und er in Wirklichkeit entweder wirklich tot, im Koma befindlich oder sogar geisteskrank sein könnte. Dunkel erinnerte er sich an den Beginn dieses mittlerweile schon so lange andauernden Malheurs. Wie er da vor den Türen des Kaufhauses gestanden hatte… Das war definitiv real gewesen. Ebenso das Herumirren in den Kaufhausgängen, welches darauf folgte.
Aber es war sinnlos, so sagte er sich, darüber weiter nachzudenken. Es war ausgeschlossen, dass es aus diesem Komplex keinen Ausweg gab. So unglaublich das alles auch war – irgendjemand musste all dies geplant und gebaut haben. Also musste es auch eine Möglichkeit geben, zu entkommen. Diese Überlegungen führten auf die Frage, wer der Verantwortliche war. Ein Regierungsprojekt? Eine Geheimgesellschaft? Möglicherweise außerirdische Lebensformen? In der Regel konnte Alfred solchen Verschwörungstheorien nichts abgewinnen. Da fiel ihm dunkel ein, wie er in dem Lagerraum diese Akte in der Hand gehalten hatte… Dort war von einem „Vril-Projekt“ die Rede gewesen, aber er hatte keine Zeit gehabt, weiter darüber nachzudenken, als plötzlich die Glühbirne ausgefallen war. Jetzt aber, wo er in Ruhe seine Erinnerungen durchforstete, war er sich sicher, diesen Begriff schon irgendwo einmal gehört zu haben. Es hatte etwas mit dem dritten Reich zu tun und geheimen Technologien.
Ihm wurde bewusst, dass er nun schon viele Minuten bewegungslos in dem Gang stand. Er ermahnte sich, endlich weiterzugehen, denn der Plan war nach wie vor klar: Dem Brummen folgen, welches mittlerweile so laut war, dass es nicht mehr aus dem Bewusstsein zu verdrängen war. Also hatte er sich dem Ort, von dem es ausging, deutlich angenähert und diese Tatsache trieb ihn nun mehr an als bisher. Angestrengt hörte er sich um, um zu entscheiden, ob er den Gang lieber nach rechts oder nach links weiter gehen sollte. Das Brummen schien aus beiden Richtungen gleich laut, jedoch gab es in der Gangrichtung zu seiner rechten mehr Türen, die er zu öffnen versuchen konnte, also entschied er sich für diese Möglichkeit. Seine Absätze klackten leise und gedämpft auf dem Schachbrettboden, dessen Weiß so makellos rein- und dessen Schwarz so abgrundtief war wie die Zeit selbst.
Alfred zuckte zusammen und lauschte erneut. Da war etwas!
Schwach und gedämpft, wie durch eine Wand hindurch, aber dennoch vernehmbar hatte in seiner Nähe eine Melodie eingesetzt, gespielt auf einem Klavier. Sofort wusste er, wann und wo er sie schon einmal gehört hatte: In seinem Abluftrausch. Sie war ungemein faszinierend und kaum zu beschreiben. Das sich ständig in veränderter Form wiederholende Motiv berührte sein Innerstes, was erschreckend und schön zugleich war. Wie angewurzelt blieb er stehen, jedoch nur für einen Moment.
Dann preschte er durch eine angelehnte Tür zu seiner Linken, denn aus dieser Richtung vernahm der die Klaviermusik.
Schließlich verhielt es sich so: Wenn hier eine Melodie erklang, musste es jemanden geben, der sie spielte, und ganz egal, wer das war, vermutlich würde er ihm sagen können, wie er hier raus kam.
Der Raum, in dem er sich nun befand, war zu seiner Überraschung mit Bücherregalen ausgekleidet. Lediglich auf der gegenüberliegenden Seite war in der Wand eine freie Stelle und in ihr lag glücklicherweise eine Tür. Sie unterschied sich deutlich von den gesichtslosen, restlichen Türen, da sie aus massivem Eichenholz war. Im Sprinttempo rannte Walter auf die zu, da er mit fast absoluter Sicherheit hinter ihr die Quelle des Klavierspiels vermutete.
Er stieß sie auf und fand sich in einem weiteren, ähnlich großen Raum.
Und tatsächlich – in seiner Mitte stand ein schwarzer Flügel, mit einem kleinen Hocker auf dem ein zierlicher Mann saß. Er hörte auf zu spielen und sah Alfred an. Sein Gesicht trug markante Züge: Eine niedrige, faltige Stirn, starke Augenbrauen, hinterlistige, grüne Augen und eine Hakennase. Das Alter war nicht klar zu bestimmen. Seine schmächtige Erscheinung war in einen schwarzen Frack gekleidet, sodass sich Alfred an einen Butler erinnert fühle.
Er war nicht in der Lage, etwas zu sagen und so ergriff der Mann das Wort.
Seine Stimme war überraschend sanft. „Haben Sie mich also endlich gefunden. Die anderen waren deutlich zielstrebiger. Nunja, das soll kein Vorwurf sein. Schließlich haben Sie sich im Treppenraum nicht für den Suizid entschieden wie Ihr Vorgänger.“
„Wer sind Sie?“ Endlich hatte Alfred seine Stimme wieder gefunden.
„Das tut nichts zur Sache. Der einzige Zweck meiner Anwesenheit, ist es, Ihnen einen Hinweis zu geben. Nur einen. Nicht mehr und nicht weniger. Merken Sie sich meine Worte.“ Der kärgliche Mann beugte sich auf seinem Klavierhocker nach vorne und sah Alfred mit stechendem Blick an. Dann sprach er mit eindringlicher Stimme:
„Finden sie den Autoklav.“
Mit einem Mal platze alles aus Alfred heraus. „WER SIND SIE?! WAS IST DAS HIER! LASSEN SIE MICH RAUS!!“, schrie er aus vollem Halse und begann, auf den Mann zu zu rennen. Dieser sprang geschickt von seinem Hocker auf, wuselte flink zu einer kleinen Tür direkt hinter dem Klavier, öffnete sie und war verschwunden. Alfred trat den Klavierhocker beiseite, sodass er gegen den Flügel prallte, was in einem dissonanten Dröhnen resultierte. Er hörte es nicht. Mit vollem Gewicht prallte er gegen die unscheinbare, weiße Tür, durch die der seltsame Mann das Zimmer verlassen hatte. Er rüttelte an der Klinke, aber sie war verschlossen. Wut kochte in ihm hoch. So leicht würde er es ihm nicht machen!
Er ergriff den Klavierhocker, der aus massivem, Holz zu bestehen schien und schlug auf die weiße Türe ein, wieder und wieder. Mit einem hässlichen Knirschen bekam sie einen schmalen Riss, als einer ihrer Balken splitterte. Also war sie doch wesentlich weniger stabil, als ihr Aussehen vorgab. Ein weiteres Brett splitterte und Alfred ermahnte seine unermüdlichen Arme, den Hocker abzusetzen. Beruhige dich, sagte er sich.
Er griff durch das selbst geschaffene Loch in der Tür, das gerade Breit genug für seinen Arm war und tastete nach der Klinke auf der anderen Seite.
Er öffnete die kleine Klappe, die sich direkt vor seinem Gesicht befand und sah einen Moment in die Dunkelheit der Röhre. Dann tauchte er, ohne weiter zu zögern, sein Kinn und seine Nase in die Öffnung. Mit heraushängender Zunge und weit aufgerissenem Mund nahm er den ersten Zug.
Es war unbeschreiblich. Unzählige Duftnoten explodierten in seinem Riechorgan und vor seinen Augen begannen wilde Farben zu tanzen. Er war erschrocken, aber konnte sich nicht bewegen – sein Körper schüttelte sich in Krämpfen der Verzückung. Das Rohr stand unter Druck, sodass die Abluft regelrecht in seine Lungen gepumpt wurde, und im Gehirn sofort ihre Wirkung zeigte. In seinem ganzen Leben hatte Alfred noch nie so intensiv empfunden wie in diesem Moment. Seine Nervenenden schienen zu vibrieren und er hatte den Eindruck, mit dem ganzen Körper zu riechen und nicht nur mit der Nase. Der Geruch – wobei dieser Ausdruck für den ihm sich bietenden Sinneseindruck völlig untertrieben war – ließ sich mit nichts vergleichen, was ihm jemals in die Nase gestiegen war. Er ähnelte nichts Bekannten und zugleich jedoch in gewisser Weise allem. Es war, als würde er eine Farbe sehen, die noch nie ein Mensch erblickt hat.
In seinen Ohren brauste es und sein Sichtfeld bestand weiterhin aus einem unbeschreiblichen Farbenbrei, der im Takt einer Melodie zu pulsieren schien, die jetzt plötzlich in seinem Kopf ertönte. Er wusste nicht, ob sie aus dem Rohr kam oder ob es womöglich nur Einbildung war – denn seine Umgebung schien sich aufgelöst zu haben. Er hatte das Gefühl zu schweben und zu fallen, womöglich war er von der schmalen Treppe gestürzt.
Dies alles schoss ihm in Sekundenbruchteilen durch den Kopf, aber ihm kam es vor wie ein Jahrhundert. Es war unmöglich zu sagen, ob er noch zittern und das Rohr umklammernd da stand, mit der Nase im Abluftstrom, oder ob er schon auf dem Schachbrettboden aufgeschlagen war und die psychedelischen Farben, die vor seinem inneren Auge nun immer greller wurden, nichts anderes waren, als der Tod selbst.
Dann, mit einem Schlag, setzte jegliche Sinneswahrnehmung aus und Alfred fiel in eine tiefe Ohnmacht.
Die Schwärze dauerte eine Unendlichkeit.
Schließlich, nach unsagbar langer Zeit, spürte er Licht jenseits seiner geschlossenen Augenlieder. Eine brüske Stimme sagte: „Verabreicht eine Injektion Dihydrocodein in den rechten Schädellappen. Möglicherweise müssen wir den Knochen noch einmal öffnen. Es ist…“
Ohne zu einem Gedanken fähig zu sein, dämmerte er wieder hinweg in das Meer aus Dunkelheit.
Nach einer weiteren, undefinierbar Langen Zeitspanne erwachte er. Mattes Neonlicht drang in seine Augen. Es war irgendwie anders, als das, was ihn aus seiner vorherigen Ohnmacht geweckt hatte. Wie, das vermochte er nicht zu sagen.
Ihm war schwindelig und er konnte nicht bestimmen, ob er stand oder lag. Vor ihm war eine weiße Wand mit langen, gleißend weißen Leuchtstoffröhren. Einen Moment später wurde ihm klar, dass es keine Wand, sondern die Decke war und dass er selbst am Boden lag. Er drehte den Kopf zur Seite.
Nein.. NEIN! Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit schrie Alfred.
Was er erblickte, war nichts anderes als das ewige, schwarzweiße Schachbrettmuster, das für ihn mittlerweile zum Symbol seiner Gefangenschaft in diesen Räumen geworden war. Es füllte Millimetergenau passend einen Gang aus, dessen Ende in beide Richtungen nicht absehbar war, der allerdings zu Alfreds Erleichterung zahlreiche Türen aufwies, von denen Manche sogar offen standen. Dies würde ihm hoffentlich ein Entkommen aus diesem schier endlosen Korridor ermöglichen.
Endlich raffte er sich auf und kam mühsam auf die Beine. Das Schwindelgefühl war noch nicht ganz verschwunden, aber schon wesentlich erträglicher. Überraschenderweise, so bemerkte er jetzt, war der Hunger, den er kurz vor seinem Ablufterlebnis verspürt hatte, völlig verschwunden. Waren das möglicherweise Nachwirkungen seiner Bewusstlosigkeit?
Plötzlich schossen ihm Wortfetzen in den Kopf und unterbrachen den Gedanken:
„….Injektion Dihydrocodein …. Schädellappen. Möglicherweise …. Knochen noch einmal öffnen. Es ist…“
War das wirklich passiert? Wer hatte diese seltsamen, beunruhigenden Sätze gesagt?
Das Abluftrohr und der Rausch, fiel es ihm ein. Was war passiert? Er erinnerte sich daran, das Bewusstsein verloren zu haben, aber demnach müsste er tatsächlich von der Treppe gestürzt und so am unsagbar tiefen Boden aufgeschlagen sein.
Immer mehr drängte sich ihm de Gedanken auf, dass all dies möglicherweise nicht real sein könnte und er in Wirklichkeit entweder wirklich tot, im Koma befindlich oder sogar geisteskrank sein könnte. Dunkel erinnerte er sich an den Beginn dieses mittlerweile schon so lange andauernden Malheurs. Wie er da vor den Türen des Kaufhauses gestanden hatte… Das war definitiv real gewesen. Ebenso das Herumirren in den Kaufhausgängen, welches darauf folgte.
Aber es war sinnlos, so sagte er sich, darüber weiter nachzudenken. Es war ausgeschlossen, dass es aus diesem Komplex keinen Ausweg gab. So unglaublich das alles auch war – irgendjemand musste all dies geplant und gebaut haben. Also musste es auch eine Möglichkeit geben, zu entkommen. Diese Überlegungen führten auf die Frage, wer der Verantwortliche war. Ein Regierungsprojekt? Eine Geheimgesellschaft? Möglicherweise außerirdische Lebensformen? In der Regel konnte Alfred solchen Verschwörungstheorien nichts abgewinnen. Da fiel ihm dunkel ein, wie er in dem Lagerraum diese Akte in der Hand gehalten hatte… Dort war von einem „Vril-Projekt“ die Rede gewesen, aber er hatte keine Zeit gehabt, weiter darüber nachzudenken, als plötzlich die Glühbirne ausgefallen war. Jetzt aber, wo er in Ruhe seine Erinnerungen durchforstete, war er sich sicher, diesen Begriff schon irgendwo einmal gehört zu haben. Es hatte etwas mit dem dritten Reich zu tun und geheimen Technologien.
Ihm wurde bewusst, dass er nun schon viele Minuten bewegungslos in dem Gang stand. Er ermahnte sich, endlich weiterzugehen, denn der Plan war nach wie vor klar: Dem Brummen folgen, welches mittlerweile so laut war, dass es nicht mehr aus dem Bewusstsein zu verdrängen war. Also hatte er sich dem Ort, von dem es ausging, deutlich angenähert und diese Tatsache trieb ihn nun mehr an als bisher. Angestrengt hörte er sich um, um zu entscheiden, ob er den Gang lieber nach rechts oder nach links weiter gehen sollte. Das Brummen schien aus beiden Richtungen gleich laut, jedoch gab es in der Gangrichtung zu seiner rechten mehr Türen, die er zu öffnen versuchen konnte, also entschied er sich für diese Möglichkeit. Seine Absätze klackten leise und gedämpft auf dem Schachbrettboden, dessen Weiß so makellos rein- und dessen Schwarz so abgrundtief war wie die Zeit selbst.
Alfred zuckte zusammen und lauschte erneut. Da war etwas!
Schwach und gedämpft, wie durch eine Wand hindurch, aber dennoch vernehmbar hatte in seiner Nähe eine Melodie eingesetzt, gespielt auf einem Klavier. Sofort wusste er, wann und wo er sie schon einmal gehört hatte: In seinem Abluftrausch. Sie war ungemein faszinierend und kaum zu beschreiben. Das sich ständig in veränderter Form wiederholende Motiv berührte sein Innerstes, was erschreckend und schön zugleich war. Wie angewurzelt blieb er stehen, jedoch nur für einen Moment.
Dann preschte er durch eine angelehnte Tür zu seiner Linken, denn aus dieser Richtung vernahm der die Klaviermusik.
Schließlich verhielt es sich so: Wenn hier eine Melodie erklang, musste es jemanden geben, der sie spielte, und ganz egal, wer das war, vermutlich würde er ihm sagen können, wie er hier raus kam.
Der Raum, in dem er sich nun befand, war zu seiner Überraschung mit Bücherregalen ausgekleidet. Lediglich auf der gegenüberliegenden Seite war in der Wand eine freie Stelle und in ihr lag glücklicherweise eine Tür. Sie unterschied sich deutlich von den gesichtslosen, restlichen Türen, da sie aus massivem Eichenholz war. Im Sprinttempo rannte Walter auf die zu, da er mit fast absoluter Sicherheit hinter ihr die Quelle des Klavierspiels vermutete.
Er stieß sie auf und fand sich in einem weiteren, ähnlich großen Raum.
Und tatsächlich – in seiner Mitte stand ein schwarzer Flügel, mit einem kleinen Hocker auf dem ein zierlicher Mann saß. Er hörte auf zu spielen und sah Alfred an. Sein Gesicht trug markante Züge: Eine niedrige, faltige Stirn, starke Augenbrauen, hinterlistige, grüne Augen und eine Hakennase. Das Alter war nicht klar zu bestimmen. Seine schmächtige Erscheinung war in einen schwarzen Frack gekleidet, sodass sich Alfred an einen Butler erinnert fühle.
Er war nicht in der Lage, etwas zu sagen und so ergriff der Mann das Wort.
Seine Stimme war überraschend sanft. „Haben Sie mich also endlich gefunden. Die anderen waren deutlich zielstrebiger. Nunja, das soll kein Vorwurf sein. Schließlich haben Sie sich im Treppenraum nicht für den Suizid entschieden wie Ihr Vorgänger.“
„Wer sind Sie?“ Endlich hatte Alfred seine Stimme wieder gefunden.
„Das tut nichts zur Sache. Der einzige Zweck meiner Anwesenheit, ist es, Ihnen einen Hinweis zu geben. Nur einen. Nicht mehr und nicht weniger. Merken Sie sich meine Worte.“ Der kärgliche Mann beugte sich auf seinem Klavierhocker nach vorne und sah Alfred mit stechendem Blick an. Dann sprach er mit eindringlicher Stimme:
„Finden sie den Autoklav.“
Mit einem Mal platze alles aus Alfred heraus. „WER SIND SIE?! WAS IST DAS HIER! LASSEN SIE MICH RAUS!!“, schrie er aus vollem Halse und begann, auf den Mann zu zu rennen. Dieser sprang geschickt von seinem Hocker auf, wuselte flink zu einer kleinen Tür direkt hinter dem Klavier, öffnete sie und war verschwunden. Alfred trat den Klavierhocker beiseite, sodass er gegen den Flügel prallte, was in einem dissonanten Dröhnen resultierte. Er hörte es nicht. Mit vollem Gewicht prallte er gegen die unscheinbare, weiße Tür, durch die der seltsame Mann das Zimmer verlassen hatte. Er rüttelte an der Klinke, aber sie war verschlossen. Wut kochte in ihm hoch. So leicht würde er es ihm nicht machen!
Er ergriff den Klavierhocker, der aus massivem, Holz zu bestehen schien und schlug auf die weiße Türe ein, wieder und wieder. Mit einem hässlichen Knirschen bekam sie einen schmalen Riss, als einer ihrer Balken splitterte. Also war sie doch wesentlich weniger stabil, als ihr Aussehen vorgab. Ein weiteres Brett splitterte und Alfred ermahnte seine unermüdlichen Arme, den Hocker abzusetzen. Beruhige dich, sagte er sich.
Er griff durch das selbst geschaffene Loch in der Tür, das gerade Breit genug für seinen Arm war und tastete nach der Klinke auf der anderen Seite.
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