Der Traum vom unsichtbaren Monster (Bücher / Autoren-Treffpunkt)

Der Traum vom unsichtbaren Monster (Bücher / Autoren-Treffpunkt)

Für mich ist es schon beinahe fatal darüber zu sprechen, wo ich doch ein so einfacher Charakter bin, aber ich fühle, dass mich selbst meine Angst nicht länger davon abzuhalten vermag. Lange Tage habe ich über diesen Traum nachgesonnen und bin mit meinem Innersten auf keinen grünen Zweig gekommen – ja nicht einmal der kleinste Lichttrieb ist mir entsprossen!
Jetzt, da ich mich, am Ende meines Wissens angelangt, an dich wende, hoffe ich, Hilfe und Rat zu finden. Du hast mir schon bei so manchem meiner Träumereien, den ich mein Eigen nannte, geholfen – hast mir Wege aufgezeigt und auf Deutungsmöglichkeiten hingewiesen, die ich bis zum Ende meiner Tage nicht in Erwägung gezogen hätte. So oft habe ich mir schon gedacht: Da ist jemand, der etwas vom Menschen und dem Menschlichen versteht. Der es weiß, Traumbilder zu deuten – ihrem Sinn auf die Schliche zu kommen, auch wenn er manches Mal noch so gut versteckt ist. Und dieser Tage denke ich mir: Warum soll ich ihn – eingedenk seiner fantastischen Fähigkeiten – nicht auch zur jüngsten Geschichte befragen? Nun, mein Freund, ich habe mich entschlossen; ich will es dir erzählen und bitte um deinen geschätzten Scharfsinn und Rat.
Du kannst dich gewiss noch an das prächtige Herrenhaus erinnern, in welches wir vor zwei Wochen eingeladen waren: Es war dieser Empfang … von Evelyne Winroiter, der Lektorin unseres neuen Buches. Bestimmt weißt du noch, wie schön die Einladungen gearbeitet waren: Kärtchen – am äußersten Rand mit roten Spitzen bestickt und aus festem Karton. Ach, wie waren die kleinen Buchstaben rund und zierlich, mit leichter Feder zu Papier gebracht worden. Wie erstaunt wir darüber waren … – Auch jetzt noch kann ich beim besten Willen nicht feststellen, warum diese Frau gerade uns eingeladen hatte: ohne Veröffentlichungen, unerfahren und eingeschüchtert ob des Bürokratismus’ und der Arbeit, die hinter einer – bloß einer! – Buchveröffentlichung zu stecken scheint. Aber wie dem auch sei: Wir waren eingeladen. Und eigentlich hat das Gesagte gar nichts mit meinem Traum zu tun. – – Gar nichts? Oder gibt es doch gewisse Prallelen? Wie auch immer, ich hoffe auf deinen geehrten Rat!
Mir träumte, ich befände mich in einem Haus mit rot ausgekleideten Gängen. – – Frage mich jetzt bloß nicht, mein Herr, welches Haus es gewesen ist! Ich kann mich schlichtweg nicht daran erinnern – besser gesagt, glaube ich, das Haus gar nicht von außen gesehen zu haben, doch beschleicht mich – und dies ist der Grund für meine vorangestellte Reflexion – der Verdacht, es könne sich um das Haus Evelynes gehandelt haben, auch wenn sich in demselben gar keine roten Flure befunden hatten. – – Die Gänge waren lang, und an ihren Wänden hingen weder Bilder noch irgendwelcher anderer Tand, den man in einem Haus solcher Größe für gewöhnlich zum Schmuck an die Wände hängt. Ich war für mich, und ich lief durch die Endlosigkeit der roten Flure.
Zu behaupten, ich hätte Angst gehabt – auch wenn meine bisherigen Schilderungen darauf schließen lassen könnten –, wäre eine Lüge, denn ich schritt mit einem gewissen Frohsinn und einer Ausgelassenheit, die mich sonst beschämen würde. – Ja, man kann fast sagen, ich tänzelte das rote Parkett entlang und fühlte mich frank und frei – und das mehr denn je.
Da ich so durch die Gegend hüpfte kamen mir unsere Tanzstunden in den Sinn: Was es nicht für eine schöne Zeit gewesen wäre, dachte ich in diesem Moment, schon beinahe den Boden unter den Füßen verlierend vor lauter Übermut. Verträumten Sinnens begann ich durch die Unendlichkeit der Flure zu walzen – schneller und immer schneller setzte ich einen Fuß um den anderen; behände und halb dem Delirium verfallen.
Doch meinem Übermut ward mit einem Mal Einhalt geboten, denn wenige Meter vor mir tat sich eine Menschenmenge auf. Vom geschwinden Drehen der letzten Meter war mir noch ganz schwummerig im Kopf, und so konnte ich zunächst nur unscharf wahrnehmen, was sich da abspielte. Wie ich sehen konnte, hielten einige der edel gekleideten Herren und Damen Sektgläser in ihren Händen und stießen untereinander an. Die Einen tratschten miteinander, und ein Lächeln zierte ihre Gesichter, die Anderen standen etwas abseits an einem Tisch, der mit den wunderbarsten Köstlichkeiten gefüllt war.
Ich weiß nicht, ob ich im Leben schon einmal ein Gedeck solchen Ausmaßes gesehen habe – ja, ich wage sogar zu behaupten, solch ein Gedeck böte sich mir (und wohl auch dir, lieber Freund; ich muss Vorsicht walten lassen, sonst verliere ich über meinem Wunsch dir zu berichten noch die Tatsache aus den Augen, dass du derjenige bist, der dies alles zu lesen hat) nur bei einem Empfang beim Bürgermeister oder Präsidenten. Aber sei’s drum …
Als ich wieder alle meine Sinne beisammen hatte, trat ich auf die Menschenmenge zu. Kaum aber hatte ich mich auf wenige Meter genähert, fühlte ich – obwohl meine Konzentration mittlerweile auf zwei anderen Personen, einem Mann und einer Frau, ruhte, die sich hinter der Menschentraube befanden – Blicke über meinen Körper wandern: Ich ward beobachtet, und ich war mir dessen gewahr. Die Gesellschaft hatte aufgehört, sich zu unterhalten – jedermann richtete seinen Blick auf mich. – – Du hast etwas Ähnliches sicher auch schon gefühlt: Es war das Unangenehme, das Gefühl des Anders- und Ausgeschlossenseins, das mich sowohl ängstigte als auch peinlich berührte. – – Ein Windhauch kitzelte meinen Nacken und ließ mich frösteln. Wo kam er auf einmal her? Das, was ich linker- und rechterhand sehen konnte, waren Wände aus weinrotem Satin – aber kein einziges Fenster, und keine einzige Tür.
Schnell wollte ich durch die Gruppe von Menschen hindurch, die mich seit meinem Auftauchen beobachtet hatten; schnell wollte ich meinen Weg fortsetzen. Fernab ihres Sichtfeldes wollte ich wieder meinem Frohsinn frönen – der Walzer lag mir in Blut und Herz; ich wollte mich bewegen. Irgendwie hoffte ich dabei, jener Mann und jene Frau, die ich soeben fixiert hatte, hülfen mir dabei. – Aber leider sollte sich dies als Irrtum herausstellen.
Ich ging durch die Menge, und es schien mir, als kämen mir die einzelnen Menschen immer näher. Bald streifte ich ihre Schultern – bald ihre Hüften, und bald schon war es mir, als käme ich niemals mehr aus diesem Haufen hinaus. Am Ende war es ein verzweifeltes Drängen, das mich Schritt um Schritt der anderen Seite näherbrachte. – Glücklicherweise schaffte ich es, dem Kallus aus warmen, von Schweißgeruch umgebenen Menschenleibern zu entfliehen und befand mich auf der anderen Seite.
Ich brauchte eine Weile, um meine Ruhe wiederzufinden und meine Gedanken zu ordnen. Einige Meter vor mir stand jenes Paar, das ich von der anderen Seite aus beobachtet hatte. Mein Blick fand ihre Augen: Sie sahen mich an. – Nun, eigentlich nicht – es war eher, als blickten sie durch mich hindurch und beobachteten das Treiben, welches hinter meiner stattfand. Langsam wandte mich um.
Just in diesem Moment wandten auch all die Anderen ihre Köpfe um und sahen in die Richtung – den Flur hinab – aus der ich ursprünglich gekommen war. Über die zahlreichen Leiber hinweg konnte ich nicht die roten Wände, und den Boden nicht erkennen – das einzige, was ich sah, war die Decke, ebenso mit weinrotem Satin-Stoff überzogen. Ein Raunen ging durch die Menge.
Plötzlich hörte ich ein Glas auf dem Boden zerschellen – dann noch eines und bald waren alle Sektgläser samt ihrem Inhalt auf dem Boden zerbrochen. Die Menschen, welche sich zunächst nicht einmal den Deut einer Bewegung anmerken ließen, setzten sich nun jäh in Bewegung. Die gesamte Menschenmasse, vor der ich nunmehr stand, bewegte sich auf mich zu. Schreie – ich konnte Schreie vernehmen. Es waren die Stimmen jener Frauen, an denen ich mich ganz zu Anfang vorbeidrängen musste; die Stimmen jener Frauen, welche mich als allererste herablassend, beobachtend und durchdringend angesehen hatten. Es hörte sich an, als wollten sie ihre Seele dazu veranlassen, aus ihrem angestammten Körper zu weichen.
Jene edel gekleideten Herren, wie auch Damen, die ich anfangs noch mit einem gewissen Missbehagen, aber auch mit gewissem Neid betrachtet hatte, liefen nun, als ob sie zwei aus panischen Menschenkörpern bestehende Flüsse wären, die den Weg des geringsten Widerstands suchen, zu beiden Seiten an mir vorbei. Von Flüssigkeit beschmutzte Kleider striffen mich – die Körper ihrer Besitzerinnen bedeckend. Von einer Seite zur anderen ward ich geworfen – niemand schien mehr Notiz von mir zu nehmen. »Das schlaflose Grauen« schoss es mir durch den Kopf. Einen Augenblick später waren diese Gedanken wieder vergessen.
Ein Mann in schwarzem Sakko – er musste der Letzte gewesen sein, welcher an mir vorbeihastete – rempelte mich im Vorbeilaufen an, und ich drehte mich um. Nun sah ich die Richtung, in welche all die Menschen rannten: Weit hinten, hatte sich Licht aufgetan – es war gerade noch zu erkennen, wie die Ersten in seinen Schein traten und verschwanden.
Mein Blick in die Ferne ward jedoch schnell von einem Schatten getrübt – es waren jener Mann und jene Frau, welche von Beginn an abseits der Gruppe gestanden hatten. Sie waren lautlos – ohne jedwede Aufmerksamkeit zu erregen – an mich herangetreten. Der Mann sah gleichgültig durch mich hindurch – sein linker Arm umfasste die Taille der Frau, welche neben ihm stand.
Ich schaute ihr ins Gesicht, und sogleich spürte ich Entsetzen in mir aufsteigen: Aus ihren Augen troff Blut zu Boden. Es befleckte ihr hellrotes Kleid und lief in Schlieren an ihm herab. Ich schlug meine Hände vor den Mund und blickte zu Boden. Ich versuchte, einen Schrei, der sich meiner Kehle entringen wollte, zu unterdrücken.
Ich schluckte den fahlen Geschmack, der sich in meinem Mund gebildet hatte, hinunter, und noch unter meiner ans Gesicht gepressten Handfläche öffnete ich den Mund: Zum zweiten Mal hatte ein Windhauch meinen Nacken gestreift, doch diesmal war es anders. Es fühlte sich an, als stünde irgendjemand hinter mir, dessen Gesicht so nahe an meinem Hinterkopf war, dass ich seinen Atem fühlen konnte. Unfähig mich umzuwenden, suchte mein Blick die Augen der mir noch immer gegenüberstehenden Dame.
Doch … was war das? Sie hatte ihre Hand erhoben und zeigte mit zittrigen Fingern an mir vorbei – in den Flur hinter mir. Ich konnte die Angst in ihren Augen sehen, und ehe ich es recht begreifen konnte, rannte ich. Ich wusste es zu diesem Zeitpunkt noch nicht, doch ich rannte um meinen Leib und um mein Leben. Dicht folgte ich dem Paar, das plötzlich herumgewirbelt war, und nun auf das Licht, welches immer schwächer zu werden schien, je näher wir ihm kamen, zuhielt.
Wir waren wohl einige Meter gelaufen, als ich ein Grunzen und Hecheln vernahm, das mir schnellen Schrittes folgte. Noch im Lauf ward mir übel, und erneut presste ich meine Hand vor den Mund – diesmal, um mich nicht übergeben zu müssen. Ich lief und lief – der Abstand zwischen dem Mann, der Frau und mir ward immer größer –, und plötzlich stürzte ich zu Boden. Ich war wohl am Endstück eines Teppichs, wie sie in diesen Fluren etwa alle zehn Meter lagen, hängen geblieben. Heftiger Schmerz durchfuhr meine Armgelenke, welche den Großteil der Wucht abgefangen hatten.
Langsam und voller Angst dem harrend, was da hinter mir auf mich wartete, richtete ich mich auf. Ich hatte gerade einen Fuß fest auf den Boden gesetzt, als ich eine nass-kalte Hand an meinem Knöchel spürte. Ohne nachzudenken fasste ich nach hinten und hielt mit einem Mal einen dürren, aalglatten Arm in der Hand. Er pulsierte, und ich merkte, wie Flüssigkeit – oder war es Schleim? – auf den Boden floss. Eine fürchterliche Hitze erfasste meinen Körper, und alles, was ich in diesem Moment tun konnte war schreien – ich schrie aus Leibeskräften und drückte die Hand, welche den schwammigen Arm festhielt, immer fester zu. Das Einzige, was ich noch fühlen konnte bevor ich aufwachte, war das Platzen von Gewebe. Noch als ich die Augen vollen Entsetzens aufriss, konnte ich das Rauschen des sich auf den roten Parkettboden ergießenden Blutes wahrnehmen.
Mein Freund … du weißt nicht, wie ich mich fühle, nachdem ich dir diesen schrecklichen Traum anvertraut habe. Ich habe dieses Leid wohlweißlich auf mich genommen, auch wenn dies bei meinem leicht zu beeindruckenden Wesen einer wahren Teufelei gleichkommt. Doch so fatal es ist, darüber zu sprechen, so wichtig ist es doch, dir noch das Folgende zu eröffnen: Vor einer Woche traf ich Frau Winroiter, und wir hatten ein vertraulich-privates Gespräch. Sie erzählte mir, sie sei zwei Tage zuvor, nachdem ihr Schlafzimmer neu gestrichen worden war, in blutverschmierten Laken aufgewacht – ihre Augen waren vor Blut verkrustet. Der Arzt meinte, die giftigen Dämpfe der Farbe hätten dies verursacht. An diesem Tag habe ich sie nach Hause begleitet, und weißt du, was mir meinen Geist am heftigsten entrückte – sie hatte ihr Zimmer rot wie den Wein streichen lassen.
wo ich doch ein so einfacher Charakter bin,
1. man hat (!!!) einen charakter
2. was bitte ist ein einfacher charakter?

am äußersten Rand mit roten Spitzen bestickt und aus festem Karton.
normalerweise wird karton nicht bestickt

Ich war für mich
entweder: ich war für mich allein
oder: ich war allein
oder ich kenn diese wendung nicht...man merkt ja, dass du in einem etwas altmodischen stil schreiben willst

begann ich durch die Unendlichkeit der Flure zu walzen
ich schätze mal, du willst das wort "walzen" von dem tanz walzer ableiten...walzen erinnert aber eigentlich mehr an schwerfällig...

an einem Tisch, der mit den wunderbarsten Köstlichkeiten gefüllt war.
hat der tisch ein loch, in das du etwas reinfüllen willst?

lieber Freund
vorher nennst du den adressant "mein herr" und jetzt "lieber freund"?

Wände aus weinrotem Satin
man kann wände mit satin verkleiden, aber keine wände daraus bauen

Ich schlug meine Hände vor den Mund und blickte zu Boden. Ich versuchte, einen Schrei, der sich meiner Kehle entringen wollte, zu unterdrücken.
Ich schluckte den fahlen Geschmack, der sich in meinem Mund gebildet hatte, hinunter, und noch unter meiner ans Gesicht gepressten Handfläche öffnete ich den Mund:

3 sätze, die alle mit "ich" anfangen...

ansonsten...ich finds gut^^
Hallo Lyra!

Danke für deine Verbesserungsvorschläge! Ich werde wohl fast alle berücksichtigen. Besonders die Absätze, wo viermal hintereinander "ich" vorkommt, sind mir gar nicht aufgefallen! =) Es freut mich, dass es dir ansonsten gefällt =)

Liebe Grüße
Arach
Oah wie unheimlich!!

Eigentlich ist alles wie in den Traum-Geschichten vorher. Brief-Form ist wieder gut gelungen und unterstreicht das mysteriöse Flair. (naja, ich würde aber nicht "Herr" zu einem Freund sagen...)
Und der letzte Satz gibt wieder einen offenen Schluss, der perfekter nicht sein kann.
Was ich nicht verstehe ist, warum die Frau aus den Augen geblutet hat! hää??

Also immer weiter so. Bisher haben es nur wenige geschafft, dass ich beim Lesen fast das Atmen vergessen habe, und du bist wohl einer davon.
Hallo Lampro!

Danke für deinen Kommentar! Diesmal soll es wirklich eine Briefform sein, in den andren beiden war's eigentlich so gedacht, dass eine Person es einer anderen erzählt! Durch deine Ideen angeregt, hab ich's diesmal wirklich in Briefform geschrieben. Ob noch ein "Lieber ..." und "Dein(e) ..." hinkommt, muss ich mir noch überlegen, aber mal sehen ...
Wo meinst du (das mit dem aus den Augen Bluten)? Meinst du im Traum oder dann in der Realität?

Liebe Grüße
Arach
Logge dich ein um einen Beitrag zu schreiben.