Die Heldentat des Jens Littmann (Bücher / Autoren-Treffpunkt)

Die Heldentat des Jens Littmann (Bücher / Autoren-Treffpunkt)

Ich dachte, nach langer Zeit stelle ich auch mal wieder was hier rein.
Das hier ist der Anfang einer Kurzgeschichte in Novellenform, genauergesagt in der Form des griechischen Theaters (also ein Fünfteiler).

Ich poste zuerst den ersten Abschnitt, sollte Interesse bestehen, folgen die anderen^^.

Einführung

Die Pistole SP 2022 des Herstellers Sauer und Sohn verschießt Kugeln des Kalibers 9mm und ist mattschwarz lackiert.
Ihr Lauf ist genau 98 Millimeter lang und mit eingelegtem Magazin wiegt sie exakt 808 Gramm.
Sie fasst bis zu fünfzehn Kugeln, von denen ein Schuss noch auf 800 Meter Entfernung tötet.

Natürlich würde Kerner niemanden umbringen.
Das war nicht sein Metiér und überhaupt gab es Leute, die so etwas für Geld taten.
Es lag ihm fern, irgendjemandem die Arbeit wegzunehmen.
Trotzdem genoss er es, mit dem Gedanken zu spielen.
Ein lautes Knallen, das leise „Kling“ mit dem der Schlitten der Waffe zurückschlug und eine leere, rauchende Hülse ausspie; vielleicht ein Schrei.
Dann Stille, das dumpfe Geräusch, mit dem ein Körper auf kalten Steinboden aufschlug.
Vielleicht ein Klirren, weil eine Brille zerbrach und dann- der köstliche, unvergleichlich friedliche Ausdruck auf dem Gesicht des Toten.
Indem er den Kopf schüttelte, riss sich Kerner aus seinen Gedanken, erlaubte es sich, noch einen Moment das kühle Gewicht der Waffe in seiner Rechten zu spüren, bevor er sie wegsteckte.
Später einmal, vielleicht.
Später, wenn er nichts mehr, oder nur noch wenig zu verlieren hatte.
Später.
Die Beleuchtung in seinem Wagen war schon lange erloschen, seine Amaturen in das kalte Zwielicht der Neons getaucht, die die das Innere der Tankstelle mit ihrem unpersönlichen Schein erfüllten.
Kerner hatte einige Meter entfernt geparkt, den Motor ausgestellt, und sich in seinem Sitz zurücksinken lassen.
Einige Momente hatte er gezweifelt, nur um sich dann klar zu werden, dass er des Zweifelns wegen gekommen war.
Der Spannung wegen.
Weil ihm langweilig war.
Nun öffnete er die Tür, stieg aus dem Wagen und genoss für einige Sekunden die laute Stille der Sommernacht.
Er sah auf die Uhr, stellte zufrieden seine Pünktlichkeit fest.
Vielleicht ging er heute Nacht zu weit.
Vielleicht würde er morgen aufwachen, und wissen, dass es sich gelohnt hatte.
Kerner betrat die Tankstelle.
Ja, doch, ich hab es erst jetzt entdeckt, aber besser spät als nie, haha, Schenkelklopfereien, muss sagen, ist doch was, wär schön wenns weiter gehen würde, weil so kann ich echt nichts Konstruktives sagen, ausser vielleicht, dass es cool und die Charakterisierung bisher mehr oder weniger einwandfrei ist, oder dass ich manche Sätze nicht so geschrieben hätte, aber alles in allem ist an dem nichts, ich meine rein gar nichts, auszusetzen, also, wo bleibt der Rest?
Also ich find das wirklich gut gelungen, Kerners innensicht ist super, macht Lust auf mehr. Deswegen: Wo bleibt der Rest?
Hübsche Idee, schöner Anfang, leider zu spät entdeckt...

Ich hoffe, dass Du dir Deinen Thread noch einmal anschauen wirst und vielleicht die alten Unterlagen wiederfindest und diese hier hereinstellst.
Von der Thematik auch sehr gelungen. Der Anfang hinterlässt fragwürdige Vermutungen beim Leser und es wird Spannung erzeugt.

Unglücklich ist allerdings die Wahl einiger Abstände gewählt.
>>>Vielleicht ein Klirren, weil eine Brille zerbrach und dann- der köstliche, unvergleichlich friedliche Ausdruck auf dem Gesicht des Toten.
Indem er den Kopf schüttelte, riss sich Kerner aus seinen Gedanken, erlaubte es sich, noch einen Moment das kühle Gewicht der Waffe in seiner Rechten zu spüren, bevor er sie wegsteckte.
Später einmal, vielleicht.
Später, wenn er nichts mehr, oder nur noch wenig zu verlieren hatte.
Später.<<<
Du machst du viele Zeillensprünge und belässt es überwiegend bei kurzen Sätzen, die die Gefühle des anscheinenden Protagonisten beschreiben sollen.

Bitte lesen und mehr veröffentlichen^^


MfG Abi
@ Ability

Bisher besteht die Stilistik aus nichts mehr als diesem an Jugend ohne Gott erinnernden "Telegramm"-Stil, der ja vorallem deshalb so prägend ist, weil die Sätze so einfach und kurz sind. Die Zeilensprünge sind der Ästhetik und der Lesebequemlichkeit wegen bei solchen Satzfragmenten doch auch angebracht.
Könntest du deshalb noch einmal erläutern, was du mit der "unglücklichen Wahl von Abständen" genau gemeint hast?
Wenn man damit argumentiert, dass die Zeilensprünge (welche in meinem Bericht als "Abstände" bezeichnet wurden) der Lesebequemlichkeit dienen sollen sind sie doch in Ordnung.
Es wirkt allerdings sehr "abgehackt", verstehst Du was ich meine? Der Leser liest das und ist gewissermasen gezwungen es langsam und genießerisch zu lesen. Ein Stil der, wie du gesagt hast, wahrscheinlich absichtlich gewählt wurde.
Wenn das geplant ist der Effekt erzielt werden soll, dass sich der Leser die Details bsser merken kann ist es annehmbar. Es wirkte für mich bei'm ersten Lesen ein bisschen schleppend aber wenn diese Wirkung erzeugt werden sollte habe ich nichts daran auszuetzten.


MfG Abi
Wow tatsächlich hat jemand diesen Thread hier ausgegraben^^
Vielen Dank auf jeden Fall dafür, dass sich jemand ernsthaft damit auseinandergesetzt hat.
Was den Stil angeht, der ist tatsächlich aus dem von Ability genannten Grund so gewählt.
Tja, was das mehr veröffentlichen angeht:
Das Ding ist auf der einen Seite fertig, auf der anderen aber auch nicht...
Ich hab eine halbkorrigierte Version, die aber voller Anmerkungen ist, und eine, die einfach vollständig, aber noch unkorrigiert ist.
Naja, genug der Vorrede, ich stell einfach mal das Komplette Teil rein und freue mich auf weitere Kritik und Anregungen:


(Setzt direkt nach dem Ende des obenstehenden Absatzes ein)
Sie arbeitete hier erst zwei Wochen und hasste den Job bereits.
Vierzehn Euro bekam sie in der Stunde, fünf Stunden arbeitete sie in der Nacht, sechs Nächte in der Woche.
Manchmal saß sie die ganze Schicht lang nur da, im Hinterzimmer, und beobachtete die grünstichigen Bilder, die über die Monitore der Überwachungsanlage flimmerten.
Dann trank sie faden Kaffee und las Boulevard-Magazine, die in den Regalen an der Fensterfront auslagen.
Zum anderen gab es Nächte, in denen sie kaum fünf Minuten Ruhe fand.
Es kamen fragwürdige Gestalten, die um drei Uhr früh ein Pornoheft kauften, übernächtigte Fernfahrer, die kaum noch in der Lage waren, ihr Kleingeld zusammenzuzählen und nicht zuletzt genervte Familienväter, jenen gehetzten Ausdruck im Gesicht, den nur Eltern zu Stande bringen konnten, ohne, dass es gekünstelt wirkte.
Heute handelte es sich wohl um eine Nacht des Typs 1, wie sie die stillen, einsamen Schichten getauft hatte.
Allein die Idee, den verschiedenen Möglichkeiten Bezeichnungen zu geben, war nichts als eine weitere Ausgeburt ihrer Langeweile.
Weißes Licht strahlte durch die nur einen Spalt weit geöffnete Tür in das Hinterzimmer, zeichnete eine farbige Linie von ihrem rechten Knie quer über ihren sitzenden Körper bis zu ihrer Schulter.
Ihr Gesicht glomm grün im Schein der Überwachungsmonitore, den Mund ausdruckslos geschlossen, während ihre Augen in einem müden Tunnelblick erstarrt die Ereignislosigkeit im Hauptraum der Tankstelle verfolgten.
Mit einem resignierten Seufzer lehnte sie sich zurück, streckte sich und versuchte vergebens, die Konturen der Kamerabilder aus ihren Augen zu blinzeln.
Sie schüttelte den rechten Arm und blickte auf die nun bis an ihr Handgelenk gerutschte Digitaluhr.
Erst halb drei.
Anderthalb verfluchte Stunden noch, bis sie endlich nach Hause fahren und schlafen konnte.
In Gedanken versunken bemerkte sie aus dem Augenwinkel, wie sich auf dem oberen rechten Überwachungsmonitor die Türen der Tankstelle öffneten und ein Mann in einer leichten Sommejacke und Jeans zielstrebig in Richtung Theke schritt.
Sie mochte es -fast hätte man behaupten können, es wäre ihr einziges Vergnügen- wenigstens eine halbe Minute lang so zu tun, als wäre sie nicht da und die Kunden zu beobachten.
Wie sie sich im Laden umsahen.
Wie sie sich unbeobachtet wähnten und vielleicht etwas stahlen.
Wie sie Zeitschriften, vielleicht ein paar kleine Geschenke für die auf sie Wartenden zusammensuchten, um dann gemächlich zur Kasse zu schlendern und plötzlich lautstark ihr Recht einzufordern, bedient zu werden.
Dieser Mann jedoch lehnte bereits wenige Sekunden nach seiner Ankunft beinahe lässig an der Theke und begann , die Etiketten der an der Kasse aufgestellten Süßigkeiten zu lesen.
Plötzlich und nach ziemlich genau einer Minute, blickte er auf- und mit einem provozierend gelassenen Lächeln genau in die Sicherheitskamera.

Erschrocken fuhr sie zusammen, wartete dann einen Moment, um ihren Herzschlag wieder zur Ruhe kommen zu lassen und zu beobachten, wie der Fremde einen Schokoriegel aus einer der aufgestellten Verpackungen zog und diesen dann auf die Theke legte.
Sie straffte sich, riss sich von dem Bildschirm los und öffnete entschlossen die Tür zum Hauptraum.
Einige Sekunden musste sie stehen bleiben, damit ihre Augen sich an das grelle Licht gewöhnen konnten, dann gelangte sie mit wenigen Schritten zur Theke.
“Nabend.” sagte der Mann und nickte freundlich.
Seine Stimme war rauh und tief.
Er selbst war durchschnittlich groß, hatte markante, sympatische Gesichtszüge und trug unter der Jacke ein schwarzes T-Shirt, das ihn breitschultrig erscheinen ließ.
Wäre es nicht halb drei gewesen und sie nicht todmüde, hätte sie ihn wohl attraktiv gefunden.
Im Moment jedoch war er nur ein weiterer Kunde und sie wollte endlich nach Hause.
“Wie heißen Sie?” fragte er mit scheinbar ehrlichem Interesse, die Hände auf der Theke übereinandergelegt.
Wortlos deutete sie auf ein Namensschild mit rotem Hintergrund, das sie an ihrem T-Shirt befestigt hatte, während sie den Schokoriegel einscannte. Die Kasse öffnete sich mit einem lauten Klingeln und schnellte einige Zentimeter nach vorn.
“Natalie Schuster..” sagte er, als würde er über den Namen nachdenken.
Dann, plötzlich, hielt er ihr die Hand zum Gruß hin.
Vollkommen überrascht und mehr aus einem Reflex heraus schüttelte sie sie.
“Dies ist ein Überfall.” sagte der Mann ruhig und sachlich, als würde er über das Wetter reden.
“Die Kasse können sie offenlassen.”
Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus, während ihr Gehirn versuchte, sich selbst zu versichern, dass sie müde war und halluzinierte oder der Fremde sich lediglich einen Scherz erlaubte.
“Haben sie eine Waffe?” fragte sie, sich in einer Art Trance befindend und mehr ausdruckslos als ungläubig in das Gesicht des Fremden starrend.
“Aber selbstverständlich.” erwiderte dieser freundlich.
“Und die Kameras?” fragte sie, gedanklich eine Liste mit Dingen abklappernd, die man ihr zu Antritt ihres Jobs einige Minuten lang vorgebetet hatte.
Der Mann lächelte.
In einem Anflug von Entsetzen stellte sie fest, dass sie am Ende ihrer Optionen angelangt war und wog ihre Chancen ab.
“Wie viel wollen sie?” fragte sie tonlos.


Littmann atmete aus und erschrak beinahe vor dem lauten Zischen, das die durch seine zusammengepressten Zähne austretende Luft erzeugte.
Erst beim zweiten Versuch gelang es ihm, seinen Kopf so auf das Lenkrad zu schlagen, dass nicht die Gefahr bestand, sich die Nase zu brechen.
Jetzt dröhnte sein Schädel und seine Stirn fühlte sich an, als habe sie jemand mit etwas scharfem aufgeschnitten.
Wenigstens blutete er nicht.
Einige Sekunden lang versuchte er, positiv zu denken.
Es half ihm nicht, also gab er es auf.
Während er dasaß, den schmerzenden Schädel an die Kopfstütze gelehnt, verpuffte sein Ärger schneller, als ihm lieb war.
Er wich einer Erschöpftheit, einer plötzlichen, bleiernen Müdigkeit, wie er sie nur allzugut kannte.

Einige Minuten später hatte er getankt und schlug die Fahrertür seine Wagens zu.
Abschließen brauchte er nicht, niemand würde dieses Auto stehlen.
Littmann war ein Freund der Logik.
Logik war kühl, nicht verfälscht durch Gefühle, unbeeinflusst durch irgendwelche Hoffnungen und unumwerflich.
Sie kannte keine Angst, keinen Triumph und ließ sich nicht dazu überreden, ein anderes Ergebnis als das unbestreitbar richtige als solches anzuerkennen.
Logik, dachte er gähnend, während er über den dunklen Parkplatz ging, war wohl das Einzige, was ihn nie betrogen hatte, und ihn nie betrügen würde.
Seine Logik sagte ihm:
Es ist dunkel und es ist Morgens, halb drei. Dein Wagen ist ein alter Toyota Carina; voller Rostflecken und das Radio funktioniert nicht mehr.
Nein, niemand würde dieses Auto stehlen.

Vier Tage lang war durch ganz Deutschland gefahren, um Lesungen zu geben, Bücher zu signieren und vielleicht endlich einen Verleger zu finden.
Dieses Buch, dieses Teufelsding, hatte ihn fünf Jahre seines Lebens, sein gesamtes Geld und das seiner Frau, und schließlich auch seine Ehe gekostet.
Mit einem Schlag war die Wut wieder da, weißglühender Zorn auf die Ungerechtigkeit des Lebens, den Wohlstand der Anderen.
Wut auf das Glück der Hoffnungslosen, denen es vergönnt war, ein normales Leben zu führen, weil es nichts mehr gab, woran sie sich klammern konnten.
“Semi-Gut”, “Gehobener Durchschnitt”, “Gutes Mittelmaß, mehr aber nicht”!
Dabei hatte er ein verficktes Epos geschrieben, achthundert Seiten über den Hass des Lebens gegen sich selbst, niedergeschrieben mit dem Zorn eines Gottes!
Wenn er einmal tot war, würden sie sich schon noch umdrehen, diese Heuchler, diese überheblichen Hurensöhne! Schrieben für irgendein Drecksblatt, ein überschätztes, und glaubten, sie würden etwas von Literatur verstehen!

Wenn er einmal tot war.
Bis dahin würde noch viel Zeit vergehen.
Und jedes Mal, wenn Littmann seine Situation in Gedanken durchging, erschien sie ihm aussichtsloser noch als in der Minute zuvor.
Wie sollte er 40, vielleicht 50 Jahre rumkriegen?
Alleine mit 200 Ausgaben eines Buches, das niemand lesen wollte, mit weniger als garkeinem Geld auf seinen Konten?
Es gab keine Risikos mehr, die er noch eingehen konnte, keine letzte Möglichkeit, keinen Ausweg.
Er hatte alles aufs Spiel gesetzt -mehr als einmal- und verloren.

Die angenehm warme Luft im Inneren der Tankstelle umfing ihn, während sich die Schiebetüren hinter ihm schlossen. Aus einem Reflex heraus nahm er die Brille von der Nase, um sie kurz anzuhauchen und an seinem Hemd sauberzuwischen.
Dutzende Regale reihten sich vor ihm auf, ordentlich beladen mit überteuerten Snacks, überteuerten Getränken und überteuerten Zeitungen.
Wahllos griff er nach einer Packung Kekse, während er mit müden Schritten zur Kasse ging; er brauchte Zucker.
Ein muskulöser Typ, vielleicht Mitte vierzig stand an der Kasse und flirtete wohl mit der Bedienung.
Das Leben war ein [Beleidigung].
Während er näher kam, fiel ihm der angespannte Ausdruck auf ihrem Gesicht auf und unvermittelt, nur für den Bruchteil einer Sekunde, sah sie ihn an.
Als wollte sie ihn warnen.

Er war jetzt bis auf vielleicht einen Meter an den Typen herangekommen, da sah Littmann die offenstehende Kasse und ihm fiel auf, dass der Mann die Hand der Kassiererin hielt, als hätte er sie gerade erst begrüßt.
Nur, dass sie sich überhaupt nicht bewegten.
Das Mädchen hinter der Theke warf ihm einen weiteren Blick zu, offensichtlicher diesmal, aber ihn schien das nicht zu stören.
Bedächtig drehte er sich um, so, dass er sie und Littmann sehen konnte.
“Guten Abend.” sagte er ruhig, mit tiefer Stimme.
Der Autor nickte ihm nervös zu, ein weiterer Blick zu dem Mädchen.
Natalie Schuster – stand da, auf einem Namensschild.
Weder der Typ, noch sie bewegten sich, während Littmann überlegte.

Was war das für eine Ausbuchtung, da, unter der linken Achsel des Kerls?
Hatte der eine Waffe?
Ach du [Schimpfwort], das auch noch.
Hier würde er nie im Leben rauskommen, wenn er jetzt nicht ruhig blieb.
Okay es gab einen Ausgang... nein, zwei! Da war noch ein Hinterausgang...
Aber der schied aus, bis Littmann da war, wäre er schon längst verwundet oder tot.
Ruhig bleiben.
Oder sollte er den Helden spielen?
Den Mann angreifen, damit das Mädchen davonkam, vielleicht Hilfe holen konnte?
[Schimpfwort] nein, sie waren mitten im Nirgendwo, bis die Polizei da war...
RUHIG BLEIBEN.
Denke logisch.
Der Kerl hat eine Waffe, also kannst du nicht fliehen, und selbst wenn du dich opferst, bringt es nichts.
Und natürlich würde er keine Zeugen zurücklassen wollen, also...
Verfluchte [Schimpfwort], er würde krepieren und er hatte nicht den Hauch einer Chance, das Mädchen zu retten.
Das Leben: 2, Littmann: 0
Vorsichtig wanderte seine Hand in die Hosentasche.



Im Griff des Räubers war Natalies Hand schweißnass geworden, während sie wie gebannt auf den Neuankömmling starrte, der offenbar nach seinem Handy greifen wollte.
Mit großen Augen sah sie zu, wie sich seine Finger in der Tasche bewegten.
Verflucht, dieser schmächtige Kerl würde sie beide umbringen.

Schon seit einer kleinen Ewigkeit, so kam es ihr zumindest vor, standen sie einfach da, einander abschätzend, über Fluchtchancen nachdenkend.
Die Luft roch nach kaltem Schweiß und Natalie konnte sehen, wie es im Gesicht des Räubers arbeitete.
Unweigerlich musste er bemerkt haben, dass der andere Mann versuchte, die Polizei zu rufen.
“Das sollten sie besser lassen.” sagte der Bewaffnete plötzlich.
Er erntete etwas, das wohl ein fragender Blick hatte werden sollen, aber nicht mehr als eine gequälte Grimasse war.
Während der Angesprochene langsam wieder seine Hand aus der Hosentasche zog, rollte eine einzelne Schweißperle seine Wange hinab und schließlich in seinen Hemdkragen.
“Wie ist ihr Name?” fragte der Räuber, der Natalies Hand losgelassen hatte und seine Jacke zurechtzog.
“Jens...Jens Littmann”.
Es entstand eine knisternde Stille und für einen Moment konnte sie die Drohung fast sehen, die unausgesprochen zwischen ihnen in der Luft hing.
Unter Littmanns Achseln hatten sich deutlich sichtbar Schweißkränze gebildet, der Mann stank nach Angst.
Während sie alle vollkommen regungslos verharrten, konnte Natalie das leise Knirschen von Autoreifen hören, die über den Asphalt des Parkplatzes rollten.


Wie in Zeitlupe sah Littmann, wie die Hand des Räubers unter seine Jacke wanderte.
Ein leises Klicken war zu hören, er hatte seine Waffe entsichert; gleich war es vorbei, so oder so.
Die Türen des Verkaufsraums öffneten sich ein weiteres Mal und ein Mann und eine Frau, gekleidet in die Uniform der Polizei traten ein.
Das Gesicht des Autors verzog sich und er musste sich beherrschen, nicht laut loszuschreien.
Wie konnte das sein? Hatte er etwa doch Erfolg gehabt? Nein, die Polizisten waren nur zufällig hier und das verlieh der Situation das Potential, zu einem Blutbad auszuarten.
Der Mann, ein untersetzter Kerl, dessen Hemd über seinem Bauch deutlich spannte, sah sich kurz um und ging dann zu einem der Kühlregale, wo er sich eine Dose Cola nahm.
Seine Kollegin, eine Brünette, vielleicht dreißig, beäugte derweil argwöhnisch die drei regungslosen Gestalten an der Theke.
„Morgen“ grüßte sie schroff, aber lächelnd.
Littmann konnte sehen, wie sich ihre Stirn bei dem Blick auf den Räuber in Falten legte, dessen Hand wahrscheinlich immer noch den Griff seiner Waffe umfasste.
Er wiederum starrte auf die Dienstwaffe der Polizistin, die in einem Halfter an ihrer rechten Hüfte steckte.
Littmann wusste, dass er etwas tun musste.
Früher oder später mussten die Polizisten die richtigen Schlüsse ziehen.
„Wollen sie...“ er musste sich räuspern, seine Kehle war staubtrocken und wie zugeschnürt.
„Wollen sie nicht langsam zahlen?“


Kerner drehte langsam den Kopf und sah ihn an.
Was war das jetzt wieder? Erst wollte der Typ die Bullen rufen und ihm jetzt zur Flucht verhelfen?
In Gedanken wog er seine Chancen ab, es sah nicht gut aus:
Die plötzlich aufgetauchten Polizisten versperrten unbewusst alle Fluchtwege und man hatte ihn auf Video. Sein Wagen war zwar schnell, aber für eine Verfolgungsjagd taugte er wahrscheinlich trotzdem nicht.
Also gut.
Kerner warf der Kassiererin einen abschätzenden Blick zu- wenn sie nicht mitspielte, konnte er es vergessen. Ihre Augen waren immer noch vor Angst geweitet, aber sie hatte sich trotzdem weitaus besser unter Kontrolle als dieser Littmann.
Demonstrativ zog er die Hand aus der Jacke und kramte ein Zweieurostück aus der Hosentasche.
Dieses legte er vorsichtig auf die Theke, während er aus dem Augenwinkel beobachen konnte, wie der bullige Polizist sich mit seiner Cola hinter Littmann anstellte.
Das Mädchen, Natalie, sah kurz zu ihm auf, dann legte es mit leicht zitternder Hand die zwei Euro in die Kasse und schloss die Schublade.
Kerner sah, wie Littmann bei dem Geräusch zusammenzuckte.
“Ist irgendwas?” fragte der Polizist genervt.
Kerner blickte ihn nur an, schüttelte den Kopf und schlenderte auf den Ausgang zu.
“Schönen Tag noch.”

Kühle Morgenluft umfing ihn und plötzlich fiel alle Anspannung von ihm ab.
Schweiß flutete aus seinen Poren und eine Euphorie erfasste ihn, wie er sie noch nie zuvor in seinem Leben gespürt hatte.
Erleichtert atmete Kerner aus und sah auf die Uhr:
Drei Uhr morgens.
Es würde ein guter Tag werden.



Eine Frage noch hinterher:
In einem anderen Forum sagte man mir, ich sollte die Einführung mit den technischen Daten der Waffe weglassen, das wäre öde und deplaziert... ich mochte ihn eigentlich, habe ihn dann schlussendlich aber doch gestrichen.
Was ist eure Meinung dazu?^^
Vielen Dank nochmal,
Rock on.


...Noch eine Anmerkung: Ich war leider gezwungen, den Text stellenweise zu zensieren ([Schimpfwort]), damit ich ihn posten kann. Schätze aber, dass jeder weiß, was an diesen Stellen einzusetzen ist.
Damit die Beschreibung der Waffe wirklich eine Existenzberechtigung hätte, müsste sie wohl in der Geschichte ein stärkeres Gewicht haben. Es müsste also mit einigen Sätzen auf die Waffe selbst und ihre beherrschende Stellung in der Situation eingangen werden.

Weil ich nicht viel fand, kreid ich dir hier zwei Schreibfehler an:

Seine Stimme war rau und tief.
Er selbst war durchschnittlich groß, hatte markante, sympathische Gesichtszüge und trug unter der Jacke ein schwarzes T-Shirt, das ihn breitschultrig erscheinen ließ.



Also zum ersten Teil kann ich nicht viel sagen, die Charakterisierungen der einzelnen Personen machen erst die Komplexität der Geschichte aus, geben der Schlüsselsituation eine nötige Vielschichtigkeit.
Vielleicht müsstest du der Vollständigkeit halber auch noch die Polizisten charakterisieren.

Die Persönlichkeiten find ich eigentlich allesamt ziemlich schöne Gestalten. Was ich etwas seltsam finde, ist Littmans Vorliebe für die Logik, während er 5 Jahre in ein wertloses Buch investiert hat, von dem er alles verloren hatte. Vielleicht ist der Autor nicht das Beste Beispiel eines Rational-Denkendens.(Er hatte alles aufs Spiel gesetzt -mehr als einmal- und verloren.)

Mir persönlich gefällt die Idee der Geschichte, der Ausgangs- und der Endsituation und die verschiedenen Rollen. Allerdings frage ich mich in diesem Moment, was es wohl für eine Wirkung erzielt hätte, wenn du Kerner gar nie charakterisiert hättest. Wäre dann die Ausgangslage nicht noch eine Spur misteriöser, der Räuber der Antagonist, über dessen Charakter man sich im Nachhinein noch Gedanken machen kann. Vielleicht könntest du noch eine Version ohne seine Charakterisierung versuchen.

Ich frag mich etwas, was das mit einer fünfteiligen Tragödie zu tun haben soll, könntest du mir das nochmal erklären?

Das ist wirklich gut, alles in allem eine saubere Kurzgeschichte und der Titel gibt ihr den rechten Sinn, schöne Idee, hübsch umgesetzt, Daumen hoch.
Auf jeden Fall schonmal danke fürs Lesen und sich Gedanken machen^^
Was das ganze mit der Tragödie zu tun hat?
Naja, wir haben in der SChule (Oberstufe) Novellentheorie gemacht und das hier war mehr oder weniger ne Schreibübung dazu.
Wenn man sich etwas (oder auch etwas mehr) Mühe gibt, kann man viele Punkte der Theorie, zumindest von meiner Warte aus, darin wiedererkennen.
Im Endeffekt ist es mir aber auch ziemlich egal, ich finde nur, dass es irgendwie Stil hat, zu behaupten, das Ding wäre eine Novelle^^.
Danke wegen dem Tipp mit Littmann, werde das mal überarbeiten, das ist tatsächlich unlogisch. Muss ihm nur dann einen anderen Charakterzug verpassen.
Ich schätze, ich kann das mit dem "Auto unverschlossen lassen" darauf schieben, dass ihm eh so ziemlich alles egal ist.

Das mit der Story ohne Kerners Blickwinkel werde ich auch probieren.
Danke soweit, freue mich auf weitere Comments, nach so langer Zeit^^.
Rock on.

PS: Ich habe übrigens mittlerweile die überarbeitete Version unter Einbeziehung eurer Verbesserungen fertig. Überhaupt ist da einiges prägnanter und -das glaube ich zumindest- durch die direktere Handlung wird mehr Spannung erzeugt. Je nachdem, wer sich hier noch so alles zu Wort meldet, werde ich sie mal posten.
Daumen hoch.

Das heisst Rock on.

^^

sry, Scherz nicht übel nehmen, zur Geschichte hat Kualquappe eigentlich schon alles gesagt. Allerdings würde mich das mit der Tragödie auch wundern. Irgendwo glaube ich noch was gesehen zu haben, wo man show, don't tell anwenden müsste, aber ich weiss jetzt nicht mehr gerade wo.
Also gut, hier ist die Überarbeitete Version.
Wer noch Nerven hat, sich das mal durchzulesen, bitte sehr.
Übrigens habe ich den Text nach dem Lesen mehrerer Schreibratgeber überarbeitet, deshalb stehen die Chancen nicht schlecht, dass ich die show, dont tell Geschichte darin bereits verbessert habe. Falls nicht, steinigt mich einfach xD.


Die Heldentat des Jens Littmann- Eine Novelle

Natürlich würde Kerner niemanden umbringen.
Das war nicht sein Metiér und überhaupt gab es Leute, die so etwas für Geld taten.
Es lag ihm fern, irgendjemandem die Arbeit wegzunehmen.
Trotzdem genoss er es, mit dem Gedanken zu spielen.
Ein lautes Knallen, das leise „Kling“ wenn der Schlitten der Waffe zurückschlugund eine leere, rauchende Hülse ausspie; vielleicht ein Schrei.
Still fiele der Körper zu Boden- seines Innersten beraubt.
Vielleicht ein Klirren, weil eine Brille zerbrach und dann- der köstliche, unvergleichlich friedliche Ausdruck auf dem Gesicht des Toten.
Indem er den Kopf schüttelte, riss sich Kerner aus seinen Gedanken.
Später einmal, vielleicht.
Die Beleuchtung in seinem Wagen war schon lange erloschen, seine Amaturen in das kalte Zwielicht der Neons getaucht, die das Innere der Tankstelle mit ihrem unpersönlichen Schein erfüllten.
Kerner hatte einige Meter entfernt geparkt, den Motor ausgestellt, und sich zurücksinken lassen.
Zuerst hatte er gezweifelt, nur um sich dann klar zu werden, dass er des Zweifelns wegen gekommen war.
Der Spannung wegen.
Weil ihm langweilig war.
Nun öffnete er die Tür, stieg aus dem Wagen und genoss für einige Sekunden die Stille der Sommernacht.
Kerner sah auf die Uhr, stellte zufrieden seine Pünktlichkeit fest.
Auch er hatte seine Tugenden.


Sie arbeitete hier erst zwei Wochen und hasste den Job bereits.
Vierzehn Euro bekam sie in der Stunde, fünf Stunden arbeitete sie in der Nacht, sechs Nächte in der Woche.
Manchmal saß sie die ganze Schicht lang nur da, im Hinterzimmer, und beobachtete die grünstichigen Bilder, die über die Monitore der Überwachungsanlage flimmerten.
Dann trank sie faden Kaffee und las Boulevard-Magazine, die in den Regalen an der Fensterfront auslagen.
Zum anderen gab es Nächte, in denen sie kaum fünf Minuten Ruhe fand.
Die Leute tankten, als stünde die Aussschöpfung der weltweiten Ölreserven kurz bevor und rüsteten sich für die unausweichliche, letzte Schlacht mit Snacks, Kaffe und nicht zuletzt Pornos.
Heute handelte es sich wohl um eine Nacht des Typs 1, wie sie die stillen, einsamen Schichten getauft hatte.
Allein die Idee, den verschiedenen Möglichkeiten Bezeichnungen zu geben, war nichts als eine weitere Ausgeburt ihrer Langeweile.
Weißes Licht strahlte durch die nur einen Spalt weit geöffnete Tür in das Hinterzimmer, zeichnete eine farbige Linie von ihrem rechten Knie quer über ihren sitzenden Körper bis zu ihrer Schulter.
Ihr Gesicht glomm grün im Schein der Überwachungsmonitore, den Mund ausdruckslos geschlossen, während ihre Augen in einem müden Tunnelblick erstarrt die Ereignislosigkeit im Hauptraum der Tankstelle verfolgten.
Mit einem resignierten Seufzer lehnte sie sich zurück, streckte sich und versuchte vergebens, die Konturen der Kamerabilder aus ihren Augen zu blinzeln.
Sie schüttelte den rechten Arm und blickte auf die nun bis an ihr Handgelenk gerutschte Digitaluhr.
Erst halb drei.
Anderthalb verfluchte Stunden noch, bis sie endlich nach Hause fahren und schlafen konnte.
In Gedanken versunken bemerkte sie aus dem Augenwinkel, wie sich auf dem oberen rechten Überwachungsmonitor die Türen der Tankstelle öffneten und ein Mann in einer leichten Sommejacke und Jeans zielstrebig in Richtung Theke schritt.
Sie mochte es -fast hätte man behaupten können, es wäre ihr einziges Vergnügen- wenigstens eine halbe Minute lang so zu tun, als wäre sie nicht da und die Kunden zu beobachten.
Wie sie sich im Laden umsahen.
Wie sie sich unbeobachtet wähnten und vielleicht etwas stahlen.
Wie sie Zeitschriften, vielleicht ein paar kleine Geschenke für die auf sie Wartenden zusammensuchten, um dann gemächlich zur Kasse zu schlendern und plötzlich lautstark ihr Recht einzufordern, bedient zu werden.
Dieser Mann jedoch lehnte bereits wenige Sekunden nach seiner Ankunft beinahe lässig an der Theke und begann , die Etiketten der an der Kasse aufgestellten Süßigkeiten zu lesen.
Plötzlich und nach ziemlich genau einer Minute, blickte er auf- und mit einem provozierend gelassenen Lächeln genau in die Sicherheitskamera.

Erschrocken fuhr sie zusammen, wartete dann einen Moment, um ihren Herzschlag wieder zur Ruhe kommen zu lassen und zu beobachten, wie der Fremde einen Schokoriegel aus einer der aufgestellten Verpackungen zog und diesen dann auf die Theke legte.
Sie straffte sich, riss sich von dem Bildschirm los und öffnete entschlossen die Tür zum Hauptraum.
Einige Sekunden musste sie stehen bleiben, damit ihre Augen sich an das grelle Licht gewöhnen konnten, dann gelangte sie mit wenigen Schritten zur Theke.
“Nabend.” sagte der Mann und nickte freundlich.
Seine Stimme war rau und tief.
Er selbst war durchschnittlich groß, hatte markante, symphatische Gesichtszüge und trug unter der Jacke ein schwarzes T-Shirt, das ihn breitschultrig erscheinen ließ.
Wäre es nicht halb drei gewesen und sie nicht todmüde, hätte sie ihn wohl attraktiv gefunden.
Im Moment jedoch war er nur ein weiterer Kunde und sie wollte endlich nach Hause.
“Wie heißen Sie?” fragte er mit scheinbar ehrlichem Interesse, die Hände auf der Theke übereinandergelegt.
Wortlos deutete sie auf ein Namensschild mit rotem Hintergrund, das sie an ihrem T-Shirt befestigt hatte, während sie den Schokoriegel einscannte. Die Kasse öffnete sich mit einem lauten Klingeln und schnellte einige Zentimeter nach vorn.
“Natalie Schuster..” sagte er, als würde er über den Namen nachdenken.
Dann, plötzlich, hielt er ihr die Hand zum Gruß hin.
Vollkommen überrascht und mehr aus einem Reflex heraus schüttelte sie sie.
“Dies ist ein Überfall.” sagte der Mann ruhig und sachlich, als würde er über das Wetter reden.
“Die Kasse können sie offenlassen.”
Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus.
Natalies Verstand versicherte ihr unterdessen, dass sich der Fremde lediglich einen Scherz erlaubte.
“Haben sie eine Waffe?” fragte sie, sich in einer Art Trance befindend und mehr ausdruckslos als ungläubig in das Gesicht des Fremden starrend.
“Aber selbstverständlich.” erwiderte dieser freundlich.
Verflucht, da war tatächlich eine Ausbeulung unter seiner Achsel, oder bildete sie sich das bloß ein?
“Und die Kameras?” fragte sie, gedanklich eine Liste mit Dingen abklappernd, die man ihr zu Antritt des Jobs einige Minuten lang vorgebetet hatte.
Der Mann lächelte.
In einem Anflug von Entsetzen stellte sie fest, dass sie am Ende ihrer Optionen angelangt war und wog ihre Chancen ab.
“Wie viel wollen sie?” fragte sie tonlos.


Littmann atmete aus und erschrak beinahe vor dem lauten Zischen, das die durch seine zusammengepressten Zähne austretende Luft erzeugte.
Erst beim zweiten Versuch gelang es ihm, seinen Kopf so auf das Lenkrad zu schlagen, dass nicht die Gefahr bestand, sich die Nase zu brechen.
Wenigstens blutete er nicht.
Einige Sekunden lang versuchte er, positiv zu denken- es half ihm nicht, also gab er es auf.
Während er dasaß, den schmerzenden Schädel an die Kopfstütze gelehnt, verpuffte sein Ärger schneller, als ihm lieb war.
Er wich einer Erschöpftheit, einer plötzlichen, bleiernen Müdigkeit, wie er sie nur allzugut kannte.

Einige Minuten später hatte er getankt und schlug die Fahrertür seines Wagens zu.
Wie immer ließ Littmann ihn unverschlossen, weil er wusste, dass niemand das Auto stehlen würde.
Und selbst wenn jemand vorbeikäme, der bereit war, mitten in der Nacht einen rostfleckigen Toyota Carina zu klauen- es wäre ihm egal gewesen.

Vier Tage lang war Littmann durch ganz Deutschland gefahren, um Lesungen zu geben, Bücher zu signieren und vielleicht endlich einen Verleger zu finden.
Dieses Buch, dieses Teufelsding, hatte ihn fünf Jahre seines Lebens, sein gesamtes Geld und das seiner Frau, und schließlich auch seine Ehe gekostet.
Mit einem Schlag war die Wut wieder da, weißglühender Zorn auf die Ungerechtigkeit des Lebens, den Wohlstand der Anderen.
Wut auf das Glück der Hoffnungslosen, denen es vergönnt war, ein normales Leben zu führen, weil es nichts mehr gab, woran sie sich klammern konnten.
“Semi-Gut”, “Gehobener Durchschnitt”, “Gutes Mittelmaß”!
Dabei hatte er ein Epos geschrieben, mehr als achthundert Seiten über den Hass des Lebens gegen sich selbst, den ewigen menschlichen Drang zur Selbstzerstörung!
Wenn er einmal tot war, würden sie sich schon noch umdrehen, diese Heuchler, diese überheblichen Hurensöhne! Schrieben für irgendein Drecksblatt, ein überschätztes, und...
Wenn er einmal tot war.
Bis dahin würde noch viel Zeit vergehen.
Und jedes Mal, wenn Littmann seine Situation in Gedanken durchging, erschien sie ihm aussichtsloser noch als in der Minute zuvor.
Wie sollte er 40, vielleicht 50 Jahre rumkriegen?
Alleine mit 200 Ausgaben eines Buches, das niemand lesen wollte, mit weniger als garkeinem Geld auf seinen Konten?
Es gab keine Risikos mehr, die er noch eingehen konnte, keine letzte Möglichkeit, keinen Ausweg.
Er hatte alles aufs Spiel gesetzt -mehr als einmal- und verloren.

Die angenehm warme Luft im Inneren der Tankstelle umfing ihn, während sich die Schiebetüren hinter ihm schlossen. Aus einem Reflex heraus nahm er die Brille von der Nase, um sie kurz anzuhauchen und an seinem Hemd sauberzuwischen.
Dutzende Regale reihten sich vor ihm auf, ordentlich beladen mit überteuerten Snacks, überteuerten Getränken und überteuerten Zeitungen.
Wahllos griff er nach einer Packung Kekse, während er mit müden Schritten zur Kasse ging; er brauchte Zucker.
Ein muskulöser Typ, vielleicht Mitte vierzig stand an der Kasse und flirtete wohl mit der Bedienung.
Das Leben war ein [Beleidigung].
Während er näher kam, fiel ihm der angespannte Ausdruck auf ihrem Gesicht auf und unvermittelt, nur für den Bruchteil einer Sekunde, sah sie ihn an.
Als wollte sie ihn warnen.

Er war jetzt bis auf vielleicht einen Meter an den Typen herangekommen, da sah Littmann die offenstehende Kasse und ihm fiel auf, dass der Mann die Hand der Kassiererin hielt, als hätte er sie gerade erst begrüßt.
Nur, dass sie sich überhaupt nicht bewegten.
Das Mädchen hinter der Theke warf ihm einen weiteren Blick zu, offensichtlicher diesmal, aber ihn schien das nicht zu stören.
Bedächtig drehte er sich um, so, dass er sie und Littmann im Blick hatte.
“Guten Abend.” sagte er ruhig, mit tiefer Stimme.
Der Autor nickte ihm nervös zu, ein weiterer Blick zu dem Mädchen.
Natalie Schuster – stand da, auf einem Namensschild.
Weder der Typ, noch sie bewegten sich, während Littmann überlegte.

Was war das für eine Ausbuchtung, da, unter der linken Achsel des Kerls?
Hatte der eine Waffe?
Ach du [Schimpfwort], das auch noch.
Hier würde er nie im Leben rauskommen, wenn er jetzt nicht ruhig blieb.
Okay es gab einen Ausgang... nein, zwei! Da war noch ein Hinterausgang...
Aber der schied aus, bis Littmann da war, wäre er schon längst verwundet oder tot.
Ruhig bleiben.
Oder sollte er den Helden spielen?
Den Mann angreifen, damit das Mädchen davonkam, vielleicht Hilfe holen konnte?
[Schimpfwort] nein, sie waren mitten im Nirgendwo, bis die Polizei da war...
RUHIG BLEIBEN.
Denke logisch.
Der Kerl hat eine Waffe, also kannst du nicht fliehen, und selbst wenn du dich opferst, bringt es nichts.
Und natürlich würde er keine Zeugen zurücklassen wollen, also...
Verfluchte [Schimpfwort], er würde krepieren und er hatte nicht den Hauch einer Chance, das Mädchen zu retten.
Das Leben: 2, Littmann: 0
Vorsichtig wanderte seine Hand in die Hosentasche.


Im Griff des Räubers war Natalies Hand schweißnass geworden, während sie wie gebannt auf den Neuankömmling starrte, der offenbar nach seinem Handy greifen wollte.
Mit großen Augen sah sie zu, wie sich seine Finger in der Tasche bewegten.
Verflucht, dieser schmächtige Kerl würde sie beide umbringen.

Schon seit einer kleinen Ewigkeit, so kam es ihr zumindest vor, standen sie einfach da, einander abschätzend, über Fluchtchancen nachdenkend.
Die Luft roch nach kaltem Schweiß und Natalie konnte sehen, wie es im Gesicht des Räubers arbeitete.
Unweigerlich musste er bemerkt haben, dass der andere Mann versuchte, die Polizei zu rufen.
“Das sollten sie besser lassen.” sagte der Bewaffnete plötzlich.
Er erntete etwas, das wohl ein fragender Blick hatte werden sollen, aber nicht mehr als eine gequälte Grimasse war.
Während der Angesprochene langsam wieder seine Hand aus der Hosentasche zog, rollte eine einzelne Schweißperle seine Wange hinab und schließlich in seinen Hemdkragen.
“Wie ist ihr Name?” fragte der Räuber, der Natalies Hand losgelassen hatte und seine Jacke zurechtzog.
“Jens...Jens Littmann”.
Es entstand eine knisternde Stille und für einen Moment konnte sie die Drohung fast sehen, die unausgesprochen zwischen ihnen in der Luft hing.
Unter Littmanns Achseln hatten sich deutlich sichtbar Schweißkränze gebildet, der Mann stank nach Angst.
Während sie alle vollkommen regungslos verharrten, konnte Natalie das leise Knirschen von Autoreifen hören, die über den Asphalt des Parkplatzes rollten.


Wie in Zeitlupe sah Littmann, wie die Hand des Räubers unter seine Jacke wanderte.
Ein leises Klicken war zu hören, er hatte seine Waffe entsichert; gleich war es vorbei, so oder so.
Die Türen des Verkaufsraums öffneten sich ein weiteres Mal und ein Mann und eine Frau, gekleidet in die Uniform der Polizei traten ein.
Das Gesicht des Autors verzog sich und er musste sich beherrschen, nicht laut loszuschreien.
Wie konnte das sein? Hatte er etwa doch Erfolg gehabt? Nein, die Polizisten waren nur zufällig hier und das verlieh der Situation das Potential, zu einem Blutbad auszuarten.
Der Mann, ein untersetzter Kerl, dessen Hemd über seinem Bauch deutlich spannte, sah sich kurz um und ging dann zu einem der Kühlregale, wo er sich eine Dose Cola nahm.
Seine Kollegin, eine Brünette, vielleicht dreißig, beäugte derweil argwöhnisch die drei regungslosen Gestalten an der Theke.
„Morgen“ grüßte sie schroff, aber lächelnd.
Littmann konnte sehen, wie sich ihre Stirn bei dem Blick auf den Räuber in Falten legte, dessen Hand wahrscheinlich immer noch den Griff seiner Waffe umfasste.
Er wiederum starrte auf die Dienstwaffe der Polizistin, die in einem Halfter an ihrer rechten Hüfte steckte.
Littmann wusste, dass er etwas tun musste.
Früher oder später mussten die Polizisten die richtigen Schlüsse ziehen.
„Wollen sie...“ er musste sich räuspern, seine Kehle war staubtrocken und wie zugeschnürt.
„Wollen sie nicht langsam zahlen?“


Kerner drehte langsam den Kopf und sah ihn an.
Was war das jetzt wieder? Erst wollte der Typ die Bullen rufen und ihm jetzt zur Flucht verhelfen?
In Gedanken wog er seine Chancen ab, es sah nicht gut aus:
Die plötzlich aufgetauchten Polizisten versperrten unbewusst alle Fluchtwege und man hatte ihn auf Video. Sein Wagen war zwar schnell, aber für eine Verfolgungsjagd taugte er wahrscheinlich trotzdem nicht.
Also gut.
Kerner warf der Kassiererin einen abschätzenden Blick zu- wenn sie nicht mitspielte, konnte er es vergessen. Ihre Augen waren immer noch vor Angst geweitet, aber sie hatte sich trotzdem weitaus besser unter Kontrolle als dieser Littmann.
Demonstrativ zog er die Hand aus der Jacke und kramte ein Zweieurostück aus der Hosentasche.
Dieses legte er vorsichtig auf die Theke, während er aus dem Augenwinkel beobachen konnte, wie der bullige Polizist sich mit seiner Cola hinter Littmann anstellte.
Das Mädchen, Natalie, sah kurz zu ihm auf, dann legte es mit leicht zitternder Hand die zwei Euro in die Kasse und schloss die Schublade.
Kerner sah, wie Littmann bei dem Geräusch zusammenzuckte.
“Ist irgendwas?” fragte der Polizist genervt.
Kerner blickte ihn nur an, schüttelte den Kopf und schlenderte auf den Ausgang zu.
“Schönen Tag noch.”

Kühle Morgenluft umfing ihn und plötzlich fiel alle Anspannung von ihm ab.
Schweiß flutete aus seinen Poren und eine Euphorie erfasste ihn, wie er sie noch nie zuvor in seinem Leben gespürt hatte.
Erleichtert atmete Kerner aus und sah auf die Uhr:
Drei Uhr morgens.
Es würde ein guter Tag werden.
Eigentlich könnte ich nur die spärlichen Anmerkungen wiederholen, die ich vorher angebracht habe, aber die meisten davon hast du jetzt ja auch in die Geschichte eingebracht. Ich finde es ist wirkliche eine hübsche Kurzgeschichte, für eine Novelle oder für eine griechische Tragödie reichts für mich nicht ganz, aber das ist ja jedem selbst überlassen. Wär schön, wiedermal sowas von dir lesen zu können.
Rocke weiter.
Tja dann, mein x-tes Dankeschön für eure Mühen.
Werde demnächst noch ein paar weitere Sachen reinstellen, mal sehen, freue mich aber auch hier über weiteres Feedback.
Gute Geschichte... Auch wenn ich, wenn ich ehrlich bin, Littmanns Rolle als Held nicht ganz verstehe...ansonsten gut erzählt, gut Spannung aufgebaut.


P.S. ICh fand die technische Einleitung eigentlich super...
Was Littmanns Rolle als Held angeht:
Er wird ja im grunde in seiner Beschreibung als vollkommener Antiheld, Versager usw. dargestellt.
In der entscheidenden Situation jedoch, in der Kerner zur Waffe greift und evtl, wird ja offengelassen, auf die Polizisten schießen will, rettet er die Situation und evtl auch einige Menschenleben.
Deswegen der Titel^^
Wenn das aber noch bei mehr Leuten schlecht rüberkommt, muss ich es noch verdeutlichen.
Rock on.
Achso... nein, ich habe jetzt das falsche mit Heldentat assoziiert... sry wegen der Bemerkung.
Nein, es ginge sogar noch trockener meinetwegen. Der Titel gefällt mir sehr gut.
Da ich zu Anfang schon meinen Senf dazu gegeb habe ist es do schon fast meine Pflicht einen weiteren Kommentar zu geben^^

Ich persönlich bin ein begeisterter Fan von solchen Geschichten. Geschichten an denen man nur durch kleine Handlungsstücke und recht wenigem Hintergrundswissen die Personen erkennt, sich in sie hineinversetzten kann und einfach nur die Atmospähre genießen kann.
Allerdings hat mich bei solchen Geschichten immer die kuze Fassung gestört... Damit meine ich, dass man aus so einer Idee praktisch ein ganzes Buch füllen kann.

Wie die Idee mit einem Anruf in einer Telefonzelle. Da wird demjenigen in der Zelle mit dem Tod gedroht wenn er auflege und so weiter.

Oder die Idee mit dem stecken gebliebenem Fahrstuhl in dem 5 Personen sind und einer ein Massenmörder.

Diese Spannungen, die bei solchen Erzählungen auftreten sind ungeheuer wirksam und einprägsam wenn sie in einer guten Sprache umgesetzt sind.
Man könnte aus deiner Idee eine komplette Geschichte machen mit mehr Handlung, vertrickteren Situationen und und und!

Im Gesamten muss ich sagen, Du hast Talent! Die Umsetzung in eine verständliche und Spannung aufbauende Sprache gelingt Dir.


Noch zu der Waffenbeschreibung am Anfang.
Kennst Du den Film "Lord of War"? Der Film ist schon was eine unmögliche Dokumentation über Waffenhändler. Und da wird auch manchmal in diesem erzählenden Ton berichtet. Darunter muss man sich die Stimme des Protagonisten vorstellen die einfach redet, man verschiedenen Bilder sieht und alles erzählt und beschreibt.
Auf diese Weise wirkt der Einstieg und ist eine echt gelungene Einleitung!

Ich versuche immer mit der Wirkung von verschiedenen Stilen, die mir auffalen zu argumentieren und dadurch die Werke eines Schriftstellers zu bewerten.

Wie des Öfteren gesagt wird bei dir durchgängig eine unterhaltsame Wirkung erzeugt, die meistens an den richtigen Stellen stark zum Tragen kommt und der gesamten Arbeit das gewisse Etwas gibt. Eine Fähigkeit, die jeder gute ( ob hobby- oder professioneller- ) Schriftsteller haben sollte!


MfG Abi
Vielen Dank für die Blumen^^.
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