Kurzerzählung: Der Traum vom wandelnden Tod (Bücher / Autoren-Treffpunkt)

Kurzerzählung: Der Traum vom wandelnden Tod (Bücher / Autoren-Treffpunkt)

Es ist schon ein recht seltsames Geschick, das die Wesen dieser Erde ihr Eigen nennen. Im Lauf der Jahrmillionen bildeten sie die Fähigkeit aus, nächtens sowohl wunderbar schöne Träume als auch grauenvoll morbide Alpträume ihr Eigen zu nennen.
Die Tagträume, welche mich in den letzten Tagen befallen, passen weder zu der einen noch zu der anderen Art von Nachtträumen. Sie bilden schlicht eine eigene Gruppe. Auch wenn sie für gewöhnlich bei kaum einem Menschen einen Unterschied zu normalen Träumen aufweisen können, ist es bei mir so, als reflektierte ich in ihnen keineswegs Erlebtes der vorangegangenen Minuten, Stunden oder Tage – nein, vielmehr versuche ich zu verarbeiten, was ich schon damals, in einer gewittrigen Nacht; in den Tagen meiner Kindheit, geträumt hatte; und was als mich nun – volle dreißig Jahre später – wieder zu überfallen scheint.
Für gewöhnlich träume ich wenig, doch wenn ich träume, sind es triviale, angenehme oder fantastische Träume. – Auf den Tag genau zwei Wochen müsste es nun her sein, als mich einer der wenigen Angstträume, die ich dann und wann zu haben beliebe, befiel. Nun, ich bin nicht mehr der kleine Junge, welcher ich damals war; von Derartigem nicht mehr allzu einfach zu beeindrucken und gebe nicht viel auf solcherlei Gedanken-Hokuspokus, jedoch handelt es sich bei der Geschichte dieses Alptraumes um eine solche, aus der ich nicht ganz – wie sagt man? – klug werde. Und gerade deshalb verspüre ich doch ein leichtes Unbehagen sich meiner bemächtigen, wenn ich an sie denke. Das Beste wird wohl sein, wenn ich dir schildere, was mich seit vierzehn Tagen, Nacht für Nacht aufs Neue, plagt:
Ich sitze, in meine mittlere Kindheit zurückversetzt, etwa im Alter von sieben Jahren, auf einer über den Zimmerboden ausgebreiteten Decke. Meine Spielsachen liegen ausgebreitet um mich herum; und ich spiele mit verschiedenfarbigen Bauklötzen. Ich baue und baue, und mit der Zeit beginnt mir das Spiel mit den Klötzen eintönig zu werden.
Ich werfe sie in ihre Kiste zurück und hole aus einer weiteren einen Satz Matador-Steine heraus. Auf dem Boden der Kiste finden sich allerlei Dinge, die man fürs erfolgreiche Zusammenbauen von Matador-Kunstwerken benötigt: Stäbe unterschiedlicher Länge – die einen in Beige, die anderen in Khaki –; Räder verschiedener Größe und ungleicher Anzahl Löcher; und Splinte, um die Stäbe in den Löchern der Räder verkeilen zu können, sodass eine verbundene Achse entsteht. Ich entschließe mich, ein Fahrzeug zu bauen (denn für bewegliche Maschinen hatte ich in diesem Alter ein gewisses Interesse entwickelt). Ein Bagger soll es werden, mit einer großen, beweglichen Schaufel. Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich damit zubringe, die Teile zusammenzufügen – und dies noch dazu so, damit am Ende auch wirklich ein Bagger herauskommt; und nicht etwa ein Lastkraftwagen –, aber am Ende halte ich stolz meine fertige Konstruktion in den Händen. So etwas Schönes habe ich schon lange nicht mehr gebaut, denke ich mir, und dass ich ihn meiner Mutter zeigen will.
Sowie ich diesen Gedanken gefasst habe, stehe ich auf und mache mich auf den Weg in die Küche, wo meine Mutter gerade dabei ist, das Abendessen zuzubereiten. Was es geben wird, weiß ich nicht. (Ich meine auch, behaupten zu können, dass dies für die weitere Erzählung von eher nichtiger Relevanz ist.) Ich trete aus meinem Zimmer auf den Flur hinaus, gehe durch das Wohnzimmer, vorbei an den Yuccas und Philodendren in ihren Terrakotta-Töpfen, die mein Vater letzte Woche auf einem Pflanzen- und Keramikmarkt erstanden hatte, ins Vorzimmer und komme sogleich in den Raum unserer Küche. Meine Mutter ist gerade dabei, Kartoffeln abzuschälen, die sie eben erst aus dem Backrohr genommen hatte – man kann den aufsteigenden Dampf noch erkennen.
Ich stehe eine Weile im Türrahmen, dann blicke ich hinunter auf meine Hände, die den von mir gebauten Bagger festhalten. Meine Mutter hat bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Notiz von mir genommen, so vertieft ist sie ins Schälen der Kartoffeln. Gerade will ich etwas sagen, doch dann fällt mir die Schaufel des Baggers auf: Viel zu klein ist sie – nicht würdig, dieses Gefährt zu zieren. Ich will sie vergrößern und es meiner Mutter dann zeigen. Er wird ihr mit der großen Schaufel gewiss gefallen, denke ich mir und gehe zurück auf mein Zimmer. Von weitem höre ich noch das Summen, welches meine Mutter kurz nachdem ich mich von der Küche entfernt hatte, angestimmt hat. Wir schön es klingt, denke ich mir in diesem Moment und setze mich – in meinem Zimmer angekommen – wieder auf meine baumwollene Decke.
Nun aber weg mit dieser viel zu kleinen Schaufel, ist der erste Gedanke, der mir kommt, als ich mich daranmache, das Gefährt umzubauen. – Es mag komisch und wohl auch ein wenig grillenhaft klingen, doch – wie soll ich sagen … – dies sind die Gedanken, welche sich ein siebenjähriges Kind macht, wenn es seine Eltern mit einer Kostprobe seiner Kreativität zu beeindrucken versucht; selbst wenn es bloß ein siebenunddreißigjähriger Erwachsener in seinen Träumen zum Leben erweckt hat.
Einige Augenblicke werde ich an meinem Spielzeug, doch sogleich läuft mir ein Schauer den Rücken hinunter: Musik, von durchdringender Schauderhaftigkeit hatte eingesetzt und scheint, aus dem Wohnzimmer an mein Ohr zu dringen. Aus dem Wohnzimmer? Nein, um die Wahrheit zu sagen, hört es sich an, als ob sich die Quelle der Töne in meinem Kopf selbst befände – gespielt von einem teuflischen Ensemble aus Streichinstrumenten, die sich – ohne auch nur die kleinste Berührung eines Philharmonikers – selbst zu spielen scheinen.
Sofort lasse ich den von mir verstümmelten Matadorbagger fallen und hebe den Kopf. Ich sehe zwei dunkle; zwei aschschwarze Nebelbänder von beiden Seiten des Flurs in mein Zimmer schleichen – langsam und mit diabolischer Genauigkeit halten sie auf mich zu. Dann: ein Schrei. Es hört sich an, als ob ein Leib versuchte, ein fundamentales Entsetzen mit seiner ganzen Kraft in die Welt hinauszuschreien. Dann ist es still. Nur die grausige Melodie klingt noch immer in meinem Kopf.
Ich wende mein Gesicht ab von der Tür, denn ich vermag es nicht länger, die Nebel zu beobachten, welche sich mir nähern. Angst lässt meinen Körper erbeben. Doch nicht zu wissen, was sich dort in meine Richtung bewegt, ist beinahe noch schlimmer. Mein Blick findet zurück zur Tür. – Es wäre besser gewesen, ich hätte mein Gesicht abgewandt gelassen, denn was sich mir sogleich offenbart, sollte kein Kind jemals vor Augen sehen:
Vom Wohnzimmer aus schleicht eine vermummte Gestalt in Richtung Flurfenster an meinem Zimmer vorbei. Sein Überwurf, der von blutroten Flecken übersäht ist, besteht aus Jute und wird um die Taille von einem karminroten Seidenband zusammengehalten. In der mir abgewandten Hand trägt er eine uralte Sense, wie sie vor vielen Jahren Bauern auf dem Feld verwendet hatten – an ihrer silbrig glänzenden Schneide klebt Blut.
Voller Grauen beobachte ich, unfähig mich zu rühren, die Szenerie, welche sich soeben vor meinen Augen abspielt. Ich bin weder fähig einen klaren Gedanken zu fassen noch wegzulaufen.
Genau dort, wo ich die vermummte Gestalt am besten sehen kann, bleibt sie mit einem Mal stehen. Gegen mein Erwarten, wendet sie ihren Kopf nicht mir zu, sondern fasst langsam – man möchte sagen, fast schon zärtlich – in die Tasche seines Jute-Überwurfes. Noch immer bin ich nicht fähig aufzustehen, geschweige denn mich auch nur einen Fußbreit von der Tür zu entfernen.
Der Sensenmann zieht etwas aus seiner Tasche und lässt es auf den Boden fallen. Es ist etwas annähernd Rundes, das, nachdem es mit einem dumpfen Schlag aufgekommen ist, in meine Richtung kullert. Ich wage es nicht, den Blick von der grausigen Gestalt abzuwenden, darum kann ich auch nicht wissen, was da – nur einen Meter von mir – zu liegen kommt.
Kaum ist das verräterische Geräusch etwas sich Bewegenden verstummt, setzt der Vermummte seinen Weg fort. Noch immer blicke ich ihn – nunmehr am Höhepunkt meines Entsetzens angelangt – an. Langsam verschwindet die Gestalt auf der anderen Seite des Flurs, wo ich sie nicht mehr erblicken kann. Bis zuletzt hatte ich den Schweif der vermummten Gestalt fixiert, welcher ohne den Boden auch nur ein einziges Mal zu berühren über den Teppich glitt.
Langsam geht mein Blick in die Ferne; und schließlich verstummen auch die dämonischen Klänge, welche diesen morbiden Auftritt bis zum Verschwinden des Sensenmannes begleitet hatten. Bloß ein einziger Gedanke schießt mir nun durch den Kopf: Was ist nur dieser seltsame Gegenstand gewesen, den dieses abnorme Wesen auf den Boden hat fallen lassen?
Ich blicke auf den Boden und sehe, vor dem schaufellosen Körper meines Matador-Baggers, den bluttriefenden Kopf meiner Mutter. Er war von ihren Schultern getrennt worden. – Noch im Schreinen und während eine heiße Woge mein Innerstes durchflutet, wache ich auf.
Möglicherweise liegt es an meinem derzeitigen Alter, dass mich solcherlei Dinge für gewöhnlich nicht berühren. Was ist denn schon ein Traum? Oder besser ausgedrückt: Was ist denn schon ein Alptraum? Heutzutage macht es mir nichts mehr aus, solcherlei Begegnungen im Traum zu erleben – aber als Kind? Eine bestimmte Zeit lang war ich jede Nacht schweißgebadet aus dem Bett hochgeschreckt und hatte nach meiner Mutter gerufen. Glücklicherweise war sie jedes Mal zur Stelle, um mich zu trösten und mir beruhigende Worte zuzureden – war es auch noch so spät und der der Nacht folgende Tag noch so anstrengend. Immer schlief ich danach, obgleich in Angst, ein und erwachte, ohne in derselben Nacht nochmals von dem Sensenmann geträumt zu haben, am nächsten Morgen voll neuen Muts. – Heute ist meine Mutter um viele Jahre älter, ich wohne nicht mehr in meinem Elternhaus, und es braucht auch niemanden mehr um mich zu trösten.
Doch eine Sache gibt es, die mich beunruhigt; eine Sache, die mir erst aufgefallen war, als ich schon reicher an Jahren und Erfahrung war. Es ist die Frage, welche ich mir immer wieder stelle und welche mich erzinnern macht: Woher in Gottes Namen wusste ich als siebenjähriges Kind – ohne ihn jemals zuvor in irgendeinem Kinderbuch erblickt zu haben –, wie der Tod aussah?
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5. Zyklus
*grusel* *schauder* *mir meine Decke hol*
Also, du kannst echt gruselig sein! Ähm... bzw. schreiben. Ich hab sogar vor Spannung an den Fingernägeln gekaut! ähmm... *räusper*
Aaaalso:
Wie bei deiner anderen Traum-Kurzgeschichte ist die Stimmung einfach wunderbar geschaffen. Und... obwohl man weiß, dass alles nur ein Traum ist und auch keine Prophezeiung (man eigendlich völlig beruhigt sein müsste), hängst du hintendran diese Frage, und damit ist ein genialer Schluss geschaffen.

Was mich als einziges gestört hat war, dass der Stil nicht ganz zu der Zeit gepasst hat. Ich war anfangs völlig überzeugt, dass das alles viel länger zurücklag, aber als du den Bagger erwährt hast, wurde ich eines besseren belehrt. Na ja... ich habe mich eben sehr gewundert. Das ganze Flair mit den Träumen würde auch eher in eine ältere Zeit passen.

PS: Darf ich die beiden Kurzgeschichten kopieren in Word? Zur Inspiration und zur ähm... Analyse?^^ eben mal zu gucken wie du das machst. Bei uns geht nämlich manchmal des Internet nicht. *bettel*
Hallo Lampro (zum Zweiten) =)

Ja, natürlich darfst du sie dir kopieren, aber wenn du mir eine kurze E-Mail schickst, schicke ich sie dir in der aktuellsten Version zu (py@chello.at). Es kommt irgendwie ganz unverhofft, dass dich meine Geschichte zum Gruseln gebracht hat! Eigentlich war das nicht meine Intention, aber natürlich ist's ein perfekter Nebeneffekt, wir er besser nicht sein könnte! Tja, in gewisser Weise spielt die Geschichte auch in einer früheren Zeit, weil der Mensch, der diesen Traum als Kind geträumt hat, schon über dreißig Jahre alt ist. Demnach hatte er den Traum vor zwanzig Jahren. Na ja, so lange ist das natürlich noch nicht her, aber trotzdem =) Auch das hier ist eine wahre Geschichte, natürlich etwas umgedichtet, aber in ihren Grundfesten habe ich diesen Traum als Siebenjähriger wirklich geträumt. Du kannst dir vorstellen, wie verängstigt ich jedes Mal aufs Neue war ... ;)

Danke nochmals für deine Kommentare und die Blumen!

Ganz, ganz liebe Grüße
Arach
Ohohooo das hast du echt geträumt? Ich glaub ich bin hier die einzige, die immer nur Gutes träumt (am beliebtesten: Abenteuer^^) Also ich schick dir ne Mail.

Hm also ich weiß jetzt nicht wie ich die Zeit beschreiben soll (dazu weiß ich zu wenig). Aber kennst du die Ballade: "The Raven"? "Der Rabe" So ne Zeit irgendwie. Wo die noch alle im Gehrock rumgelatscht sind, womöglich noch mit Monokel^^
oder noch früher. Also, ich meine für so nen Brief passt doch diese Zeit eher.
(Abgesehen davon: Wer schreibt heutzutage noch Briefe? ;-))
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