"Das Sternensiegel" - Kritik erbeten! (Bücher / Autoren-Treffpunkt)

"Das Sternensiegel" - Kritik erbeten! (Bücher / Autoren-Treffpunkt)

Tja, jetzt reihe ich mich mal hier ein in die Riege der hoffnungsvollen Nachwuchsautoren und stelle mein... naja, das erste ist es ja nun nicht mehr... aber das erste qualitativ dafür prädestinierte Verbrechen, will sagen Werk von mir ein. Wer lesen mag, darf das tun, und wer kritisieren will, darf das ebenfalls^^
Hierbei handelt es sich nur um einen kurzen Teil, mehr dazu findet sich auf meiner Website.
www.myblog.de/cerlindael

1


„So, hier habt ihr euren Nachschub!“
Das Schankmädchen stellte sechs weitere Krüge mit Ale auf den Tisch. Wohl, weil sie wusste, was sie für gewöhnlich von ihren Gästen zu halten hatte, nahm sie gleich das Geld und verschwand dann, um den nächsten Tisch zu bedienen.
Gabriel, Derik, Thoben und Jennas griffen sofort nach den Krügen und tranken sich laut singend zu, während Brynna erst Felico einen Krug hinschob, bevor sie selbst trank.
„Sie trinken schon wieder zu viel, habe ich Recht?“
Felico wandte sich in Brynnas Richtung. Die nickte, bevor ihr wieder einfiel, dass er das ja nicht sehen konnte.
„Ja, das tun sie,“ antwortete sie, „aber das ist ja nichts neues. Lassen wir sie einfach, morgen bekommen sie die verdiente Strafe.“
Felico lächelte.
„Ja, und wie ich sie kenne, dürfen wir uns mit den Folgen herumschlagen.“
Er lehnte sich an die warmen Außensteine des Kamins und seufzte.
„Können sie es denn nicht einmal lassen?“
Brynna lachte leise.
„Du kennst sie doch. Wenn sie die Gelegenheit haben, dann lassen sie sie nicht ungenutzt verstreichen.“
Sie lehnte sich ebenfalls zurück und beobachtete die anderen, wie sie jetzt untereinander wetteiferten, wer am schnellsten seinen Krug leerte, während er eine leere Suppenschale auf der Stirn balancierte.
„Je mehr sie trinken, desto mehr verhalten sie sich wie Kinder,“ bemerkte sie, und Felico lachte.
„Du meinst, noch mehr als sonst?“
„Sofern das möglich ist, ja.“
Sie nippte an ihrem Ale, bevor sie den Krug abstellte.
„Na ja, wenigstens haben sie heute einen Grund dazu. Diese Reise war der erste Auftrag seit Wochen. Da können sie sich ja freuen.“
Felico merkte, wie sich ihre Stimme veränderte. Er stellte seinen Krug auf den Tisch und tastete nach Brynnas Hand; tröstend drückte er sie.
„Du gibst dir immer noch die Schuld an ihrem Tod, habe ich Recht?“
„Das bin ich doch auch. Felico, ich weiß, ich hätte sie retten können, wenn ich nur nicht so panisch reagiert hätte!“
„Brynna, bitte! Das waren Weryne! Und gleich sieben auf einmal! Ich wüsste nicht, dass jemand in dieser Situation anders gehandelt hätte als du!“
Brynna ließ den Kopf hängen. Ihr Freund hatte ja Recht. Und doch, sie wusste genau, dass ihre Schwester nicht hätte sterben müssen.
„Ich weiß. Aber wenn meine Angst mich davon abhält, Menschen zu schützen, dann habe ich mir vielleicht den falschen Beruf ausgesucht. Dann hätte ich doch heiraten sollen.“
„Brynna. Du weißt, dass du dich sicher nicht falsch entschieden hast. Niemand macht dir eine Vorwurf; das, was da passiert ist, hätte jedem passieren können. Du hattest Angst, und die hätte jeder gehabt an deiner Stelle. Außerdem,“ fügte er gedehnt hinzu, „ist Furcht nicht immer ein schlechter Ratgeber. Was wäre passiert, wenn du geblieben wärst und gekämpft hättest? Wahrscheinlich wärt ihr jetzt beide tot. Ich möchte den Tod deiner Schwester nicht abschwächen oder schönreden, aber ich glaube, das wäre ihr auch nicht recht gewesen. Hast du auch darüber nachgedacht?“
Brynna antwortete nicht sofort. Schon fast aus Gewohnheit suchte sie Felicos Blick. Als sie dann in seine verschleierten braunen Augen blickte, fiel ihr einmal mehr auf, wie durchdringend sein Blick trotz seiner Blindheit sein konnte. Manchmal glaubte Brynna sogar, dass er mehr von den Menschen sah als alle anderen. Er war etwas besonderes, das wusste Brynna. Er war der einzige Mensch, den sie kannte, der immer seine Ruhe behielt, egal, was um ihn herum passierte. Er war es, der schlichtete, wenn es zum Streit kam, und er hatte für alle ein offenes Ohr. Er war schon bei der Gruppe gewesen, als Brynna dazugekommen war, und das erste, was ihr aufgefallen war, war die Tatsache, dass er, obwohl er blind war, keineswegs hilflos war. Seine anderen Sinne waren umso wacher, und nur selten benötigte er Hilfe. Und nie, nie hatte sie ihn auch nur ein Wort der Klage über sein Leiden verlieren hören. Er sah es auch nicht als ein Leiden; er hatte sich damit arrangiert, sich daran gewöhnt und führte sein Leben nun einfach ohne Sehkraft. Er brauchte sie nicht mehr, er war nicht darauf angewiesen.
Ein einziges mal nur hatte Brynna ihn gefragt, wie er es denn geschafft habe, seinen Lebensunterhalt trotz allem als Söldner zu bestreiten, und ob es nicht manchmal schwer für ihn wäre. An jenem Abend hatten sie lange geredet, und Brynna hatte erfahren, dass Felico selbst am Anfang nicht gewusst hatte, wie er hätte weitermachen sollen. Er war erst sechzehn gewesen, als es einen Unfall in dem magischen Labor gegeben hatte, in dem er gelernt hatte; bei diesem Unglück waren drei seiner Studienkollegen getötet worden, einer hatte eine Hand verloren und er selbst sein Augenlicht. Zu diesem Zeitpunkt, als er mitten in seinen Studien gesteckt hatte, war das für ihn mehr als schrecklich gewesen, und beinahe wäre er daran verzweifelt. Mehrere Wochen lang war er nicht fähig gewesen, auch nur irgendetwas zu tun. Er hatte sich beinahe aufgegeben; er hatte einfach nicht gewusst, was er hätte tun sollen, war sich nutzlos vorgekommen und hatte nicht geglaubt, jemals wieder etwas leisten zu können.
Bis er dann gemerkt hatte, dass ihm diese Apathie nichts brachte. Er hatte genau gewusst, dass er seine Studien in diesem Zustand niemals hätte so zu Ende bringen können, wie er es gewollt hatte. Doch er hatte auch gemerkt, dass es andere Möglichkeiten für ihn gab. Von da an hatte er wieder versucht, sich eine Platz im Leben zu erkämpfen. Er hatte gelernt, sich alleine, nur mit Hilfe eines Stabs, durch die Gänge der Akademie zu bewegen und hatte jede unnötige Hilfe im Alltag kategorisch abgelehnt. Er hatte mit viel Mühe gelernt, Dinge, die er sonst einfach und schnell erledigt hatte, auf eine andere Art zu tun, um nicht ständig auf jemanden angewiesen zu sein, und ein Jahr nach dem schrecklichen Unfall hatte er wieder gelernt, selbstständig zu leben.
Und dann hatte er Lorano kennen gelernt. Lorano vom Hohen Turm, der Vorsteher der Magiergilde von Dalereuth, hatte die Akademie besucht. Eines Abends hatte Felico ihn in der Bibliothek getroffen, und der Erzmagier hatte sich beeindruckt gezeigt von Felicos Bemühen, die auf das dicke Pergament der Folianten geschriebenen Worte durch Ertasten der Abdrücke zu lesen, und er hatte wissen wollen, wie der junge Magier es geschafft hatte, ein scheinbar so normales Leben zu führen. Es schien beinah, als habe Felico mit der Zeit eine Art sechsten Sinn dafür entwickelt, der ihm half; was womöglich nicht zuletzt an seiner magischen Begabung lag.
Als Lorano dann erfahren hatte, was passiert war, und wie Felico danach weitergelebt hatte, war er beim Leiter der Akademie vorstellig geworden. Er hatte vorgeschlagen, Felico persönlich auszubilden, in der Magie wie auch in der Kampfkunst der Magierkrieger. Dieser junge Mann habe ein großes Potential, hatte er gesagt, und das dürfe man nicht einfach verloren gehen lassen. Meister Luthael hatte schließlich eingewilligt, und Felico hatte Lorano für drei Jahre nach Elethys in den Hohen Turm, das Zentrum der Magiergilde Dalereuths, begleitet. Dort hatte er gelernt, was ein Magierkrieger wissen und können musste. Anfangs war es nicht leicht für ihn gewesen, aber nach und nach hatte er aufgeholt, was ihm die anderen Schüler dort voraus gehabt hatten, und seine Prüfung hatte er als drittbester des Jahrgangs bestanden.
Danach hatte er noch eine Weile für die Gilde gearbeitet, hatte in ihrem Auftrag Reisen begleitet oder wichtige Waren geliefert. Auf einer seiner Reisen hatte er dann Gabriel, Jennas und Derik kennen gelernt. Beeindruckt von seinem Talent, hatten sie ihn gefragt, ob er sie nicht begleiten wolle; jemand wie er würde ihnen noch fehlen für die nächste Expedition; selbstverständlich würde er als gleichberechtigter Partner behandelt werden.
Felico hatte eingewilligt; sie waren mehrere Wochen zusammen unterwegs gewesen, und als sie sich wieder hatten trennen müssen, hatte Gabriel Felico gebeten, bei ihnen zu bleiben. Felico hatte nicht lange überlegt; er hatte seinen Dienst bei der Gilde aufgekündigt und war mit ihnen gegangen. Nicht lange danach hatte sich auch Thoben ihnen angeschlossen, und kurz nach ihm war Brynna zu der Gruppe gestoßen.
Fünf Jahre war das nun her, und in dieser Zeit hatten sie viel miteinander erlebt. Viele schöne Zeiten hatten sie gehabt, doch genauso hatte es Zeiten gegeben, in denen alles schief gegangen war. So wie jetzt.
Sie hatten den Auftrag gehabt, eine Reisegruppe durch den Schwarzen Wald zu begleiten. Brynna war überrascht gewesen, als sie gemerkt hatte, wer die Frau ihres Auftraggebers gewesen war. Sie hatte ihre Schwester Laverna seit mehr als acht Jahren nicht gesehen, und umso freudiger war das Wiedersehen verlaufen. Doch die Freude hatte nicht lange gewährt. Mitten im Wald hatten die Weryne, die Nachtkreaturen, sie überfallen. Brynna war mit ihrer Schwester allein ein Stück in den Wald gegangen, und als sie angegriffen worden waren, war ihnen nichts anderes übrig geblieben als zu fliehen. Brynna selbst hatte furchtbare Angst gehabt, sodass sie erst gar nicht gemerkt hatte, dass Laverna ihr nicht folgen konnte. Als sie es dann endlich gemerkt hatte, war es längst zu spät gewesen. Die Weryne hatten ihre Schwester eingeholt und waren über sie hergefallen. Sie selbst war dann nur mit knapper Not entkommen und hatte die anderen warnen können.
An den darauf folgenden Kampf konnte sie sich gar nicht mehr erinnern. Sie wusste nur, dass es irgendwann vorbei gewesen war. Den Rest des Weges hatten sie bis zum nächsten Mittag zurückgelegt, und am Waldrand hatte sich Lanciel, Lavernas Mann, von ihnen getrennt. Er war trotz allem großzügig zu ihnen gewesen, und so konnten sie jetzt die Nächte in einer Schenke verbringen, bis sie wussten, wohin sie als nächstes gehen würden. Aber daran konnte Brynna sich nicht freuen; sie hatte ihre Schwester verloren, nachdem sie sich nach so langer Zeit wiedergefunden hatten, und sie hatte das Gefühl, die Schuld an ihrem Tod zu tragen. Doch andererseits wusste sie ebenso, dass Felico Recht hatte. Sie hätte nichts ausrichten können, selbst wenn sie sich den Werynen gestellt hätte.
Sie seufzte auf.
„Wahrscheinlich hast du Recht,“ meinte sie leise, „aber, du musst mich auch verstehen. Sie war meine Schwester. Sie war doch eine der wenigen, die mich nicht für das gehasst haben, was ich geworden bin.“
„Ich weiß doch,“ antwortete Felico, „ich weiß. Dass es deine Schwester war, macht das alles schwer für dich. Aber du hast doch auch noch uns. Oder hast du das vergessen?“
Brynnas Blick fiel auf die anderen, deren Alkoholkonsum inzwischen eindeutig höher war, als es für sie gut war. Der Tisch war ein einziges Durcheinander von leeren Krügen, und Brynna wurde das Gefühl nicht los, dass sie möglichst bald einschreiten sollte.
Unwillkürlich musste sie lachen. Er hatte ja Recht. Sie hatte Freunde, denen sie vertrauen konnte. Und sie merkte, wie ihr leichter ums Herz wurde. Ihr Beruf als Söldnerin erlaubte es ihr nicht, Dinge wie den Tod zu nah an sich heran zu lassen, und auch, wenn der Tod ihrer Schwester sie getroffen hatte, machte ihr mehr die Tatsache zu schaffen, dass sie es nicht hatte verhindern können, indem sie geblieben war und gekämpft hatte. Aber Felico hatte die Wahrheit gesagt. Sie hätte nichts tun können. Und sie sollte sich nicht weiter damit quälen. Es brachte einfach nichts.
Sie stand auf.
„Ja, ich habe euch,“ sagte sie und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „und wenn ich davon noch was haben will, dann sollten die vier jetzt endlich zum Ende kommen. Hilfst du mir, sie nach oben zu bringen?“
„Sicher.“
Und während Brynna die ausstehende Zeche bezahlte, redete Felico auf seine Freunde ein und versuchte, sie dazu zu bewegen, aufzustehen und sich in das Zimmer zu begeben, das sie gemietet hatten. Mit Brynnas Unterstützung schaffte er es schließlich, und während die junge Frau sich mit Gabriel und Thoben an der Hand einen Weg durch das Gedränge im Schankraum bahnte, folgte ihr Felico, Jennas und Derik vor sich her schiebend, deren Gang alles andere als aufrecht war. Brynna hatte alle Mühe, sich Gabriel und Thoben vom Leib zu halten, doch kaum, dass sie im Zimmer standen, stolperte Thoben in eins der Betten, und Gabriel, der sich schwer auf Brynna stützte, wurde von ihr ebenfalls ins Kissen gedrückt. Aber trotzdem versuchte er, wieder aufzustehen, und beschwerte sich lauthals.
„Nein, du gehst nicht zurück nach unten!“ herrschte Brynna ihn an, „Ihr schlaft jetzt erst euren Rausch aus! Ihr könnte ja allesamt kaum noch stehen! Und wenn es heute Nacht Ärger gibt, gibt es morgen dann gleich noch einmal welchen, und zwar von mir!“
„Oh, Brynna, bitte, eins der Mädchen hat sich gerade für mich interessiert!“ begehrte Thoben auf.
„Aber Brynna, mein Liebling-“ versuchte auch Gabriel zu widersprechen, wurde jedoch von Brynna unterbrochen.
„Gabriel, ich bin nicht mehr dein Liebling! Nein, versuch es erst gar nicht. Ihr bleibt jetzt hier und schlaft, und es ist mir gleich, Thoben, wie gern du jetzt bei einem der Schankmädchen wärst! Gebt jetzt Ruhe, alle beide!“
Damit wandte sie sich ab, ging um die dünne Trennwand, die den Raum teilte, herum und sah nach den anderen beiden. Die hatten sich wesentlich williger ergeben; anscheinend war ihnen die Unterbrechung gerade recht gekommen. Derik lag, den Kopf auf einem der Rucksäcke, ausgestreckt auf dem Boden und schnarchte, und Jennas hatte den Kopf auf den Tisch gelegt und war ebenfalls bereits eingeschlafen.
Brynna ließ sich neben Felico auf den Rand des zweiten Bettes fallen und begann wie er, ihre Stiefel aufzuschnüren. Als sie dann auch noch ihren dünnen Lederharnisch, den sie schon aus Gewohnheit immer trug, abgelegt hatte, blies sie die Öllampe aus und ließ sie sich nach hinten auf die Matratze fallen, die ihr im Vergleich zu ihrer Schlafrolle himmlisch weich vorkam. Weil es hier oben merklich kühler war als in der Schankstube, schlüpfte sie schnell unter die Decke. Der Mond schien durch die Spalten im Holz des Fensterladens ins Zimmer, und die wenigen Einrichtungsgegenstände warfen beinahe gespenstische Schatten an die Wände.
Felico stellte seine Stiefel neben Brynnas, lehnte seinen Stab neben dem Bett gegen die Wand und legte sich zu Brynna. Die rückte träge etwas zur Seite, um ihm Platz zu machen. Es war schön, nach langen Wochen wieder einmal in einem richtigen Bett zu schlafen, und dieses hier war groß genug für drei; sie hatten also reichlich Platz. Trotzdem blieb Brynna dicht bei Felico liegen. Sie schlief immer bei ihm; es gab ihr ein Gefühl von Sicherheit, und es machte sie ruhig, ihn neben sich zu wissen.
So auch jetzt. Schon halb im Schlaf rutschte Brynna wieder zu Felico hinüber und legte den Kopf an seine Schulter, was der junge Magier sich nur zu gern gefallen ließ. Es machte ihm nichts aus, dass Brynna nachts seine Nähe suchte; er selbst war auch nicht gern allein, vor allem nicht in der Nacht, wenn er fürchten musste, dass die Träume wiederkehrten. Schon lange war das nicht mehr geschehen, doch jetzt hatte er wieder dieses merkwürdige Gefühl, das sich so schwer deuten ließ. Und er wusste, wenn er dieses Gefühl hatte, dann kamen auch die Träume. Und die würden ihm den ersehnten Schlaf rauben.
/Nur diese eine Nacht,/ dachte er noch, bevor er einschlief, /lasst mir noch eine ruhige Nacht!/



So, Kritik und Hilfe erwünscht...
Neue Geschicht^! *trälla*

Wow, supergut!
Ich würde gerne noch mehr lesen, Kirtik fällt mir dazu nicht ein.
Klasse! Wirklich schön.
Ich glaube du warst vor einiger Zeit auch schon im Forum, nicht?

So zur Kritik:

„Du gibst dir immer noch die Schuld an ihrem Tod, habe ich Recht?“
„Das bin ich doch auch.[...]"


Grammatikalisch einfach nicht korrekt, aber Umgangssprachlich geht das schon.

Sie hatten den Auftrag gehabt, eine Reisegruppe durch den Schwarzen Wald zu begleiten. Brynna war überrascht gewesen, als sie gemerkt hatte, wer die Frau ihres Auftraggebers gewesen war.

Ich war ein wenig verwirrt. Du solltest erwähnen, dass die Frau unter der Gruppe ist, die sie bringen sollten.

Na ja,...^^° Ist eigentlich alles, was mir aufgefallen ist.
Nicht übel^^
Wenn irgend möglcih werde ichw eiterlesen^^°
Wow, gleich so viel Positives hätte ich mir nicht erhofft, aber danke :-)

Naja, wie gesagt, auf der Homepage steht mehr, aber ich kann das alles auch hier posten, wenn das genehmer ist; kein Problem.

@Kualquappe: Meintest du das irgendwie so:
<Brynna war überrascht gewesen, als sie gemerkt hatte, wer die Frau ihres Auftraggebers gewesen war, der sie als Begleitschutz für sich und seine Familie angeheuert hatte.>
?
Ich hab bis jetzt die Stelle gelesen, in der Felico seinen Traum hatte und mit Brynna darüber redet, gefällt mir sehr gut.
Nur eine Frage: Brynna und Felico sind nur Freunde, oder?

Wenn du es hier posten würdest, wäre das vielleicht wirklich einfacher, weil sich alle Kommis auf die selben Abschnitte beziehen.
@Cerlindael: Jep, das meinte ich ;)
Na denn, bereits geändert. Hast Recht, klingt irgendwie besser und klarer.
Nja, nun, dann hier also der Rest dessen, was auch auf der HP steht. Da ist vom ersten ein Sprung zum vierten Kapitel drin, also, wenn es Unklarheiten gibt, dann kann es durchaus sein, dass es im zweiten oder dritten Kapitel geklärt wird. Aber dann trotzdem fragen, damit ich schauen kann, welche das sind, und wenn ich merke, dass da was dabei ist, was auch nicht im zweiten oder dritten steht, hilft mir das ja auch.

@ Naruu: Bis jetzt noch^^
Njaaa, ich weiß ja selber noch nicht so genau, was ich mit denen anstelle; also einfach dranbleiben und überraschen lassen :-)


--->

Er träumte. Es war also geschehen; er war wieder in einem dieser Traumbilder, gefangen zwischen endlosen Ebenen und merkwürdigen Wäldern voller bizarrer Schatten. In diesen Welten konnte er sehen. Er erinnerte sich wieder, wie es war, die Welt farbig zu erleben; er wusste wieder, wie bunt sie sein konnte. Doch er hätte es lieber vergessen, wenn ihm dafür diese Träume erspart geblieben wären. Immer begann es in der selben Ödnis aus einem Untergrund, der weder hart noch weich war, und einem trüben, weißen Licht, das seiner Haut einen seltsamen Schimmer verlieh. Manchmal fand er sich dann plötzlich in Städten wieder, manchmal in Schlössern, und einmal hatte er von fern seine Heimat gesehen. Und immer passierte etwas Schreckliches, unmittelbar nachdem er dort auftauchte. Morde, Plünderungen, Überfälle, alles, was man sich nur vorstellen konnte.
Doch heute geschah nichts dergleichen. Er stand da, in dieser eintönigen, weißen Welt und es passierte gar nichts. Verwirrt wandte Felico den Kopf. Nichts, da war nichts. Was sollte das? Warum war er hier, wenn es nichts zu sehen gab?
Doch plötzlich geriet alles in Bewegung. Felico sah sich inmitten eines Wirbels aus weiß und schwarz, und ein silbernes Glitzern war hier und da zu sehen. Dann wurde es mit einem mal dunkel, und gerade als es Felico begann unheimlich zu werden, stoppte der Wirbel urplötzlich, und der junge Magier fand sich in einem scheinbar endlosen Raum aus Dunkelheit wieder, in dem nur der Glanz von Millionen von Sternen eine Art Zwielicht verbreitete. Und nicht nur das war anders als sonst. Was er sah, kam ihm dieses mal wesentlich realer vor als alle anderen Male zuvor, und er hatte fast das Gefühl, die Sterne greifen zu können, wenn er nur wollte.
Was sollte das? Wo war er hier hingeraten?
Noch bevor Felico richtig anfangen konnte, sich zu wundern, hörte er die Stimme. Sie sprach mit ihm, doch nicht durch Worte; er hörte nur die Bedeutung, und das allein in seinem Kopf.
„Weißt du, was das Herz der Sterne ist? Weißt du, welche Bedeutung es für dich hat?“
Felico wirbelte herum. Er wusste nicht, warum; er vermutete nur, dass die Stimme von dort kam. Und als hätte er es gewusst, erblickte er im nächsten Augenblick die Gestalt, die er in der matten Dunkelheit wie durch einen Nebel wahrnahm. Ein Mann musste es sein, der Stimme nach zu urteilen; wie groß er war, konnte Felico nicht sagen, und auch nicht, wie er sonst aussah. Es war, als verweigere ihm das Wesen seinen Anblick. Das einzige, was Felico sehen konnte, waren drei Sterne, die genau dort leuchteten, wo bei einem Menschen die rechte Schulter sein musste. Was ihn im nächsten Moment stutzig machte; sah er doch die Sterne auf dem Rücken des Mannes, obwohl er vor ihm stand.
Aber er hatte keine Zeit, sich zu wundern, denn der Mann sprach jetzt weiter, gab die Antwort auf seine Frage selbst.
„Du suchst es nicht, und wenn du darum wüsstest, dann würdest du es nicht haben wollen. Doch befindet es sich schon bei dir, und du kannst deinem Schicksal nicht mehr entgehen. Du bist an das Herz, seine Trägerin und die Getreuen gebunden, bis der Kampf vorbei ist. Der Krieger wird seine Hilfe leisten; die Zwillingsgipfel senden einen Gefolgsmann; der Geist des Schützen wird helfen, den Geist des Hexers zu bekriegen; die Trägerin, die das Herz des Siegels bringt, steht dir ebenfalls zur Seite, wenn du, der Blinde, der sieht, an ihrer Seite bleibst. Und der, der von den Sternen auserwählt ist, wird endlich seine Kräfte finden und einsetzen; ob zum Guten oder zum Bösen, das weiß am Ende nur er selbst. Doch die Kraft des Siegels muss gebannt werden, sonst wird die abscheuliche Flut des dunklen Kaisers über die Welt kommen und alles Gute verderben. Ihr seid die, die es tun werden. Ihr müsst diese Aufgabe meistern, sonst ist alles verloren.“
Als die Worte verklungen waren, hatte Felico sie noch nicht richtig in sich aufgenommen. Er brauchte noch einige Sekunden, bis ihm vollends ins Bewusstsein drang, was dieser Mann dort gerade gesagt hatte. Eine Aufgabe meistern? Was hatte das zu bedeuten?
Auf einmal begann der Mann zu verschwinden. Er entfernte sich, und gleichzeitig verblasste seine Gestalt; Felico konnte bereits durch ihn hindurch sehen.
„Nein, warte!“ rief er, „Was soll das? Warum sagst du mir das alles?“
Aber er bekam keine Antwort mehr. Wieder begann alles um ihn herum durcheinander zu wirbeln. Die Sterne zogen schimmernde Schweife durch die Luft, und Felico kam sich plötzlich klein und allein vor. Doch bevor diese Welt vollends verschwand, hörte er, wie aus weiter Ferne, eine Stimme, die sagte:
„Gib niemals auf.“

~<->~

Erschrocken fuhr Felico aus dem Schlaf; er brauchte einige Sekunden, um sich zurecht zu finden. Sein Herz raste. Fahrig tastete er nach beiden Seiten, und erst, als er Brynna neben sich fand, atmete er auf. Es war noch alles wie vorher, dem Himmel sei Dank.
Brynna indes spürte Felicos Berührung. Sofort war sie hellwach; schon viel zu oft waren sie nachts geweckt worden, weil eine Gefahr gedroht hatte. Schnell setzte sie sich auf.
„Was ist los?“ flüsterte sie, als sie Felico neben sich sitzen sah.
Als ihr Freund auf diese Frage hin zusammenzuckte, wusste sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Felico war nicht leicht zu erschrecken; das beunruhigte sie. Aber als sie sich in dem vom Mondlicht schwach erleuchteten Zimmer umsah, konnte sie nichts Ungewöhnliches entdecken.
„Felico, was ist?“ fragte sie erneut, „Hast du irgendwas gehört? Sag schon!“
„Ich hab dich geweckt,“ murmelte Felico statt einer Antwort, „tut mir Leid.“
Der merkwürdige, fast ängstliche Unterton in seiner Stimme machte Brynna misstrauisch. So war er sonst nie. Was war denn nur mit ihm los?
„Felico?“
Vorsichtig berührte sie seine Schulter, wobei sie feststellte, dass er zitterte.
„Alles in Ordnung mit dir? Geht es dir nicht gut?“
Felico schüttelte bloß den Kopf.
„Doch, doch, mit mir ist alles in Ordnung,“ sagte er leise, „ich habe nur... geträumt.“
„Geträumt?“
Ungläubig hob Brynna die Augenbrauen.
„Das muss ein beängstigender Traum gewesen sein. Merkst du eigentlich, dass du zitterst?“
„Ich- was? Nein, ich... es ist wirklich nichts!“ versicherte Felico hastig, was Brynna begreiflicherweise auch nicht überzeugte.
„Ich sehe doch, dass mit dir was nicht stimmt!“ beharrte sie, „Was ist los? Ist es der Traum? Nun sag schon!“
Felico gab auf. Er wusste, dass Brynna ihn durchschaute, ganz gleich, was er tat, und dass sie nicht nachgeben würde, bis sie wusste, was mit ihm los war.
Er nickte langsam.
„Ja. Dieser Traum... Brynna, das war kein normaler Traum.“
„Kein normaler Traum? Was war es denn dann? Meinst du so etwas wie... eine Vision?“
Brynnas Stimme klang nervös, und Felico glaubte zu wissen, warum. Visionen, Traumgesichte waren nichts Alltägliches; meist hatten sie nichts Gutes zu bedeuten. Und Felico hatte das dumpfe Gefühl, dass das auch dieses mal zutraf.
Wieder nickte er.
„Ja. Ich glaube, man kann es so nennen.“
Brynnas Gesichtsausdruck wurde nachdenklich.
„Eine Vision... und was hast du gesehen? Kannst du mir das sagen?“
„Ich kann, ja,“ antwortete Felico ausweichend, „aber ich bin nicht sicher, ob du es verstehen würdest. Ich verstehe es nicht einmal selbst.“
„Das wundert mich nicht,“ meinte Brynna, „ich verstehe nicht viel davon, aber sagtest du nicht einmal, dass Visionen selten von denen verstanden werden, die sie empfangen?“
Felico seufzte.
„Ich weiß, das habe ich gesagt. Und normalerweise heißt es, dass andere besser damit umgehen können als man selbst. Aber ich glaube nicht, dass aus dieser irgend jemand klug wird.“
„Warum versuchst du es nicht einmal? Vielleicht kann ich ja doch etwas damit anfangen.“
„In Ordnung. Wenn du willst.“
Brynna merkte, dass es Felico nicht unbedingt angenehm war, ihr davon zu erzählen. Aber sie wusste auch, dass ihm dieser Traum keine Ruhe lassen würde. Dafür kannte sie ihn viel zu gut. Felico hatte es ihr nie direkt gesagt, aber Brynna vermutete, dass er bereits früher solche Träume gehabt hatte. Schon mehrere Male hatte sie gemerkt, dass er morgens ungewöhnlich müde und nervös gewirkt hatte, ohne dass es einen Grund dazu gegeben hätte. Anfangs war ihr das nicht aufgefallen, aber irgendwann hatte sie festgestellt, dass sie später an solchen Tagen meist in ziemlich unangenehme Zwischenfälle verwickelt wurden. Wenn sie Felico auf seine Unruhe angesprochen hatte, hatte er immer behauptet, er habe einfach nur schlecht geträumt. Aber heute würde sie es nicht dabei bewenden lassen. Jetzt wollte sie endlich wissen, was das für Träume waren.
„Dann sag schon. Ich unterbreche dich nicht und werde auch nicht lachen, versprochen!“
Trotz seiner Aufregung musste Felico schmunzeln. Manchmal klang Brynna wirklich wie ein neugieriges Kind. Er versuchte dann, sich ihren Blick vorzustellen, ihr Lachen, und er kam jedes mal zu den Schluss, dass sie wunderschön sein musste. Sie hatte einmal versucht, sich selbst zu beschreiben, und Felico hatte versucht, ihre Beschreibung zu einem Bild zu formen. Aber er hatte nie mehr als eine vage Vorstellung, wie von allem anderen, was er nicht vor dem Unfall schon einmal gesehen hatte.
Und umgekehrt war es für ihn auch schwierig, anderen Dinge zu beschreiben, die er in seinen Träumen sah, weil er kaum mehr wusste, womit er sie vergleichen sollte, weil er die Dinge in seinen Träumen oft völlig anders sah. Aber er versuchte, so gut er konnte, Brynna zu schildern, was er gesehen hatte.
Die hörte aufmerksam zu. Als Felico die Sterne auf der Schulter des Mannes beschrieb, furchte sie die Stirn.
„Drei Sterne, sagst du? Auf der rechten Schulter?“
„Ja. Aber ich weiß eben nicht, wer er war. Ich habe dir ja gesagt, dass ich nicht weiß, wie er aussah. Es war so, als ob er sich mir absichtlich nicht zeigen wollte.“
„Ja, das hast du gesagt... hör mal, ich... weiß zwar nicht, wer dieser Mann war, oder von wem er gesprochen hat, aber ich glaube zu wissen, was mit diesem 'Herz der Sterne' gemeint ist.“
„Brynna, du überraschst mich.“
Felico legte versonnen den Kopf zurück.
„Du scheinst sehr genau über diesen Traum Bescheid zu wissen.“
„Das ist Zufall. Es hat nichts zu bedeuten.“
„Das habe ich nicht gesagt.“
„Aber du hast daran gedacht.“
Brynna seufzte leise.
„Und du hast Recht damit.“
Sie griff unter ihre Bluse und zog einen Anhänger an einer Kette hervor. Es war ein in Gold und Silber eingefasster Edelstein, etwas kleiner als ein Vogelei und flach, der im fahlen Licht blutrot glänzte. Brynna zog die Kette über den Kopf, griff nach Felicos Hand und legte den Anhänger hinein. Felico schloss die Finger darum. Er betastete den Anhänger, versuchte jedes Detail zu erfassen. Schließlich hielt er inne und wandte das Gesicht in Brynnas Richtung.
„Warum zeigst du mir das?“
„Diesen Anhänger habe ich von meiner Mutter bekommen, als ich sechs Jahre alt war,“ antwortete Brynna leise, „sie hat immer gesagt, wenn man den Stein ins Licht der Sterne hält, dann kann man sie darin tausendfach eingefangen und gespiegelt sehen. Deswegen hieße der Anhänger auch das 'Herz der Sterne'. Ich weiß nicht, ob es wirklich das ist, was der Mann in deinem Traum gemeint hat. Aber ich weiß, dass es kein gewöhnlicher Stein ist. Deswegen dachte ich, du solltest es wissen.“
Eine Weile schwiegen sie beide.
„Was meinst du,“ fragte Brynna dann plötzlich, „ist das alles Zufall, oder betrifft es wirklich uns? Ich meine, hat dieser Mann von uns gesprochen, bei dieser Aufgabe? Und was, wenn es doch andere Leute sind, von denen er gesprochen hat?“
„Ich weiß es nicht,“ antwortete Felico müde, „wenn ich das alles so genau wüsste, wäre es wohl etwas einfacher. Aber ich weiß es nunmal nicht, und vermutlich hat es keinen Sinn, jetzt noch weiter darüber nachzudenken. Ich will einfach nur endlich schlafen.“
Er gab Brynna den Anhänger zurück und legte sich wieder hin. Brynna schob die Kette unter ihre Bluse zurück und ließ sich ebenfalls in die weichen Kissen sinken.
„Und was, wenn-,“ setzte sie an, doch Felico schnitt ihr das Wort ab.
„Du machst dir zu viele Sorgen,“ murmelte er, schon wieder halb im Schlaf, „das bringt doch jetzt gar nichts. Morgen ist auch noch ein Tag. Da können wir uns noch früh genug Gedanken machen.“
Wie unrecht er damit hatte, ahnte er nicht.

~<->~

Brynna kam es vor, als wäre sie kaum eingeschlafen, als laute Stimmen sie weckten. Felico war ebenfalls wach; Brynna sah ihn im schwachen Licht des Zimmers blinzeln. Es musste kurz vor Sonnenaufgang sein.
Felico musste gemerkt haben, dass sie aufgewacht war, denn auf einmal fragte er leise:
„Hörst du, was da unten los ist?“
Die Stimmen kamen aus dem Schankraum. Brynna wusste nicht, was sie sagten, doch Felico schien mehr zu verstehen. Er runzelte die Stirn, dann setzte er sich plötzlich auf.
„Jemand sucht uns.“
„Was?“
Auch Brynna setzte sich auf. Jemand suchte sie? Wer sollte das denn sein?
Mit einem mal hatte Felico es furchtbar eilig, aufzustehen. Mit fliegenden Fingern schnürte er bereits seine Stiefel, als er sagte:
„Brynna, schnell, steh auf. Ich weiß nicht genau, wer es ist, aber ich habe die Stimme schon einmal gehört; im Wald, bei den Werynen. Die hier suchen jemanden, der wohl etwas sehr wertvolles bei sich trägt. Eine Frau. Und sie beschreiben dich, soweit ich das sagen kann, sehr genau.“
„Weryne? Mich? Felico, was-“
„Bitte, Brynna, nicht jetzt! Du musst verschwinden. Sie streiten zwar, aber ich glaube, der Wirt schickt sie herauf.“
Das klang gar nicht gut. Was suchten die denn bei ihr? Sie besaß doch gar nichts von Wert. Höchstens vielleicht...
„Felico, glaubst du, die suchen meine Kette?“
Inzwischen war Brynna ebenfalls angezogen.
„Möglich,“ antwortete Felico, „aber sie dürfen sie nicht bekommen. Du musst hier raus, schnell. Wir sind im ersten Stock, du kannst aufs Dach klettern, glaube ich. Schaffst du das?“
„Natürlich!“
Schon saß Brynna auf dem Fensterrahmen. Sie sah noch, wie Felico schnell nach ihrem Rucksack tastete und ihn unter das Bett schob, bevor sie sich an einem der Dachbalken nach oben zog. Ein schneller Blick über die Schulter und sie sah, dass sich am Horizont bereits der erste Lichtstreifen zeigte. Kaum, dass sie auf den Schindeln saß, hörte sie, wie die Zimmertür aufging. Sie suchte nach einem sicheren Halt, bevor sie sich wieder so weit herunterbeugte, dass sie hören konnte, was gesprochen wurde.
„Ist sie hier?“
„Nein. Jedenfalls sehe ich sie nicht.“
„Wer seid ihr, und was wollt ihr hier?“
Das war Felico. Brynna wusste nicht, was er gerade tat, aber sie konnte hören, wie jemand im Zimmer herum ging.
„Wir suchen eine Frau. Sie muss hier sein. Der Wirt hat es uns gesagt. Sie hat etwas, das uns gehört, und wir wollen es zurück.“
„Ich weiß nichts von einer Frau. Hier sind nur wir.“
„Das glaube ich nicht. Wir wissen, dass sie hier ist. Los, such weiter. Sieh nach, ob sie aus dem Fenster gestiegen ist. Und du rührst dich nicht vom Fleck!“
Brynna hörte die Schritte zum Fenster kommen, und gerade noch rechtzeitig lehnte sie sich zurück. Sie wartete, bis sie hörte, das die Person am Fenster zurück ins Zimmer ging.
„Da ist niemand aus dem Fenster geklettert. Ich kann unten keine Spuren sehen.“
„Verdammt. Sie muss hier sein! Du da, du sagst uns jetzt, wo diese Frau ist! Sofort!“
„Ich habe euch gesagt, dass ich nichts von einer Frau in diesem Zimmer weiß!“
„Lügner!“
Brynna zuckte zusammen, als sie den Schlag hörte. Sie musste sich zwingen, Felico nicht zu Hilfe zu kommen.
„Ich habe euch doch gesagt, hier ist keine Frau!“
Felicos Stimme klang gepresst.
„Wir sind allein hier!“
„Hier ist wirklich keine Frau. Entweder der Wirt hat sich im Zimmer geirrt, oder sie ist bereits gegangen. Aber hier ist sie nicht. Außerdem geht die Sonne bald auf. Wir müssen uns beeilen, damit wir rechtzeitig zurück sind. Wir haben schon viel zu lange gebraucht.“
„Sicher? Na gut. Da hast du verfluchtes Glück gehabt. Los, wir gehen!“
Brynna hörte die Tür ins Schloss fallen. Sie wartete noch einige Augenblicke, bis sie Felicos Stimme hörte.
„Sie sind weg, du kannst wieder herein kommen.“
Als sie wieder durch das Fenster kletterte, sah sie unten am Tor zwei in dunkle Mäntel gehüllte Gestalten auf ihre Pferde steigen und in Richtung Wald los galoppieren. Wer immer es war, sie sahen keinesfalls vertrauenerweckend aus.
Drinnen saß Felico auf dem Bett. Auf seiner Wange zeigte sich ein brennend roter Abdruck. Schnell setzte sich Brynna neben ihn.
„Alles in Ordnung mit dir?“ fragte sie besorgt.
Felico nickte.
„Ja, nichts passiert.“
„Waren das wirklich,“ Brynna schluckte, „Weryne?“
„Jedenfalls haben sie sich ganz danach angehört, und sich auch nicht viel besser verhalten.“
„Warum hast du nichts getan, als er ...“
„Ich wollte keinen Streit provozieren. Erstens sind wir hier nicht die einzigen, und zweitens schlafen die anderen immer noch fest. Du weißt, dass ich alleine keine Chance hätte, und selbst wenn du gekommen wärst, wäre es zu gefährlich gewesen.“
Brynnas Blick wanderte zu den anderen, die noch immer fest schliefen. Es wunderte sie, dass sie noch nicht aufgewacht waren, aber sie hatten am Abend zuvor ja auch mehr als reichlich getrunken.
Nachdenklich holte Brynna den Anhänger hervor und drehte ihn zwischen den Fingern. War es das, was die beiden seltsamen Fremden gewollt hatten? Und wenn ja, warum?
Ganz in Gedanken betrachtete sie den Stein. Sie hatte sich noch nie wirklich Gedanken darüber gemacht, dass dieser Stein vielleicht mehr sein könnte als nur ein schöner Schmuck. Als Kind war es für sie einfach nur ein Geschenk gewesen, an dem sie sich gefreut hatte und auf das sie sehr stolz gewesen war. Und später hatte es sie an ihre Familie erinnert; wenn sie in einsamen Nächten in den Stein geblickt hatte, hatte sie immer geglaubt, zwischen all den Sternen die Gesichter ihrer Schwestern, ihrer Großmutter und manchmal auch das verschwommene Gesicht ihrer Mutter zu sehen, und noch viele weitere Frauen, die sie noch nie gesehen hatte. Das hatte sie immer der Rolle des Steins als Familienerbstück und den magischen Kräften zugeschrieben, die ihm innewohnten.
Doch jetzt, nachdem Felico ihr von seinem Traum erzählt hatte, in dem ein Name für diesen Stein genannt worden war, den eigentlich außer den Frauen ihrer Familie niemand wissen konnte, war sie nicht mehr so sicher. Zumal ihr jetzt, nach langer Zeit, die sie diese Worte einfach vergessen hatte, wieder in den Sinn kam, was ihre Großmutter ihr einmal erzählt hatte. Dass der Stein magisch war, hatte sie gesagt, und dass die Götter selbst ihn gemacht und den Frauen ihrer Ahnen übergeben hatten, um ihn zu hüten, bis die Zeit gekommen war. Aber wenn Brynna dann gefragt hatte, welche Zeit sie denn meinte, dann hatte ihre Großmutter immer gelächelt und gesagt, das würde sie ihr dann erzählen, wenn sie dazu bereit wäre.
Aber Brynna hatte nie erfahren, welche Zeit gemeint gewesen war. Ihre Großmutter war gestorben, kurz nachdem Brynna zehn Jahre alt geworden war, und ihre Mutter hatte nicht mit ihr darüber gesprochen, bis sie mit siebzehn Jahren ihre Familie verlassen hatte, um dem Schicksal einer Zwangsheirat, einer Vernunftehe zu entgehen und ein eigenes Leben führen zu können. Sie hatte seitdem nie mehr mit ihrer Mutter gesprochen; Laverna war überhaupt die einzige Verwandte die sie wiedergesehen hatte, nach dem schrecklichen Streit, der sie endgültig veranlasst hatte, mit ihrer Familie zu brechen und zu gehen. Laverna... konnte sie sie jetzt auch noch sehen, wenn sie in den Stein blickte?
Nein, konnte sie nicht. So lange und intensiv sie ihn auch ansah, sie sah nichts als den dunkelroten Glanz und die Lichtreflexe, die die ersten Strahlen der Morgensonne jetzt auf den Stein zauberten. Was sollte denn das? Hatte sie sie nicht bisher auch sehen können? Was war denn los?
Sie seufzte unwillig auf, und Felico hörte es.
„Was ist?“ fragte er, Besorgnis in der Stimme. „Ist etwas nicht in Ordnung?“
Brynna schüttelte den Kopf.
„Nein, mir geht es gut, es ist alles in Ordnung.“
„So hörst du dich aber nicht an.“
Brynnas Mundwinkel hoben sich zu einem kleinen Lächeln. Vor ihm konnte sie nichts verbergen. Trotzdem, sie hatte das Gefühl, dass es besser wäre, wenn er noch nicht erführe, was sie über den Anhänger wusste. Später, vielleicht. Aber nicht jetzt. Er würde sich zu viele Sorgen machen; das wollte sie nicht.
„Mag schon sein. Aber es ist nichts besonderes, wirklich nicht. Mach dir keine Sorgen.“
Sie stand auf.
„Wir sollten hier nicht länger bleiben. Vielleicht bin ich überängstlich, aber ich fürchte, die beiden kommen zurück, sobald es dunkel ist; vielleicht sogar mit anderen. Und dann sollten wir möglichst weit weg sein.“
In diesem Moment klopfte es an der Tür, und Brynna zuckte erschrocken zusammen. Felico rief ein kurzes Herein, und der Wirt betrat daraufhin das Zimmer. Unruhig vergrub er die Hände in der fleckigen Schürze.
„Verzeiht, wenn ich Euch störe, aber ich wollte mich erkundigen, ob alles in Ordnung ist. Ich wusste nicht genau, was die beiden wollten, und ich dachte, vielleicht sollte ich nachsehen. Die haben unten ein paar Stühle und einen Tisch zerlegt, als sie gegangen sind; üble Gesellen sind das.“
„Ja, das wissen wir. Aber es ist nichts passiert,“ beruhigte Brynna den Mann, „wir wollen nur so bald wie möglich aufbrechen. Könntet Ihr... wäre es möglich, dass Ihr uns schon jetzt etwas zu essen bereitet?“
Eifrig nickte der Wirt.
„Ja. Natürlich. Wenn Ihr wünscht, könnt ihr gleich etwas bekommen.“
„Das wäre wunderbar, vielen Dank.“
Mit einer leichten Verbeugung entfernte sich der Wirt wieder. Brynna indes stand auf und ging hinüber zu Gabriel und Thoben, die noch immer fest schlafend im Bett lagen. Sie waren in den Decken fast verschwunden; nur noch zwei Haarschöpfe waren zu sehen, ein dunkelblonder und ein strohblonder.
Das kann doch nicht wahr sein!, dachte Brynna ungläubig, schlafen die etwa immer noch?
Unsanft rüttelte sie die beiden, bis Thoben schlaftrunken die Augen öffnete und in Brynnas Richtung blinzelte.
„Was ist denn los?“ brummte er, und Gabriel drehte sich zur anderen Seite und vergrub das Gesicht in der Matratze. Brynna ließ sich nicht beeindrucken und drehte ihn wieder auf den Rücken. Widerwillig schlug Gabriel schließlich ein Auge auf.
„Wie spät ist es denn? Müssen wir aufstehen?“
Brynna drehte sich um und ging zu Jennas und Derik hinüber, während sie antwortete:
„Ja, müssen wir. Wir ... hatten gerade recht unangenehmen Besuch, und ich fürchte, der kommt zurück, wenn wir noch länger bleiben. Also steht auf und macht euch fertig. - Ja, du auch, Jennas, schau mich nicht so an. Du bist selbst dran Schuld, dass du Kopfschmerzen hast!“
Gabriel öffnete auch noch das zweite Auge und setzte sich auf, was er jedoch gleich wieder bereute.
„Au! Verdammt, mein Kopf fühlt sich an, als würde er gleich platzen!“
„Selbst Schuld,“ kommentierte Brynna, während sie Derik und Jennas aufscheuchte.
„Ich weiß. Erinnere mich nicht daran, bitte.“
Gabriel kletterte ungelenk aus dem Bett, gefolgt von einem gähnenden Thoben.
„Was soll das überhaupt? Was für ein Besuch, und wieso müssen wir deswegen so früh aufbrechen?“
„Wenn ihr wach gewesen wärt, dann wüsstet ihr das jetzt auch,“ antwortete Brynna ungehalten. Ihr Ton weckte in Gabriel einen natürlichen Überlebensinstinkt.
„Ja, tut mir wirklich Leid,“ murmelte er zerknirscht, „aber, verstehst du, die Gelegenheit war so ... günstig.“
„Ja, das hat man gemerkt,“ zischte Brynna giftig.
Gabriel verkniff sich eine Antwort und ging stattdessen zu Felico hinüber, der in seinem Rucksack herumkramte. Gabriel ließ sich neben ihm auf das Bett fallen und schloss kurz die Augen, als ihm schwindlig wurde.
„Was ist denn mit ihr los?“ fragte er dann, „Hat sie Gespenster gesehen? Oder hat einer von den Burschen sie abblitzen lassen?“
Felico hielt in der Bewegung inne und wandte den Kopf. Als Gabriel seinen Gesichtsausdruck bemerkte, rutschte er instinktiv ein Stück zur Seite. Es war ihm nach all der Zeit noch immer unheimlich, wie durchdringend, geradezu bedrohlich die Augen seines Freundes wirken konnten. Er hatte sich einfach nicht daran gewöhnen können, und er glaubte fast, Brynna war die einzige, der das gelungen war.
„Mach jetzt bloß keine Scherze, Gabriel,“ sagte Felico leise, aber so, dass Widerspruch von vornherein zwecklos schien. „Du weißt, dass es ihr momentan nicht besonders gut geht. Und was heute morgen passiert ist, macht die ganze Sache nicht besser. Also würde ich vorschlagen, du bist still, bis wir ungestört darüber reden können.“
Verwirrt stand Gabriel auf und holte seinen eigenen Rucksack. Auch die anderen waren fertig, und so gingen sie hinunter in die Schankstube, wo sie bereits einen gedeckten Tisch vorfanden. Wenigstens hatten sie Glück gehabt und ein Gasthaus mit einem freundlichen Wirt gefunden. So mussten sie wenigstens keine Nörgeleien und Flüche über sich ergehen lassen oder riskieren, wegen der Weryne, die sie gesucht hatten, vertrieben zu werden.
Nun, das hätte sich ohnehin erübrigt. Nach dem Frühstück, das sehr schweigsam verlaufen war, brachen sie unverzüglich auf. Sie wussten nicht genau, wohin, nur erst einmal weg von hier. Brynna bot dem Wirt an, die Schäden zu bezahlen, die die Weryne verursacht hatten, doch der freundliche Mann lehnte ab. Sie seien ja nicht Schuld, sagte er, er würde die Verantwortlichen schon finden. Zwar glaubte Brynna das nicht, doch als der Mann partout nicht annehmen wollte, verabschiedeten sie sich und gingen hinüber zum Stall, wo sie einen der Stallknechte vorfanden. Der bärbeißige Alte schaute mürrisch drein, als er zu den Verschlägen hinkte, in denen ihre Pferde untergebracht waren. Sie sattelten die Tiere und verließen den Stall wieder. Brynna drückte dem Stallknecht vorher noch einige Münzen in die Hand, woraufhin sich dessen Stirn etwas glättete und er ihnen sogar eine gute Reise wünschte.
Nachdem sie sich verabschiedet hatten, beeilten sie sich, möglichst schnell wegzukommen. Sie wandten sich nach Süden, in Richtung der Stadt Lorlen. Bald trafen sie auf einen Parallelpfad zur großen Straße, die nach Süden führte. Der Weg, der in geringer Entfernung zum Wald verlief, lag wie ausgestorben vor ihnen; niemand sonst war unterwegs. Eine Weile ritten sie schweigend, niemand sagte ein Wort. Brynna und Felico hingen ihren eigenen Gedanken nach, und die anderen versuchten nach Kräften, die Kopfschmerzen zu ignorieren. Doch schließlich hielt Derik es nicht länger aus.
„Felico, Brynna, jetzt reicht es. Was ist los mit euch? Was ist heute morgen da passiert, dass wir Hals über Kopf aufbrechen mussten?“
„Jemand hat nach uns gesucht,“ antwortete Brynna, „genauer gesagt, nach mir. Und ich bin nicht sehr erpicht darauf, dass sie mich finden.“
„Jemand hat nach dir gesucht?“
Gabriel schloss zu Brynna auf und sah sie von der Seite an.
„Wer denn?“
Brynna schüttelte den Kopf.
„Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wer sie waren. Aber Felico sagte, er hat die Stimme wiedererkannt.“
„Die Stimme?“
Thoben grinste schief.
„Oh, dann müssen wir ihnen schon einmal begegnet sein. Unser Felico vergisst sowas ja nicht.“
Felico verdrehte die Augen, eine Geste, die er sich nie hatte abgewöhnen können.
„Es wäre schön, wenn ich ab und zu einmal etwas vergessen könnte. Und du fändest es nicht halb so komisch, wenn du wüsstest, wo wir ihnen begegnet sind.“
Thoben zog die Augenbrauen zusammen.
„Wie meinst du das denn? Die haben uns doch nicht schonmal überfallen, oder?“ fragte er, noch immer halb im Spaß.
„Doch, genau das,“ warf Brynna ein, „vor zwei Tagen erst. Ihr wisst, wer das war.“
Einen Moment lang herrschte entgeistertes Schweigen. Dann fand Jennas seine Sprache wieder.
„Die Weryne haben dich gesucht? Ja, aber, wieso das denn? Na schön, du hast zweien von ihnen den Garaus gemacht, aber da bist du ja nicht die einzige. Warum ausgerechnet du?“
„Weil sie etwas hat, das die Weryne haben wollen,“ antwortete Felico an Brynnas Stelle, „und ich glaube, sie würden einiges dafür tun, um an diesen Gegenstand zu kommen.“
„Ein Gegenstand?“ fragte Derik, „Was für einer? Und warum wollen sie ihn unbedingt haben?“
„Ich weiß nicht, wieso,“ meinte Brynna, „sie sind gekommen und haben nach mir gesucht, und als sie mich nicht gefunden haben, sind sie wieder verschwunden. Und es wundert mich immer noch, dass ihr nicht aufgewacht seid, während sie da waren.“
„Ich glaube, du weißt selbst, woran das gelegen hat,“ brummte Gabriel, „ich fühle mich ja jetzt kaum besser. Aber jetzt sag schon, was ist das, was sie von dir wollten?“
Brynna antwortete nicht gleich. Sie schwieg einige Momente, bevor sie langsam sagte:
„Ich glaube, es ist ein Anhänger, ein Edelstein. Ich habe ihn, seit ich sechs Jahre alt bin. Es ist ein Familienerbstück. Vielleicht wollen sie ihn haben, weil sie glauben, dass er magisch ist, oder sonst etwas.“
„Oder weil sie wissen, was ich gesehen habe.“
„Was?“
Überrascht wandte sich Brynna zu Felico um.
„Du meinst, vielleicht wussten sie das, was du gesehen hast, schon vorher?“
„Schon möglich. Ich weiß es nicht.“
„Wie, gesehen?“
Thoben sprach die Frage aus, die sich auch Derik, Gabriel und Jennas stellten.
„Wovon sprecht ihr beide da eigentlich?“
Felico zögerte einen Moment, dann berichtete er den anderen, was am Morgen passiert war, und von dem Traum, den er in der Nacht gehabt hatte. Still hörten die anderen zu. Brynna sah die Verwirrung und das Misstrauen in ihren Gesichtern. Sie konnte ihre Freunde verstehen. Visionen bedeuteten selten etwas Gutes, und diese hier schien von vornherein schlechte Neuigkeiten zu verheißen. Doch dafür konnte Felico ja nichts. Er war nur derjenige, der die Bilder sah, nicht der, der ihnen dazu verhalf, Wirklichkeit zu werden.
Felico spürte die Blicke der anderen im Rücken, wie Sonnenstrahlen, die seine Haut verbrannten. Er fühlte sich unbehaglich. Vielleicht hätte er schweigen sollen. Er hatte ja gewusst, in welchem Ruf die Leute standen, die Visionen und Gesichte hatten, und dieser Ruf war nicht der beste, wenn man solchen Leuten überhaupt Glauben schenkte. War er zu weit gegangen, als er von dem Traum erzählt hatte?
Da spürte er eine Hand auf seiner. Es war Brynna. Ihre Hand war warm und weich, nicht so rau wie etwa Thobens oder Deriks, und ihre Finger waren schlanker. In dieser Berührung lag mehr als beruhigende Worte. Mach dir keine Sorgen, schien sie zu sagen, du kannst nichts dafür. Und mir ist das egal.
Felico war dankbar dafür, dass sie ihm noch vertraute, oder zumindest ihr Misstrauen beiseite schob. Er wartete noch immer auf eine Reaktion der anderen, doch er hatte Angst vor dem, was sie sagen würden. Schließlich hörte er Jennas' Stimme.
„Ist das wahr?“ fragte er, „Du hast wirklich so etwas gesehen?“
Bedrückt nickte Felico. Hatte er wirklich Verständnis erwartet?
„So... und was willst du jetzt machen? Ich meine, das klingt ja fast, als hättest du es aus einer alten Sage oder einem Märchen. Glaubst du, wir werden jetzt auch Helden?“
Überrascht und erleichtert zugleich nahm Felico den fast spöttischen Unterton in Jennas' Stimme zur Kenntnis. Er glaubte ihm. Und er klang nicht, als mache es ihm etwas aus, dass sein Freund plötzlich Visionen hatte. Er schien sich ja fast darüber lustig zu machen. Aber das war wohl seine Art, mit so etwas umzugehen.
Felico schüttelte belustigt den Kopf.
„Das weiß ich nicht. Wärst du gerne einer?“
Jennas lachte.
„Tja, wieso nicht? Ich meine, so ein Held lebt doch nicht schlecht. Den ganzen Tag lang gegen Drachen und andere Ungeheuer kämpfen, schöne Prinzessinnen retten, Schätze finden... das wäre ein Leben!“
„Ja, und nicht zu vergessen die tödliche Gefahr, in die sich so ein Held jeden Tag begibt, ohne mit der Wimper zu zucken!“ warf Gabriel ironisch ein, und die anderen brachen in Gelächter aus. Vorerst dachte niemand mehr an Felicos Traum.
Den restlichen Tag reisten sie in wesentlich besserer Stimmung weiter, und als sie am Abend im Schutz einer kleinen Baumgruppe rasteten, war wieder alles wie vorher. Jedenfalls schien es so.</font>


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4

<font size="-1">Nun war es also beschlossen; es war nurmehr eine Frage der Bedingungen. Am nächsten Morgen machte sich Brynna allein auf den Weg zu Luthael, um ihm ihre Entscheidung mitzuteilen. Der Alte Magier war hocherfreut.
„Ich danke Euch, dass Ihr Euch doch entschieden habt, uns zu helfen,“ sagte er, „das erleichtert mich sehr.“
Brynna schüttelte den Kopf.
„Ihr wisst so gut wie ich, dass es eigentlich nicht meine Entscheidung war,“ antwortete sie, „und seid Euch im Klaren darüber, dass wir Euch auch nur für eine angemessene Vergütung helfen werden.“
Luthaels Lächeln gefror.
„Damit haben wir bereits gerechnet. Sorg Euch nicht darum, wir werden Euch zukommen lassen, was Ihr verdient. Seid versichert, es wir mehr als genug sein... und es wäre mir lieber, Mestra, wenn Ihr mir nicht das Gefühl geben würdet, Euch zu dieser Sache zu zwingen.“
Brynna schnaubte verächtlich.
„Das tut Ihr nicht, gewiss nicht. Ich würde mich keinesfalls von Euch zu etwas zwingen lassen, glaubt mir. Das tue ich selbst. Also,“ fuhr sie in etwas ruhigerem Tonfall fort, „ich gehe davon aus, dass wir, was immer wir tun sollen, nicht hier tun werden. Wann brechen wir auf, und wohin?“
Luthael schien ihre nicht besonders höflichen Worte von eben zu ignorieren. Stattdessen antwortete er, als wäre nichts geschehen:
„Ja. Das stimmt. Wir werden nach Osten gehen, nach Sethlan; eine Stadt am Fuß des Gebirges. Wer von der alten Gilde noch lebt, hält sich dort auf. Wir sollten nicht voreilig handeln; wir müssen unser Vorgehen planen. Ich... warte hier noch auf jemanden, aber morgen früh werden wir aufbrechen.“
„Sethlan... das ist weit. Vier oder fünf Tage zu Pferd, und wir sind aufgrund unglücklicher Umstände leider gezwungen, bis auf weiteres zu Fuß zu gehen...“
Luthael verstand. Er machte eine unbestimmte Geste mit der Hand.
„Nun, wenn das so ist, werde ich mich darum kümmern. Seid nur morgen kurz nach Sonnenaufgang unten auf dem Platz.“
„In Ordnung.“
Ohne ein weiteres Wort drehte Brynna sich um und ging. Sie fiel in einen langsamen Schritt, während ihre Gedanken sich selbstständig machten. Zum ersten mal keimte in ihr die Frage auf, worauf sie sich da wirklich eingelassen hatte. Sie musste sich eingestehen, dass sie eigentlich so gut wie gar nichts darüber wusste, was auf sie alle zukam. Und die Aussicht, in kaum einer Woche ihrer Mutter wieder unter die Augen treten zu müssen, stimmte sie nicht unbedingt fröhlicher. Sie waren zerstritten, seit Mirena darauf bestanden hatte, sie zu verheiraten. Moran, ihrem Vater war das egal gewesen; dass sie mit sechzehn noch nicht einmal verlobt, geschweige denn verheiratet war, hatte ihn nicht interessiert. Er hatte sich gern mit seiner ältesten Tochter unterhalten über Dinge, über die er nicht einmal mit seiner Frau besprochen hatte. Er hatte sie immer eher wie einen Sohn behandelt, und ihr vieles durchgehen lassen. Ihre Mutter hingegen hatte ihr nicht so viele Freiheiten zugestanden. Sie hatte gewollt, dass Brynna endlich Lavernas Beispiel folgte und heiratete. Ihre Schwester - zu diesem Zeitpunkt gerade fünfzehn - war da bereits verlobt, die Hochzeit für das nächste Frühjahr geplant gewesen. Laverna hatte jedoch auch nie mehr vom Leben erwartet, als einen guten Mann zu heiraten und eine Familie zu gründen. Zudem hatte sie Lanciel von Anfang an gemocht, wohingegen der von ihrer Mutter für Brynna ausgesuchte Herzog Wie-war-noch-gleich-der-Name nicht nur fünfundzwanzig Jahre älter, sondern auch ausgesprochen arrogant gewesen war; er hatte Brynna noch vor der offiziellen Verlobung quasi als sein Eigentum betrachtet.
Brynna hatte vergeblich versucht, ihre Mutter umzustimmen, um wenigstens ihren Ehemann selbst aussuchen zu können, doch ohne Erfolg. Da hatte sie den Entschluss gefasst, zu gehen. Sie würde ihr Leben selbst bestimmen. Es gab strenge Traditionen, doch es sprach kein Gesetz dagegen, dass sie sich von der Abhängigkeit lossagte. Sie hatte beschlossen, ihr Brot durch das Kämpfen zu verdienen. Ein wenig hatte ihr ihr älterer Bruder beigebracht, und alles andere würde sie eben lernen müssen. Aber das würde sie schon schaffen.
Wo es ging, hatte Brynna Geld beiseite gelegt, um eine weitere Ausbildung bezahlen zu können. Es würde schwer werden, das hatte sie gewusst, aber sie würde es versuchen. Mit ihren kümmerlichen Handarbeiten hätte sie sich kaum durchschlagen können, und als Hure hatte sie nicht enden wollen.
Aber zumindest am Anfang war ihr dann doch keine Wahl geblieben. Sie hatte ein Jahr lang in einem Bordell gearbeitet, um die Ausbildung bezahlen und einigermaßen gut leben zu können. Als sie diese Zeit endlich hinter sich gehabt hatte, hatte sie sich geschworen, es nie wieder so weit kommen zu lassen.
Und das war ihr ja dann auch gelungen. Sie hatte genug zum Leben und konnte sparen für die Zeit, in der sie zu alt sein würde, um zu kämpfen; wenn sie überhaupt so alt wurde. Nun, und sie hatte Freunde gefunden, die sie um ihretwillen mochten. Das war das Wichtigste.
Was würde wohl ihre Mutter sagen, wenn sie erfuhr, was aus ihrer Tochter geworden war? Glaubte sie eigentlich, dass sie überhaupt noch am Leben war? Aber sie hätte Luthael bestimmt von ihr erzählt, wenn sie ihm hatte helfen wollen. Oder hatte sie ihm lediglich das Nötigste gesagt, ohne Brynna überhaupt zu erwähnen? Vielleicht war Laverna jetzt in ihren Erzählungen, in ihren Gedanken an die Stelle der ältesten Tochter gerückt. Es würde Brynna nicht wundern; ihre Mutter hatte unliebsame Tatsachen gerne ignoriert und in den Hintergrund gedrängt. Wahrscheinlich hatte sie es mit der unliebsamen Tochter genauso gemacht.
Brynna schnaubte verächtlich. Und wenn schon! Es war ihr ohnehin egal; sie kam zurecht, sie brauchte sie nicht, und sie vermisste sie nicht. Das einzige, was sie überhaupt je vermisst hatte, waren ihre Geschwister gewesen. Ihre Brüder, den damals neunzehnjährigen Alwyn, den zwölfjährigen Ivan und die sechsjährigen Zwillinge Magnus und Marek. Ihre Schwestern, die achtjährige Luzanna und Gwendolyn, die damals erst drei Jahre alt gewesen war. Was wohl aus ihnen geworden war? Und ihr Vater - was war mit ihm? Würde sie ihn jemals wiedersehen?
Plötzlich spürte Brynna ein ihr vertrautes Prickeln im Nacken. Irgendjemand verfolgte sie. Sie blieb stehen und drehte sich um. Gerade noch rechtzeitig sah sie das silberne Aufblitzen; erschrocken schrie sie auf und sprang zur Seite. Der Dolch fuhr ins Leere, und die in einen dunklen Kapuzenmantel gehüllte Gestalt geriet ins Stolpern. Ein derber Fluch drang unter der Kapuze hervor; der Angreifer wandte sich wieder Brynna zu und ging erneut auf sie los. Brynna brachte sich mit einem raschen Sprung außer Reichweite. Dabei trat sie jedoch unglücklich in eine Lücke zwischen zwei der aneinander gefügten Stämme, aus denen der Fußweg bestand, und verdrehte sich den Knöchel. Fluchend duckte sie sich unter einem weiteren Hieb hindurch und entkam der Klinge knapp. Hinter sich hörte sie aufgeregte Stimmen, und mit einem mal war die schmale Brücke voller Leute. Sie mussten mitbekommen haben, was hier passierte, und jetzt bildete sich eine Menge, die Brynna von einem auf den anderen Augenblick von dem seltsamen Angreifer abschirmte. Jemand rempelte sie an, und plötzlich hielt Brynna es für eine ausnehmend gute Idee, zu verschwinden. Sie lief den Weg zurück und bog gleich darauf in den Hauptweg ein. Nur noch am Rande bekam sie mit, wie die mittlerweile aufmerksam gewordenen Stadtwachen die Leute aufforderten, weiterzugehen. Die Gestalt im schwarzen Mantel war nirgends mehr zu sehen. Es war so schnell vorbei gewesen, wie es begonnen hatte.
Brynna eilte, ohne auf das dumpfe Pochen in ihrem Knöchel zu achten, zurück zu ihrem Quartier. Immer wieder spähte sie unruhig über die Schulter; sie war sich kaum der verwunderten Blicke bewusst, die die Leute auf den Wegen ihr zuwarfen. Sie wollte nur dahin zurück, wo sie glaubte, in Sicherheit zu sein.
Als sie endlich die Zimmertür hinter sich schloss, atmete sie unendlich erleichtert auf. Von einer plötzlichen Müdigkeit übermannt, ließ sie sich an der Tür hinab gleiten. Ihr Kommen hatte Thoben und Felico aufmerken lassen. Sie waren allein; Gabriel, Jennas und Derik waren wieder verschwunden. Über Thobens Züge huschte ein Ausdruck von Überraschung; schnell ging er neben Brynna in die Knie.
„Was ist denn mit dir passiert?“ fragte er, Besorgnis in der Stimme. „Hat dich jemand angegriffen?“
Müde nickte Brynna. Sie gewahrte flüchtig einen blutenden Schnitt in ihrem Gesicht, aber im Augenblick war es ihr egal.
„Ja, auf dem Rückweg.“
Sie schloss kurz die Augen.
„Der wusste, was er tat. Ich glaube, das war ein bezahlter Mörder.“
„Ein bezahlter Mörder?“
Felicos Stimme klang erschrocken. Brynna richtete ihren Blick auf ihn. Er saß auf einem von zwei Schemeln unter dem Fenster. Thoben nahm Brynna bei der Hand, zog sie hinüber zu dem zweiten Schemel und drückte sie darauf nieder. Felico legte ihr die Hand auf den Arm.
„Erzähl; was ist passiert?“
Langsam, mit leiser Stimme erzählte Brynna, was passiert war. Während Thoben stumm zuhörte, konnte Brynna förmlich spüren, wie eine plötzliche Furcht von Felico Besitz ergriff. Wie so oft in letzter Zeit kam ihr auf einmal der Gedanke, dass sein Gebaren zunehmend merkwürdig wurde. Mehrere Male fragte er Brynna, ob es ihr auch wirklich gut ging, und sie versicherte ihm jedes mal aufs Neue, dass mit ihr alles in Ordnung war. Thoben schüttelte den Kopf; wenn es nicht so ernst gewesen wäre, hätte er beinahe gelacht.
„Felico, nun lass mal gut sein,“ meinte er, „es geht ihr gut. Lass sie doch erstmal ausruhen. Wir sollten nicht überreagieren. Seien wir realistisch; wir hätten damit rechnen müssen. Erinnere dich an das, was Luthael euch gesagt hat. Wenn der Kaiser den Schmuck haben will, wird er alles dafür tun, gedungene Mörder eingeschlossen. Ich will hier nichts verharmlosen; wir müssen einfach vorsichtiger werden, ganz besonders du, Brynna.“
„Als ob ich das nicht selber wüsste,“ murrte diese, aber ihre zuckenden Mundwinkel verrieten Thoben, dass sie ihm Recht gab. Sie stand auf und ging zum Fenster, wobei sie nervös ihre Hände verschränkte, nicht wissend, wohin mit ihnen.
„Ich will aber nicht hier bleiben und Däumchen drehen, nur weil es sicherer ist. Das würde mir irgendwann den letzten Nerv rauben, das weißt du genau.“
Thoben und Felico fingen beide an zu lachen.
„Das verlangt ja niemand von dir,“ grinste Thoben, „weil wir dann deine Launen ertragen müssten. Nur... wenn du gehst, nimm einen von uns mit, ja? Dann müssen wir uns weniger Sorgen machen.“
Ein Schatten des Unmuts zog über Brynnas Gesicht.
„Was ist denn mit euch los? Ihr behandelt mich ja, als wäre ich ein Kind. Ich bin durchaus in der Lage, auf mich selbst aufzupassen.“
Sie spürte, wie zwei Hände sich auf ihre Schultern legten. Felico war aufgestanden und hinter ihr ans Fenster getreten. Als er sprach, glaubte Brynna einen Unterton in seiner Stimme zu hören, der da sonst nie war.
„Das wissen wir doch. Es ist nur so, dass wir uns Sorgen um dich machen, und es ist beruhigender zu wissen, dass wer immer dich angreift, sich mit zweien anlegen muss. Das macht es ihm gleich schwerer; verstehst du? Wir wollen ja nicht, dass dir etwas passiert.“
Brynna seufzte.
„Ja, schon. Ihr habt ja Recht. In dieser Sache wenigstens. Wenn es mir auch sonst widerstrebt, auf euch zu hören.“
„Das beruhigt mich ungemein.“

~*~


Weitere Meinungen erbeten.
Also mri gefällt es anch wie vor gut obwohl der sprung natürlich fragen aufwirft^^
für mich diese:

was ist zwischendurch passiert ;-)
Sie haben eine lustige Party gemacht mit dem Werynen, mit denen sie sich eigentlich ganz gut vertragen, haben zusammen ein paar Joints geraucht und Hulahup getanzt ;-)
Naja, oder so ähnlich. Ich kann ja versuchen, grob zusammenzufassen, um was es geht. Braucht halt etwas Zeit, weil ich im Augenblick an Kapitel 5 arbeite...
np
Ich hab mich jetzt endlich mal aufgerafft und versucht, eine etwas langatmigere Zusammenfassung auf das Essentielle zu kürzen. Das Ganze steht dann immer zwischen den einzelnen Abschnitten, wo es im Buch auch steht. Allerdings müsste ich dafür jetzt alles, was oben steht, nochmal posten, und das wäre etwas sehr umfangreich. Wer Interesse hat (etwas Neues gibt es übrigens mittlerweile auch), kann ja auf der Homepage lesen, wenn es keine Umstände macht. Sonst wird der Thread etwas sehr extrem lang...
macht nix! immer her damit! ich lese alles, auch jeden Schund, da wär mal was gutes zu Ausgleich ganz erwünscht...
Also gut, gufo, ich nehm dich beim Wort^^
Hier also alles, was auf der Homepage steht...

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1

„So, hier habt ihr euren Nachschub!“
Das Schankmädchen stellte sechs weitere Krüge mit Ale auf den Tisch. Wohl, weil sie wusste, was sie für gewöhnlich von ihren Gästen zu halten hatte, nahm sie gleich das Geld und verschwand dann, um den nächsten Tisch zu bedienen.
Gabriel, Derik, Thoben und Jennas griffen sofort nach den Krügen und tranken sich laut singend zu, während Brynna erst Felico einen Krug hinschob, bevor sie selbst trank.
„Sie trinken schon wieder zu viel, habe ich Recht?“
Felico wandte sich in Brynnas Richtung. Die nickte, bevor ihr wieder einfiel, dass er das ja nicht sehen konnte.
„Ja, das tun sie,“ antwortete sie, „aber das ist ja nichts neues. Lassen wir sie einfach, morgen bekommen sie die verdiente Strafe.“
Felico lächelte.
„Ja, und wie ich sie kenne, dürfen wir uns mit den Folgen herumschlagen.“
Er lehnte sich an die warmen Außensteine des Kamins und seufzte.
„Können sie es denn nicht einmal lassen?“
Brynna lachte leise.
„Du kennst sie doch. Wenn sie die Gelegenheit haben, dann lassen sie sie nicht ungenutzt verstreichen.“
Sie lehnte sich ebenfalls zurück und beobachtete die anderen, wie sie jetzt untereinander wetteiferten, wer am schnellsten seinen Krug leerte, während er eine leere Suppenschale auf der Stirn balancierte.
„Je mehr sie trinken, desto mehr verhalten sie sich wie Kinder,“ bemerkte sie, und Felico lachte.
„Du meinst, noch mehr als sonst?“
„Sofern das möglich ist, ja.“
Sie nippte an ihrem Ale, bevor sie den Krug abstellte.
„Na ja, wenigstens haben sie heute einen Grund dazu. Diese Reise war der erste Auftrag seit Wochen. Da können sie sich ja freuen.“
Felico merkte, wie sich ihre Stimme veränderte. Er stellte seinen Krug auf den Tisch und tastete nach Brynnas Hand; tröstend drückte er sie.
„Du gibst dir immer noch die Schuld an ihrem Tod, habe ich Recht?“
„Das bin ich doch auch. Felico, ich weiß, ich hätte sie retten können, wenn ich nur nicht so panisch reagiert hätte!“
„Brynna, bitte! Das waren Weryne! Und gleich sieben auf einmal! Ich wüsste nicht, dass jemand in dieser Situation anders gehandelt hätte als du!“
Brynna ließ den Kopf hängen. Ihr Freund hatte ja Recht. Und doch, sie wusste genau, dass ihre Schwester nicht hätte sterben müssen.
„Ich weiß. Aber wenn meine Angst mich davon abhält, Menschen zu schützen, dann habe ich mir vielleicht den falschen Beruf ausgesucht. Dann hätte ich doch heiraten sollen.“
„Brynna. Du weißt, dass du dich sicher nicht falsch entschieden hast. Niemand macht dir eine Vorwurf; das, was da passiert ist, hätte jedem passieren können. Du hattest Angst, und die hätte jeder gehabt an deiner Stelle. Außerdem,“ fügte er gedehnt hinzu, „ist Furcht nicht immer ein schlechter Ratgeber. Was wäre passiert, wenn du geblieben wärst und gekämpft hättest? Wahrscheinlich wärt ihr jetzt beide tot. Ich möchte den Tod deiner Schwester nicht abschwächen oder schönreden, aber ich glaube, das wäre ihr auch nicht recht gewesen. Hast du auch darüber nachgedacht?“
Brynna antwortete nicht sofort. Schon fast aus Gewohnheit suchte sie Felicos Blick. Als sie dann in seine verschleierten braunen Augen blickte, fiel ihr einmal mehr auf, wie durchdringend sein Blick trotz seiner Blindheit sein konnte. Manchmal glaubte Brynna sogar, dass er mehr von den Menschen sah als alle anderen. Er war etwas besonderes, das wusste Brynna. Er war der einzige Mensch, den sie kannte, der immer seine Ruhe behielt, egal, was um ihn herum passierte. Er war es, der schlichtete, wenn es zum Streit kam, und er hatte für alle ein offenes Ohr. Er war schon bei der Gruppe gewesen, als Brynna dazugekommen war, und das erste, was ihr aufgefallen war, war die Tatsache, dass er, obwohl er blind war, keineswegs hilflos war. Seine anderen Sinne waren umso wacher, und nur selten benötigte er Hilfe. Und nie, nie hatte sie ihn auch nur ein Wort der Klage über sein Leiden verlieren hören. Er sah es auch nicht als ein Leiden; er hatte sich damit arrangiert, sich daran gewöhnt und führte sein Leben nun einfach ohne Sehkraft. Er brauchte sie nicht mehr, er war nicht darauf angewiesen.
Ein einziges mal nur hatte Brynna ihn gefragt, wie er es denn geschafft habe, seinen Lebensunterhalt trotz allem als Söldner zu bestreiten, und ob es nicht manchmal schwer für ihn wäre. An jenem Abend hatten sie lange geredet, und Brynna hatte erfahren, dass Felico selbst am Anfang nicht gewusst hatte, wie er hätte weitermachen sollen. Er war erst sechzehn gewesen, als es einen Unfall in dem magischen Labor gegeben hatte, in dem er gelernt hatte; bei diesem Unglück waren drei seiner Studienkollegen getötet worden, einer hatte eine Hand verloren und er selbst sein Augenlicht. Zu diesem Zeitpunkt, als er mitten in seinen Studien gesteckt hatte, war das für ihn mehr als schrecklich gewesen, und beinahe wäre er daran verzweifelt. Mehrere Wochen lang war er nicht fähig gewesen, auch nur irgendetwas zu tun. Er hatte sich beinahe aufgegeben; er hatte einfach nicht gewusst, was er hätte tun sollen, war sich nutzlos vorgekommen und hatte nicht geglaubt, jemals wieder etwas leisten zu können.
Bis er dann gemerkt hatte, dass ihm diese Apathie nichts brachte. Er hatte genau gewusst, dass er seine Studien in diesem Zustand niemals hätte so zu Ende bringen können, wie er es gewollt hatte. Doch er hatte auch gemerkt, dass es andere Möglichkeiten für ihn gab. Von da an hatte er wieder versucht, sich eine Platz im Leben zu erkämpfen. Er hatte gelernt, sich alleine, nur mit Hilfe eines Stabs, durch die Gänge der Akademie zu bewegen und hatte jede unnötige Hilfe im Alltag kategorisch abgelehnt. Er hatte mit viel Mühe gelernt, Dinge, die er sonst einfach und schnell erledigt hatte, auf eine andere Art zu tun, um nicht ständig auf jemanden angewiesen zu sein, und ein Jahr nach dem schrecklichen Unfall hatte er wieder gelernt, selbstständig zu leben.
Und dann hatte er Lorano kennen gelernt. Lorano vom Hohen Turm, der Vorsteher der Magiergilde von Dalereuth, hatte die Akademie besucht. Eines Abends hatte Felico ihn in der Bibliothek getroffen, und der Erzmagier hatte sich beeindruckt gezeigt von Felicos Bemühen, die auf das dicke Pergament der Folianten geschriebenen Worte durch Ertasten der Abdrücke zu lesen, und er hatte wissen wollen, wie der junge Magier es geschafft hatte, ein scheinbar so normales Leben zu führen. Es schien beinah, als habe Felico mit der Zeit eine Art sechsten Sinn dafür entwickelt, der ihm half; was womöglich nicht zuletzt an seiner magischen Begabung lag.
Als Lorano dann erfahren hatte, was passiert war, und wie Felico danach weitergelebt hatte, war er beim Leiter der Akademie vorstellig geworden. Er hatte vorgeschlagen, Felico persönlich auszubilden, in der Magie wie auch in der Kampfkunst der Magierkrieger. Dieser junge Mann habe ein großes Potential, hatte er gesagt, und das dürfe man nicht einfach verloren gehen lassen. Meister Luthael hatte schließlich eingewilligt, und Felico hatte Lorano für drei Jahre nach Elethys in den Hohen Turm, das Zentrum der Magiergilde Dalereuths, begleitet. Dort hatte er gelernt, was ein Magierkrieger wissen und können musste. Anfangs war es nicht leicht für ihn gewesen, aber nach und nach hatte er aufgeholt, was ihm die anderen Schüler dort voraus gehabt hatten, und seine Prüfung hatte er als drittbester des Jahrgangs bestanden.
Danach hatte er noch eine Weile für die Gilde gearbeitet, hatte in ihrem Auftrag Reisen begleitet oder wichtige Waren geliefert. Auf einer seiner Reisen hatte er dann Gabriel, Jennas und Derik kennen gelernt. Beeindruckt von seinem Talent, hatten sie ihn gefragt, ob er sie nicht begleiten wolle; jemand wie er würde ihnen noch fehlen für die nächste Expedition; selbstverständlich würde er als gleichberechtigter Partner behandelt werden.
Felico hatte eingewilligt; sie waren mehrere Wochen zusammen unterwegs gewesen, und als sie sich wieder hatten trennen müssen, hatte Gabriel Felico gebeten, bei ihnen zu bleiben. Felico hatte nicht lange überlegt; er hatte seinen Dienst bei der Gilde aufgekündigt und war mit ihnen gegangen. Nicht lange danach hatte sich auch Thoben ihnen angeschlossen, und kurz nach ihm war Brynna zu der Gruppe gestoßen.
Fünf Jahre war das nun her, und in dieser Zeit hatten sie viel miteinander erlebt. Viele schöne Zeiten hatten sie gehabt, doch genauso hatte es Zeiten gegeben, in denen alles schief gegangen war. So wie jetzt.
Sie hatten den Auftrag gehabt, eine Reisegruppe durch den Schwarzen Wald zu begleiten. Brynna war überrascht gewesen, als sie gemerkt hatte, wer die Frau ihres Auftraggebers gewesen war. Sie hatte ihre Schwester Laverna seit mehr als acht Jahren nicht gesehen, und umso freudiger war das Wiedersehen verlaufen. Doch die Freude hatte nicht lange gewährt. Mitten im Wald hatten die Weryne, die Nachtkreaturen, sie überfallen. Brynna war mit ihrer Schwester allein ein Stück in den Wald gegangen, und als sie angegriffen worden waren, war ihnen nichts anderes übrig geblieben als zu fliehen. Brynna selbst hatte furchtbare Angst gehabt, sodass sie erst gar nicht gemerkt hatte, dass Laverna ihr nicht folgen konnte. Als sie es dann endlich gemerkt hatte, war es längst zu spät gewesen. Die Weryne hatten ihre Schwester eingeholt und waren über sie hergefallen. Sie selbst war dann nur mit knapper Not entkommen und hatte die anderen warnen können.
An den darauf folgenden Kampf konnte sie sich gar nicht mehr erinnern. Sie wusste nur, dass es irgendwann vorbei gewesen war. Den Rest des Weges hatten sie bis zum nächsten Mittag zurückgelegt, und am Waldrand hatte sich Lanciel, Lavernas Mann, von ihnen getrennt. Er war trotz allem großzügig zu ihnen gewesen, und so konnten sie jetzt die Nächte in einer Schenke verbringen, bis sie wussten, wohin sie als nächstes gehen würden. Aber daran konnte Brynna sich nicht freuen; sie hatte ihre Schwester verloren, nachdem sie sich nach so langer Zeit wiedergefunden hatten, und sie hatte das Gefühl, die Schuld an ihrem Tod zu tragen. Doch andererseits wusste sie ebenso, dass Felico Recht hatte. Sie hätte nichts ausrichten können, selbst wenn sie sich den Werynen gestellt hätte.
Sie seufzte auf.
„Wahrscheinlich hast du Recht,“ meinte sie leise, „aber, du musst mich auch verstehen. Sie war meine Schwester. Sie war doch eine der wenigen, die mich nicht für das gehasst haben, was ich geworden bin.“
„Ich weiß doch,“ antwortete Felico, „ich weiß. Dass es deine Schwester war, macht das alles schwer für dich. Aber du hast doch auch noch uns. Oder hast du das vergessen?“
Brynnas Blick fiel auf die anderen, deren Alkoholkonsum inzwischen eindeutig höher war, als es für sie gut war. Der Tisch war ein einziges Durcheinander von leeren Krügen, und Brynna wurde das Gefühl nicht los, dass sie möglichst bald einschreiten sollte.
Unwillkürlich musste sie lachen. Er hatte ja Recht. Sie hatte Freunde, denen sie vertrauen konnte. Und sie merkte, wie ihr leichter ums Herz wurde. Ihr Beruf als Söldnerin erlaubte es ihr nicht, Dinge wie den Tod zu nah an sich heran zu lassen, und auch, wenn der Tod ihrer Schwester sie getroffen hatte, machte ihr mehr die Tatsache zu schaffen, dass sie es nicht hatte verhindern können, indem sie geblieben war und gekämpft hatte. Aber Felico hatte die Wahrheit gesagt. Sie hätte nichts tun können. Und sie sollte sich nicht weiter damit quälen. Es brachte einfach nichts.
Sie stand auf.
„Ja, ich habe euch,“ sagte sie und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „und wenn ich davon noch was haben will, dann sollten die vier jetzt endlich zum Ende kommen. Hilfst du mir, sie nach oben zu bringen?“
„Sicher.“
Und während Brynna die ausstehende Zeche bezahlte, redete Felico auf seine Freunde ein und versuchte, sie dazu zu bewegen, aufzustehen und sich in das Zimmer zu begeben, das sie gemietet hatten. Mit Brynnas Unterstützung schaffte er es schließlich, und während die junge Frau sich mit Gabriel und Thoben an der Hand einen Weg durch das Gedränge im Schankraum bahnte, folgte ihr Felico, Jennas und Derik vor sich her schiebend, deren Gang alles andere als aufrecht war. Brynna hatte alle Mühe, sich Gabriel und Thoben vom Leib zu halten, doch kaum, dass sie im Zimmer standen, stolperte Thoben in eins der Betten, und Gabriel, der sich schwer auf Brynna stützte, wurde von ihr ebenfalls ins Kissen gedrückt. Aber trotzdem versuchte er, wieder aufzustehen, und beschwerte sich lauthals.
„Nein, du gehst nicht zurück nach unten!“ herrschte Brynna ihn an, „Ihr schlaft jetzt erst euren Rausch aus! Ihr könnte ja allesamt kaum noch stehen! Und wenn es heute Nacht Ärger gibt, gibt es morgen dann gleich noch einmal welchen, und zwar von mir!“
„Oh, Brynna, bitte, eins der Mädchen hat sich gerade für mich interessiert!“ begehrte Thoben auf.
„Aber Brynna, mein Liebling-“ versuchte auch Gabriel zu widersprechen, wurde jedoch von Brynna unterbrochen.
„Gabriel, ich bin nicht mehr dein Liebling! Nein, versuch es erst gar nicht. Ihr bleibt jetzt hier und schlaft, und es ist mir gleich, Thoben, wie gern du jetzt bei einem der Schankmädchen wärst! Gebt jetzt Ruhe, alle beide!“
Damit wandte sie sich ab, ging um die dünne Trennwand, die den Raum teilte, herum und sah nach den anderen beiden. Die hatten sich wesentlich williger ergeben; anscheinend war ihnen die Unterbrechung gerade recht gekommen. Derik lag, den Kopf auf einem der Rucksäcke, ausgestreckt auf dem Boden und schnarchte, und Jennas hatte den Kopf auf den Tisch gelegt und war ebenfalls bereits eingeschlafen.
Brynna ließ sich neben Felico auf den Rand des zweiten Bettes fallen und begann wie er, ihre Stiefel aufzuschnüren. Als sie dann auch noch ihren dünnen Lederharnisch, den sie schon aus Gewohnheit immer trug, abgelegt hatte, blies sie die Öllampe aus und ließ sie sich nach hinten auf die Matratze fallen, die ihr im Vergleich zu ihrer Schlafrolle himmlisch weich vorkam. Weil es hier oben merklich kühler war als in der Schankstube, schlüpfte sie schnell unter die Decke. Der Mond schien durch die Spalten im Holz des Fensterladens ins Zimmer, und die wenigen Einrichtungsgegenstände warfen beinahe gespenstische Schatten an die Wände.
Felico stellte seine Stiefel neben Brynnas, lehnte seinen Stab neben dem Bett gegen die Wand und legte sich zu Brynna. Die rückte träge etwas zur Seite, um ihm Platz zu machen. Es war schön, nach langen Wochen wieder einmal in einem richtigen Bett zu schlafen, und dieses hier war groß genug für drei; sie hatten also reichlich Platz. Trotzdem blieb Brynna dicht bei Felico liegen. Sie schlief immer bei ihm; es gab ihr ein Gefühl von Sicherheit, und es machte sie ruhig, ihn neben sich zu wissen.
So auch jetzt. Schon halb im Schlaf rutschte Brynna wieder zu Felico hinüber und legte den Kopf an seine Schulter, was der junge Magier sich nur zu gern gefallen ließ. Es machte ihm nichts aus, dass Brynna nachts seine Nähe suchte; er selbst war auch nicht gern allein, vor allem nicht in der Nacht, wenn er fürchten musste, dass die Träume wiederkehrten. Schon lange war das nicht mehr geschehen, doch jetzt hatte er wieder dieses merkwürdige Gefühl, das sich so schwer deuten ließ. Und er wusste, wenn er dieses Gefühl hatte, dann kamen auch die Träume. Und die würden ihm den ersehnten Schlaf rauben.
/Nur diese eine Nacht,/ dachte er noch, bevor er einschlief, /lasst mir noch eine ruhige Nacht!/



~<->~


Er träumte. Es war also geschehen; er war wieder in einem dieser Traumbilder, gefangen zwischen endlosen Ebenen und merkwürdigen Wäldern voller bizarrer Schatten. In diesen Welten konnte er sehen. Er erinnerte sich wieder, wie es war, die Welt farbig zu erleben; er wusste wieder, wie bunt sie sein konnte. Doch er hätte es lieber vergessen, wenn ihm dafür diese Träume erspart geblieben wären. Immer begann es in der selben Ödnis aus einem Untergrund, der weder hart noch weich war, und einem trüben, weißen Licht, das seiner Haut einen seltsamen Schimmer verlieh. Manchmal fand er sich dann plötzlich in Städten wieder, manchmal in Schlössern, und einmal hatte er von fern seine Heimat gesehen. Und immer passierte etwas Schreckliches, unmittelbar nachdem er dort auftauchte. Morde, Plünderungen, Überfälle, alles, was man sich nur vorstellen konnte.
Doch heute geschah nichts dergleichen. Er stand da, in dieser eintönigen, weißen Welt und es passierte gar nichts. Verwirrt wandte Felico den Kopf. Nichts, da war nichts. Was sollte das? Warum war er hier, wenn es nichts zu sehen gab?
Doch plötzlich geriet alles in Bewegung. Felico sah sich inmitten eines Wirbels aus weiß und schwarz, und ein silbernes Glitzern war hier und da zu sehen. Dann wurde es mit einem mal dunkel, und gerade als es Felico begann unheimlich zu werden, stoppte der Wirbel urplötzlich, und der junge Magier fand sich in einem scheinbar endlosen Raum aus Dunkelheit wieder, in dem nur der Glanz von Millionen von Sternen eine Art Zwielicht verbreitete. Und nicht nur das war anders als sonst. Was er sah, kam ihm dieses mal wesentlich realer vor als alle anderen Male zuvor, und er hatte fast das Gefühl, die Sterne greifen zu können, wenn er nur wollte.
Was sollte das? Wo war er hier hingeraten?
Noch bevor Felico richtig anfangen konnte, sich zu wundern, hörte er die Stimme. Sie sprach mit ihm, doch nicht durch Worte; er hörte nur die Bedeutung, und das allein in seinem Kopf.
„Weißt du, was das Herz der Sterne ist? Weißt du, welche Bedeutung es für dich hat?“
Felico wirbelte herum. Er wusste nicht, warum; er vermutete nur, dass die Stimme von dort kam. Und als hätte er es gewusst, erblickte er im nächsten Augenblick die Gestalt, die er in der matten Dunkelheit wie durch einen Nebel wahrnahm. Ein Mann musste es sein, der Stimme nach zu urteilen; wie groß er war, konnte Felico nicht sagen, und auch nicht, wie er sonst aussah. Es war, als verweigere ihm das Wesen seinen Anblick. Das einzige, was Felico sehen konnte, waren drei Sterne, die genau dort leuchteten, wo bei einem Menschen die rechte Schulter sein musste. Was ihn im nächsten Moment stutzig machte; sah er doch die Sterne auf dem Rücken des Mannes, obwohl er vor ihm stand.
Aber er hatte keine Zeit, sich zu wundern, denn der Mann sprach jetzt weiter, gab die Antwort auf seine Frage selbst.
„Du suchst es nicht, und wenn du darum wüsstest, dann würdest du es nicht haben wollen. Doch befindet es sich schon bei dir, und du kannst deinem Schicksal nicht mehr entgehen. Du bist an das Herz, seine Trägerin und die Getreuen gebunden, bis der Kampf vorbei ist. Der Krieger wird seine Hilfe leisten; die Zwillingsgipfel senden einen Gefolgsmann; der Geist des Schützen wird helfen, den Geist des Hexers zu bekriegen; die Trägerin, die das Herz des Siegels bringt, steht dir ebenfalls zur Seite, wenn du, der Blinde, der sieht, an ihrer Seite bleibst. Und der, der von den Sternen auserwählt ist, wird endlich seine Kräfte finden und einsetzen; ob zum Guten oder zum Bösen, das weiß am Ende nur er selbst. Doch die Kraft des Siegels muss gebannt werden, sonst wird die abscheuliche Flut des dunklen Kaisers über die Welt kommen und alles Gute verderben. Ihr seid die, die es tun werden. Ihr müsst diese Aufgabe meistern, sonst ist alles verloren.“
Als die Worte verklungen waren, hatte Felico sie noch nicht richtig in sich aufgenommen. Er brauchte noch einige Sekunden, bis ihm vollends ins Bewusstsein drang, was dieser Mann dort gerade gesagt hatte. Eine Aufgabe meistern? Was hatte das zu bedeuten?
Auf einmal begann der Mann zu verschwinden. Er entfernte sich, und gleichzeitig verblasste seine Gestalt; Felico konnte bereits durch ihn hindurch sehen.
„Nein, warte!“ rief er, „Was soll das? Warum sagst du mir das alles?“
Aber er bekam keine Antwort mehr. Wieder begann alles um ihn herum durcheinander zu wirbeln. Die Sterne zogen schimmernde Schweife durch die Luft, und Felico kam sich plötzlich klein und allein vor. Doch bevor diese Welt vollends verschwand, hörte er, wie aus weiter Ferne, eine Stimme, die sagte:
„Gib niemals auf.“


~<->~


Erschrocken fuhr Felico aus dem Schlaf; er brauchte einige Sekunden, um sich zurecht zu finden. Sein Herz raste. Fahrig tastete er nach beiden Seiten, und erst, als er Brynna neben sich fand, atmete er auf. Es war noch alles wie vorher, dem Himmel sei Dank.
Brynna indes spürte Felicos Berührung. Sofort war sie hellwach; schon viel zu oft waren sie nachts geweckt worden, weil eine Gefahr gedroht hatte. Schnell setzte sie sich auf.
„Was ist los?“ flüsterte sie, als sie Felico neben sich sitzen sah.
Als ihr Freund auf diese Frage hin zusammenzuckte, wusste sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Felico war nicht leicht zu erschrecken; das beunruhigte sie. Aber als sie sich in dem vom Mondlicht schwach erleuchteten Zimmer umsah, konnte sie nichts Ungewöhnliches entdecken.
„Felico, was ist?“ fragte sie erneut, „Hast du irgendwas gehört? Sag schon!“
„Ich hab dich geweckt,“ murmelte Felico statt einer Antwort, „tut mir Leid.“
Der merkwürdige, fast ängstliche Unterton in seiner Stimme machte Brynna misstrauisch. So war er sonst nie. Was war denn nur mit ihm los?
„Felico?“
Vorsichtig berührte sie seine Schulter, wobei sie feststellte, dass er zitterte.
„Alles in Ordnung mit dir? Geht es dir nicht gut?“
Felico schüttelte bloß den Kopf.
„Doch, doch, mit mir ist alles in Ordnung,“ sagte er leise, „ich habe nur... geträumt.“
„Geträumt?“
Ungläubig hob Brynna die Augenbrauen.
„Das muss ein beängstigender Traum gewesen sein. Merkst du eigentlich, dass du zitterst?“
„Ich- was? Nein, ich... es ist wirklich nichts!“ versicherte Felico hastig, was Brynna begreiflicherweise auch nicht überzeugte.
„Ich sehe doch, dass mit dir was nicht stimmt!“ beharrte sie, „Was ist los? Ist es der Traum? Nun sag schon!“
Felico gab auf. Er wusste, dass Brynna ihn durchschaute, ganz gleich, was er tat, und dass sie nicht nachgeben würde, bis sie wusste, was mit ihm los war.
Er nickte langsam.
„Ja. Dieser Traum... Brynna, das war kein normaler Traum.“
„Kein normaler Traum? Was war es denn dann? Meinst du so etwas wie... eine Vision?“
Brynnas Stimme klang nervös, und Felico glaubte zu wissen, warum. Visionen, Traumgesichte waren nichts Alltägliches; meist hatten sie nichts Gutes zu bedeuten. Und Felico hatte das dumpfe Gefühl, dass das auch dieses mal zutraf.
Wieder nickte er.
„Ja. Ich glaube, man kann es so nennen.“
Brynnas Gesichtsausdruck wurde nachdenklich.
„Eine Vision... und was hast du gesehen? Kannst du mir das sagen?“
„Ich kann, ja,“ antwortete Felico ausweichend, „aber ich bin nicht sicher, ob du es verstehen würdest. Ich verstehe es nicht einmal selbst.“
„Das wundert mich nicht,“ meinte Brynna, „ich verstehe nicht viel davon, aber sagtest du nicht einmal, dass Visionen selten von denen verstanden werden, die sie empfangen?“
Felico seufzte.
„Ich weiß, das habe ich gesagt. Und normalerweise heißt es, dass andere besser damit umgehen können als man selbst. Aber ich glaube nicht, dass aus dieser irgend jemand klug wird.“
„Warum versuchst du es nicht einmal? Vielleicht kann ich ja doch etwas damit anfangen.“
„In Ordnung. Wenn du willst.“
Brynna merkte, dass es Felico nicht unbedingt angenehm war, ihr davon zu erzählen. Aber sie wusste auch, dass ihm dieser Traum keine Ruhe lassen würde. Dafür kannte sie ihn viel zu gut. Felico hatte es ihr nie direkt gesagt, aber Brynna vermutete, dass er bereits früher solche Träume gehabt hatte. Schon mehrere Male hatte sie gemerkt, dass er morgens ungewöhnlich müde und nervös gewirkt hatte, ohne dass es einen Grund dazu gegeben hätte. Anfangs war ihr das nicht aufgefallen, aber irgendwann hatte sie festgestellt, dass sie später an solchen Tagen meist in ziemlich unangenehme Zwischenfälle verwickelt wurden. Wenn sie Felico auf seine Unruhe angesprochen hatte, hatte er immer behauptet, er habe einfach nur schlecht geträumt. Aber heute würde sie es nicht dabei bewenden lassen. Jetzt wollte sie endlich wissen, was das für Träume waren.
„Dann sag schon. Ich unterbreche dich nicht und werde auch nicht lachen, versprochen!“
Trotz seiner Aufregung musste Felico schmunzeln. Manchmal klang Brynna wirklich wie ein neugieriges Kind. Er versuchte dann, sich ihren Blick vorzustellen, ihr Lachen, und er kam jedes mal zu den Schluss, dass sie wunderschön sein musste. Sie hatte einmal versucht, sich selbst zu beschreiben, und Felico hatte versucht, ihre Beschreibung zu einem Bild zu formen. Aber er hatte nie mehr als eine vage Vorstellung, wie von allem anderen, was er nicht vor dem Unfall schon einmal gesehen hatte.
Und umgekehrt war es für ihn auch schwierig, anderen Dinge zu beschreiben, die er in seinen Träumen sah, weil er kaum mehr wusste, womit er sie vergleichen sollte, weil er die Dinge in seinen Träumen oft völlig anders sah. Aber er versuchte, so gut er konnte, Brynna zu schildern, was er gesehen hatte.
Die hörte aufmerksam zu. Als Felico die Sterne auf der Schulter des Mannes beschrieb, furchte sie die Stirn.
„Drei Sterne, sagst du? Auf der rechten Schulter?“
„Ja. Aber ich weiß eben nicht, wer er war. Ich habe dir ja gesagt, dass ich nicht weiß, wie er aussah. Es war so, als ob er sich mir absichtlich nicht zeigen wollte.“
„Ja, das hast du gesagt... hör mal, ich... weiß zwar nicht, wer dieser Mann war, oder von wem er gesprochen hat, aber ich glaube zu wissen, was mit diesem 'Herz der Sterne' gemeint ist.“
„Brynna, du überraschst mich.“
Felico legte versonnen den Kopf zurück.
„Du scheinst sehr genau über diesen Traum Bescheid zu wissen.“
„Das ist Zufall. Es hat nichts zu bedeuten.“
„Das habe ich nicht gesagt.“
„Aber du hast daran gedacht.“
Brynna seufzte leise.
„Und du hast Recht damit.“
Sie griff unter ihre Bluse und zog einen Anhänger an einer Kette hervor. Es war ein in Gold und Silber eingefasster Edelstein, etwas kleiner als ein Vogelei und flach, der im fahlen Licht blutrot glänzte. Brynna zog die Kette über den Kopf, griff nach Felicos Hand und legte den Anhänger hinein. Felico schloss die Finger darum. Er betastete den Anhänger, versuchte jedes Detail zu erfassen. Schließlich hielt er inne und wandte das Gesicht in Brynnas Richtung.
„Warum zeigst du mir das?“
„Diesen Anhänger habe ich von meiner Mutter bekommen, als ich sechs Jahre alt war,“ antwortete Brynna leise, „sie hat immer gesagt, wenn man den Stein ins Licht der Sterne hält, dann kann man sie darin tausendfach eingefangen und gespiegelt sehen. Deswegen hieße der Anhänger auch das 'Herz der Sterne'. Ich weiß nicht, ob es wirklich das ist, was der Mann in deinem Traum gemeint hat. Aber ich weiß, dass es kein gewöhnlicher Stein ist. Deswegen dachte ich, du solltest es wissen.“
Eine Weile schwiegen sie beide.
„Was meinst du,“ fragte Brynna dann plötzlich, „ist das alles Zufall, oder betrifft es wirklich uns? Ich meine, hat dieser Mann von uns gesprochen, bei dieser Aufgabe? Und was, wenn es doch andere Leute sind, von denen er gesprochen hat?“
„Ich weiß es nicht,“ antwortete Felico müde, „wenn ich das alles so genau wüsste, wäre es wohl etwas einfacher. Aber ich weiß es nunmal nicht, und vermutlich hat es keinen Sinn, jetzt noch weiter darüber nachzudenken. Ich will einfach nur endlich schlafen.“
Er gab Brynna den Anhänger zurück und legte sich wieder hin. Brynna schob die Kette unter ihre Bluse zurück und ließ sich ebenfalls in die weichen Kissen sinken.
„Und was, wenn-,“ setzte sie an, doch Felico schnitt ihr das Wort ab.
„Du machst dir zu viele Sorgen,“ murmelte er, schon wieder halb im Schlaf, „das bringt doch jetzt gar nichts. Morgen ist auch noch ein Tag. Da können wir uns noch früh genug Gedanken machen.“
Wie unrecht er damit hatte, ahnte er nicht.


~<->~

Brynna kam es vor, als wäre sie kaum eingeschlafen, als laute Stimmen sie weckten. Felico war ebenfalls wach; Brynna sah ihn im schwachen Licht des Zimmers blinzeln. Es musste kurz vor Sonnenaufgang sein.
Felico musste gemerkt haben, dass sie aufgewacht war, denn auf einmal fragte er leise:
„Hörst du, was da unten los ist?“
Die Stimmen kamen aus dem Schankraum. Brynna wusste nicht, was sie sagten, doch Felico schien mehr zu verstehen. Er runzelte die Stirn, dann setzte er sich plötzlich auf.
„Jemand sucht uns.“
„Was?“
Auch Brynna setzte sich auf. Jemand suchte sie? Wer sollte das denn sein?
Mit einem mal hatte Felico es furchtbar eilig, aufzustehen. Mit fliegenden Fingern schnürte er bereits seine Stiefel, als er sagte:
„Brynna, schnell, steh auf. Ich weiß nicht genau, wer es ist, aber ich habe die Stimme schon einmal gehört; im Wald, bei den Werynen. Die hier suchen jemanden, der wohl etwas sehr wertvolles bei sich trägt. Eine Frau. Und sie beschreiben dich, soweit ich das sagen kann, sehr genau.“
„Weryne? Mich? Felico, was-“
„Bitte, Brynna, nicht jetzt! Du musst verschwinden. Sie streiten zwar, aber ich glaube, der Wirt schickt sie herauf.“
Das klang gar nicht gut. Was suchten die denn bei ihr? Sie besaß doch gar nichts von Wert. Höchstens vielleicht...
„Felico, glaubst du, die suchen meine Kette?“
Inzwischen war Brynna ebenfalls angezogen.
„Möglich,“ antwortete Felico, „aber sie dürfen sie nicht bekommen. Du musst hier raus, schnell. Wir sind im ersten Stock, du kannst aufs Dach klettern, glaube ich. Schaffst du das?“
„Natürlich!“
Schon saß Brynna auf dem Fensterrahmen. Sie sah noch, wie Felico schnell nach ihrem Rucksack tastete und ihn unter das Bett schob, bevor sie sich an einem der Dachbalken nach oben zog. Ein schneller Blick über die Schulter und sie sah, dass sich am Horizont bereits der erste Lichtstreifen zeigte. Kaum, dass sie auf den Schindeln saß, hörte sie, wie die Zimmertür aufging. Sie suchte nach einem sicheren Halt, bevor sie sich wieder so weit herunterbeugte, dass sie hören konnte, was gesprochen wurde.
„Ist sie hier?“
„Nein. Jedenfalls sehe ich sie nicht.“
„Wer seid ihr, und was wollt ihr hier?“
Das war Felico. Brynna wusste nicht, was er gerade tat, aber sie konnte hören, wie jemand im Zimmer herum ging.
„Wir suchen eine Frau. Sie muss hier sein. Der Wirt hat es uns gesagt. Sie hat etwas, das uns gehört, und wir wollen es zurück.“
„Ich weiß nichts von einer Frau. Hier sind nur wir.“
„Das glaube ich nicht. Wir wissen, dass sie hier ist. Los, such weiter. Sieh nach, ob sie aus dem Fenster gestiegen ist. Und du rührst dich nicht vom Fleck!“
Brynna hörte die Schritte zum Fenster kommen, und gerade noch rechtzeitig lehnte sie sich zurück. Sie wartete, bis sie hörte, das die Person am Fenster zurück ins Zimmer ging.
„Da ist niemand aus dem Fenster geklettert. Ich kann unten keine Spuren sehen.“
„Verdammt. Sie muss hier sein! Du da, du sagst uns jetzt, wo diese Frau ist! Sofort!“
„Ich habe euch gesagt, dass ich nichts von einer Frau in diesem Zimmer weiß!“
„Lügner!“
Brynna zuckte zusammen, als sie den Schlag hörte. Sie musste sich zwingen, Felico nicht zu Hilfe zu kommen.
„Ich habe euch doch gesagt, hier ist keine Frau!“
Felicos Stimme klang gepresst.
„Wir sind allein hier!“
„Hier ist wirklich keine Frau. Entweder der Wirt hat sich im Zimmer geirrt, oder sie ist bereits gegangen. Aber hier ist sie nicht. Außerdem geht die Sonne bald auf. Wir müssen uns beeilen, damit wir rechtzeitig zurück sind. Wir haben schon viel zu lange gebraucht.“
„Sicher? Na gut. Da hast du verfluchtes Glück gehabt. Los, wir gehen!“
Brynna hörte die Tür ins Schloss fallen. Sie wartete noch einige Augenblicke, bis sie Felicos Stimme hörte.
„Sie sind weg, du kannst wieder herein kommen.“
Als sie wieder durch das Fenster kletterte, sah sie unten am Tor zwei in dunkle Mäntel gehüllte Gestalten auf ihre Pferde steigen und in Richtung Wald los galoppieren. Wer immer es war, sie sahen keinesfalls vertrauenerweckend aus.
Drinnen saß Felico auf dem Bett. Auf seiner Wange zeigte sich ein brennend roter Abdruck. Schnell setzte sich Brynna neben ihn.
„Alles in Ordnung mit dir?“ fragte sie besorgt.
Felico nickte.
„Ja, nichts passiert.“
„Waren das wirklich,“ Brynna schluckte, „Weryne?“
„Jedenfalls haben sie sich ganz danach angehört, und sich auch nicht viel besser verhalten.“
„Warum hast du nichts getan, als er ...“
„Ich wollte keinen Streit provozieren. Erstens sind wir hier nicht die einzigen, und zweitens schlafen die anderen immer noch fest. Du weißt, dass ich alleine keine Chance hätte, und selbst wenn du gekommen wärst, wäre es zu gefährlich gewesen.“
Brynnas Blick wanderte zu den anderen, die noch immer fest schliefen. Es wunderte sie, dass sie noch nicht aufgewacht waren, aber sie hatten am Abend zuvor ja auch mehr als reichlich getrunken.
Nachdenklich holte Brynna den Anhänger hervor und drehte ihn zwischen den Fingern. War es das, was die beiden seltsamen Fremden gewollt hatten? Und wenn ja, warum?
Ganz in Gedanken betrachtete sie den Stein. Sie hatte sich noch nie wirklich Gedanken darüber gemacht, dass dieser Stein vielleicht mehr sein könnte als nur ein schöner Schmuck. Als Kind war es für sie einfach nur ein Geschenk gewesen, an dem sie sich gefreut hatte und auf das sie sehr stolz gewesen war. Und später hatte es sie an ihre Familie erinnert; wenn sie in einsamen Nächten in den Stein geblickt hatte, hatte sie immer geglaubt, zwischen all den Sternen die Gesichter ihrer Schwestern, ihrer Großmutter und manchmal auch das verschwommene Gesicht ihrer Mutter zu sehen, und noch viele weitere Frauen, die sie noch nie gesehen hatte. Das hatte sie immer der Rolle des Steins als Familienerbstück und den magischen Kräften zugeschrieben, die ihm innewohnten.
Doch jetzt, nachdem Felico ihr von seinem Traum erzählt hatte, in dem ein Name für diesen Stein genannt worden war, den eigentlich außer den Frauen ihrer Familie niemand wissen konnte, war sie nicht mehr so sicher. Zumal ihr jetzt, nach langer Zeit, die sie diese Worte einfach vergessen hatte, wieder in den Sinn kam, was ihre Großmutter ihr einmal erzählt hatte. Dass der Stein magisch war, hatte sie gesagt, und dass die Götter selbst ihn gemacht und den Frauen ihrer Ahnen übergeben hatten, um ihn zu hüten, bis die Zeit gekommen war. Aber wenn Brynna dann gefragt hatte, welche Zeit sie denn meinte, dann hatte ihre Großmutter immer gelächelt und gesagt, das würde sie ihr dann erzählen, wenn sie dazu bereit wäre.
Aber Brynna hatte nie erfahren, welche Zeit gemeint gewesen war. Ihre Großmutter war gestorben, kurz nachdem Brynna zehn Jahre alt geworden war, und ihre Mutter hatte nicht mit ihr darüber gesprochen, bis sie mit siebzehn Jahren ihre Familie verlassen hatte, um dem Schicksal einer Zwangsheirat, einer Vernunftehe zu entgehen und ein eigenes Leben führen zu können. Sie hatte seitdem nie mehr mit ihrer Mutter gesprochen; Laverna war überhaupt die einzige Verwandte die sie wiedergesehen hatte, nach dem schrecklichen Streit, der sie endgültig veranlasst hatte, mit ihrer Familie zu brechen und zu gehen. Laverna... konnte sie sie jetzt auch noch sehen, wenn sie in den Stein blickte?
Nein, konnte sie nicht. So lange und intensiv sie ihn auch ansah, sie sah nichts als den dunkelroten Glanz und die Lichtreflexe, die die ersten Strahlen der Morgensonne jetzt auf den Stein zauberten. Was sollte denn das? Hatte sie sie nicht bisher auch sehen können? Was war denn los?
Sie seufzte unwillig auf, und Felico hörte es.
„Was ist?“ fragte er, Besorgnis in der Stimme. „Ist etwas nicht in Ordnung?“
Brynna schüttelte den Kopf.
„Nein, mir geht es gut, es ist alles in Ordnung.“
„So hörst du dich aber nicht an.“
Brynnas Mundwinkel hoben sich zu einem kleinen Lächeln. Vor ihm konnte sie nichts verbergen. Trotzdem, sie hatte das Gefühl, dass es besser wäre, wenn er noch nicht erführe, was sie über den Anhänger wusste. Später, vielleicht. Aber nicht jetzt. Er würde sich zu viele Sorgen machen; das wollte sie nicht.
„Mag schon sein. Aber es ist nichts besonderes, wirklich nicht. Mach dir keine Sorgen.“
Sie stand auf.
„Wir sollten hier nicht länger bleiben. Vielleicht bin ich überängstlich, aber ich fürchte, die beiden kommen zurück, sobald es dunkel ist; vielleicht sogar mit anderen. Und dann sollten wir möglichst weit weg sein.“
In diesem Moment klopfte es an der Tür, und Brynna zuckte erschrocken zusammen. Felico rief ein kurzes Herein, und der Wirt betrat daraufhin das Zimmer. Unruhig vergrub er die Hände in der fleckigen Schürze.
„Verzeiht, wenn ich Euch störe, aber ich wollte mich erkundigen, ob alles in Ordnung ist. Ich wusste nicht genau, was die beiden wollten, und ich dachte, vielleicht sollte ich nachsehen. Die haben unten ein paar Stühle und einen Tisch zerlegt, als sie gegangen sind; üble Gesellen sind das.“
„Ja, das wissen wir. Aber es ist nichts passiert,“ beruhigte Brynna den Mann, „wir wollen nur so bald wie möglich aufbrechen. Könntet Ihr... wäre es möglich, dass Ihr uns schon jetzt etwas zu essen bereitet?“
Eifrig nickte der Wirt.
„Ja. Natürlich. Wenn Ihr wünscht, könnt ihr gleich etwas bekommen.“
„Das wäre wunderbar, vielen Dank.“
Mit einer leichten Verbeugung entfernte sich der Wirt wieder. Brynna indes stand auf und ging hinüber zu Gabriel und Thoben, die noch immer fest schlafend im Bett lagen. Sie waren in den Decken fast verschwunden; nur noch zwei Haarschöpfe waren zu sehen, ein dunkelblonder und ein strohblonder.
Das kann doch nicht wahr sein!, dachte Brynna ungläubig, schlafen die etwa immer noch?
Unsanft rüttelte sie die beiden, bis Thoben schlaftrunken die Augen öffnete und in Brynnas Richtung blinzelte.
„Was ist denn los?“ brummte er, und Gabriel drehte sich zur anderen Seite und vergrub das Gesicht in der Matratze. Brynna ließ sich nicht beeindrucken und drehte ihn wieder auf den Rücken. Widerwillig schlug Gabriel schließlich ein Auge auf.
„Wie spät ist es denn? Müssen wir aufstehen?“
Brynna drehte sich um und ging zu Jennas und Derik hinüber, während sie antwortete:
„Ja, müssen wir. Wir ... hatten gerade recht unangenehmen Besuch, und ich fürchte, der kommt zurück, wenn wir noch länger bleiben. Also steht auf und macht euch fertig. - Ja, du auch, Jennas, schau mich nicht so an. Du bist selbst dran Schuld, dass du Kopfschmerzen hast!“
Gabriel öffnete auch noch das zweite Auge und setzte sich auf, was er jedoch gleich wieder bereute.
„Au! Verdammt, mein Kopf fühlt sich an, als würde er gleich platzen!“
„Selbst Schuld,“ kommentierte Brynna, während sie Derik und Jennas aufscheuchte.
„Ich weiß. Erinnere mich nicht daran, bitte.“
Gabriel kletterte ungelenk aus dem Bett, gefolgt von einem gähnenden Thoben.
„Was soll das überhaupt? Was für ein Besuch, und wieso müssen wir deswegen so früh aufbrechen?“
„Wenn ihr wach gewesen wärt, dann wüsstet ihr das jetzt auch,“ antwortete Brynna ungehalten. Ihr Ton weckte in Gabriel einen natürlichen Überlebensinstinkt.
„Ja, tut mir wirklich Leid,“ murmelte er zerknirscht, „aber, verstehst du, die Gelegenheit war so ... günstig.“
„Ja, das hat man gemerkt,“ zischte Brynna giftig.
Gabriel verkniff sich eine Antwort und ging stattdessen zu Felico hinüber, der in seinem Rucksack herumkramte. Gabriel ließ sich neben ihm auf das Bett fallen und schloss kurz die Augen, als ihm schwindlig wurde.
„Was ist denn mit ihr los?“ fragte er dann, „Hat sie Gespenster gesehen? Oder hat einer von den Burschen sie abblitzen lassen?“
Felico hielt in der Bewegung inne und wandte den Kopf. Als Gabriel seinen Gesichtsausdruck bemerkte, rutschte er instinktiv ein Stück zur Seite. Es war ihm nach all der Zeit noch immer unheimlich, wie durchdringend, geradezu bedrohlich die Augen seines Freundes wirken konnten. Er hatte sich einfach nicht daran gewöhnen können, und er glaubte fast, Brynna war die einzige, der das gelungen war.
„Mach jetzt bloß keine Scherze, Gabriel,“ sagte Felico leise, aber so, dass Widerspruch von vornherein zwecklos schien. „Du weißt, dass es ihr momentan nicht besonders gut geht. Und was heute morgen passiert ist, macht die ganze Sache nicht besser. Also würde ich vorschlagen, du bist still, bis wir ungestört darüber reden können.“
Verwirrt stand Gabriel auf und holte seinen eigenen Rucksack. Auch die anderen waren fertig, und so gingen sie hinunter in die Schankstube, wo sie bereits einen gedeckten Tisch vorfanden. Wenigstens hatten sie Glück gehabt und ein Gasthaus mit einem freundlichen Wirt gefunden. So mussten sie wenigstens keine Nörgeleien und Flüche über sich ergehen lassen oder riskieren, wegen der Weryne, die sie gesucht hatten, vertrieben zu werden.
Nun, das hätte sich ohnehin erübrigt. Nach dem Frühstück, das sehr schweigsam verlaufen war, brachen sie unverzüglich auf. Sie wussten nicht genau, wohin, nur erst einmal weg von hier. Brynna bot dem Wirt an, die Schäden zu bezahlen, die die Weryne verursacht hatten, doch der freundliche Mann lehnte ab. Sie seien ja nicht Schuld, sagte er, er würde die Verantwortlichen schon finden. Zwar glaubte Brynna das nicht, doch als der Mann partout nicht annehmen wollte, verabschiedeten sie sich und gingen hinüber zum Stall, wo sie einen der Stallknechte vorfanden. Der bärbeißige Alte schaute mürrisch drein, als er zu den Verschlägen hinkte, in denen ihre Pferde untergebracht waren. Sie sattelten die Tiere und verließen den Stall wieder. Brynna drückte dem Stallknecht vorher noch einige Münzen in die Hand, woraufhin sich dessen Stirn etwas glättete und er ihnen sogar eine gute Reise wünschte.
Nachdem sie sich verabschiedet hatten, beeilten sie sich, möglichst schnell wegzukommen. Sie wandten sich nach Süden, in Richtung der Stadt Lorlen. Bald trafen sie auf einen Parallelpfad zur großen Straße, die nach Süden führte. Der Weg, der in geringer Entfernung zum Wald verlief, lag wie ausgestorben vor ihnen; niemand sonst war unterwegs. Eine Weile ritten sie schweigend, niemand sagte ein Wort. Brynna und Felico hingen ihren eigenen Gedanken nach, und die anderen versuchten nach Kräften, die Kopfschmerzen zu ignorieren. Doch schließlich hielt Derik es nicht länger aus.
„Felico, Brynna, jetzt reicht es. Was ist los mit euch? Was ist heute morgen da passiert, dass wir Hals über Kopf aufbrechen mussten?“
„Jemand hat nach uns gesucht,“ antwortete Brynna, „genauer gesagt, nach mir. Und ich bin nicht sehr erpicht darauf, dass sie mich finden.“
„Jemand hat nach dir gesucht?“
Gabriel schloss zu Brynna auf und sah sie von der Seite an.
„Wer denn?“
Brynna schüttelte den Kopf.
„Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wer sie waren. Aber Felico sagte, er hat die Stimme wiedererkannt.“
„Die Stimme?“
Thoben grinste schief.
„Oh, dann müssen wir ihnen schon einmal begegnet sein. Unser Felico vergisst sowas ja nicht.“
Felico verdrehte die Augen, eine Geste, die er sich nie hatte abgewöhnen können.
„Es wäre schön, wenn ich ab und zu einmal etwas vergessen könnte. Und du fändest es nicht halb so komisch, wenn du wüsstest, wo wir ihnen begegnet sind.“
Thoben zog die Augenbrauen zusammen.
„Wie meinst du das denn? Die haben uns doch nicht schonmal überfallen, oder?“ fragte er, noch immer halb im Spaß.
„Doch, genau das,“ warf Brynna ein, „vor zwei Tagen erst. Ihr wisst, wer das war.“
Einen Moment lang herrschte entgeistertes Schweigen. Dann fand Jennas seine Sprache wieder.
„Die Weryne haben dich gesucht? Ja, aber, wieso das denn? Na schön, du hast zweien von ihnen den Garaus gemacht, aber da bist du ja nicht die einzige. Warum ausgerechnet du?“
„Weil sie etwas hat, das die Weryne haben wollen,“ antwortete Felico an Brynnas Stelle, „und ich glaube, sie würden einiges dafür tun, um an diesen Gegenstand zu kommen.“
„Ein Gegenstand?“ fragte Derik, „Was für einer? Und warum wollen sie ihn unbedingt haben?“
„Ich weiß nicht, wieso,“ meinte Brynna, „sie sind gekommen und haben nach mir gesucht, und als sie mich nicht gefunden haben, sind sie wieder verschwunden. Und es wundert mich immer noch, dass ihr nicht aufgewacht seid, während sie da waren.“
„Ich glaube, du weißt selbst, woran das gelegen hat,“ brummte Gabriel, „ich fühle mich ja jetzt kaum besser. Aber jetzt sag schon, was ist das, was sie von dir wollten?“
Brynna antwortete nicht gleich. Sie schwieg einige Momente, bevor sie langsam sagte:
„Ich glaube, es ist ein Anhänger, ein Edelstein. Ich habe ihn, seit ich sechs Jahre alt bin. Es ist ein Familienerbstück. Vielleicht wollen sie ihn haben, weil sie glauben, dass er magisch ist, oder sonst etwas.“
„Oder weil sie wissen, was ich gesehen habe.“
„Was?“
Überrascht wandte sich Brynna zu Felico um.
„Du meinst, vielleicht wussten sie das, was du gesehen hast, schon vorher?“
„Schon möglich. Ich weiß es nicht.“
„Wie, gesehen?“
Thoben sprach die Frage aus, die sich auch Derik, Gabriel und Jennas stellten.
„Wovon sprecht ihr beide da eigentlich?“
Felico zögerte einen Moment, dann berichtete er den anderen, was am Morgen passiert war, und von dem Traum, den er in der Nacht gehabt hatte. Still hörten die anderen zu. Brynna sah die Verwirrung und das Misstrauen in ihren Gesichtern. Sie konnte ihre Freunde verstehen. Visionen bedeuteten selten etwas Gutes, und diese hier schien von vornherein schlechte Neuigkeiten zu verheißen. Doch dafür konnte Felico ja nichts. Er war nur derjenige, der die Bilder sah, nicht der, der ihnen dazu verhalf, Wirklichkeit zu werden.
Felico spürte die Blicke der anderen im Rücken, wie Sonnenstrahlen, die seine Haut verbrannten. Er fühlte sich unbehaglich. Vielleicht hätte er schweigen sollen. Er hatte ja gewusst, in welchem Ruf die Leute standen, die Visionen und Gesichte hatten, und dieser Ruf war nicht der beste, wenn man solchen Leuten überhaupt Glauben schenkte. War er zu weit gegangen, als er von dem Traum erzählt hatte?
Da spürte er eine Hand auf seiner. Es war Brynna. Ihre Hand war warm und weich, nicht so rau wie etwa Thobens oder Deriks, und ihre Finger waren schlanker. In dieser Berührung lag mehr als beruhigende Worte. Mach dir keine Sorgen, schien sie zu sagen, du kannst nichts dafür. Und mir ist das egal.
Felico war dankbar dafür, dass sie ihm noch vertraute, oder zumindest ihr Misstrauen beiseite schob. Er wartete noch immer auf eine Reaktion der anderen, doch er hatte Angst vor dem, was sie sagen würden. Schließlich hörte er Jennas' Stimme.
„Ist das wahr?“ fragte er, „Du hast wirklich so etwas gesehen?“
Bedrückt nickte Felico. Hatte er wirklich Verständnis erwartet?
„So... und was willst du jetzt machen? Ich meine, das klingt ja fast, als hättest du es aus einer alten Sage oder einem Märchen. Glaubst du, wir werden jetzt auch Helden?“
Überrascht und erleichtert zugleich nahm Felico den fast spöttischen Unterton in Jennas' Stimme zur Kenntnis. Er glaubte ihm. Und er klang nicht, als mache es ihm etwas aus, dass sein Freund plötzlich Visionen hatte. Er schien sich ja fast darüber lustig zu machen. Aber das war wohl seine Art, mit so etwas umzugehen.
Felico schüttelte belustigt den Kopf.
„Das weiß ich nicht. Wärst du gerne einer?“
Jennas lachte.
„Tja, wieso nicht? Ich meine, so ein Held lebt doch nicht schlecht. Den ganzen Tag lang gegen Drachen und andere Ungeheuer kämpfen, schöne Prinzessinnen retten, Schätze finden... das wäre ein Leben!“
„Ja, und nicht zu vergessen die tödliche Gefahr, in die sich so ein Held jeden Tag begibt, ohne mit der Wimper zu zucken!“ warf Gabriel ironisch ein, und die anderen brachen in Gelächter aus. Vorerst dachte niemand mehr an Felicos Traum.
Den restlichen Tag reisten sie in wesentlich besserer Stimmung weiter, und als sie am Abend im Schutz einer kleinen Baumgruppe rasteten, war wieder alles wie vorher. Jedenfalls schien es so.


)*#0#*(

Die Gruppe reist weiter in Richtung Lorlen. Auf dem Weg dorthin werden sie überfallen, fliehen in den Wald und landen in der Elfenstadt Taliyesna. Dort treffen sie Felicos ehemaligen Lehrmeister Luthael, der sie darüber informiert, dass der Kaiser plant, mit Hilfe schwarzer Magie Dalereuth und die umliegenden Länder vollkommen seiner Herrschaft zu unterwefen. Luthael bittet sie, ihm und seinem Orden zu helfen, und sie willigen ein.

)*#0#*(


4

Nun war es also beschlossen; es war nurmehr eine Frage der Bedingungen. Am nächsten Morgen machte sich Brynna allein auf den Weg zu Luthael, um ihm ihre Entscheidung mitzuteilen. Der Alte Magier war hocherfreut.
„Ich danke Euch, dass Ihr Euch doch entschieden habt, uns zu helfen,“ sagte er, „das erleichtert mich sehr.“
Brynna schüttelte den Kopf.
„Ihr wisst so gut wie ich, dass es eigentlich nicht meine Entscheidung war,antwortete sie, „und seid Euch im Klaren darüber, dass wir Euch auch nur für eine angemessene Vergütung helfen werden.“
Luthaels Lächeln gefror.
„Damit haben wir bereits gerechnet. Sorg Euch nicht darum, wir werden Euch zukommen lassen, was Ihr verdient. Seid versichert, es wir mehr als genug sein... und es wäre mir lieber, Mestra, wenn Ihr mir nicht das Gefühl geben würdet, Euch zu dieser Sache zu zwingen.“
Brynna schnaubte verächtlich.
„Das tut Ihr nicht, gewiss nicht. Ich würde mich keinesfalls von Euch zu etwas zwingen lassen, glaubt mir. Das tue ich selbst. Also,“ fuhr sie in etwas ruhigerem Tonfall fort, „ich gehe davon aus, dass wir, was immer wir tun sollen, nicht hier tun werden. Wann brechen wir auf, und wohin?“
Luthael schien ihre nicht besonders höflichen Worte von eben zu ignorieren. Stattdessen antwortete er, als wäre nichts geschehen:
„Ja. Das stimmt. Wir werden nach Osten gehen, nach Sethlan; eine Stadt am Fuß des Gebirges. Wer von der alten Gilde noch lebt, hält sich dort auf. Wir sollten nicht voreilig handeln; wir müssen unser Vorgehen planen. Ich... warte hier noch auf jemanden, aber morgen früh werden wir aufbrechen.“
„Sethlan... das ist weit. Vier oder fünf Tage zu Pferd, und wir sind aufgrund unglücklicher Umstände leider gezwungen, bis auf weiteres zu Fuß zu gehen...“
Luthael verstand. Er machte eine unbestimmte Geste mit der Hand.
„Nun, wenn das so ist, werde ich mich darum kümmern. Seid nur morgen kurz nach Sonnenaufgang unten auf dem Platz.“
„In Ordnung.“
Ohne ein weiteres Wort drehte Brynna sich um und ging. Sie fiel in einen langsamen Schritt, während ihre Gedanken sich selbstständig machten. Zum ersten mal keimte in ihr die Frage auf, worauf sie sich da wirklich eingelassen hatte. Sie musste sich eingestehen, dass sie eigentlich so gut wie gar nichts darüber wusste, was auf sie alle zukam. Und die Aussicht, in kaum einer Woche ihrer Mutter wieder unter die Augen treten zu müssen, stimmte sie nicht unbedingt fröhlicher. Sie waren zerstritten, seit Mirena darauf bestanden hatte, sie zu verheiraten. Moran, ihrem Vater war das egal gewesen; dass sie mit sechzehn noch nicht einmal verlobt, geschweige denn verheiratet war, hatte ihn nicht interessiert. Er hatte sich gern mit seiner ältesten Tochter unterhalten über Dinge, über die er nicht einmal mit seiner Frau besprochen hatte. Er hatte sie immer eher wie einen Sohn behandelt, und ihr vieles durchgehen lassen. Ihre Mutter hingegen hatte ihr nicht so viele Freiheiten zugestanden. Sie hatte gewollt, dass Brynna endlich Lavernas Beispiel folgte und heiratete. Ihre Schwester – zu diesem Zeitpunkt gerade fünfzehn – war da bereits verlobt, die Hochzeit für das nächste Frühjahr geplant gewesen. Laverna hatte jedoch auch nie mehr vom Leben erwartet, als einen guten Mann zu heiraten und eine Familie zu gründen. Zudem hatte sie Lanciel von Anfang an gemocht, wohingegen der von ihrer Mutter für Brynna ausgesuchte Herzog Wie-war-noch-gleich-der-Name nicht nur fünfundzwanzig Jahre älter, sondern auch ausgesprochen arrogant gewesen war; er hatte Brynna noch vor der offiziellen Verlobung quasi als sein Eigentum betrachtet.
Brynna hatte vergeblich versucht, ihre Mutter umzustimmen, um wenigstens ihren Ehemann selbst aussuchen zu können, doch ohne Erfolg. Da hatte sie den Entschluss gefasst, zu gehen. Sie würde ihr Leben selbst bestimmen. Es gab strenge Traditionen, doch es sprach kein Gesetz dagegen, dass sie sich von der Abhängigkeit lossagte. Sie hatte beschlossen, ihr Brot durch das Kämpfen zu verdienen. Ein wenig hatte ihr ihr älterer Bruder beigebracht, und alles andere würde sie eben lernen müssen. Aber das würde sie schon schaffen.
Wo es ging, hatte Brynna Geld beiseite gelegt, um eine weitere Ausbildung bezahlen zu können. Es würde schwer werden, das hatte sie gewusst, aber sie würde es versuchen. Mit ihren kümmerlichen Handarbeiten hätte sie sich kaum durchschlagen können, und als Hure hatte sie nicht enden wollen.
Aber zumindest am Anfang war ihr dann doch keine Wahl geblieben. Sie hatte ein Jahr lang in einem Bordell gearbeitet, um die Ausbildung bezahlen und einigermaßen gut leben zu können. Als sie diese Zeit endlich hinter sich gehabt hatte, hatte sie sich geschworen, es nie wieder so weit kommen zu lassen.
Und das war ihr ja dann auch gelungen. Sie hatte genug zum Leben und konnte sparen für die Zeit, in der sie zu alt sein würde, um zu kämpfen; wenn sie überhaupt so alt wurde. Nun, und sie hatte Freunde gefunden, die sie um ihretwillen mochten. Das war das Wichtigste.
Was würde wohl ihre Mutter sagen, wenn sie erfuhr, was aus ihrer Tochter geworden war? Glaubte sie eigentlich, dass sie überhaupt noch am Leben war? Aber sie hätte Luthael bestimmt von ihr erzählt, wenn sie ihm hatte helfen wollen. Oder hatte sie ihm lediglich das Nötigste gesagt, ohne Brynna überhaupt zu erwähnen? Vielleicht war Laverna jetzt in ihren Erzählungen, in ihren Gedanken an die Stelle der ältesten Tochter gerückt. Es würde Brynna nicht wundern; ihre Mutter hatte unliebsame Tatsachen gerne ignoriert und in den Hintergrund gedrängt. Wahrscheinlich hatte sie es mit der unliebsamen Tochter genauso gemacht.
Brynna schnaubte verächtlich. Und wenn schon! Es war ihr ohnehin egal; sie kam zurecht, sie brauchte sie nicht, und sie vermisste sie nicht. Das einzige, was sie überhaupt je vermisst hatte, waren ihre Geschwister gewesen. Ihre Brüder, den damals neunzehnjährigen Alwyn, den zwölfjährigen Ivan und die sechsjährigen Zwillinge Magnus und Marek. Ihre Schwestern, die achtjährige Luzanna und Gwendolyn, die damals erst drei Jahre alt gewesen war. Was wohl aus ihnen geworden war? Und ihr Vater – was war mit ihm? Würde sie ihn jemals wiedersehen?
Plötzlich spürte Brynna ein ihr vertrautes Prickeln im Nacken. Irgendjemand verfolgte sie. Sie blieb stehen und drehte sich um. Gerade noch rechtzeitig sah sie das silberne Aufblitzen; erschrocken schrie sie auf und sprang zur Seite. Der Dolch fuhr ins Leere, und die in einen dunklen Kapuzenmantel gehüllte Gestalt geriet ins Stolpern. Ein derber Fluch drang unter der Kapuze hervor; der Angreifer wandte sich wieder Brynna zu und ging erneut auf sie los. Brynna brachte sich mit einem raschen Sprung außer Reichweite. Dabei trat sie jedoch unglücklich in eine Lücke zwischen zwei der aneinander gefügten Stämme, aus denen der Fußweg bestand, und verdrehte sich den Knöchel. Fluchend duckte sie sich unter einem weiteren Hieb hindurch und entkam der Klinge knapp. Hinter sich hörte sie aufgeregte Stimmen, und mit einem mal war die schmale Brücke voller Leute. Sie mussten mitbekommen haben, was hier passierte, und jetzt bildete sich eine Menge, die Brynna von einem auf den anderen Augenblick von dem seltsamen Angreifer abschirmte. Jemand rempelte sie an, und plötzlich hielt Brynna es für eine ausnehmend gute Idee, zu verschwinden. Sie lief den Weg zurück und bog gleich darauf in den Hauptweg ein. Nur noch am Rande bekam sie mit, wie die mittlerweile aufmerksam gewordenen Stadtwachen die Leute aufforderten, weiterzugehen. Die Gestalt im schwarzen Mantel war nirgends mehr zu sehen. Es war so schnell vorbei gewesen, wie es begonnen hatte.
Brynna eilte, ohne auf das dumpfe Pochen in ihrem Knöchel zu achten, zurück zu ihrem Quartier. Immer wieder spähte sie unruhig über die Schulter; sie war sich kaum der verwunderten Blicke bewusst, die die Leute auf den Wegen ihr zuwarfen. Sie wollte nur dahin zurück, wo sie glaubte, in Sicherheit zu sein.
Als sie endlich die Zimmertür hinter sich schloss, atmete sie unendlich erleichtert auf. Von einer plötzlichen Müdigkeit übermannt, ließ sie sich an der Tür hinab gleiten. Ihr Kommen hatte Thoben und Felico aufmerken lassen. Sie waren allein; Gabriel, Jennas und Derik waren wieder verschwunden. Über Thobens Züge huschte ein Ausdruck von Überraschung; schnell ging er neben Brynna in die Knie.
„Was ist denn mit dir passiert?“ fragte er, Besorgnis in der Stimme. „Hat dich jemand angegriffen?“
Müde nickte Brynna. Sie gewahrte flüchtig einen blutenden Schnitt in ihrem Gesicht, aber im Augenblick war es ihr egal.
„Ja, auf dem Rückweg.“
Sie schloss kurz die Augen.
„Der wusste, was er tat. Ich glaube, das war ein bezahlter Mörder.“
„Ein bezahlter Mörder?“
Felicos Stimme klang erschrocken. Brynna richtete ihren Blick auf ihn. Er saß auf einem von zwei Schemeln unter dem Fenster. Thoben nahm Brynna bei der Hand, zog sie hinüber zu dem zweiten Schemel und drückte sie darauf nieder. Felico legte ihr die Hand auf den Arm.
„Erzähl; was ist passiert?“
Langsam, mit leiser Stimme erzählte Brynna, was passiert war. Während Thoben stumm zuhörte, konnte Brynna förmlich spüren, wie eine plötzliche Furcht von Felico Besitz ergriff. Wie so oft in letzter Zeit kam ihr auf einmal der Gedanke, dass sein Gebaren zunehmend merkwürdig wurde. Mehrere Male fragte er Brynna, ob es ihr auch wirklich gut ging, und sie versicherte ihm jedes mal aufs Neue, dass mit ihr alles in Ordnung war. Thoben schüttelte den Kopf; wenn es nicht so ernst gewesen wäre, hätte er beinahe gelacht.
„Felico, nun lass mal gut sein,“ meinte er, „es geht ihr gut. Lass sie doch erstmal ausruhen. Wir sollten nicht überreagieren. Seien wir realistisch; wir hätten damit rechnen müssen. Erinnere dich an das, was Luthael euch gesagt hat. Wenn der Kaiser den Schmuck haben will, wird er alles dafür tun, gedungene Mörder eingeschlossen. Ich will hier nichts verharmlosen; wir müssen einfach vorsichtiger werden, ganz besonders du, Brynna.“
„Als ob ich das nicht selber wüsste,“ murrte diese, aber ihre zuckenden Mundwinkel verrieten Thoben, dass sie ihm Recht gab. Sie stand auf und ging zum Fenster, wobei sie nervös ihre Hände verschränkte, nicht wissend, wohin mit ihnen.
„Ich will aber nicht hier bleiben und Däumchen drehen, nur weil es sicherer ist. Das würde mir irgendwann den letzten Nerv rauben, das weißt du genau.“
Thoben und Felico fingen beide an zu lachen.
„Das verlangt ja niemand von dir,“ grinste Thoben, „weil wir dann deine Launen ertragen müssten. Nur... wenn du gehst, nimm einen von uns mit, ja? Dann müssen wir uns weniger Sorgen machen.“
Ein Schatten des Unmuts zog über Brynnas Gesicht.
„Was ist denn mit euch los? Ihr behandelt mich ja, als wäre ich ein Kind. Ich bin durchaus in der Lage, auf mich selbst aufzupassen.“
Sie spürte, wie zwei Hände sich auf ihre Schultern legten. Felico war aufgestanden und hinter ihr ans Fenster getreten. Als er sprach, glaubte Brynna einen Unterton in seiner Stimme zu hören, der da sonst nie war.
„Das wissen wir doch. Es ist nur so, dass wir uns Sorgen um dich machen, und es ist beruhigender zu wissen, dass wer immer dich angreift, sich mit zweien anlegen muss. Das macht es ihm gleich schwerer; verstehst du? Wir wollen ja nicht, dass dir etwas passiert.“
Brynna seufzte.
„Ja, schon. Ihr habt ja Recht. In dieser Sache wenigstens. Wenn es mir auch sonst widerstrebt, auf euch zu hören.“
„Das beruhigt mich ungemein.“


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Die Freunde machen sich mit Luthael auf den Weg nach Sethlan. Unterwegs treffen sie Brynnas Vater wieder, der, wie sich herausstellt, dem Orden hilft. In Sethlan finden sie Unterschlupf bei einer weiteren Mitstreiterin der Rebellion. Dort hat Felico eine weitere Vision.

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Als sich die Dunkelheit diesmal lichtete, fand Felico sich auf einer Lichtung in einem Wald wieder; eine große, kreisförmige Fläche, auf der statt Bäumen und Büschen Gras und Blumen wuchsen. Die Sonne strahlte an einem wolkenlosen Himmel, und überall um Felico herum sangen die Vögel in den Ästen. Ein ruhiges, friedliches Bild.
Dann hörte es das Weinen. Als er sich umwandte, sah er ein Mädchen unter einem Baum sitzen. Sie hatte die Knie angezogen und den Rücken gegen den Stamm gelehnt. Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie hielt einen glänzenden Gegenstand in den Händen, den sie unablässig hin und her drehte, was das kleine Ding von Zeit zu Zeit in der Sonne blitzen ließ. Felico sah abgebrochene Zweige und niedergedrücktes Gras, wo das Mädchen aus dem Wald gekommen sein musste. Ihre Röcke waren am Saum zerrissen und fleckig, und ihr Haar hatte sich aus dem Zopf gelöst und war zerzaust; die braunen Strähnen hingen ihr wirr ins Gesicht. Sie mochte vielleicht zehn oder elf Jahre alt sein, nicht älter. Vorsichtig näherte sich Felico ihr, und als er ein paar Schritte von ihr entfernt war, sprach er sie an.
„Was ist los mit dir? Weshalb weinst du?“
Das Mädchen hob den Kopf, als sie merkte, dass sie nicht allein war. Felico sah ihr Gesicht, und er hielt den Atem an. Verwirrt blinzelte er, als könne er seinen Augen nicht trauen; als könne nicht glauben, was er sah. Mit einem mal wusste er, wen er da vor sich hatte. Die Augen des Mädchen waren das, was er erkannte, obwohl er genau wusste, dass er sie nie zuvor gesehen hatte. Er kannte nur einen einzigen Menschen, der solche Augen hatte: das rechte grau, das linke grün. Nur einen einzigen Menschen... doch das konnte nicht sein, das war unmöglich!
„Wer bist du?“ fragte jetzt das Mädchen. Sie hatte aufgehört zu weinen und blickte ihn jetzt an. Etwas in ihrem Blick zwang Felico, zu antworten.
„Ich... ich heiße Felico. Ich... habe dich weinen gehört, und ich dachte, vielleicht...“
Er verstummte. Das Mädchen sah ihm noch immer in die Augen, und Felico hatte das Gefühl, sie suche in ihrem Gedächtnis nach einer Erinnerung, die zu dem Ereignis passte, ohne jedoch fündig zu werden, während sie ihn gleichsam taxierte um herauszufinden, ob er ihr Böses wollte oder nicht.
„Weißt du,“ sagte sie schließlich langsam, ich glaube, ich kenne dich. Oder... vielleicht kenne ich dich auch erst in ein paar Jahren, ich weiß nicht. Aber... ich glaube, ich kann dir vertrauen. Du willst mich doch nicht töten, oder?“ fügte sie etwas unsicher hinzu.
„Nein, nein, bestimmt nicht,“ versicherte Felico ihr schnell. Das Mädchen kam ihm etwas merkwürdig vor, oder besser: merkwürdig auf eine vertraute Art und Weise. Was meinte sie mit 'Ich kenne dich in ein paar Jahren'? Er konnte nicht verhindern, dass eine leise Furcht von ihm Besitz ergriff. Sie wurde ihm richtig unheimlich.
„Was... machst du hier, so ganz allein?“ fragte er. Das Mädchen sah etwas traurig drein, doch dann schüttelte sie entschlossen den Kopf.
„Das ist nicht wichtig,“ sagte sie, „wichtig ist, was ich dir sage, damit du es mir wieder sagen kannst. Also, hör mir genau zu. Der, der das Herz öffnet und zerbricht, muss das Herz am Ende für immer verschließen, um uns alle zu retten. Und ich muss ihm dabei helfen, damit er das schafft. Ich wünschte, ich könnte das selbst behalten, aber ich weiß genau, dass ich es vergesse. Also musst du es mir sagen, wenn du mich siehst, in Ordnung?“
„Was? Ich soll dir-“ setzte Felico an, doch das Mädchen unterbrach ihn.
„Machst du das?“ fragte sie, und sie sah ihn so flehend an, dass Felico nicht anders konnte als zustimmen.
„Also gut, ich sage es dir. Der, der zum ersten mal dein Herz öffnet, muss es zum zweiten mal tun, um uns alle zu retten, und du musst-“
„-ihm dabei helfen, genau,“ bestätigte das Mädchen. Dann hielt sie inne und sah zum Himmel empor.
„Hör doch, da ruft jemand nach dir. Das ist bestimmt deine Liebste. Los, beeil dich und geh zu ihr, sie wartet schon. Lebwohl!“
Und ehe Felico noch etwas sagen konnte, war sie im Wald verschwunden. Seine Liebste? Wer sollte denn das sein? Und wo hörte das Mädchen sie rufen?
„Felico!“
Der Ruf schien direkt hinter ihm aus dem Wald zu kommen, und Felico fuhr herum. Doch da war nichts, und der nächste Ruf kam wieder aus einer anderen Richtung. Da verschwamm die Umgebung um ihn herum, und Felico fand sich wieder in dem bekannten Wirbel aus Licht und Farben, der ihn aus der hellen Welt seiner Träume und Visionen forttrug in seine dunkle Wirklichkeit. Im nächsten Moment wachte er auf.


)*#0#*(

Brynna und Felico versuchen, hinter die Worte des geheimnisvollen Mädchens aus Felicos Traum zu kommen, bleiben jedoch ratlos. Luthael hat indes ein Treffen arrangiert, auf dem Brynna und ihre Freunde endlich Klarheit über die Situation und über das, was getan werden muss, erhalten sollen.

)*#0#*(


Sie nahmen einen Weg durch die schmalen Gassen der Altstadt, in der die Häuser oft noch so dicht standen, dass kaum ein Wagen dazwischen passte. Die Dächer der Häuser neigten sich über die Straßen, und so erreichte sie der Regen nicht ununterbrochen. Nass wurden sie trotzdem, als sie endlich in eine breitere Straße einbogen, die sie in die Neustadt führte. Hier gab es neben den Häusern der betuchten Händler, die sich sowohl Geschäfte in der Altstadt als auch ein Wohnhaus in der Neustadt leisten konnten, einige größere Anwesen, die sogar einen eigenen Innenhof und einen Garten besaßen. Vor einem dieser Häuser hielt Luthael schließlich an. Nachdem er den schmiedeeisernen Türklopfer betätigt hatte, wobei Brynna sich sicher war, dass er dabei ein Zeichen verwendete, öffnete sich die Tür, und ein junges Bubengesicht erschien im Spalt.
„Ja? Was wollt Ihr hier?“
„Wir wollen zu Herrn Laras,“ antwortete Luthael erstaunt. Das Erscheinen des Jungen schien ihn zu überraschen.
„Er müsste zu Hause sein. Und wer bist du?“
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür ganz, und hinter dem Jungen erschien ein Mann im Hausflur.
„Ah, Luthael, da seid Ihr ja! Ich muss mich entschuldigen, dass ich nicht schneller hier war. Tio wusste nichts davon, dass ich noch jemanden erwarte. Aber bringt doch erst einmal eure Pferde in den Hof, und dann kommt herein. Shiló, Jeltza und Mirena sind schon hier. Alexis, Henrik und Rovan sind noch nicht eingetroffen; aber wir können in der Bibliothek auf sie warten.“
Der Mann namens Laras schickte den Jungen zurück ins Haus, mit dem Auftrag, für mehr Wein zu sorgen, bevor er die Tür hinter sich schloss und Brynna und die anderen um das Haus herum zu einem Tor brachte, das in den Innenhof des Hauses führte. Dort konnten sie ihre Pferde anbinden, bevor sie Laras durch eine Seitentür in das Gebäude folgten.
Im Flur wartete eine Magd, um ihnen die Mäntel abzunehmen. Brynna war froh, den schweren Stoff endlich loszuwerden, obwohl sie froh war für die gute Qualität des Mantels. Er hatte den schlimmsten Regen abgehalten. Sie strich sich einige trotzdem nass gewordene Strähnen aus dem Gesicht. Gerade hatte Laras sie aufgefordert, ihm zu folgen. Er führte sie durch den Flur zu einer verzierten Tür. Dahinter waren gedämpfte Stimmen zu hören. Das Gespräch verstummte, als Laras die Tür öffnete und den Raum betrat, gefolgt von Gabriel, Derik, Jennas und Thoben. Brynna zögerte einen Moment. Jetzt da hinein zu gehen würde unweigerlich zu der Begegnung führen, die sie fürchtete und am liebsten vermieden hätte. Und dass es in diesem Gespräch heute vermutlich um sie gehen würde, machte es auch nicht leichter.
Sie spürte, wie Felico ihr einen kleinen Stoß gab.
„Du schaffst das schon,“ murmelte er, „komm schon, die anderen warten.“
Brynna holte noch einmal tief Luft, dann betrat sie das Zimmer. Als sie über die Schwelle trat, richteten sich aller Augen auf sie. Sie fühlte sich unbehaglich und war froh, als Laras das Wort ergriff und die Anwesenden einander vorstellte. Da war Shiló, deren fein geschnittene Züge und teure Kleidung vermuten ließen, dass sie die Frau eines Adligen war, vielleicht eines Ratsherrn. In dem schmalen, von blassblonden Haaren eingerahmten Gesicht zeigte sich ein Lächeln, als sie Brynna ansah. Neben ihr saß der Mann namens Jeltza, dunkelhaarig, mit kantigen Zügen und grober Kleidung; er wirkte eher wie ein Krieger denn wie ein Magier oder Ratsherr, deren Anwesenheit Brynna hier viel eher vermutet hätte. Und in einem weiteren Sessel, in ein teures, nach der neuesten Mode geschnittenes himmelblaues Kleid gehüllt, saß Mirena. Die Ähnlichkeit mit Brynna fiel zwar erst auf den zweiten Blick ins Auge, war dann jedoch augenfällig. Die beiden hatten die gleichen scharfen Gesichtszüge, wenn auch Brynnas Züge feiner wirkten, was an ihrer Jugend liegen mochte; und auch die braunen Locken Brynnas fanden sich bei Mirena wieder. Ein gravierender Unterschied jedoch waren die Augen. Während Mirenas von einem strahlenden Blau waren, wiesen Brynnas Augen jene markante Zweifärbung auf, die sie von anderen unterschied; das linke grün, das rechte grau. Als Mirena nun aufstand und ihrer Tochter gegenübertrat, wurde ein weiterer Unterschied deutlich. Nicht nur war Brynna eine gute handbreit größer als ihre Mutter; ihre Haltung vermittelte den Eindruck von Selbstsicherheit und einer fast verborgenen Anmut. Mirenas Haltung hingegen wirkte steif und gezwungen, nicht eben elegant, wie es vermutlich ihre Absicht war. In ihren Augen stand eine deutliche Missbilligung, beinahe schon Verachtung, als sie nun ihre Tochter mit abschätzigem Blick musterte. Als sie das Schwert sah, rümpfte sie die Nase.
„Brynna,“ sagte sie schließlich, „du... hast dich verändert...“
„Das brauchst du mir nicht zu sagen,“ erwiderte Brynna eisig, „das weiß ich selbst wohl am besten.“
Es war offensichtlich, dass sie nicht vorhatte, mehr als nötig mit Mirena zu sprechen. Die krauste bei diesen Worten die Stirn, sagte jedoch nichts mehr, sondern drehte sich um und nahm wieder in ihrem Sessel Platz. Als Laras nun die anderen aufforderte, sich doch ebenfalls zu setzen, würdigte Mirena ihre Tochter keines Blickes, und Brynna hielt es ebenso. Ein unangenehmes Schweigen hing im Raum, das erst von Laras gebrochen wurde, der den Raum verlassen hatte und jetzt, gefolgt von zwei Männern und einer Frau, zurückkehrte. Die große, dunkelhaarige Frau stellte Laras ihnen als Alexis vor, Professorin an der Akademie – „Ehemals“, ergänzte Alexis zynisch – der hagere grauhaarige Mann war Rovan, ebenfalls ehemaliger Professor, jedoch kam er aus dem Turm, und der grimmig dreinschauende Blonde war Henrik, Kriegsherr aus einer der Grenzmarken am Gebirge.
Als alle Platz genommen hatten, erhob sich schließlich Luthael. Er musste nicht um Ruhe bitten; aller Augen waren auf ihn gerichtet, während er sprach.
„Freunde, ich möchte nichts von dem, was hier heute zur Sprache kommen soll, weiter hinauszögern. Es gibt wichtige Neuigkeiten von den Grenzen; ich fürchte, es sind keine guten. Auch aus Elethys haben wir Nachricht. Aber es gibt auch etwas Gutes zu berichten. Mestra Brynna ist die Trägerin des letzten Teils des Siegels. Sie hat sich bereit erklärt, uns zu helfen.“
Brynna spürte die Blicke der meisten Anwesenden auf sich; nur ihre Mutter blickte geflissentlich in eine andere Richtung. Brynna war es egal; sie legte keinen gesteigerten Wert mehr auf die Meinung dieser Frau. Ihre Aufmerksamkeit galt Henrik, der sie von oben bis unten musterte und nicht eben begeistern dreinschaute.
„Eine Frau? Und noch dazu eine wie sie? Luthael, das ist nicht euer Ernst.“
Er verstummte, als er das eiskalte Funkeln in Brynnas Augen sah. Er war nicht der erste, den dieser Blick beunruhigte.
„Wenn es Euch nicht passt, bitte,“ zischte Brynna, bevor Luthael etwas erwidern konnte, „niemand zwingt mich oder Euch hier zu sein. Entweder Ihr geht, wenn ihr es nicht ertragt, dass eine Frau Euch helfen soll, oder ich gehe, und dann seht zu, wie Ihr allein mit einem verrückt gewordenen Kaiser fertig werdet!“
Ihre harschen Worte brachten Henrik dazu, die Schmähungen, die er ob dieses frechen Frauenzimmers schon auf der Zunge gehabt hatte, herunterzuschlucken und zu schweigen. Stattdessen beschränkte er sich darauf, Brynna einen wütenden Blick zuzuwerfen, von dem sie allerdings nicht die geringste Notiz nahm. Sollte dieser hochnäsige Kerl denken, was er wollte. Wenn es stimmte, was Luthael ihnen bei ihrem Treffen in Taliyesna erzählt hatte, war er genauso auf sie angewiesen wie alle anderen hier. Da konnte er sie ja schlecht ablehnen.
Luthael, dem die Situation sichtlich unangenehm war, hob die Hand, um sich die Aufmerksamkeit der Anwesenden zu sichern, und sprach weiter.
„Bitte, streitet nicht. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für Zwistigkeiten. Henrik, bitte, seid so gut und sagt uns nun, was Ihr zu berichten habt.“
Es war nun an Henrik, zu sprechen, und wie es schien, tat er es nur widerwillig.
„In den Grenzmarken ist es in der letzten Zeit unruhig geworden. Aus den Bergen kommen Orks und Goblins, Wölfe, Bären und Schlimmeres. Seit mehreren Wochen wird das immer schlimmer. Dörfer werden immer häufiger überfallen und niedergebrannt, die Bewohner getötet oder verschleppt. Selbst unter den Zwillingsgipfeln ist es nicht mehr sicher. Da ist irgendeine verruchte Magie am Werk, oder ich will nicht mehr Henrik Wolfszahn heißen.“
„Die Zwillingsgipfel sind nicht mehr sicher?“
Thoben blickte fragend und besorgt zu Henrik hinüber.
„Was meint Ihr damit?“
Henrik hob eine Augenbraue ob dieser Unterbrechung, beschwerte sich jedoch nicht. Offensichtlich hielt er Thoben einer Antwort für wert.
„Ich meine damit, dass selbst die Dörfer um die Gipfel herum, die von den Priestern des Zwillingskultes geschützt werden, überfallen worden sind. Viele der Bewohner, auch einige der Priester, sind verschwunden, und als ich Ectras verlassen habe, kam gerade ein neuerlicher Strom von Flüchtlingen aus dem Gebiet, die von noch mehr Überfällen und damit verbundenen Toten berichteten.“
Er wandte sich wieder Luthael zu.
„Da hinter dem Gebirge tut sich was. Ich weiß es. Ich habe einige fähige Leute ausgeschickt, um die Lage auszukundschaften, aber bis zu meinem Aufbruch ist keiner von ihnen zurückgekehrt. Ich hoffe immer noch, dass es nur der bevorstehende Winter ist, der diese Bestien wie immer ein wenig... reizt, aber ehrlich gesagt befürchte ich, dass es etwas Schlimmeres sein könnte. Sie sind zu dreist für meinen Geschmack.“
Nicht nur für seinen, dachte Brynna. Ihr war nicht entgangen, wie blass Thoben geworden war. Verständlich; er stammte selbst aus einem der Dörfer unter den Gipfeln. Vermutlich machte er sich Sorgen darum, ob es denen gut ging, die er zurückgelassen hatte. Von Zeit zu Zeit besuchte er sein Heimatdorf; zum letzten Mal war er dort gewesen, einige Wochen vor jener unglücksseligen Reise durch den Schwarzen Wald. Das musste gewesen sein, kurz bevor die Überfälle so zahlreich geworden waren, vermutete Brynna. Sie hörte zu, was Luthael nun zu Henriks Berichten zu sagen hatte.
„Was Ihr sagt, klingt bedenklich. Und es ist bei Weitem nicht das Einzige, was uns in der letzten Zeit Sorgen macht.“
Nacheinander ergriffen nun die anderen das Wort und berichteten von dem, was im Land vorging. Alexis und Rovan wussten von schwarzer Magie, die in den Schulen der Magier gewirkt und allem Anschein nach auch unterrichtet wurde. Shiló berichtete von Kontakten, die Ulyth mit jemandem im Osten pflegen musste. Ihr Mann wusste weder, dass sie hier war, noch dass sie ihn mehr oder weniger ausspionierte und auf alles achtete, was er sagte, wenn er aus dem Rat kam. Und er wusste nicht, dass ihr die Gespräche zwischen ihm und einem Unbekannten nicht entgangen waren, die sich jedes Mal um einen Tempel und etwas, was dort versteckt sein sollte, drehten.
Jeltza schließlich brachte Neuigkeiten von Überfällen, die sich in der letzten Zeit auf die Häuser und Anwesen von Adligen und anderen einflussreichen Leuten ereignet hatten, die sich offenkundig von Ulyths Regierung distanziert und seine Regierung offen kritisiert hatten. Von Betrug und Bestechung war die Rede gewesen, von Kooperation mit Schwarzmagiern und Nekromanten; doch diese Stimmen waren jedes Mal verstummt, kurz nachdem sie sich erhoben hatten. Was früher schon häufiger geschehen war, steigerte sich jetzt zu einer wahren Serie von Unfällen, Fällen von mysteriösem Verschwinden und Überfällen.
Schweigend hörten die anderen zu. Was hier gesagt wurde, klang längst nicht so, als sein im Land alles in bester Ordnung. Deutlich war in den Gesichtern der Anwesenden ein Gedanke abzulesen, doch nur Brynna sprach ihn laut aus.
„Das heißt also, im Großen und Ganzen wäre es für alle das Beste, Ulyth aus den Weg zu schaffen, richtig?“
Sie deutete das ihren Worten folgende Schweigen richtig.
„Und warum tötet man ihn dann nicht einfach? Es wäre leicht, einen bezahlten Mörder zu suchen. Für die richtige Bezahlung tun solche Leute doch alles.“
Verlegen starrte Luthael auf seine Hände, als er antwortete.
„Nun, Mestra, an und für sich ist das keine üble Idee, und wir haben schon darüber nachgedacht, es zu versuchen. Allerdings... gibt es da ein Problem.“
„Und das wäre?“
„Ulyth ist... nun, zum einen ist er der Kaiser, und es wäre mehr als schwierig an seinen Wachen vorbeizukommen. Und zum anderen... Ulyth schart nicht nur Schwarzmagier und Nekromanten um sich, er ist auch selbst ein mächtiger Zauberer. Wenn wir es riskieren wollten, ihn zu töten, müssten wir es selbst tun, und ehrlich gesagt... dazu fehlt es uns ganz entschieden an Mut und Talent. Dazu kommt noch, dass außer Ulyth genügend andere hochrangige Magier davon wissen. Gesetzt also den Fall, Ulyth stirbt tatsächlich, würden andere versuchen, an das Siegel zu kommen. Also sind wir quasi gezwungen, das Siegel zumindest an uns zu bringen, eher noch zu vernichten, um das Land wieder sicher zu machen.“
Als er geendet hatte, herrschte für einige Augenblicke Schweigen im Raum.
„Erstens, Mestro,“ sagte Brynna dann langsam, „meint Ihr mit 'wir' doch nur uns. Und zweitens, bei allem Respekt, habt Ihr gerade wunderbar Euer Unwissen zum Ausdruck gebracht. Es ist nicht möglich, das Siegel zu vernichten, so, wie Ihr Euch das vorstellt. Ich... weiß, dass ich Euch das bei unserer ersten Begegnung nicht gesagt habe. Aber... mir ist da gerade etwas klar geworden. Es heißt, dass in diesem Siegel, oder vielmehr in seinem Herzen, eine geradezu göttliche Macht eingeschlossen ist, rohe magische Energie in einem Ausmaß, das man sich kaum vorstellen kann. Das Problem an der Sache ist nun, dass man, wenn man das Siegel zerstört, unweigerlich diese Macht freisetzt. Entweder geht sie dann verloren, oder, was wahrscheinlicher ist, sie geht auf den über, der das Siegel vernichtet hat. Und ich glaube kaum, dass jemand in der Lage ist, als ein Gefäß für eine derartige Machtkonzentration zu dienen. Es würde ihn schlichtweg umbringen. Die einzige Möglichkeit, die Macht zu nutzen, besteht darin, das Siegel an sich zu binden; und wie Ihr vielleicht wisst, kann man das Siegel nur zerstören, wenn man dessen eigene Kraft dazu benutzt. Dadurch würde der Bann gebrochen, der sie konzentriert, und sie würde sich in alle Himmelsrichtungen zerstreuen, was sie nicht mehr und nicht weniger gefährlich macht als jede andere Art der Magie.“
„Aber,“ wandte Derik ein, „du hast doch gerade gesagt, man kann dieses... Siegel nicht zerstören. Und jetzt geht das doch? Was meinst du denn nun?“
Brynna seufzte.
„Das Ganze ist so,“ erklärte sie, „glaubt man dem, was man sich über das Siegel erzählt, so gibt es immer zwei, die die Macht des Siegels nutzen können, ohne von ihr kontrolliert zu werden. Nutzen; aber sie können das Siegel nicht zerstören, nicht, wenn sie es allein versuchen. Es zu zerstören oder seine Macht daraus zu... befreien ist nur möglich, wenn beide zusammenarbeiten. Es geht nicht anders. Das ist eine Art... Schutzvorrichtung, glaube ich. Ursprünglich war das Siegel dazu gedacht, den Menschen und den Mächten des Guten zu helfen, wenn es nötig ist. Leider wurde dabei nicht bedacht, dass es auch jemanden geben könnte, der versucht, die Macht, die im Siegel eigeschlossen ist, für etwas Böses zu nutzen. Nun, auch Götter machen einmal Fehler, schätze ich. Ich kann leider nicht sagen, ob Ulyth jemand ist, der die Macht nutzen kann, ohne dass er von ihr kontrolliert wird und nicht mehr Herr über sich selbst ist. Es ist nämlich so, dass die zweite Person grundsätzlich unbekannt ist. Niemand weiß, wer er oder sie ist, nicht einmal die Sancta des Steins. Generationen von potentiell Befähigten sind völlig unbekannt geblieben, und auch jetzt weiß ich von niemandem, der es könnte. Die Macht zum Guten nutzen, meine ich.“
„Außer dir,“ korrigierte Felico leise. Brynna lächelte dünn.
„Ja. Außer mir. Das ist uns aber kaum von Nutzen, weil ich alleine nicht in der Lage bin, das Siegel zu zerstören.“
Sie warf Luthael einen Blick zu.
„Ich fürchte, Mestro, Ihr müsst Euch etwas Neues ausdenken.“

*-*-*



So, ich weiß, das war ziemlich viel auf einmal, trotzdem fänd ich's toll, wenn's jemand lesen und mir ehrlich sagen würde, wie es ist...
Da du alles schon auf einer Hompage präsentierst, denke ich mal dass ich nicht viele Fehler finden werde. Trotzdem bewerte und korrigier ich's mal...
aber ehrlich, des is viel. Eventuell werde ich nicht alles korrigiern (durchlesen tu ich's auf alle Fälle), mir läuft heute ein bisschen die Zeit davon...

nun, beginnen wir mit dem letzten Post vor den Weihnachtsferien:


>>Wohl, weil sie wusste, was sie für gewöhnlich von ihren Gästen zu halten hatte, nahm sie gleich das Geld und verschwand dann, um den nächsten Tisch zu bedienen.<<
Ich würd "Weil sie genau wusste, was sie gewöhnlich..." ist einfach. Ich tendiere immer eher zu einfacheren Sätzen, sonst verhaspelt man sich nur.

>>Gabriel, Derik, Thoben und Jennas griffen sofort nach den Krügen und tranken sich laut singend zu, während Brynna erst Felico einen Krug hinschob, bevor sie selbst trank.<<
entweder "und ließen sich singend vollaufen, während..." oder ansonsten "prosteten sich lauthals zu und tranken, während..."

>>...und beinahe wäre er daran verzweifelt. Mehrere Wochen lang war er nicht fähig gewesen, auch nur irgendetwas zu tun.<<
hier bin ich mit der Wortwahl nicht ganz zufrieden, ich hätts mir so vorgestellt "Mehrere Wochen lang war er nicht fähig gewesen, auch nur das Geringste zu tun" das "irgenetwas" ist mir einfach suspekt ;)

>>aber nach und nach hatte er aufgeholt, was ihm die anderen Schüler dort voraus gehabt hatten, und seine Prüfung hatte er als drittbester des Jahrgangs bestanden.<<
"voraus gehabt hatten" naja, meinem Gefühl nach zu urteilen passt es nicht ganz hinein, es hat mir beim Lesen nicht gefallen, ich denk das kann man auch anders ausdrücken. Vielleicht... "nach und nach hatte er alles aufgeholt, und schloss zu den anderen Schülern auf. Seine Prüfung bestand er schlussendlich als drittbester seines Jahrgangs." oder so änlich...

>>Weile für die Gilde gearbeitet, hatte in ihrem Auftrag Reisen begleitet oder wichtige Waren geliefert.<<
Naja Reisen kann man nicht wirklich begleiten, wennschon Reisende... ;)

>>Sie selbst war dann nur mit knapper Not entkommen und hatte die anderen warnen können.<<
das Wörtchen "dann" könntest du weglassen. Wörter wie "dann" oder "halt" benutzt man gern in der umgangssprache z.B. "es geht halt nicht" "dann hab ich dann gesagt" usw. In einem Buch solltest du sie weglassen

>>Damit wandte sie sich ab, ging um die dünne Trennwand, die den Raum teilte, herum und sah nach den anderen beiden.<<
"die den Raum teilte" kannst du eigentlich auch weglassen, wenn nicht solltest du es vielleicht einfacher formulieren. Aber das eine Trennwand einen Raum trennt sollte jedem klar sein. "Damit wandte sie sich ab, und ging um die dünne Trennwand herum um nach den anderen beiden zu sehen."

>>Was sollte das? Wo war er hier hingeraten?<<
versuchs mal so "Was sollte das? Wo war er hier nur hineingeraten" Solltest du den Ort meinen würds prinzipiell gehen, nur ist es dann leicht zu verwechseln, ich würds so machen "Was sollte das? Wo war er hier bloß?"

>>Er wusste nicht, warum; er vermutete nur, dass die Stimme von dort kam.<<
"Er wusste nicht warum, er vermutete einfach, dass die Stimme von dort kam"

>>"Ich- was? Nein, ich... es ist wirklich nichts!" versicherte Felico hastig, was Brynna begreiflicherweise auch nicht überzeugte.<<
"versicherte Felico hastig, was Brynna keinesfalls überzeugte." das "begreiflicherweise" ist auch so eins von den Wörtern, welche man als schriftsteller nicht verwenden sollte. Man sollte prinzipiell leicht verständlich schreiben, und nicht Wörter benutzen bei denen der Leser erst überlegen muss was das bedeuten könnte

>> Sie fiel in einen langsamen Schritt, während ihre Gedanken sich selbstständig machten.<<
Sie verfiel in einen langsamen Schritt,...

>>Es gab strenge Traditionen, doch es sprach kein Gesetz dagegen, dass sie sich von der Abhängigkeit lossagte.<<
"von der Abhängigkeit" ist auch so ne sache wo die Wortwahl nicht ganz so einwandfrei war. Einfach und besser "Es gab strenge Traditionen, doch es sprach kein Gesetz dagegen, dass sie sich davon lossagte/wenn sie sich davon lossagen möchte." siehste? is doch einfacher! oder?

So! ich belass es heut mal dabei den ersten Teil korrigiert zu haben, ich muss schließlich noch packen damit ich morgen nicht zuu spät zum Zug komm...
Den zweiten Teil (2. Post) überlass ich (für dieses mal) OS bzw. Kualquappe oder Mihawk (und natürlich auch allen anderen wenn sie Lust zum korrigieren haben) ;)

Die Geschichte gefällt mir sehr sehr gut. Respekt! Viel zu bemängeln gabs auch nicht, also...
Ich kann dir zu der Story nur gratulieren. Du hast es gaschafft einen die Charaktere wirklich nahe zu bringen, sodass man sich teilweise auch mit ihnen identifizieren kann.
Worauf du achten solltest wäre vielleicht noch die Ausdrucksweise, die manchmal nicht ganz ok ist, ansonsten ist mir aber nichts aufgefallen. Ich bin die Story (da ich wenig Zeit hab), aber auch ziemlich oberflächlich durchgegangen (d.h. ich hab sie 2x gelesen. 1x einfach so zum lesen, und 1x zum korrigieren; normal mach ichs 3-4 mal...). Was ich damit sagen will, ist dass jene die noch korrigieren werden/können/wollen sich auch den ersten Teil ruhig nochmal anschauen können...

Tja, das war's dann mal wieder von mir, und diesmal für längere Zeit. Viel Spaß noch, Leute! Smiley
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