Die Geschichte basiert teilweise auf dem gleichnamigen Lied von Schandmaul . Jedoch habe ich meiner Kreativität freien Lauf gelassen - und hier ist das Ergebnis.
Bitte um ausreichendes Feedback - sowohl Lob, als auch Kritik sind willkommen.
Teufelsweib
Ein spitzer, gezackter Stein traf sie am Hinterkopf und sie fiel hart auf die Knie. Ihr Korb kippte um und dessen Inhalt verstreute sich auf der gepflasterten Straße. Die Leute blieben stehen und starrten sie an, wie sie sich aufrappelte und ihre Sachen hastig zusammensuchte.
Auch ein junger Bursche, der gerade auf dem Weg nach Hause war, blieb stehen und sah zu der Frau. Er hörte auch die hässlichen Beleidigungen, die man ihr ohne ersichtlichen Grund -begleitet von schweren Kieselsteinen – an den Kopf warf. Er empfand Mitleid für sie, denn sie war schön und lieblich. So schön, dass es ihm beinahe das Herz zerriss, als er sie - wie einen räudigen Hund – auf der Straße kriechen sah.
„Na, Weib, eil dich und such deine Sachen zusammen!“, rief ein junger Bub – wohl kaum älter als zehn Sommer – und wog einen besonders scharfen Stein in der Hand.
Er drängte sich zwischen zwei dürren, alten Weibern zu der rothaarigen Fremden hindurch, was diese mit ärgerlichem Gezeter quittierten. Jedoch richtete sich ihr Hass nicht gegen ihn, sondern gegen die Frau.
„Du liederliches Weibsstück! Tochter eines Bastards! Scher dich fort aus unserem Dorf!“
Ein Kieselstein rollte vor seine Füße, als er sich niederbeugte, eine kleine Tüte Salz aufhob und sie der Fremden hinhielt. Sie sah auf und in ihren Augen zeigte sich – neben der Demütigung – Verblüffung. Sie nahm ihm die Tüte ab – ihre Hände berührten sich einen winzigen Augenblick – da traf sie ein Stein an der Schläfe.
Er blickte ihr in das schöne, junge Gesicht und nun sah er – zu seiner Verwunderung – eine Träne aus ihren Augenwinkeln rollen.
„Hexenweib! Verführst unsere Söhne und Männer und ächtest Gottes Wort!“
„Tochter des Leibhaftigen – scher dich aus unserem Dorf, wenn du nicht auf dem Scheiterhaufen enden willst!“
Es war die sich überschlagende Stimme der Müllersfrau. Die Fremde wandte sich nun ihr zu – in ihre Augen trat nun ein irrer Blick, der den Umstehenden Angst bereitete - dann drängte sie – mit wüsten Beschimpfungen – durch die Menschenmenge. Sie verstummte schließlich und humpelte mit einem blutendem Bein auf den Dorfrand zu. Der Korb an ihrem Arm schwankte heftig.
Er starrte auf den Fleck, an dem sie gerade noch gestanden hatte, dann wanderte sein Blick weiter zu der Frau des Müllers, die wie erstarrt dastand. Sie war bleich geworden und keuchte nach Luft.
„Sie hat mich verhext!“, murmelte sie betreten und die Frau, die neben ihr stand, wich entsetzt einige Schritte von ihr zurück.
Da drang plötzlich eine ihm wohlbekannte Stimme an sein Ohr: „Thomas, komm! Komm mit!“ Auch die Frau vom Müller bemerkte ihn nun. Sie zeigte unverhohlen mit dem Finger auf ihn und ließ einen erstickten Schrei los.
„Er! Er hat ihr geholfen! Nicht nur ich wurde verhext – sie hat ihn verzaubert! Sie ist böse! Doch das wusste ich schon, seit ich dieses Weib zum ersten Mal gesehen habe!“
Eine Hand umschloss seinen Oberarm und zog ihn bestimmt durch den Kreis der Schaulustigen. Die wichen von ihm zurück, als könnten sie auch verhext werden, dann starrten sie ihm nach.
Die Hand zog ihn in eine kleine Nebengasse, in der kein Mensch zu sehen war. Erst dort klärte sich sein Blick und er sah Amalie – eine gute Freundin von ihm – vor sich stehen. Ihre hübschen, himmelblauen Augen sahen ihn vorwurfsvoll an und ihre hellen Augenbrauen waren hochgezogen – ein deutliches Zeichen bei ihr, dass sie ihm eine Standpauke halten wollte.
„Thomas, was tatest du?“ Ihre Stimme war sehr ärgerlich. „Wieso hast du dieser Frau geholfen? Man erzählt
sich-“
Doch da unterbrach er sie, denn er wollte nicht hören, welche abscheulichen Dinge die Leute erzählten.
„Amalie, ich habe ihr nur geholfen! Sie wurde von diesen grässlichen, alten Weibern gedemütigt und mit Steinen beworfen!“, fuhr er ihr so direkt in das Wort, dass sie verstummte und ihn vorwurfsvoll ansah. „Es ist mir egal, wer oder was sie ist! Sie benötigte Hilfe und ich half ihr! Mach mir daraus keinen Vorwurf!“
Sie trat einen Schritt vor – sie standen nun Nasenspitze an Nasenspitze und er konnte ihren Atem auf seiner Haut spüren – dann flüsterte sie: „Man erzählt sich, diese Frau sei eine Hexe! Sie hat einen Bund mit dem Leibhaftigen eingegangen und ihm seine Seele verkauft! Sie verhext junge Burschen mit ihrer Magie und zwingt sie dazu, dem Leibhaftigen ebenfalls ihre Seelen zu geben! Und dann – dann verbringt sie die Nacht mit ihnen...“
Kaum hatte sie ausgeredet, da schnaufte Thomas verächtlich aus.
„Sag bloß, Amalie, du glaubst dies? Es gibt keine Hexen in unserem Dorf!“
Ihre Augen verengten sich wütend.
„Ein Junge erzählte mir, er wäre abends an ihrem Haus vorbeigegangen und sie gesehen, wie sie auf einem Besen durch die Lüfte geritten ist!“
Er sah sie abschätzend an und seufzte. „Seine Fantasie spielte ihm wohl einen Streich! Niemand kann auf einem Reisigbesen durch die Lüfte reiten! - Willst du mir vielleicht noch erzählen, dass sie jemanden verflucht haben soll?“, fügte er noch spottend hinzu.
Amalie starrte ihn an. „Woher wusstest du das? Tatsächlich verhexte sie jemanden! Sie hatte Streit mit der Frau vom Wirt vom ´Tosendem Eber` und hat sie verflucht! Und – was soll ich sagen – nun hat der Wirt innerhalb einer Woche drei seiner besten Rinder verloren! Und er erzählte mir im Vertrauen, dass sein Bier längst nicht mehr so gut schmeckt wie sonst!“
Ihr Gesicht war blass und sie atmete hastig. Thomas gab es auf, sie zu belehren – seine nüchternen Vorbringungen würden bei ihr nur auf taube Ohren stoßen.
„Wenn du von dieser Albernheit überzeugt bist...“, murmelte er nur und ging zurück auf den Markplatz, auf dem nun wieder reges, geschäftliches Treiben herrschte. Er ging zu seinem Karren und warf einen kurzen, prüfenden Blick darauf: Alles war noch darin, nichts fehlte. Das Karrenpferd schnaubte. Amalie kam hinter ihm hergestolpert, als er dem Pferd einen Schlag auf das Hinterteil gab und neben ihm herging. Er lenkte es Richtung Rathaus, wo das Haus seiner Eltern stand.
Die Kirchenglocken schlugen zwölfmal an – Thomas seufzte. Er war zu spät – wie üblich. Wenn er nach Hause kommen würde, würde ihm sein Vater – der sehr streng auf Pünktlichkeit achtete – wieder eine Standpauke halten und ihm vielleicht eine Schelle geben, doch das war bei ihm nichts Ungewöhnliches.
Am Rathausbrunnen verabschiedete sich Amalie von Thomas. Sie ging sehr kühl und steif mit ihm um, was Thomas nicht verwunderte. Dann machte er sich auf den Weg nach Hause.
Das Haus seiner Eltern war – nach seiner Meinung – groß, doch es war an vielen Stellen morsch und durchgeschimmelt. Hinter der großartigen, prunkvollen Fassade verborgen sich muffige Zimmer und dreckige Gänge und ein Dach, durch das es hindurchregnete.
Thomas seufzte noch einmal, dann ging er zügig um das Haus herum und band das Pferd im schattigen Hof an. Tim hackte Holz mit einer stumpfen Axt – er sah nicht einmal auf, als Thomas ihn grüßte.
Tim war oft bei ihnen beschäftigt, da er dafür einige Schillinge oder Essen bekam.
Thomas ging in das Haus und rief nach seiner Mutter – obwohl er wusste, wo sie zu finden war. Tatsächlich kam ihre freundliche Stimme aus der Küche, die der einzige Raum im gesamten Haus war, der säuberlich geputzt war und wurde.
Seine Mutter – eine hübsche, dunkelhaarige und zudem noch schwangere Frau – saß am großen Tisch und nähte an einer neuen Tischdecke, während ein lustiges Feuer im Ofen brannte.
Als er eintrat, sah sie auf und lächelte ihm zu.
„Hallo Mutter – ich bin vom Markt zurück!“
Er beugte sich zu ihr nieder und küsste sie auf die Wange.
„Hast du Alles bekommen, Junge?“, fragte sie statt einer Begrüßung.
Er nickte und sie lächelte zufrieden.
„Gut! Sagst du Marie, dass sie die Sachen hineinbringen und mit dem Kochen anfangen soll?“
Er nickte noch einmal und wandte sich dann um. Doch da kam ihm ein Gedanke und langsam drehte er sich noch einmal zurück.
„Mutter, kann ich ... kann ich danach noch einmal zum Markt gehen? Ich habe mich mit Amalie verabredet – und ich wollte sie fragen, ob wir heute Abend am Fest miteinander tanzen wollen!“
Dies war zwar eine Lüge, doch sie würde keinen Verdacht schöpfen – und zudem konnte er so ungesehen aus dem Dorf verschwinden. Sie nickte ihm wohlwollend zu.
„Sie ist ein gutes, fleißiges Mädchen, nicht wahr?!“
Ihr Ton war beiläufig, doch Thomas wusste genau, auf was sie hinauswollte.
„Sie ist sehr nett...“, antwortete er ausweichend – seine Mutter seufzte ein wenig traurig. Sie legte ihr Nähzeug zur Seite und blickte ihn nun mit ihren freundlichen Augen offen an.
„Thomas, du weißt doch, dass dein Vater und ich uns so freuen würden, wenn du dir endlich ein Mädchen suchen würdest!“
Er wandte sich ab und verdrehte die Augen.
„Ja, ich weiß, Mutter! Vater erwähnt es mir gegenüber sicherlich ein Dutzend Mal pro Tag!“
Sein Ton war bitter. Mit diesen Worten verließ er die Küche und betrat die Treppe, um Marie Bescheid zu geben. Die hatte nämlich eine kleine Kammer unter dem Dach bezogen, nachdem ihre Mutter von einem wildgewordenen Ochsen zu Tode getrampelt worden war. Sie lebte nun schon beinahe sechs Jahre bei ihnen, doch Thomas hatte nie viel mit ihr geredet. Denn meistens war sie mit ihrer Arbeit im Haus oder Stall beschäftigt. Außerdem war sie sehr schweigsam und fleißig, wenn jemand in ihrer Nähe war. Doch er hatte sie schon oftmals lieblich singen hören, wenn er draußen im Hof und sie in der Küche war.
Thomas rief nach ihr , doch sie schien nicht im Haus zu sein. Er fand dies keineswegs seltsam, da sie wahrscheinlich im Stall arbeitete. Er ging wieder die wacklige Treppe hinunter und tat auf den Hof.
Tim war nicht mehr mit Holzhacken beschäftigt, sondern anscheinend arbeitete er im Stall, in dem rund zwanzig Rinder und drei Pferde standen. Thomas ging zum Stall und spähte durch die halboffene Tür.
Da sah er Tim und Marie beisammen stehen. Marie hatte ein schwaches Lächeln auf den Lippen, doch sie wirkte sehr blass. Tim, der Thomas den Rücken zugewendet hatte, schwieg.
„Du kannst es nicht ignorieren und wenn du dies doch tust, bin ich alleine! Alleine!“
Thomas wunderte es, wie traurig ihre Stimme klang. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass er hier nicht erwünscht wäre, weshalb er schnellen Schrittes über den Hof ging und beschloss, auf Marie zu warten. Er streichelte das Pferd über die schneeweiße Blesse und klopfte ihm auf die Hinterhand, worauf es zufrieden schnaubte.
Auf einmal hörte man einen lauten Knall, dann einen Aufschrei – und dann sah man Marie schluchzend aus dem Stall in das Haus laufen.
Kurze Zeit später kam auch Tim heraus – er war vor Wut ganz rot geworden und zog eine Feldflasche aus seiner Hosentasche. Nach einigen großen Schlücken entspannten sich seine Gesichtszüge ein wenig.
„Tim, was ist denn mit Marie los?“, fragte Thomas, obwohl er es sich denken konnte.
Er sah auf.
*Work in progress*
Bitte um ausreichendes Feedback - sowohl Lob, als auch Kritik sind willkommen.
Teufelsweib
Ein spitzer, gezackter Stein traf sie am Hinterkopf und sie fiel hart auf die Knie. Ihr Korb kippte um und dessen Inhalt verstreute sich auf der gepflasterten Straße. Die Leute blieben stehen und starrten sie an, wie sie sich aufrappelte und ihre Sachen hastig zusammensuchte.
Auch ein junger Bursche, der gerade auf dem Weg nach Hause war, blieb stehen und sah zu der Frau. Er hörte auch die hässlichen Beleidigungen, die man ihr ohne ersichtlichen Grund -begleitet von schweren Kieselsteinen – an den Kopf warf. Er empfand Mitleid für sie, denn sie war schön und lieblich. So schön, dass es ihm beinahe das Herz zerriss, als er sie - wie einen räudigen Hund – auf der Straße kriechen sah.
„Na, Weib, eil dich und such deine Sachen zusammen!“, rief ein junger Bub – wohl kaum älter als zehn Sommer – und wog einen besonders scharfen Stein in der Hand.
Er drängte sich zwischen zwei dürren, alten Weibern zu der rothaarigen Fremden hindurch, was diese mit ärgerlichem Gezeter quittierten. Jedoch richtete sich ihr Hass nicht gegen ihn, sondern gegen die Frau.
„Du liederliches Weibsstück! Tochter eines Bastards! Scher dich fort aus unserem Dorf!“
Ein Kieselstein rollte vor seine Füße, als er sich niederbeugte, eine kleine Tüte Salz aufhob und sie der Fremden hinhielt. Sie sah auf und in ihren Augen zeigte sich – neben der Demütigung – Verblüffung. Sie nahm ihm die Tüte ab – ihre Hände berührten sich einen winzigen Augenblick – da traf sie ein Stein an der Schläfe.
Er blickte ihr in das schöne, junge Gesicht und nun sah er – zu seiner Verwunderung – eine Träne aus ihren Augenwinkeln rollen.
„Hexenweib! Verführst unsere Söhne und Männer und ächtest Gottes Wort!“
„Tochter des Leibhaftigen – scher dich aus unserem Dorf, wenn du nicht auf dem Scheiterhaufen enden willst!“
Es war die sich überschlagende Stimme der Müllersfrau. Die Fremde wandte sich nun ihr zu – in ihre Augen trat nun ein irrer Blick, der den Umstehenden Angst bereitete - dann drängte sie – mit wüsten Beschimpfungen – durch die Menschenmenge. Sie verstummte schließlich und humpelte mit einem blutendem Bein auf den Dorfrand zu. Der Korb an ihrem Arm schwankte heftig.
Er starrte auf den Fleck, an dem sie gerade noch gestanden hatte, dann wanderte sein Blick weiter zu der Frau des Müllers, die wie erstarrt dastand. Sie war bleich geworden und keuchte nach Luft.
„Sie hat mich verhext!“, murmelte sie betreten und die Frau, die neben ihr stand, wich entsetzt einige Schritte von ihr zurück.
Da drang plötzlich eine ihm wohlbekannte Stimme an sein Ohr: „Thomas, komm! Komm mit!“ Auch die Frau vom Müller bemerkte ihn nun. Sie zeigte unverhohlen mit dem Finger auf ihn und ließ einen erstickten Schrei los.
„Er! Er hat ihr geholfen! Nicht nur ich wurde verhext – sie hat ihn verzaubert! Sie ist böse! Doch das wusste ich schon, seit ich dieses Weib zum ersten Mal gesehen habe!“
Eine Hand umschloss seinen Oberarm und zog ihn bestimmt durch den Kreis der Schaulustigen. Die wichen von ihm zurück, als könnten sie auch verhext werden, dann starrten sie ihm nach.
Die Hand zog ihn in eine kleine Nebengasse, in der kein Mensch zu sehen war. Erst dort klärte sich sein Blick und er sah Amalie – eine gute Freundin von ihm – vor sich stehen. Ihre hübschen, himmelblauen Augen sahen ihn vorwurfsvoll an und ihre hellen Augenbrauen waren hochgezogen – ein deutliches Zeichen bei ihr, dass sie ihm eine Standpauke halten wollte.
„Thomas, was tatest du?“ Ihre Stimme war sehr ärgerlich. „Wieso hast du dieser Frau geholfen? Man erzählt
sich-“
Doch da unterbrach er sie, denn er wollte nicht hören, welche abscheulichen Dinge die Leute erzählten.
„Amalie, ich habe ihr nur geholfen! Sie wurde von diesen grässlichen, alten Weibern gedemütigt und mit Steinen beworfen!“, fuhr er ihr so direkt in das Wort, dass sie verstummte und ihn vorwurfsvoll ansah. „Es ist mir egal, wer oder was sie ist! Sie benötigte Hilfe und ich half ihr! Mach mir daraus keinen Vorwurf!“
Sie trat einen Schritt vor – sie standen nun Nasenspitze an Nasenspitze und er konnte ihren Atem auf seiner Haut spüren – dann flüsterte sie: „Man erzählt sich, diese Frau sei eine Hexe! Sie hat einen Bund mit dem Leibhaftigen eingegangen und ihm seine Seele verkauft! Sie verhext junge Burschen mit ihrer Magie und zwingt sie dazu, dem Leibhaftigen ebenfalls ihre Seelen zu geben! Und dann – dann verbringt sie die Nacht mit ihnen...“
Kaum hatte sie ausgeredet, da schnaufte Thomas verächtlich aus.
„Sag bloß, Amalie, du glaubst dies? Es gibt keine Hexen in unserem Dorf!“
Ihre Augen verengten sich wütend.
„Ein Junge erzählte mir, er wäre abends an ihrem Haus vorbeigegangen und sie gesehen, wie sie auf einem Besen durch die Lüfte geritten ist!“
Er sah sie abschätzend an und seufzte. „Seine Fantasie spielte ihm wohl einen Streich! Niemand kann auf einem Reisigbesen durch die Lüfte reiten! - Willst du mir vielleicht noch erzählen, dass sie jemanden verflucht haben soll?“, fügte er noch spottend hinzu.
Amalie starrte ihn an. „Woher wusstest du das? Tatsächlich verhexte sie jemanden! Sie hatte Streit mit der Frau vom Wirt vom ´Tosendem Eber` und hat sie verflucht! Und – was soll ich sagen – nun hat der Wirt innerhalb einer Woche drei seiner besten Rinder verloren! Und er erzählte mir im Vertrauen, dass sein Bier längst nicht mehr so gut schmeckt wie sonst!“
Ihr Gesicht war blass und sie atmete hastig. Thomas gab es auf, sie zu belehren – seine nüchternen Vorbringungen würden bei ihr nur auf taube Ohren stoßen.
„Wenn du von dieser Albernheit überzeugt bist...“, murmelte er nur und ging zurück auf den Markplatz, auf dem nun wieder reges, geschäftliches Treiben herrschte. Er ging zu seinem Karren und warf einen kurzen, prüfenden Blick darauf: Alles war noch darin, nichts fehlte. Das Karrenpferd schnaubte. Amalie kam hinter ihm hergestolpert, als er dem Pferd einen Schlag auf das Hinterteil gab und neben ihm herging. Er lenkte es Richtung Rathaus, wo das Haus seiner Eltern stand.
Die Kirchenglocken schlugen zwölfmal an – Thomas seufzte. Er war zu spät – wie üblich. Wenn er nach Hause kommen würde, würde ihm sein Vater – der sehr streng auf Pünktlichkeit achtete – wieder eine Standpauke halten und ihm vielleicht eine Schelle geben, doch das war bei ihm nichts Ungewöhnliches.
Am Rathausbrunnen verabschiedete sich Amalie von Thomas. Sie ging sehr kühl und steif mit ihm um, was Thomas nicht verwunderte. Dann machte er sich auf den Weg nach Hause.
Das Haus seiner Eltern war – nach seiner Meinung – groß, doch es war an vielen Stellen morsch und durchgeschimmelt. Hinter der großartigen, prunkvollen Fassade verborgen sich muffige Zimmer und dreckige Gänge und ein Dach, durch das es hindurchregnete.
Thomas seufzte noch einmal, dann ging er zügig um das Haus herum und band das Pferd im schattigen Hof an. Tim hackte Holz mit einer stumpfen Axt – er sah nicht einmal auf, als Thomas ihn grüßte.
Tim war oft bei ihnen beschäftigt, da er dafür einige Schillinge oder Essen bekam.
Thomas ging in das Haus und rief nach seiner Mutter – obwohl er wusste, wo sie zu finden war. Tatsächlich kam ihre freundliche Stimme aus der Küche, die der einzige Raum im gesamten Haus war, der säuberlich geputzt war und wurde.
Seine Mutter – eine hübsche, dunkelhaarige und zudem noch schwangere Frau – saß am großen Tisch und nähte an einer neuen Tischdecke, während ein lustiges Feuer im Ofen brannte.
Als er eintrat, sah sie auf und lächelte ihm zu.
„Hallo Mutter – ich bin vom Markt zurück!“
Er beugte sich zu ihr nieder und küsste sie auf die Wange.
„Hast du Alles bekommen, Junge?“, fragte sie statt einer Begrüßung.
Er nickte und sie lächelte zufrieden.
„Gut! Sagst du Marie, dass sie die Sachen hineinbringen und mit dem Kochen anfangen soll?“
Er nickte noch einmal und wandte sich dann um. Doch da kam ihm ein Gedanke und langsam drehte er sich noch einmal zurück.
„Mutter, kann ich ... kann ich danach noch einmal zum Markt gehen? Ich habe mich mit Amalie verabredet – und ich wollte sie fragen, ob wir heute Abend am Fest miteinander tanzen wollen!“
Dies war zwar eine Lüge, doch sie würde keinen Verdacht schöpfen – und zudem konnte er so ungesehen aus dem Dorf verschwinden. Sie nickte ihm wohlwollend zu.
„Sie ist ein gutes, fleißiges Mädchen, nicht wahr?!“
Ihr Ton war beiläufig, doch Thomas wusste genau, auf was sie hinauswollte.
„Sie ist sehr nett...“, antwortete er ausweichend – seine Mutter seufzte ein wenig traurig. Sie legte ihr Nähzeug zur Seite und blickte ihn nun mit ihren freundlichen Augen offen an.
„Thomas, du weißt doch, dass dein Vater und ich uns so freuen würden, wenn du dir endlich ein Mädchen suchen würdest!“
Er wandte sich ab und verdrehte die Augen.
„Ja, ich weiß, Mutter! Vater erwähnt es mir gegenüber sicherlich ein Dutzend Mal pro Tag!“
Sein Ton war bitter. Mit diesen Worten verließ er die Küche und betrat die Treppe, um Marie Bescheid zu geben. Die hatte nämlich eine kleine Kammer unter dem Dach bezogen, nachdem ihre Mutter von einem wildgewordenen Ochsen zu Tode getrampelt worden war. Sie lebte nun schon beinahe sechs Jahre bei ihnen, doch Thomas hatte nie viel mit ihr geredet. Denn meistens war sie mit ihrer Arbeit im Haus oder Stall beschäftigt. Außerdem war sie sehr schweigsam und fleißig, wenn jemand in ihrer Nähe war. Doch er hatte sie schon oftmals lieblich singen hören, wenn er draußen im Hof und sie in der Küche war.
Thomas rief nach ihr , doch sie schien nicht im Haus zu sein. Er fand dies keineswegs seltsam, da sie wahrscheinlich im Stall arbeitete. Er ging wieder die wacklige Treppe hinunter und tat auf den Hof.
Tim war nicht mehr mit Holzhacken beschäftigt, sondern anscheinend arbeitete er im Stall, in dem rund zwanzig Rinder und drei Pferde standen. Thomas ging zum Stall und spähte durch die halboffene Tür.
Da sah er Tim und Marie beisammen stehen. Marie hatte ein schwaches Lächeln auf den Lippen, doch sie wirkte sehr blass. Tim, der Thomas den Rücken zugewendet hatte, schwieg.
„Du kannst es nicht ignorieren und wenn du dies doch tust, bin ich alleine! Alleine!“
Thomas wunderte es, wie traurig ihre Stimme klang. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass er hier nicht erwünscht wäre, weshalb er schnellen Schrittes über den Hof ging und beschloss, auf Marie zu warten. Er streichelte das Pferd über die schneeweiße Blesse und klopfte ihm auf die Hinterhand, worauf es zufrieden schnaubte.
Auf einmal hörte man einen lauten Knall, dann einen Aufschrei – und dann sah man Marie schluchzend aus dem Stall in das Haus laufen.
Kurze Zeit später kam auch Tim heraus – er war vor Wut ganz rot geworden und zog eine Feldflasche aus seiner Hosentasche. Nach einigen großen Schlücken entspannten sich seine Gesichtszüge ein wenig.
„Tim, was ist denn mit Marie los?“, fragte Thomas, obwohl er es sich denken konnte.
Er sah auf.
*Work in progress*
Wäre schon intressant wie´s weiter geht.
Das war meine "Kritik" :)
*wart*
Das war meine "Kritik" :)
*wart*
Mal gucken, ob es euch auch weiterhin gefällt :-)
Vielen Dank übrigens für euer Feedback, raggaman & Dr. Puffensen
„Sie ist eine ungeschickte Gans!“, grummelte er wütend. „Lässt einfach den teuren Hafer für die Gäule fallen! Da ist mir eben die Hand ausgerutscht! Dummes Weibsstück – zu nichts ist sie zu gebrauchen!“
Thomas wusste genau, dass er log, doch er sagte nichts dazu. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und nickte zum Pferdekarren hin.
„Lad du ihn dann aus! Eigentlich sollte das ja Marie tun, aber –“
„Lass sie heulen! Ich mach das schon!“
Tim`s Ton war äußerst unfreundlich und ruppig, als er über Marie sprach. Thomas beschloss, nachher einmal mit ihr zu sprechen. Doch nun bedankte er sich schnell bei Tim und eilte dann zum Markt zurück, wie er es vorgehabt hatte. Um keine Aufmerksamkeit – die er sowieso meistens auf sich zog - auf sich zu lenken, besah er sich die ausgelegten Waren ein wenig und kaufte schließlich ein Fässchen dunkelblauer Tinte. Seine war knapp geworden und schon fast leer. Dann schlenderte er – leise vor sich hinpfeifend – Richtung Dorfrand zu.
Er sah – gekünstelt interessiert – einigen Kindern beim Spielen zu und winkte ihnen dann lächelnd zu. Da kam Kail, der Sohn des Wirtes aus dem `Tosendem Eber`, zu ihm gerannt.
„Thomas! Spielst du mit uns Räuber und Gendarm? Wir tun so, als wären wir die gefährlichsten Räuber der Gegend und würden im Wald leben!“
Er fletschte seine Zähne und Thomas tat, als habe er furchtbare Angst. Dann lachte er herzlich.
„Nein, ich kann nicht Kail! Ich will noch ein wenig spazieren gehen!“
Der kleine Junge machte ein enttäuschtes Gesicht – konnte man doch mit Thomas so gut spielen!
„Aber ein andermal, ja?“
„Natürlich! Das lasse ich mir doch nur ungerne entgehen!“
Er klopfte ihm auf die schmale Schulter und nickte lächelnd.
„Toll! Danke!“
Kail machte kehrt und rannte zu seinen Freunden, um ihnen dies mitzuteilen. Lautes Jubelgeschrei begleitete Thomas aus dem Dorf hinaus.
Vor dem Dorf lag ein riesiger, dunkler Wald – ein gefährlicher Ort, da darin viele wilde Eber und Hirsche lebten, die todbringende Hufe hatten. Thomas war oft heimlich darin gewesen, als er noch ein Bub gewesen war, denn die Gefahr hatte ihn gereizt. Doch eines Tages hatte er einen jungen Eber aufgestöbert, der ihn wohl umgebracht hätte, wäre er nicht auf einen Baum geklettert. Doch der Eber besaß Ausdauer und so saß Thomas zwei Tage auf dem Baum. Immer wenn er sich bewegte, hatte dies den Eber gereizt und der hatte seine mächtigen Hufe ein- zweimal gegen den Baumstamm gedonnert.
Am zweiten Tag jedoch hatte das Tier die Lust verloren und trottete davon, als wäre nichts geschehen. Seitdem hatte auch Thomas die Lust verloren, diesen Wald noch einmal zu betreten – was auch mit den zwei saftigen Schellen zusammenhing, die er daraufhin von seinem Vater bekommen hatte, weil er – entgegen seines Verbots – im Wald gewesen war.
Thomas sah unbehaglich zum Schatten der Bäume und eine Gänsehaut übermannte ihn. Doch zielstrebig ging er die Straße ein Stück weiter und schon da erblickte er eine kleine Hütte, die mit wildem, dunkelgrünem Efeu überwuchert war.
Es wirkte ein wenig bedrohlich, wie er fand, denn sechs, mächtige Linden warfen ihren dunklen Schatten auf das Dach. Früher hatte das Haus viele Jahre leergestanden, denn die Leute bevorzugten die schönen Fachwerkhäuser im Dorf. Die zum Teil zersplitterten Fenster starrten ihn geradezu trostlos an, doch dichter, grauer Rauch stieg aus dem gemauerten Kamin – ein Zeichen, dass der Ofen angeschürt war.
Ein seltsames Gefühl überkam Thomas – es war keine Angst, die er verspürte, eher fühlte er sich wie durch eine unsichtbare Macht geschützt.
Er ging zu der kleinen, windschiefen Hütte und spähte neugierig durch das dreckige Fenster. Die schöne Fremde saß auf einem Schemel und zermahlte gerade einige Kräuter mit einem Mörsel. Sie war so in ihre Tätigkeit vertieft, dass sie ihn nicht bemerkte.
Er schlenderte zu ihrer morschen Haustür und klopfte – bevor er nachgedacht hatte – zwei mal laut an. Erschrocken über seinen Wagemut wartete er. Er dachte, dass sein Herz in seiner Brust zerspringen müsste, als die Tür geöffnet wurde.
Sein Herz schien kurz stehen zu bleiben, als er ihr Antlitz vor sich sah. Sie wirkte ein wenig überrascht, doch dies tat ihrer Schönheit keinen Abbruch. Sie besaß zwei strahlend grüne Augen und wunderschönes, samtiges leuchtendrotes Haar, das um ihr blasses Gesicht und auf ihre schmalen Schultern fiel. Thomas glaubte beinahe, sie wäre nur ein Traumgeschöpf, so schön und lieblich war ihr Antlitz. Sie sah ihn zuerst zweifelnd, dann erwartungsvoll an.
„Ja?“
Ihre Stimme klang wie schöne Musik in seinem Ohr und doch war ihre Stimme ein wenig brüchig. Verzückt betrachtete er sie.
„Guten Tag, schöne Frau!“, hörte er sich unverfroren selber sagen. Da erkannte sie ihn wohl und auf ihren blutroten Lippen breitete sich ein schwaches Lächeln aus.
„Oh, Ihr seid es! Was wollt Ihr von mir?“
Ihr Ton war argwöhnisch, wie er feststellte. Er räusperte sich leise und langsam konnte er seine Gedanken wieder ordnen.
„Ich wollte mich nur nach Euerm Befinden erkundigen! Euer Bein sah furchtbar aus!“, sagte er mit höflichem Ton.
Sie zog die Augenbrauchen hoch.
„Ich bin gerade dabei, es zu verarzten! Es geht mir nicht gut und nicht schlecht!“ Noch immer war der Ton ihrer Stimme zweifelnd. „Danke der Nachfrage, jedoch brauche ich kein Mitleid eines Dörflers! Auf wiedersehen!“
Als sie die Tür schließen wollte, stelle er seinen Fuß dazwischen.
„Es tut mir wirklich leid, was man mit Euch getan hat! Ihr habt dies nicht verdient, dessen bin ich mir sicher! Doch lieben es die Leute im Dorf Gerüchte zu verbreiten – wie unsinnig sie auch sein mögen!“, sagte er eilig.
Einen Moment lang war es still, dann öffnete sie die Tür langsam wieder. Sie sah ihn an, doch diesmal zeigte ihr Gesicht Verletzlichkeit.
„Es ist mir egal, was die Leute von mir behaupten! Wenn sie mich in Ruhe lassen würden, dann wäre ich schon glücklich! Doch immer wieder kommen Leute zu mir, werfen schwere Steine an mein Fenster und versuchen in mein Haus zu gelangen!“ Sie zeigte mit zittriger Hand auf das zerborstene Fenster. „Das haben sie getan! Und dabei riefen sie mit schauriger Stimme `Weib des Teufels`...“
In ihren schönen Augen glitzerten Tränen und Thomas war bestürzt. Ihre glockenhelle Stimme zitterte, als sie weiterredete.
„Aber es wird Euch nicht interessieren! Und nun geht bitte! Wenn die Leute Euch hier sehen, werden sie reden und Lügen erzählen! Und ich möchte nicht, dass Euer guter Ruf wegen mir Schaden nimmt! Auf wiedersehen!“
Er starrte sie an – er wollte noch nicht gehen. Er wollte noch bei ihr bleiben, in ihr bezauberndes Antlitz blicken und ihre schöne Stimme reden hören.
Noch immer war sein Fuß in der Tür, wie auch sie bemerkt hatte. Sie starrte ihn nun wütend an.
„Seid Ihr hier, weil Ihr wollt, dass ich Euch Euren Wagemut bezahle?“
Nun war er verdutzt.
„Ich würde von Euch kein Geld annehmen, schöne Frau!“
„Ich redete auch nicht von Geld“, war ihr Einwand dagegen.
Es dauerte einige Momente, bis er begriff, was sie damit meinte. Dann schüttelte er heftig den Kopf.
„Dann seid ihr der Erste, der mich freiwillig besuchen kommt und das nicht möchte!“
Gerade als er noch etwas sagen wollte, schlug sie die Tür heftig zu. Noch immer starrte er auf die geschlossene Holztür und doch rührte er sich nicht vom Fleck. Er hatte die leise Hoffnung, dass sie die Tür noch einmal öffnen würde, was sie aber nicht tat. Ein scharfer Windstoß fuhr ihm in sein erhitztes Gesicht und kühlte ihn. Er blickte seufzend zum Himmel und erst da bemerkte er, dass schwarze Regenwolken aufgezogen waren. Wenn er sich beeilte, könnte er noch trocken heimkommen. Doch er wollte nicht gehen, sondern er wollte bei ihr – in ihrer Nähe – bleiben.
Er spürte ein kribbelndes Gefühl im Magen, als er an sie dachte und da ging ihm insgeheim ein Licht auf: Er hatte sein Herz an die schöne Fremde verloren – deren Namen er nicht einmal kannte.
Er schlich den Weg zum Dorf geradezu lahm entlang und als er das Tor passierte, fing es an zu regnen. Große, schwere Tropfen fielen auf ihn nieder und durchnässten ihn. Dass es regnete, freute Thomas, denn dann musste er heute Abend nicht zum Tanzen gehen, auf das er sowieso keinerlei Lust hatte.
Mit schnellen Schritten eilte er über den regennassen Marktplatz und zu seinem Haus. Tim war gerade beschäftigt, das Pferd in den Stall zu bringen und den Karren herzuräumen. Mit einem Handzeichen grüßte er Thomas, der jedoch gleich in das Haus schlüpfte.
Ein Geruch von dünnem Eintopf zog durch das Haus und da merkte er, wie hungrig er eigentlich war. Schnell schlüpfte er aus seiner eisigen, nassen Kleidung und wickelte sich kurz in eine Decke, um sich aufzuwärmen. Dann zog er eine neue Hose an und ging in die Küche.
Seine Mutter saß noch immer am Tisch, doch sie war nicht mehr alleine. Sein Vater aß gerade einen Teller Eintopf, während Marie – deren Gesicht noch immer verweint aussah – die Küche putzte.
Er grüßte seinen Vater höflich und ein wenig förmlich, warf Marie einen aufmunternden Blick zu und setzte sich dann. Er bekam ebenfalls einen Teller Suppe, den er hungrig auszulöffeln begann. Seit Vater warf ihm einen tadelnden Blick zu.
„Zieh dir etwas an, Thomas! Du sitzt bei Tisch!“, brummelte er zurechtweisend.
„Ich möchte erst zu Ende essen, Vater!“ Sein Ton war grantig und nun gar nicht mehr höflich. Er konnte es nicht leiden, wenn man an ihm herummäkelte.
„Junge, tu doch was dein Vater zu dir sagt! Du wirst dich noch erkälten!“
Seine Mutter hatte sich über den Tisch gebeugt und sah ihn bittend an. Er seufzte leise und erhob sich willig.
Seiner geliebten Mutter konnte er keine Bitte abschlage, also ging er bereitwillig in sein muffiges Zimmer und schlüpfte in ein Hemd. Er knöpfte es eilig zu und gerade als er den letzten Knopf durch das Knopfloch steckte, klopfte es an seiner Zimmertür.
„Ja?!“
Die Türe öffnete sich und Marie trat zögerlich ein
„Was ist los, Marie? Ist etwas passiert? Du bist so bleich!“
Sie schüttelte zwar den Kopf, doch er meinte, er würde ein leises „Ja“ hören.
„Was ist los?“, fragte er sanft und trat auf sie zu. Ihre Lippe begann zu zittern und sie sackte auf seinem Bett zusammen. Sie fing an, fürchterlich zu schluchzen und ihre Hand konnte die Tränen nicht mehr aufhalten. Thomas war erschrocken über diesen Ausbruch und scheu versuchte er, sie zu trösten, doch sie weinte nur noch mehr.
„Was ist denn los, Marie? Wieso weinst du?“
Sie schluchzte noch einmal jämmerlich auf, dann sah sie ihn an. Ihre braunen Augen waren gerötet und sahen ihn elendig an.
„Es ist so schrecklich... und – und ich wusste nicht, wem ich mein furchtbares Geheimnis anvertrauen sollte... doch d – du wirst es für dich behalten, nicht wahr? Du bist immer so nett und – und vertrauenswürdig...“
Ihr Ton war so bittend, dass er sofort einstimmte. Ihr schien viel daran zu liegen, dass er es erfuhr. Sie fasste nach seiner Hand, als wollte sie sich an ihm festhalten. Dann atmete sie tief ein und fasste Mut, ihm die Geschichte zu erzählen.
„Ich habe mich regelmäßig mit Tim getroffen. Am Anfang waren es nur kurze Treffen, die mit der Zeit immer länger und immer öfter wurden. Ich fand in ihm zuerst einen guten Freund, den ich nie hatte. Doch dann ... verliebte ich mich in ihn und ich hatte das Gefühl, dass er mich wiederliebte. Doch ich wurde so blind vor Liebe, dass ich nicht b-bemerkte, dass ... dass ... dass er es nicht ernst meinte...“, quälte sie geradezu unter Tränen heraus.
Thomas machte ein betretenes Gesicht und drückte ihre Hand sanft.
„Aber das ist doch nicht so schlimm, dass man darüber Tränen vergießen müsste, Marie!“
Sie sah ihn an. „Ich bin noch nicht fertig...“ Sie holte noch einmal tief Luft. „Und dann – vor ungefähr fünf Monaten wohl -machte ich einen Fehler, den ... den ich bis zum heutigen Tag bereue! Ich verlor meine Unschuld durch ihn ...“
Sie errötete und sah zu Boden, erzählte aber mit zitternder Stimme weiter:
„Danach war er verändert gewesen – er beschimpfte und schlug mich, wenn ich etwas nicht flott genug erledigte! Und zu allem Übel fühlte ich mich damals nicht gut – jeden Morgen hatte ich schlimme Übelkeit, wenn ich aufstand. Ich dachte mir, dass Gott mich bestrafen wollte, weil ich es mit ihm getan hatte...“
Ihre Stimme wurde immer leiser, so dass Thomas kaum mehr etwas verstand.
„Schließlich ging ich zu Otto – er ist ja Arzt! Er untersuchte mich und dann – dann überbrachte er mir die furchtbare Botschaft!“ Sie brach erneut in Tränen aus. „Ich erwarte ein Kind!“, rief sie gequält, als würden ihr diese Worte Leid und große Schmerzen zufügen. „Ein Kind wächst in meinem Leib heran!“
Sie presste die Hände auf ihren Bauch, der nun – wie Thomas bei näherem Betrachten auffiel – schon sehr rund war.
Er wusste nicht, was er sagen sollte, also drückte er verloren ihre Hand.
„Und Tim - er weigert sich, mich zur Frau zu nehmen! Ach weh, was tat ich, dass mich das Unglück so schwer trifft?“
Langsam erkannte er den Ernst ihrer Lage. Denn wenn die Leute merken würden, dass Marie – ein kaum sechszehnjähriges, gottesfrommes Mädchen – ein Kind bekommen hatte, ohne dass sie verheiratet war – man würde sie und ihr Kind verachten, verspotten und demütigen, wenn sich die Gelegenheit gab. Dies wusste auch Marie.
„`Liederliches Weib – wie hoch ist dein Preis?` werden sie schreien und dazu Steine auf mich werfen! Meine Mutter – Gott hab sie selig – wäre enttäuscht von mir! Ich habe ihr geschworen, dass ich ein kein gotteslästerliches Leben führen werde!“
Sie schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte erbarmungslos.
„Und Tim – was sagt er dazu?“
„Er sagte, ich wäre ein leichtes Weib! Er sagte, dass Kind könne von jedem Schweinehüter aus dem Dorf stammen! Aber das ist nicht wahr – er lügt!“ Sie hob ihr Gesicht nun und Wut spiegelte sich in ihren braunen Augen. „Ich liebte und liebe ihn noch immer!“
Thomas streichelte scheu ihren Rücken.
„Wann hast du es ihm gesagt?“
„Heute am Mittag!“
Er lächelte ihr aufmunternd zu. „Lass ihm doch ein wenig Zeit zum Nachdenken, Marie! Es war wahrscheinlich eine zu große Überraschung für ihn...“
Sie blickte ihn an und ihr war, als würde ihr dieser letzte, rettende Gedanken ein wenig Mut spenden.
„Denkst du, er liebt mich noch?“
Er lächelte ein wenig gezwungen.
„Das denke ich...“
Ein breites Lächeln huschte über ihr Gesicht und ihre Augen begannen wieder zu strahlen. Sie fiel ihm um den Hals und umarmte ihn dankbar. Dann sah sie ihm in das offene Gesicht.
*Work in progress*
Vielen Dank übrigens für euer Feedback, raggaman & Dr. Puffensen
„Sie ist eine ungeschickte Gans!“, grummelte er wütend. „Lässt einfach den teuren Hafer für die Gäule fallen! Da ist mir eben die Hand ausgerutscht! Dummes Weibsstück – zu nichts ist sie zu gebrauchen!“
Thomas wusste genau, dass er log, doch er sagte nichts dazu. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und nickte zum Pferdekarren hin.
„Lad du ihn dann aus! Eigentlich sollte das ja Marie tun, aber –“
„Lass sie heulen! Ich mach das schon!“
Tim`s Ton war äußerst unfreundlich und ruppig, als er über Marie sprach. Thomas beschloss, nachher einmal mit ihr zu sprechen. Doch nun bedankte er sich schnell bei Tim und eilte dann zum Markt zurück, wie er es vorgehabt hatte. Um keine Aufmerksamkeit – die er sowieso meistens auf sich zog - auf sich zu lenken, besah er sich die ausgelegten Waren ein wenig und kaufte schließlich ein Fässchen dunkelblauer Tinte. Seine war knapp geworden und schon fast leer. Dann schlenderte er – leise vor sich hinpfeifend – Richtung Dorfrand zu.
Er sah – gekünstelt interessiert – einigen Kindern beim Spielen zu und winkte ihnen dann lächelnd zu. Da kam Kail, der Sohn des Wirtes aus dem `Tosendem Eber`, zu ihm gerannt.
„Thomas! Spielst du mit uns Räuber und Gendarm? Wir tun so, als wären wir die gefährlichsten Räuber der Gegend und würden im Wald leben!“
Er fletschte seine Zähne und Thomas tat, als habe er furchtbare Angst. Dann lachte er herzlich.
„Nein, ich kann nicht Kail! Ich will noch ein wenig spazieren gehen!“
Der kleine Junge machte ein enttäuschtes Gesicht – konnte man doch mit Thomas so gut spielen!
„Aber ein andermal, ja?“
„Natürlich! Das lasse ich mir doch nur ungerne entgehen!“
Er klopfte ihm auf die schmale Schulter und nickte lächelnd.
„Toll! Danke!“
Kail machte kehrt und rannte zu seinen Freunden, um ihnen dies mitzuteilen. Lautes Jubelgeschrei begleitete Thomas aus dem Dorf hinaus.
Vor dem Dorf lag ein riesiger, dunkler Wald – ein gefährlicher Ort, da darin viele wilde Eber und Hirsche lebten, die todbringende Hufe hatten. Thomas war oft heimlich darin gewesen, als er noch ein Bub gewesen war, denn die Gefahr hatte ihn gereizt. Doch eines Tages hatte er einen jungen Eber aufgestöbert, der ihn wohl umgebracht hätte, wäre er nicht auf einen Baum geklettert. Doch der Eber besaß Ausdauer und so saß Thomas zwei Tage auf dem Baum. Immer wenn er sich bewegte, hatte dies den Eber gereizt und der hatte seine mächtigen Hufe ein- zweimal gegen den Baumstamm gedonnert.
Am zweiten Tag jedoch hatte das Tier die Lust verloren und trottete davon, als wäre nichts geschehen. Seitdem hatte auch Thomas die Lust verloren, diesen Wald noch einmal zu betreten – was auch mit den zwei saftigen Schellen zusammenhing, die er daraufhin von seinem Vater bekommen hatte, weil er – entgegen seines Verbots – im Wald gewesen war.
Thomas sah unbehaglich zum Schatten der Bäume und eine Gänsehaut übermannte ihn. Doch zielstrebig ging er die Straße ein Stück weiter und schon da erblickte er eine kleine Hütte, die mit wildem, dunkelgrünem Efeu überwuchert war.
Es wirkte ein wenig bedrohlich, wie er fand, denn sechs, mächtige Linden warfen ihren dunklen Schatten auf das Dach. Früher hatte das Haus viele Jahre leergestanden, denn die Leute bevorzugten die schönen Fachwerkhäuser im Dorf. Die zum Teil zersplitterten Fenster starrten ihn geradezu trostlos an, doch dichter, grauer Rauch stieg aus dem gemauerten Kamin – ein Zeichen, dass der Ofen angeschürt war.
Ein seltsames Gefühl überkam Thomas – es war keine Angst, die er verspürte, eher fühlte er sich wie durch eine unsichtbare Macht geschützt.
Er ging zu der kleinen, windschiefen Hütte und spähte neugierig durch das dreckige Fenster. Die schöne Fremde saß auf einem Schemel und zermahlte gerade einige Kräuter mit einem Mörsel. Sie war so in ihre Tätigkeit vertieft, dass sie ihn nicht bemerkte.
Er schlenderte zu ihrer morschen Haustür und klopfte – bevor er nachgedacht hatte – zwei mal laut an. Erschrocken über seinen Wagemut wartete er. Er dachte, dass sein Herz in seiner Brust zerspringen müsste, als die Tür geöffnet wurde.
Sein Herz schien kurz stehen zu bleiben, als er ihr Antlitz vor sich sah. Sie wirkte ein wenig überrascht, doch dies tat ihrer Schönheit keinen Abbruch. Sie besaß zwei strahlend grüne Augen und wunderschönes, samtiges leuchtendrotes Haar, das um ihr blasses Gesicht und auf ihre schmalen Schultern fiel. Thomas glaubte beinahe, sie wäre nur ein Traumgeschöpf, so schön und lieblich war ihr Antlitz. Sie sah ihn zuerst zweifelnd, dann erwartungsvoll an.
„Ja?“
Ihre Stimme klang wie schöne Musik in seinem Ohr und doch war ihre Stimme ein wenig brüchig. Verzückt betrachtete er sie.
„Guten Tag, schöne Frau!“, hörte er sich unverfroren selber sagen. Da erkannte sie ihn wohl und auf ihren blutroten Lippen breitete sich ein schwaches Lächeln aus.
„Oh, Ihr seid es! Was wollt Ihr von mir?“
Ihr Ton war argwöhnisch, wie er feststellte. Er räusperte sich leise und langsam konnte er seine Gedanken wieder ordnen.
„Ich wollte mich nur nach Euerm Befinden erkundigen! Euer Bein sah furchtbar aus!“, sagte er mit höflichem Ton.
Sie zog die Augenbrauchen hoch.
„Ich bin gerade dabei, es zu verarzten! Es geht mir nicht gut und nicht schlecht!“ Noch immer war der Ton ihrer Stimme zweifelnd. „Danke der Nachfrage, jedoch brauche ich kein Mitleid eines Dörflers! Auf wiedersehen!“
Als sie die Tür schließen wollte, stelle er seinen Fuß dazwischen.
„Es tut mir wirklich leid, was man mit Euch getan hat! Ihr habt dies nicht verdient, dessen bin ich mir sicher! Doch lieben es die Leute im Dorf Gerüchte zu verbreiten – wie unsinnig sie auch sein mögen!“, sagte er eilig.
Einen Moment lang war es still, dann öffnete sie die Tür langsam wieder. Sie sah ihn an, doch diesmal zeigte ihr Gesicht Verletzlichkeit.
„Es ist mir egal, was die Leute von mir behaupten! Wenn sie mich in Ruhe lassen würden, dann wäre ich schon glücklich! Doch immer wieder kommen Leute zu mir, werfen schwere Steine an mein Fenster und versuchen in mein Haus zu gelangen!“ Sie zeigte mit zittriger Hand auf das zerborstene Fenster. „Das haben sie getan! Und dabei riefen sie mit schauriger Stimme `Weib des Teufels`...“
In ihren schönen Augen glitzerten Tränen und Thomas war bestürzt. Ihre glockenhelle Stimme zitterte, als sie weiterredete.
„Aber es wird Euch nicht interessieren! Und nun geht bitte! Wenn die Leute Euch hier sehen, werden sie reden und Lügen erzählen! Und ich möchte nicht, dass Euer guter Ruf wegen mir Schaden nimmt! Auf wiedersehen!“
Er starrte sie an – er wollte noch nicht gehen. Er wollte noch bei ihr bleiben, in ihr bezauberndes Antlitz blicken und ihre schöne Stimme reden hören.
Noch immer war sein Fuß in der Tür, wie auch sie bemerkt hatte. Sie starrte ihn nun wütend an.
„Seid Ihr hier, weil Ihr wollt, dass ich Euch Euren Wagemut bezahle?“
Nun war er verdutzt.
„Ich würde von Euch kein Geld annehmen, schöne Frau!“
„Ich redete auch nicht von Geld“, war ihr Einwand dagegen.
Es dauerte einige Momente, bis er begriff, was sie damit meinte. Dann schüttelte er heftig den Kopf.
„Dann seid ihr der Erste, der mich freiwillig besuchen kommt und das nicht möchte!“
Gerade als er noch etwas sagen wollte, schlug sie die Tür heftig zu. Noch immer starrte er auf die geschlossene Holztür und doch rührte er sich nicht vom Fleck. Er hatte die leise Hoffnung, dass sie die Tür noch einmal öffnen würde, was sie aber nicht tat. Ein scharfer Windstoß fuhr ihm in sein erhitztes Gesicht und kühlte ihn. Er blickte seufzend zum Himmel und erst da bemerkte er, dass schwarze Regenwolken aufgezogen waren. Wenn er sich beeilte, könnte er noch trocken heimkommen. Doch er wollte nicht gehen, sondern er wollte bei ihr – in ihrer Nähe – bleiben.
Er spürte ein kribbelndes Gefühl im Magen, als er an sie dachte und da ging ihm insgeheim ein Licht auf: Er hatte sein Herz an die schöne Fremde verloren – deren Namen er nicht einmal kannte.
Er schlich den Weg zum Dorf geradezu lahm entlang und als er das Tor passierte, fing es an zu regnen. Große, schwere Tropfen fielen auf ihn nieder und durchnässten ihn. Dass es regnete, freute Thomas, denn dann musste er heute Abend nicht zum Tanzen gehen, auf das er sowieso keinerlei Lust hatte.
Mit schnellen Schritten eilte er über den regennassen Marktplatz und zu seinem Haus. Tim war gerade beschäftigt, das Pferd in den Stall zu bringen und den Karren herzuräumen. Mit einem Handzeichen grüßte er Thomas, der jedoch gleich in das Haus schlüpfte.
Ein Geruch von dünnem Eintopf zog durch das Haus und da merkte er, wie hungrig er eigentlich war. Schnell schlüpfte er aus seiner eisigen, nassen Kleidung und wickelte sich kurz in eine Decke, um sich aufzuwärmen. Dann zog er eine neue Hose an und ging in die Küche.
Seine Mutter saß noch immer am Tisch, doch sie war nicht mehr alleine. Sein Vater aß gerade einen Teller Eintopf, während Marie – deren Gesicht noch immer verweint aussah – die Küche putzte.
Er grüßte seinen Vater höflich und ein wenig förmlich, warf Marie einen aufmunternden Blick zu und setzte sich dann. Er bekam ebenfalls einen Teller Suppe, den er hungrig auszulöffeln begann. Seit Vater warf ihm einen tadelnden Blick zu.
„Zieh dir etwas an, Thomas! Du sitzt bei Tisch!“, brummelte er zurechtweisend.
„Ich möchte erst zu Ende essen, Vater!“ Sein Ton war grantig und nun gar nicht mehr höflich. Er konnte es nicht leiden, wenn man an ihm herummäkelte.
„Junge, tu doch was dein Vater zu dir sagt! Du wirst dich noch erkälten!“
Seine Mutter hatte sich über den Tisch gebeugt und sah ihn bittend an. Er seufzte leise und erhob sich willig.
Seiner geliebten Mutter konnte er keine Bitte abschlage, also ging er bereitwillig in sein muffiges Zimmer und schlüpfte in ein Hemd. Er knöpfte es eilig zu und gerade als er den letzten Knopf durch das Knopfloch steckte, klopfte es an seiner Zimmertür.
„Ja?!“
Die Türe öffnete sich und Marie trat zögerlich ein
„Was ist los, Marie? Ist etwas passiert? Du bist so bleich!“
Sie schüttelte zwar den Kopf, doch er meinte, er würde ein leises „Ja“ hören.
„Was ist los?“, fragte er sanft und trat auf sie zu. Ihre Lippe begann zu zittern und sie sackte auf seinem Bett zusammen. Sie fing an, fürchterlich zu schluchzen und ihre Hand konnte die Tränen nicht mehr aufhalten. Thomas war erschrocken über diesen Ausbruch und scheu versuchte er, sie zu trösten, doch sie weinte nur noch mehr.
„Was ist denn los, Marie? Wieso weinst du?“
Sie schluchzte noch einmal jämmerlich auf, dann sah sie ihn an. Ihre braunen Augen waren gerötet und sahen ihn elendig an.
„Es ist so schrecklich... und – und ich wusste nicht, wem ich mein furchtbares Geheimnis anvertrauen sollte... doch d – du wirst es für dich behalten, nicht wahr? Du bist immer so nett und – und vertrauenswürdig...“
Ihr Ton war so bittend, dass er sofort einstimmte. Ihr schien viel daran zu liegen, dass er es erfuhr. Sie fasste nach seiner Hand, als wollte sie sich an ihm festhalten. Dann atmete sie tief ein und fasste Mut, ihm die Geschichte zu erzählen.
„Ich habe mich regelmäßig mit Tim getroffen. Am Anfang waren es nur kurze Treffen, die mit der Zeit immer länger und immer öfter wurden. Ich fand in ihm zuerst einen guten Freund, den ich nie hatte. Doch dann ... verliebte ich mich in ihn und ich hatte das Gefühl, dass er mich wiederliebte. Doch ich wurde so blind vor Liebe, dass ich nicht b-bemerkte, dass ... dass ... dass er es nicht ernst meinte...“, quälte sie geradezu unter Tränen heraus.
Thomas machte ein betretenes Gesicht und drückte ihre Hand sanft.
„Aber das ist doch nicht so schlimm, dass man darüber Tränen vergießen müsste, Marie!“
Sie sah ihn an. „Ich bin noch nicht fertig...“ Sie holte noch einmal tief Luft. „Und dann – vor ungefähr fünf Monaten wohl -machte ich einen Fehler, den ... den ich bis zum heutigen Tag bereue! Ich verlor meine Unschuld durch ihn ...“
Sie errötete und sah zu Boden, erzählte aber mit zitternder Stimme weiter:
„Danach war er verändert gewesen – er beschimpfte und schlug mich, wenn ich etwas nicht flott genug erledigte! Und zu allem Übel fühlte ich mich damals nicht gut – jeden Morgen hatte ich schlimme Übelkeit, wenn ich aufstand. Ich dachte mir, dass Gott mich bestrafen wollte, weil ich es mit ihm getan hatte...“
Ihre Stimme wurde immer leiser, so dass Thomas kaum mehr etwas verstand.
„Schließlich ging ich zu Otto – er ist ja Arzt! Er untersuchte mich und dann – dann überbrachte er mir die furchtbare Botschaft!“ Sie brach erneut in Tränen aus. „Ich erwarte ein Kind!“, rief sie gequält, als würden ihr diese Worte Leid und große Schmerzen zufügen. „Ein Kind wächst in meinem Leib heran!“
Sie presste die Hände auf ihren Bauch, der nun – wie Thomas bei näherem Betrachten auffiel – schon sehr rund war.
Er wusste nicht, was er sagen sollte, also drückte er verloren ihre Hand.
„Und Tim - er weigert sich, mich zur Frau zu nehmen! Ach weh, was tat ich, dass mich das Unglück so schwer trifft?“
Langsam erkannte er den Ernst ihrer Lage. Denn wenn die Leute merken würden, dass Marie – ein kaum sechszehnjähriges, gottesfrommes Mädchen – ein Kind bekommen hatte, ohne dass sie verheiratet war – man würde sie und ihr Kind verachten, verspotten und demütigen, wenn sich die Gelegenheit gab. Dies wusste auch Marie.
„`Liederliches Weib – wie hoch ist dein Preis?` werden sie schreien und dazu Steine auf mich werfen! Meine Mutter – Gott hab sie selig – wäre enttäuscht von mir! Ich habe ihr geschworen, dass ich ein kein gotteslästerliches Leben führen werde!“
Sie schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte erbarmungslos.
„Und Tim – was sagt er dazu?“
„Er sagte, ich wäre ein leichtes Weib! Er sagte, dass Kind könne von jedem Schweinehüter aus dem Dorf stammen! Aber das ist nicht wahr – er lügt!“ Sie hob ihr Gesicht nun und Wut spiegelte sich in ihren braunen Augen. „Ich liebte und liebe ihn noch immer!“
Thomas streichelte scheu ihren Rücken.
„Wann hast du es ihm gesagt?“
„Heute am Mittag!“
Er lächelte ihr aufmunternd zu. „Lass ihm doch ein wenig Zeit zum Nachdenken, Marie! Es war wahrscheinlich eine zu große Überraschung für ihn...“
Sie blickte ihn an und ihr war, als würde ihr dieser letzte, rettende Gedanken ein wenig Mut spenden.
„Denkst du, er liebt mich noch?“
Er lächelte ein wenig gezwungen.
„Das denke ich...“
Ein breites Lächeln huschte über ihr Gesicht und ihre Augen begannen wieder zu strahlen. Sie fiel ihm um den Hals und umarmte ihn dankbar. Dann sah sie ihm in das offene Gesicht.
*Work in progress*
Bis auf ein paar Rechtscheibfehler immernoch ziehmlich gut...sehr gut sogar, gefällt mir.
Wo sind denn die Rechtschreibfehler, raggaman? Dann kann ich die gleich in Word ausbessern
„Ich wusste, dass es gut war, es dir zu sagen! Ich wusste, dass es gut war, dir Vertrauen zu schenken! Du hast mich mit deinen Worten getröstet und geholfen! Danke dafür!“
Sie küsste ihn auf die Wange, worauf er ein wenig errötete. Sie lächelte und stand auf.
„Nun ist mir mein Herz leichter...“ Ihre Stimme klang wieder wie früher: fröhlich und beinahe unbeschwert.
„Bevor du nach unten gehst, solltest du dir dein Gesicht mit kaltem Wasser waschen!“
Sie blickte in den zersprungen Spiegel, der neben seiner Tür hing und erschrak. Ihre Augen waren vom Weinen gerötet und geschwollen, was ihrem sonst sehr hübschem Äußeren schadete. Sie murmelte ein kurzes „Oh Gott!“ und verschwand dann eiligst.
Thomas hörte ihr Schritte auf der Treppe und wenige Sekunden danach hörte er, wie sie sich im Wasserfass wusch.
Doch, was er ihr nicht gesagt hatte war, dass er kaum glaubte, dass Tim sie ehelichen würde, denn – wenn er sie wirklich liebte oder geliebt hatte – dann hätte er sie schon vor geraumer Zeit zur Frau genommen, wie es üblich war.
Thomas seufzte leise und ging dann zum Fenster. Eher war es ein schäbiges Loch, das aus dem Stein gehauen war. Er blickte nach unten in den Hof. Marie wusch sich noch immer das Gesicht und sie prustete ein wenig dabei. Thomas lächelte ein wenig bei ihrem Anblick. Dann schwenkte sein Blick zum Himmel und noch immer hingen dunkle, bedrohliche Regenwolken droben und in der Ferne grollte es schon gefährlich. Ein Gewitter zog herauf.
Thomas verließ sein Zimmer – nachdem er die wackligen Fensterläden geschlossen hatte – und ging zurück in die Küche um – seinen wohl mittlerweile kaltgewordenen Eintopf – fertig zu essen.
Nur sein Vater war noch darin und er blickte auf, als er eintrat.
„Was hast du solange oben gemacht?“
Der Ton seines Vaters war ruppig.
„Ich habe mich umgezogen, Vater! Ich dachte nämlich, dies sollte ich tun?“, antwortete er, während er sich setzte und seinen Löffel zur Hand nahm. Obwohl der Eintopf kalt war, duftete er verheißungsvoll.
„Gib mir nicht so freche Antworten, Bursche, sonst wirst du es bereuen!“
Thomas blickte seinen Vater herablassend an.
„Soll dies eine Drohung sein?“
Sein Vater sprang wutentbrannt auf und holte zornig mit seiner Hand aus. Doch auch Thomas hatte reagiert: Er wich der Schellen seines Vaters aus und rannte zur Tür. Doch da traf ihn etwas Schweres am Nacken. Er fiel vornüber und rang nach Luft.
Gerade als sein Vater seinen Stock nach ihm warf, fasste er wieder Fuß und lief hinaus, wobei er beinahe Marie übersehen hätte. Die lächelte ihm zu und trat in die Küche, bevor Thomas sie hätte warnen oder zurückhalten können.
Der Stock seines Vater traf sie hart im Magen. Sie sackte sofort zusammen und krümmte sich vor Schmerzen. Sie keuchte gequält und schien keine Luft mehr zu bekommen. Sein Vater stürmte durch die Hintertür aus der Küche – er hatte vor der ganzen Sache nichts mitbekommen. Wahrscheinlich würde er wieder ins Wirtshaus gehen. Thomas eilte sofort zu ihr.
„Marie! Marie! Was ist los? Hast du starke Schmerzen?“
Sie presste die Augen zu und nickte kurz. Dann stöhnte sie vor Schmerzen auf und Thomas überlegte fieberhaft.
„Kannst du aufstehen?“
Sie presste die Zähne aufeinander und wollte sich aufsetzen, doch mit einem bitteren Schrei fiel sie wieder zurück. Dann schüttelte sie den Kopf ein wenig. Thomas griff nach ihrem Arm und stützte sie sanft. Unter vielen Schmerzen brachte er sie in ihre Kammer. Sie ließ sich auf ihr Bett nieder und presste die Hände auf ihren Bauch. Sie schien unter Schock zu stehen, denn sie wimmerte wirre, unverständliche Sachen. Er glaubte etwas von „Kind“ und „Schmerzen“ herauszuhören. Die Schmerzen schienen immer stärker zu werden – ihre Hände gruben sich tief in ihr Laken – und, wie Thomas genau wusste, benötigte sie dringend Hilfe.
„Marie, ich gehe kurz und hole Otto, wenn er daheim ist, ja?! Versuch du dich so wenig wie möglich zu bewegen! Ich bin sofort wieder bei dir!“
Sie nickte und schloss die Augen ermattet.
„Bleib wach! Du darfst nicht schlafen! Bleib bitte wach!“
Sie öffnete sie wieder sah in seine Augen.
„Gut...“, flüsterte sie.
Er eilte aus dem Zimmer und stürmte dann aus dem Haus auf den regennassen Hof. Dicke, schwere Tropfen fielen auf ihn nieder, doch er kümmerte sich darum nicht. Von Panik befallen stürmte er über den menschenleeren Marktplatz bis zu einem kleinem strohgedeckten Haus, das Otto seinen Besitz nennen konnte. Er klopfte wild an die Türe und rief nach ihm, doch niemand hörte ihn oder öffnete die Tür. Schwer atmend und verzweifelt wandte er sich ab. Der Marktplatz war leer – keiner war hier, um ihm beistehen zu können.
Er blickte sich verzweifelt um und da sah er jemanden im gemäßigtem Schritt über den Platz gehen. Neue Hoffnung schöpfend eilte er auf die Gestalt – die einen langen, dunklen Kapuzenmantel trug – zu.
„Ihr da! Wartet! Wartet bitte – bitte!“
Sie blieb stehen und sah sich überrascht um.
„Was wollt Ihr?“
Die Stimme kam ihm bekannt vor, doch darum scherte er sich im Moment nicht. Fremder oder Bekannter – Hauptsache sie konnten ihm helfen.
„Ihr müsst mir helfen!“, stammelte er. „Sie hat so große Schmerzen und ihr Kind... sie ist schwanger – sie hat Schmerzen in ihrem Bauch!“
Die Gestalt blickte erstaunt auf, verschwendete jedoch keine Zeit mit unnötigen Fragen, wofür Thomas ihr sehr dankbar war.
„Wo ist sie? Führt mich zu ihr! Ich kann ihr vielleicht helfen!“
Raschen Schrittes brachte er die fremde Gestalt – die anscheinend eine Frau war – zu Marie, die – noch immer halb bewusstlos vor Schmerzen – auf dem Bett lag.
Sein Vater war fort – im Wirtshaus, wie Thomas vermutete – auch seine Mutter war nicht zu Hause.
Marie erblasste beim Anblick der fremden Person.
„Wer ist das?“, fragte sie ängstlich. „Das ist nicht ... nicht Otto...“
Doch bevor Thomas antworten konnte, schlug die Person die Kapuze zurück und gab den Blick auf einen feuerroten, langhaarigen Haarschopf frei. Thomas` Herz begann zugleich wie wild zu schlagen.
„Ihr?!“, stammelte er und starrte die Angebetete an.
Die ruckte nur mit dem Kopf und ging dann eilig zu Marie.
Sie betastete ihren Bauch und runzelte die Stirn. „Wie lange tragt Ihr das Kind schon in Eurem Leib?“, fragte sie bedenkend.
„Fünf... fünf Monate wohl...“ Marie schien Angst zu haben.
Die Frau wandte sich Thomas zu.
„Wir müssen sie zu mir schaffen. Dort habe ich heilende Kräuter, die ihr helfen könnten!“
Er nickte.
„Nun geht und spannt den Karren an!“
Thomas wagte keinen Einspruch, sondern er hastete sogleich aus dem Haus. Der Stall war leer und so sah ihn niemand, wie er das Pferd herausholte und mit geübten, eiligen Griffen zäumte. Nachdem er den Karren angespannt hatte, band er das Pferd eilig an.
Er trat vor Ungeduld von einem Fuß auf den anderen – wo blieben Marie und die fremde Schöne?
Endlich, nach einigen Momenten, die ihm wie Stunden vorkamen, ging die Tür auf.
Tatsächlich hatte die Fremde es geschafft, dass Marie die Treppe hinuntergestiegen war. Er eilte zu ihr und stützte sie, doch er wurde sogleich von der Fremden zurechtgewiesen. Sie drückte ihm Decken in die Hand.
„Leg diese auf den Karren!“, herrschte sie ihn an.
Thomas gehorchte sofort, nachdem er Maries bleiches Gesicht gesehen hatte. Sie murmelte und wimmerte vor sich hin und schien anscheinend in schmerzhaften Fieberträumen gefangen zu sein.
Thomas stützte sie bis zum Karren und bettete sie dann auf die Decken, die er auf den Karren gelegt hatte. Die Fremde breitete ihren Kapuzenmantel über sie.
„Nun fahrt doch endlich los!“, keifte sie Thomas gereizt an.
Er schwang sich sogleich auf den Rücken des Pferdes und stieß ihm unsanft die Hacken in die Seite. Einmal schrill aufwiehernd, trabte es im flotten Tempo los. In wenigen Augenblicken hatten sie den Marktplatz passiert und Thomas ließ das Pferd in die Gasse, die zum Dorfende führte, einbiegen.
Er hörte Marie murmeln – es klang wie ersticktes Keuchen – und das machte ihm panische Angst, die sich wie Gift durch seine Adern pumpte. Sie passierten den Dorfrand und fuhren nun – das Pferd war in einem ruhigen Galopp gefallen – durch die Allee mit den sieben Linden.
Vor ihrer Tür stoppte er so abrupt, dass er von der Fremden harsch zurechtgewiesen wurde. Während er vom Pferd sprang, hatte die Fremde Marie aufgeholfen und stützte sie auf dem kurzen Weg zur Tür.
Thomas brachte das Pferd und den Karren eilig hinter das Haus, damit man es vom Weg aus nicht sehen konnte. Er hatte Glück, denn im verwilderten Garten stand ein fester Unterstand. Er band das Pferd noch eilig an einen Pfosten, dann hastete er durch den Regen zu ihrer Tür.
Dort stand er einige Momente – er rang innerlich mit sich. Sollte er einfach eintreten oder sollte er anklopfen? Sollte er wieder heimgehen oder sollte er Marie beistehen? Die wirrendsten Gedanken schwirrten in seinem Kopf. Er zitterte vor Kälte – oder war es Angst, die er verspürte?
Der kalte Regen rann über sein Gesicht und benetzte seine Kleidung. Schließlich drückte er die Tür auf und trat ein.
Sogleich wurde ihm warm, denn im Ofen brannte ein knisterndes Feuer. Er sah sich kurz um und erblickte dann Marie, die auf eine Art Bett lag. Die Fremde stand am Herd und rührte eilig in einem kleinen Topf. Der Geruch von wilden herben Kräutern drang an seine Nase. Kaum hatte er den Raum betreten, da wandte sie sich zu ihm um.
„Du kannst hier nicht bleiben!“, giftete sie. „Ich darf sie –“(Mit einem Kopfnicken zeigte sie in Maries Richtung) „- nur behandeln, wenn sich kein männliches Wesen im selben Raum befindet!“
Thomas starrte sie überrascht an. „Wo sollte ich hingehen? Nach Hause? Meine Eltern würden Verdacht schöpfen und mir Fragen stellen, wenn weder Marie noch der Karren und das Pferd zu Hause wären!“
Sie ging mit einem verabscheuungswürdigen Blick, der ihm galt, zur anderen Ecke des Raumes und zog an einem Griff, der sich an der Decke befand. Sogleich kam eine Treppe zum Vorschein.
„Geh dort hinauf! Oben werden wohl Decken liegen, mit denen du dich wärmen kannst! Doch komm nicht hinunter, bevor ich dich nicht gebeten habe!“
Ihr Ton war so drohend, dass er kein Widerwort wagte.
Jedoch ging er noch einmal zu Marie. Er beugte sich zu ihr hinunter und sah in ihre Augen. Auf ihrer Stirn stand kalter Schweiß und über ihre Wangen rannen Tränen. Sogar ihre Augen hatten ihren gewohnten Glanz verloren. Starr und stumpf starrten sie an Thomas vorbei.
„Geh jetzt!“, fauchte sie und drängte ihn aus dem Weg.
Er drückte Maries Hand kurz. Plötzlich begann sie zu würgen und zu keuchen. So schlimm, dass es Thomas Angst und Bange wurde.
Er ging mit widerwilliger Miene zur Treppe und kletterte sie hinauf. Oben befand sich ein kleiner, kalter Raum mit schrägabfallendem Dach. Was ihm sofort auffiel war die Tatsache, dass er nur spärlich möbliert war.
Ein altes Bett mit mottenzerfressenen Leinen und eine große, alte Truhe mit verrosteten Scharnieren standen an der einen Seite. Beinahe verrottete Decken lagen herum – ansonsten war der Raum leer.
Thomas hüllte sich in eines der Leinen, die auf dem Bett lagen, und versucht sich aufzuwärmen, doch dies schien eine beinahe unlösbare Aufgabe zu sein, denn durch einen langen Spalt in der Wand blies ein scharfer Wind. Er fror erbärmlich in seinen durchweichten Kleidern und er dachte mit einem Frösteln an den warmen, eingeheizten Raum unter ihm.
Gerade als er hinunter lauschte, ob er etwas hören konnte, vernahm er ein grausiges Geräusch, das von Marie stammte. Es klang wie eine Art Schrei, doch war er so verzerrt und schrill, dass es ihn schüttelte.
Um sich abzulenken, lauschte er dem Wind, der pfeifend um die Bäume wehte. Er spürte die Kälte auf seinem Körper und er entledigte sich seiner Kleidung, um sich – nur mit seiner Haut bedeckt – an den Decken zu wärmen. Um eben noch warm zu werden, ging er auf und ab. Er drehte viele Runden in diesem kleinen Raum. Er wirbelte viel feinen Staub auf, der sich auf seine nackten Füße legte.
Die Truhe, die neben dem Bett stand, zog ihn beinahe schon mit magischer Kraft an und gegen seinen Willen – der jedoch auch nur schwach protestierte – kniete er sich vor sie.
Das Schloss war verrostet und das Holz schon an vielen Stellen brüchig, so dass es sich ganz leicht öffnen ließ. Die Scharniere zerbröselten geradezu unter seiner Hand. Er öffnete die Truhe vorsichtig. Ein leises Knarren drang an sein Ohr, doch unten konnte man es mit Sicherheit nicht gehört haben.
Noch immer schrie Marie unter grausamen Schmerzen. Thomas lief es kalt den Rücken herunter, doch zwang er sich dazu, seine Gedanken wieder vollständig auf die Truhe zu lenken. Er beugte sich darüber und spähte – ein wenig ängstlich – hinein.
Viele Pergamente und Zettel lagen darin, manche säuberlich zusammengefaltet, aber die meisten waren eingerissen oder zerknüllt.
Behutsam nahm er eines heraus und entfaltete es. Seine Augen huschten neugierig über die wenigen Zeilen, die darauf standen:
Ich, Magdalena – Tochter von Theodor und Leonie – willige mit diesem Schreiben, das mit meinem Blute geschrieben ist, in den Bund mit dem ein, der ...“
Der Rest der Zeilen war verschmiert, so konnte er es nicht weiterlesen. Doch – wenn er ehrlich war – wollte er dies auch nicht. Er wusste, was er hier in den Händen hielt: Ein Eheversprechen, wie es immer zu einer Hochzeit verfasst wurde. Ein Eheversprechen, das mit ihrem Blut geschrieben worden war... Thomas war es, als würde sein Herz in seiner Brust zersplittern.
Er schloss die Augen. Einige Momente lang war ihm so, als falle er in ein tiefes, dunkles Loch. Doch langsam klärte sich sein Blick wieder.
Er brachte es nicht über sich, weiter in diesem Sachen zu suchen, also warf er den Zettel zurück in die Truhe und ließ das Schloss einschnappen. Dann lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Truhe.
Von unten drangen nur noch spärlich Geräusche durch den Fußboden, doch eigentlich fiel ihm das gar nicht auf. Er atmete tief aus. Er stand auf und ging unschlüssig zu dem kleinen Fenster mit der zerbrochenen Scheibe – unter seinen nackten Füßen spürte er winzige Glasscherben – und sah hinaus.
Der Regen hatte kaum merklich abgenommen und keine Menschenseele war auf der durchgeweichten Straße zu sehen. Das Schnauben des Pferdes drang schwach an sein Ohr. Er wusste nicht, was er tun sollte – er kam sich nutzlos und überflüssig vor. Er hörte nun wieder Maries Schreie aus dem Raum unter ihm und es klang schrecklich und gequält.
Sein Blick huschte zum Wald, der dunkel und bedrohlich wirkte. Ein eiskalter Schauder lief über seinen Rücken – es war, als ob ihn unsichtbare Augen anstarren würden. Er wandte sich zitternd vom Fenster ab, doch konnte er nicht sagen, ob es ihn fror oder ob er Angst empfand.
Doch er wusste, dass er nicht in diesem kalten Raum bleiben wollte – zumindest nicht alleine. Er schloss für einige Momente die Augen und die Wahrheit drang so quälend in sein Gedächtnis, dass er nur noch sterben wollte. Und noch immer blies ein stechender Wind und ließ ihn frieren. Sein Blick fiel auf seine Kleidung. Sie war noch nass und kalt, doch sie wirkte verlockernder als nur seine bloße Haut.
In mehrere mottenzerfressenen Decken gehüllt, setzte er sich auf das Bett und wartete. Er wartete lange, stundenlang wie es ihm vorkam – nie wieder später kam ihm die Zeit so lange vor.
Der Himmel vor dem Fenster fing schon an, sich dunkel zu färben, als endlich die Luke im Boden aufgemacht und die Treppe heruntergezogen wurde. Er stand erwartungsvoll auf.
„Du kannst hinunterkommen...“ Die Stimme gehörte der Frau, die er so sehr begehrte, und sie klang erschöpfte und traurig.
Sein Herz begann erneut zu rasen, doch ein Gedanke schmerzte ihm und dämpfte seine Freude sehr. Sie war einem anderen versprochen...
Er stieg die Stufen eilig hinunter und kaum hatte er den Raum betreten, wurde es ihm schon warm um die erfrorenen Glieder.
Er wandte sich sogleich Marie zu, die noch immer auf dem Deckengewirr lag – genauso, wie er sie verlassen hatte. Doch – nein – sie wirkte anders: verstört, traurig, erschöpft. Sie mied seinen Blick und vergrub ihr aschfahles Gesicht in ihren Händen.
„Was.. ist passiert?“
Thomas` Stimme versagte, als er sich im Raum umblickte. An den Decken, auf denen Marie lag, und auf dem Boden klebte dunkelrotes Blut, das meiste war schon getrocknet, doch manches war noch frisch... sehr frisch...
Die Frau, die anscheinend Magdalena hieß, wusch sich schweigend die Hände in einer Schüssel. Niemand antwortete auf seine Frage und da fiel ihm auf, was er schon die gesamte Zeit vermisste: Das Geschrei eines Kindes... es war ruhig – zu ruhig, wie er fand.
„Wo ist es?“ Seine Stimme verriet Panik.
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da fing Marie das Weinen an. Sie war noch sehr geschwächt, doch sie wimmerte und keuchte.
Die Wahrheit – die grauenvolle Wahrheit – drang in ihn wie ein schwerer Stein in einen Fluss. Doch – er wollte es nicht wahrhaben, nicht glauben.
Magdalena war hinter ihn getreten.
„Es wäre ein Mädchen geworden...“, meinte sie halblauter, verhaltener Stimme. Ihre Stimme war zittrig, doch als sie auf ein verhülltes Tuch zeigte, das auf dem Boden lag, war ihre Hand merkwürdigerweise sehr ruhig.
Marie wimmerte stärker, als Thomas sich ihr zuwandte und sie in den Arm nahm. Ihre gesamte Kleidung war voller Blut – es rann auch noch immer an ihren Beinen hinunter und tropfte auf die Leinentücher. Er streichelte scheu ihren Kopf und ihren Rücken, doch er fand keine Worte, die auch nur im entferntesten ausdrücken könnten, wie sehr es ihm leid tat.
„Ich würde dich bitten, noch einige Tage hier zu bleiben. Du bist noch sehr schwach – es war eine schwere Geburt und du hast viel Blut verloren. Es wäre nicht ratsam, wenn ihr heute schon nach Hause gehen würdet. Außerdem –“, fügte sie noch – mit einem bissigen Blick zu Thomas - hinzu. „- könnte es zu peinlichen Fragen kommen, warum ihr so blass seid!“
Thomas erwiderte ihren Blick nicht, denn dieser gehörte nun ganz Marie, die aufgeregt nach vorne und hinten wippte.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie den Kopf schüttelte.
„N-nein... ich will hier weg! I-ich ... ich will heim...“, presste sie heraus.
Magdalena seufzte. „Wenn dies dein Wunsch ist, kann ich dich nicht überreden. Doch ich gebe euch ein Pulver mit!“
Sie kramte schnell in einer Schublade und forderte ein kleines Gläschen mit bräunlichem Pulver hervor. Sie drückte es Thomas in die Hand.
„Gebt ihr davon jede volle Stunde einen halben Löffel voll.“
„Was ist das?“, fragte Thomas mit scharfer Stimme und beäugte das Pulver mit Misstrauen.
„Das ist ein Mittel gegen die Schmerzen. Zugleich bewirkt es, dass sich das Blut schnell neu bildet.“ Ihr Ton war herablassend, als ob sie nicht glauben würde, dass Thomas dies behalten würde.
Er nickte kurz.
Magdalena warf einen Blick aus dem Fenster.
„Der Regen hat aufgehört...“, murmelte sie leise. Lauter meinte sie dann: „Ihr solltet schnell gehen – der Tanz und das Fest werden bald beginnen und es könnte zu seltsamen Fragen kommen, wenn man sie so sehen würde!“ Sie nickte in Maries Richtung.
Deren Lippe begann zu beben und als sie den Mund öffnete, war es die pure Angst, die sprach:
„Thomas... w-wir soll- sollten jetzt g-gehen... jetzt!“
Sie flehte Thomas mit ihrem Blick an, so dass ihm nichts anderes übrig blieb, als zu nicken. Er half ihr auf und Magdalena gab ihr einen dunklen Mantel, der bis zum Boden reichte, um ihre blutige Kleidung zu verdecken.
Thomas eilte davon und holte den Karren mit dem Pferd, das inzwischen klitschnass geworden war. Es schnaubte ihm vorwurfsvoll entgegen, doch er hatte keine Zeit.
Er ließ den Karren vor der Tür stehen und half Marie, auf den Karren aufzusteigen. Die schwere Kapuze verhüllte nun ihr Gesicht und so musste Thomas nicht in ihre verzweifelten Augen sehen.
Magdalena war mit an die Tür gekommen und sie musterte Marie mit prüfendem Blick. Thomas eilte auf sie zu – einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, sie einfach zu küssen, doch als er ihren Blick sah, ließ er dies bleiben. Stattdessen stand er nun vor ihr wie ein verlegener, kleiner Junge – er wusste nicht, was er sagen sollte.
„Pass auf sie auf!“, murmelte sie bittend und Thomas nickte.
„Ich ... ich werde ihr helfen, so gut ich kann.“
Magdalena sah ihn ernst an.
„Und vergesst nicht – gebt ihr das Pulver! Das ist sehr wichtig!“, murmelte sie eindringlich.
Erneut nickte er. Etwas saß in seiner Kehle, weshalb ihm die Worte fehlten. Das Pferd schnaubte ungeduldig.
„Nun – du musst nun gehen! Bring sie heim!“
Er wusste nicht, wie er es ihr sagen sollte – er wollte ihr für alles danken, doch bekam er die Worte nicht heraus.
Er drückte kurz ihre Hand, nickte ihr zu und lief dann zum Karren. Mit Eile hatte er sich auf den Kutschbock geschwungen und die Zügel ergriffen.
Kaum merkte das Pferd den leichten Druck im Maul, schon trabte es – ungeduldig schnaubend – los. Kurz bevor sie den Dorfrand passierten, blickte sich Thomas noch einmal um. Magdalena stand nicht mehr am Türrand ... sein Herz wurde schwer.
~~~~~~
(Anmerkung der Autorin: Zeitsprung von ca. 1 Tag)
Ein scharfer Windstoß fuhr Thomas in das kummervoll dreinblickende Gesicht. Sein Blick war so niedergeschlagen, als ob die Sorgen der ganzen Welt auf seinen Schultern lasten würden. Der Wind hätte ihm wässrige Tränen in die Augen getrieben, doch machte er keine Anstalten, sie fortzuwischen.
Die Bäume wogen sich leicht im Wind und das Rascheln der dürren Blätter klang wie langgezogenes Seufzen alter Frauen.
Er saß – mit dem Rücken an den kalten Stein gelehnt – auf dem Fenstersims in seinem Zimmer und blickte, von Zeit zu Zeit von einem Seufzer begleitet, in den klaren, sternenbevölkerten Himmel.
Er wusste nicht, wieso sie das getan hatte – wieso sie ihrem Leben so grausam ein Ende gesetzt hatte. Er schloss die brennenden Augen. Noch immer sah er sie in seinem Geiste, doch begann die Erinnerung langsam zu verblassen – wie Regenwolken an einem heißen Sommertag. Noch immer sah er ihren leblosen Körper vor sich – die Beine, die einen Meter über dem Boden baumelten und das Seil, das um ihren Hals geschlungen war. Doch das, was er am deutlichsten vor sich sah, war der Ausdruck ihrer Augen – leblos und doch so voller Angst und Trauer.
Er fragte sich leise, ob sie noch Schmerzen gespürt hatte, bevor sie gestorben war. Er hoffte es nicht für sie – zu viel Leid hatte sie in ihrem kurzen Leben schon erfahren müssen.
Nachdem Thomas sie in ihrer Kammer gefunden hatte, hatte er panisch nach einem Menschen gesucht, der ihr – so weit es noch ginge – helfen konnte. Dieser Mensch war Tim gewesen, der als einziges noch im Haus gewesen war. Als er sie entdeckt hatte, sah Thomas ihm an, dass ihm dieser Anblick zutiefst schockte. Sie hatten sie aus der Schlinge befreit und ihren schlaffen Körper auf den Boden gebettet. Und die ganze Zeit über hatte Tim Tränen in den Augen.
Erst da vertraute ihm Tim murmelnd an, dass er Marie einen Heiratsantrag machen wollte – er wollte sie an diesem Tag fragen. Diese Feststellung schmerzte auch Thomas, doch litt er nicht solche Seelenqualen wie Tim.
Tim, der nach dem Geständnis Thomas gegenüber, noch sehr gefasst wirkte, eilte aus dem Haus und stolperte zum Stall.
Seit diesem Zeitpunkt hatte er Tim nicht mehr gesehen.
Obwohl Marie erst einige Stunden tot war, war Thomas´ Erinnerung an sie nur noch schwach. Und das machte ihn traurig – doch nicht nur das...
Doch auch immer wieder glitt sein trostloser Blick in den Abgrund, der sich unter ihm befand – seine Finger gruben sich tief in das morsche Holz.
Es waren wohl 17 Fuß, bis man auf dem harten Pflasterstein landen würde, doch es würde wohl die ersehnte Erlösung nicht bringen.
Er hörte sich stöhnen und da erst spürte er wieder das raue Pergament zwischen seinen Fingern. Er betrachtete es mit Wehmut. Er hatte die Zeilen hastig und im Dunkeln der vergangenen Nacht geschrieben – die schwarzer Tinte glitzerte geheimnisvoll im Mondlicht.
Er steckte den Brief in seine ausgebeulte Tasche, stand auf und ging raschen Schrittes durch den kleinen Raum. Ungesehen und ungehört huschte er aus der morschen Haustür in die dunkle, stille Nacht.
Von fern hörte er die Kirchturmglocke schlagen – zehn, elf, zwölf Male. Seine Nackenhaare stellten sich auf und es lief ihm kalt den Rücken herunter, obwohl er nicht sagen konnte, wieso dem so war.
Sie küsste ihn auf die Wange, worauf er ein wenig errötete. Sie lächelte und stand auf.
„Nun ist mir mein Herz leichter...“ Ihre Stimme klang wieder wie früher: fröhlich und beinahe unbeschwert.
„Bevor du nach unten gehst, solltest du dir dein Gesicht mit kaltem Wasser waschen!“
Sie blickte in den zersprungen Spiegel, der neben seiner Tür hing und erschrak. Ihre Augen waren vom Weinen gerötet und geschwollen, was ihrem sonst sehr hübschem Äußeren schadete. Sie murmelte ein kurzes „Oh Gott!“ und verschwand dann eiligst.
Thomas hörte ihr Schritte auf der Treppe und wenige Sekunden danach hörte er, wie sie sich im Wasserfass wusch.
Doch, was er ihr nicht gesagt hatte war, dass er kaum glaubte, dass Tim sie ehelichen würde, denn – wenn er sie wirklich liebte oder geliebt hatte – dann hätte er sie schon vor geraumer Zeit zur Frau genommen, wie es üblich war.
Thomas seufzte leise und ging dann zum Fenster. Eher war es ein schäbiges Loch, das aus dem Stein gehauen war. Er blickte nach unten in den Hof. Marie wusch sich noch immer das Gesicht und sie prustete ein wenig dabei. Thomas lächelte ein wenig bei ihrem Anblick. Dann schwenkte sein Blick zum Himmel und noch immer hingen dunkle, bedrohliche Regenwolken droben und in der Ferne grollte es schon gefährlich. Ein Gewitter zog herauf.
Thomas verließ sein Zimmer – nachdem er die wackligen Fensterläden geschlossen hatte – und ging zurück in die Küche um – seinen wohl mittlerweile kaltgewordenen Eintopf – fertig zu essen.
Nur sein Vater war noch darin und er blickte auf, als er eintrat.
„Was hast du solange oben gemacht?“
Der Ton seines Vaters war ruppig.
„Ich habe mich umgezogen, Vater! Ich dachte nämlich, dies sollte ich tun?“, antwortete er, während er sich setzte und seinen Löffel zur Hand nahm. Obwohl der Eintopf kalt war, duftete er verheißungsvoll.
„Gib mir nicht so freche Antworten, Bursche, sonst wirst du es bereuen!“
Thomas blickte seinen Vater herablassend an.
„Soll dies eine Drohung sein?“
Sein Vater sprang wutentbrannt auf und holte zornig mit seiner Hand aus. Doch auch Thomas hatte reagiert: Er wich der Schellen seines Vaters aus und rannte zur Tür. Doch da traf ihn etwas Schweres am Nacken. Er fiel vornüber und rang nach Luft.
Gerade als sein Vater seinen Stock nach ihm warf, fasste er wieder Fuß und lief hinaus, wobei er beinahe Marie übersehen hätte. Die lächelte ihm zu und trat in die Küche, bevor Thomas sie hätte warnen oder zurückhalten können.
Der Stock seines Vater traf sie hart im Magen. Sie sackte sofort zusammen und krümmte sich vor Schmerzen. Sie keuchte gequält und schien keine Luft mehr zu bekommen. Sein Vater stürmte durch die Hintertür aus der Küche – er hatte vor der ganzen Sache nichts mitbekommen. Wahrscheinlich würde er wieder ins Wirtshaus gehen. Thomas eilte sofort zu ihr.
„Marie! Marie! Was ist los? Hast du starke Schmerzen?“
Sie presste die Augen zu und nickte kurz. Dann stöhnte sie vor Schmerzen auf und Thomas überlegte fieberhaft.
„Kannst du aufstehen?“
Sie presste die Zähne aufeinander und wollte sich aufsetzen, doch mit einem bitteren Schrei fiel sie wieder zurück. Dann schüttelte sie den Kopf ein wenig. Thomas griff nach ihrem Arm und stützte sie sanft. Unter vielen Schmerzen brachte er sie in ihre Kammer. Sie ließ sich auf ihr Bett nieder und presste die Hände auf ihren Bauch. Sie schien unter Schock zu stehen, denn sie wimmerte wirre, unverständliche Sachen. Er glaubte etwas von „Kind“ und „Schmerzen“ herauszuhören. Die Schmerzen schienen immer stärker zu werden – ihre Hände gruben sich tief in ihr Laken – und, wie Thomas genau wusste, benötigte sie dringend Hilfe.
„Marie, ich gehe kurz und hole Otto, wenn er daheim ist, ja?! Versuch du dich so wenig wie möglich zu bewegen! Ich bin sofort wieder bei dir!“
Sie nickte und schloss die Augen ermattet.
„Bleib wach! Du darfst nicht schlafen! Bleib bitte wach!“
Sie öffnete sie wieder sah in seine Augen.
„Gut...“, flüsterte sie.
Er eilte aus dem Zimmer und stürmte dann aus dem Haus auf den regennassen Hof. Dicke, schwere Tropfen fielen auf ihn nieder, doch er kümmerte sich darum nicht. Von Panik befallen stürmte er über den menschenleeren Marktplatz bis zu einem kleinem strohgedeckten Haus, das Otto seinen Besitz nennen konnte. Er klopfte wild an die Türe und rief nach ihm, doch niemand hörte ihn oder öffnete die Tür. Schwer atmend und verzweifelt wandte er sich ab. Der Marktplatz war leer – keiner war hier, um ihm beistehen zu können.
Er blickte sich verzweifelt um und da sah er jemanden im gemäßigtem Schritt über den Platz gehen. Neue Hoffnung schöpfend eilte er auf die Gestalt – die einen langen, dunklen Kapuzenmantel trug – zu.
„Ihr da! Wartet! Wartet bitte – bitte!“
Sie blieb stehen und sah sich überrascht um.
„Was wollt Ihr?“
Die Stimme kam ihm bekannt vor, doch darum scherte er sich im Moment nicht. Fremder oder Bekannter – Hauptsache sie konnten ihm helfen.
„Ihr müsst mir helfen!“, stammelte er. „Sie hat so große Schmerzen und ihr Kind... sie ist schwanger – sie hat Schmerzen in ihrem Bauch!“
Die Gestalt blickte erstaunt auf, verschwendete jedoch keine Zeit mit unnötigen Fragen, wofür Thomas ihr sehr dankbar war.
„Wo ist sie? Führt mich zu ihr! Ich kann ihr vielleicht helfen!“
Raschen Schrittes brachte er die fremde Gestalt – die anscheinend eine Frau war – zu Marie, die – noch immer halb bewusstlos vor Schmerzen – auf dem Bett lag.
Sein Vater war fort – im Wirtshaus, wie Thomas vermutete – auch seine Mutter war nicht zu Hause.
Marie erblasste beim Anblick der fremden Person.
„Wer ist das?“, fragte sie ängstlich. „Das ist nicht ... nicht Otto...“
Doch bevor Thomas antworten konnte, schlug die Person die Kapuze zurück und gab den Blick auf einen feuerroten, langhaarigen Haarschopf frei. Thomas` Herz begann zugleich wie wild zu schlagen.
„Ihr?!“, stammelte er und starrte die Angebetete an.
Die ruckte nur mit dem Kopf und ging dann eilig zu Marie.
Sie betastete ihren Bauch und runzelte die Stirn. „Wie lange tragt Ihr das Kind schon in Eurem Leib?“, fragte sie bedenkend.
„Fünf... fünf Monate wohl...“ Marie schien Angst zu haben.
Die Frau wandte sich Thomas zu.
„Wir müssen sie zu mir schaffen. Dort habe ich heilende Kräuter, die ihr helfen könnten!“
Er nickte.
„Nun geht und spannt den Karren an!“
Thomas wagte keinen Einspruch, sondern er hastete sogleich aus dem Haus. Der Stall war leer und so sah ihn niemand, wie er das Pferd herausholte und mit geübten, eiligen Griffen zäumte. Nachdem er den Karren angespannt hatte, band er das Pferd eilig an.
Er trat vor Ungeduld von einem Fuß auf den anderen – wo blieben Marie und die fremde Schöne?
Endlich, nach einigen Momenten, die ihm wie Stunden vorkamen, ging die Tür auf.
Tatsächlich hatte die Fremde es geschafft, dass Marie die Treppe hinuntergestiegen war. Er eilte zu ihr und stützte sie, doch er wurde sogleich von der Fremden zurechtgewiesen. Sie drückte ihm Decken in die Hand.
„Leg diese auf den Karren!“, herrschte sie ihn an.
Thomas gehorchte sofort, nachdem er Maries bleiches Gesicht gesehen hatte. Sie murmelte und wimmerte vor sich hin und schien anscheinend in schmerzhaften Fieberträumen gefangen zu sein.
Thomas stützte sie bis zum Karren und bettete sie dann auf die Decken, die er auf den Karren gelegt hatte. Die Fremde breitete ihren Kapuzenmantel über sie.
„Nun fahrt doch endlich los!“, keifte sie Thomas gereizt an.
Er schwang sich sogleich auf den Rücken des Pferdes und stieß ihm unsanft die Hacken in die Seite. Einmal schrill aufwiehernd, trabte es im flotten Tempo los. In wenigen Augenblicken hatten sie den Marktplatz passiert und Thomas ließ das Pferd in die Gasse, die zum Dorfende führte, einbiegen.
Er hörte Marie murmeln – es klang wie ersticktes Keuchen – und das machte ihm panische Angst, die sich wie Gift durch seine Adern pumpte. Sie passierten den Dorfrand und fuhren nun – das Pferd war in einem ruhigen Galopp gefallen – durch die Allee mit den sieben Linden.
Vor ihrer Tür stoppte er so abrupt, dass er von der Fremden harsch zurechtgewiesen wurde. Während er vom Pferd sprang, hatte die Fremde Marie aufgeholfen und stützte sie auf dem kurzen Weg zur Tür.
Thomas brachte das Pferd und den Karren eilig hinter das Haus, damit man es vom Weg aus nicht sehen konnte. Er hatte Glück, denn im verwilderten Garten stand ein fester Unterstand. Er band das Pferd noch eilig an einen Pfosten, dann hastete er durch den Regen zu ihrer Tür.
Dort stand er einige Momente – er rang innerlich mit sich. Sollte er einfach eintreten oder sollte er anklopfen? Sollte er wieder heimgehen oder sollte er Marie beistehen? Die wirrendsten Gedanken schwirrten in seinem Kopf. Er zitterte vor Kälte – oder war es Angst, die er verspürte?
Der kalte Regen rann über sein Gesicht und benetzte seine Kleidung. Schließlich drückte er die Tür auf und trat ein.
Sogleich wurde ihm warm, denn im Ofen brannte ein knisterndes Feuer. Er sah sich kurz um und erblickte dann Marie, die auf eine Art Bett lag. Die Fremde stand am Herd und rührte eilig in einem kleinen Topf. Der Geruch von wilden herben Kräutern drang an seine Nase. Kaum hatte er den Raum betreten, da wandte sie sich zu ihm um.
„Du kannst hier nicht bleiben!“, giftete sie. „Ich darf sie –“(Mit einem Kopfnicken zeigte sie in Maries Richtung) „- nur behandeln, wenn sich kein männliches Wesen im selben Raum befindet!“
Thomas starrte sie überrascht an. „Wo sollte ich hingehen? Nach Hause? Meine Eltern würden Verdacht schöpfen und mir Fragen stellen, wenn weder Marie noch der Karren und das Pferd zu Hause wären!“
Sie ging mit einem verabscheuungswürdigen Blick, der ihm galt, zur anderen Ecke des Raumes und zog an einem Griff, der sich an der Decke befand. Sogleich kam eine Treppe zum Vorschein.
„Geh dort hinauf! Oben werden wohl Decken liegen, mit denen du dich wärmen kannst! Doch komm nicht hinunter, bevor ich dich nicht gebeten habe!“
Ihr Ton war so drohend, dass er kein Widerwort wagte.
Jedoch ging er noch einmal zu Marie. Er beugte sich zu ihr hinunter und sah in ihre Augen. Auf ihrer Stirn stand kalter Schweiß und über ihre Wangen rannen Tränen. Sogar ihre Augen hatten ihren gewohnten Glanz verloren. Starr und stumpf starrten sie an Thomas vorbei.
„Geh jetzt!“, fauchte sie und drängte ihn aus dem Weg.
Er drückte Maries Hand kurz. Plötzlich begann sie zu würgen und zu keuchen. So schlimm, dass es Thomas Angst und Bange wurde.
Er ging mit widerwilliger Miene zur Treppe und kletterte sie hinauf. Oben befand sich ein kleiner, kalter Raum mit schrägabfallendem Dach. Was ihm sofort auffiel war die Tatsache, dass er nur spärlich möbliert war.
Ein altes Bett mit mottenzerfressenen Leinen und eine große, alte Truhe mit verrosteten Scharnieren standen an der einen Seite. Beinahe verrottete Decken lagen herum – ansonsten war der Raum leer.
Thomas hüllte sich in eines der Leinen, die auf dem Bett lagen, und versucht sich aufzuwärmen, doch dies schien eine beinahe unlösbare Aufgabe zu sein, denn durch einen langen Spalt in der Wand blies ein scharfer Wind. Er fror erbärmlich in seinen durchweichten Kleidern und er dachte mit einem Frösteln an den warmen, eingeheizten Raum unter ihm.
Gerade als er hinunter lauschte, ob er etwas hören konnte, vernahm er ein grausiges Geräusch, das von Marie stammte. Es klang wie eine Art Schrei, doch war er so verzerrt und schrill, dass es ihn schüttelte.
Um sich abzulenken, lauschte er dem Wind, der pfeifend um die Bäume wehte. Er spürte die Kälte auf seinem Körper und er entledigte sich seiner Kleidung, um sich – nur mit seiner Haut bedeckt – an den Decken zu wärmen. Um eben noch warm zu werden, ging er auf und ab. Er drehte viele Runden in diesem kleinen Raum. Er wirbelte viel feinen Staub auf, der sich auf seine nackten Füße legte.
Die Truhe, die neben dem Bett stand, zog ihn beinahe schon mit magischer Kraft an und gegen seinen Willen – der jedoch auch nur schwach protestierte – kniete er sich vor sie.
Das Schloss war verrostet und das Holz schon an vielen Stellen brüchig, so dass es sich ganz leicht öffnen ließ. Die Scharniere zerbröselten geradezu unter seiner Hand. Er öffnete die Truhe vorsichtig. Ein leises Knarren drang an sein Ohr, doch unten konnte man es mit Sicherheit nicht gehört haben.
Noch immer schrie Marie unter grausamen Schmerzen. Thomas lief es kalt den Rücken herunter, doch zwang er sich dazu, seine Gedanken wieder vollständig auf die Truhe zu lenken. Er beugte sich darüber und spähte – ein wenig ängstlich – hinein.
Viele Pergamente und Zettel lagen darin, manche säuberlich zusammengefaltet, aber die meisten waren eingerissen oder zerknüllt.
Behutsam nahm er eines heraus und entfaltete es. Seine Augen huschten neugierig über die wenigen Zeilen, die darauf standen:
Ich, Magdalena – Tochter von Theodor und Leonie – willige mit diesem Schreiben, das mit meinem Blute geschrieben ist, in den Bund mit dem ein, der ...“
Der Rest der Zeilen war verschmiert, so konnte er es nicht weiterlesen. Doch – wenn er ehrlich war – wollte er dies auch nicht. Er wusste, was er hier in den Händen hielt: Ein Eheversprechen, wie es immer zu einer Hochzeit verfasst wurde. Ein Eheversprechen, das mit ihrem Blut geschrieben worden war... Thomas war es, als würde sein Herz in seiner Brust zersplittern.
Er schloss die Augen. Einige Momente lang war ihm so, als falle er in ein tiefes, dunkles Loch. Doch langsam klärte sich sein Blick wieder.
Er brachte es nicht über sich, weiter in diesem Sachen zu suchen, also warf er den Zettel zurück in die Truhe und ließ das Schloss einschnappen. Dann lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Truhe.
Von unten drangen nur noch spärlich Geräusche durch den Fußboden, doch eigentlich fiel ihm das gar nicht auf. Er atmete tief aus. Er stand auf und ging unschlüssig zu dem kleinen Fenster mit der zerbrochenen Scheibe – unter seinen nackten Füßen spürte er winzige Glasscherben – und sah hinaus.
Der Regen hatte kaum merklich abgenommen und keine Menschenseele war auf der durchgeweichten Straße zu sehen. Das Schnauben des Pferdes drang schwach an sein Ohr. Er wusste nicht, was er tun sollte – er kam sich nutzlos und überflüssig vor. Er hörte nun wieder Maries Schreie aus dem Raum unter ihm und es klang schrecklich und gequält.
Sein Blick huschte zum Wald, der dunkel und bedrohlich wirkte. Ein eiskalter Schauder lief über seinen Rücken – es war, als ob ihn unsichtbare Augen anstarren würden. Er wandte sich zitternd vom Fenster ab, doch konnte er nicht sagen, ob es ihn fror oder ob er Angst empfand.
Doch er wusste, dass er nicht in diesem kalten Raum bleiben wollte – zumindest nicht alleine. Er schloss für einige Momente die Augen und die Wahrheit drang so quälend in sein Gedächtnis, dass er nur noch sterben wollte. Und noch immer blies ein stechender Wind und ließ ihn frieren. Sein Blick fiel auf seine Kleidung. Sie war noch nass und kalt, doch sie wirkte verlockernder als nur seine bloße Haut.
In mehrere mottenzerfressenen Decken gehüllt, setzte er sich auf das Bett und wartete. Er wartete lange, stundenlang wie es ihm vorkam – nie wieder später kam ihm die Zeit so lange vor.
Der Himmel vor dem Fenster fing schon an, sich dunkel zu färben, als endlich die Luke im Boden aufgemacht und die Treppe heruntergezogen wurde. Er stand erwartungsvoll auf.
„Du kannst hinunterkommen...“ Die Stimme gehörte der Frau, die er so sehr begehrte, und sie klang erschöpfte und traurig.
Sein Herz begann erneut zu rasen, doch ein Gedanke schmerzte ihm und dämpfte seine Freude sehr. Sie war einem anderen versprochen...
Er stieg die Stufen eilig hinunter und kaum hatte er den Raum betreten, wurde es ihm schon warm um die erfrorenen Glieder.
Er wandte sich sogleich Marie zu, die noch immer auf dem Deckengewirr lag – genauso, wie er sie verlassen hatte. Doch – nein – sie wirkte anders: verstört, traurig, erschöpft. Sie mied seinen Blick und vergrub ihr aschfahles Gesicht in ihren Händen.
„Was.. ist passiert?“
Thomas` Stimme versagte, als er sich im Raum umblickte. An den Decken, auf denen Marie lag, und auf dem Boden klebte dunkelrotes Blut, das meiste war schon getrocknet, doch manches war noch frisch... sehr frisch...
Die Frau, die anscheinend Magdalena hieß, wusch sich schweigend die Hände in einer Schüssel. Niemand antwortete auf seine Frage und da fiel ihm auf, was er schon die gesamte Zeit vermisste: Das Geschrei eines Kindes... es war ruhig – zu ruhig, wie er fand.
„Wo ist es?“ Seine Stimme verriet Panik.
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da fing Marie das Weinen an. Sie war noch sehr geschwächt, doch sie wimmerte und keuchte.
Die Wahrheit – die grauenvolle Wahrheit – drang in ihn wie ein schwerer Stein in einen Fluss. Doch – er wollte es nicht wahrhaben, nicht glauben.
Magdalena war hinter ihn getreten.
„Es wäre ein Mädchen geworden...“, meinte sie halblauter, verhaltener Stimme. Ihre Stimme war zittrig, doch als sie auf ein verhülltes Tuch zeigte, das auf dem Boden lag, war ihre Hand merkwürdigerweise sehr ruhig.
Marie wimmerte stärker, als Thomas sich ihr zuwandte und sie in den Arm nahm. Ihre gesamte Kleidung war voller Blut – es rann auch noch immer an ihren Beinen hinunter und tropfte auf die Leinentücher. Er streichelte scheu ihren Kopf und ihren Rücken, doch er fand keine Worte, die auch nur im entferntesten ausdrücken könnten, wie sehr es ihm leid tat.
„Ich würde dich bitten, noch einige Tage hier zu bleiben. Du bist noch sehr schwach – es war eine schwere Geburt und du hast viel Blut verloren. Es wäre nicht ratsam, wenn ihr heute schon nach Hause gehen würdet. Außerdem –“, fügte sie noch – mit einem bissigen Blick zu Thomas - hinzu. „- könnte es zu peinlichen Fragen kommen, warum ihr so blass seid!“
Thomas erwiderte ihren Blick nicht, denn dieser gehörte nun ganz Marie, die aufgeregt nach vorne und hinten wippte.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie den Kopf schüttelte.
„N-nein... ich will hier weg! I-ich ... ich will heim...“, presste sie heraus.
Magdalena seufzte. „Wenn dies dein Wunsch ist, kann ich dich nicht überreden. Doch ich gebe euch ein Pulver mit!“
Sie kramte schnell in einer Schublade und forderte ein kleines Gläschen mit bräunlichem Pulver hervor. Sie drückte es Thomas in die Hand.
„Gebt ihr davon jede volle Stunde einen halben Löffel voll.“
„Was ist das?“, fragte Thomas mit scharfer Stimme und beäugte das Pulver mit Misstrauen.
„Das ist ein Mittel gegen die Schmerzen. Zugleich bewirkt es, dass sich das Blut schnell neu bildet.“ Ihr Ton war herablassend, als ob sie nicht glauben würde, dass Thomas dies behalten würde.
Er nickte kurz.
Magdalena warf einen Blick aus dem Fenster.
„Der Regen hat aufgehört...“, murmelte sie leise. Lauter meinte sie dann: „Ihr solltet schnell gehen – der Tanz und das Fest werden bald beginnen und es könnte zu seltsamen Fragen kommen, wenn man sie so sehen würde!“ Sie nickte in Maries Richtung.
Deren Lippe begann zu beben und als sie den Mund öffnete, war es die pure Angst, die sprach:
„Thomas... w-wir soll- sollten jetzt g-gehen... jetzt!“
Sie flehte Thomas mit ihrem Blick an, so dass ihm nichts anderes übrig blieb, als zu nicken. Er half ihr auf und Magdalena gab ihr einen dunklen Mantel, der bis zum Boden reichte, um ihre blutige Kleidung zu verdecken.
Thomas eilte davon und holte den Karren mit dem Pferd, das inzwischen klitschnass geworden war. Es schnaubte ihm vorwurfsvoll entgegen, doch er hatte keine Zeit.
Er ließ den Karren vor der Tür stehen und half Marie, auf den Karren aufzusteigen. Die schwere Kapuze verhüllte nun ihr Gesicht und so musste Thomas nicht in ihre verzweifelten Augen sehen.
Magdalena war mit an die Tür gekommen und sie musterte Marie mit prüfendem Blick. Thomas eilte auf sie zu – einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, sie einfach zu küssen, doch als er ihren Blick sah, ließ er dies bleiben. Stattdessen stand er nun vor ihr wie ein verlegener, kleiner Junge – er wusste nicht, was er sagen sollte.
„Pass auf sie auf!“, murmelte sie bittend und Thomas nickte.
„Ich ... ich werde ihr helfen, so gut ich kann.“
Magdalena sah ihn ernst an.
„Und vergesst nicht – gebt ihr das Pulver! Das ist sehr wichtig!“, murmelte sie eindringlich.
Erneut nickte er. Etwas saß in seiner Kehle, weshalb ihm die Worte fehlten. Das Pferd schnaubte ungeduldig.
„Nun – du musst nun gehen! Bring sie heim!“
Er wusste nicht, wie er es ihr sagen sollte – er wollte ihr für alles danken, doch bekam er die Worte nicht heraus.
Er drückte kurz ihre Hand, nickte ihr zu und lief dann zum Karren. Mit Eile hatte er sich auf den Kutschbock geschwungen und die Zügel ergriffen.
Kaum merkte das Pferd den leichten Druck im Maul, schon trabte es – ungeduldig schnaubend – los. Kurz bevor sie den Dorfrand passierten, blickte sich Thomas noch einmal um. Magdalena stand nicht mehr am Türrand ... sein Herz wurde schwer.
~~~~~~
(Anmerkung der Autorin: Zeitsprung von ca. 1 Tag)
Ein scharfer Windstoß fuhr Thomas in das kummervoll dreinblickende Gesicht. Sein Blick war so niedergeschlagen, als ob die Sorgen der ganzen Welt auf seinen Schultern lasten würden. Der Wind hätte ihm wässrige Tränen in die Augen getrieben, doch machte er keine Anstalten, sie fortzuwischen.
Die Bäume wogen sich leicht im Wind und das Rascheln der dürren Blätter klang wie langgezogenes Seufzen alter Frauen.
Er saß – mit dem Rücken an den kalten Stein gelehnt – auf dem Fenstersims in seinem Zimmer und blickte, von Zeit zu Zeit von einem Seufzer begleitet, in den klaren, sternenbevölkerten Himmel.
Er wusste nicht, wieso sie das getan hatte – wieso sie ihrem Leben so grausam ein Ende gesetzt hatte. Er schloss die brennenden Augen. Noch immer sah er sie in seinem Geiste, doch begann die Erinnerung langsam zu verblassen – wie Regenwolken an einem heißen Sommertag. Noch immer sah er ihren leblosen Körper vor sich – die Beine, die einen Meter über dem Boden baumelten und das Seil, das um ihren Hals geschlungen war. Doch das, was er am deutlichsten vor sich sah, war der Ausdruck ihrer Augen – leblos und doch so voller Angst und Trauer.
Er fragte sich leise, ob sie noch Schmerzen gespürt hatte, bevor sie gestorben war. Er hoffte es nicht für sie – zu viel Leid hatte sie in ihrem kurzen Leben schon erfahren müssen.
Nachdem Thomas sie in ihrer Kammer gefunden hatte, hatte er panisch nach einem Menschen gesucht, der ihr – so weit es noch ginge – helfen konnte. Dieser Mensch war Tim gewesen, der als einziges noch im Haus gewesen war. Als er sie entdeckt hatte, sah Thomas ihm an, dass ihm dieser Anblick zutiefst schockte. Sie hatten sie aus der Schlinge befreit und ihren schlaffen Körper auf den Boden gebettet. Und die ganze Zeit über hatte Tim Tränen in den Augen.
Erst da vertraute ihm Tim murmelnd an, dass er Marie einen Heiratsantrag machen wollte – er wollte sie an diesem Tag fragen. Diese Feststellung schmerzte auch Thomas, doch litt er nicht solche Seelenqualen wie Tim.
Tim, der nach dem Geständnis Thomas gegenüber, noch sehr gefasst wirkte, eilte aus dem Haus und stolperte zum Stall.
Seit diesem Zeitpunkt hatte er Tim nicht mehr gesehen.
Obwohl Marie erst einige Stunden tot war, war Thomas´ Erinnerung an sie nur noch schwach. Und das machte ihn traurig – doch nicht nur das...
Doch auch immer wieder glitt sein trostloser Blick in den Abgrund, der sich unter ihm befand – seine Finger gruben sich tief in das morsche Holz.
Es waren wohl 17 Fuß, bis man auf dem harten Pflasterstein landen würde, doch es würde wohl die ersehnte Erlösung nicht bringen.
Er hörte sich stöhnen und da erst spürte er wieder das raue Pergament zwischen seinen Fingern. Er betrachtete es mit Wehmut. Er hatte die Zeilen hastig und im Dunkeln der vergangenen Nacht geschrieben – die schwarzer Tinte glitzerte geheimnisvoll im Mondlicht.
Er steckte den Brief in seine ausgebeulte Tasche, stand auf und ging raschen Schrittes durch den kleinen Raum. Ungesehen und ungehört huschte er aus der morschen Haustür in die dunkle, stille Nacht.
Von fern hörte er die Kirchturmglocke schlagen – zehn, elf, zwölf Male. Seine Nackenhaare stellten sich auf und es lief ihm kalt den Rücken herunter, obwohl er nicht sagen konnte, wieso dem so war.
Seine Füße trugen ihn wie von Geisterhand gelenkt durch das kleine Dorf, das friedlich dalag. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn, als er auf die Straße zuging, die aus dem Dorf führte.
Er atmete tief aus, als er den Dorfrand passierte. Nun lag nur noch die Straße mit den sechs Linden vor ihm und ihrem Haus. Er sputete sich – bald würde sein Vater aus dem Wirtshaus kommen und da wollte Thomas schon zu Hause sein.
Das kleine, verwucherte Häuschen trat nun in sein Blickfeld. Sein Herz begann schnell zu klopfen und eine wohlige Gänsehaut übermannte seinen Körper.
Ungesehen stolperte er zu ihrer Tür und steckte das Pergament in die Ritze oberhalb der Türschwelle. Er blieb einen Moment lang stehen und sah erwartungsvoll auf ihre Tür, doch sie blieb unbewegt.
Ein trauriges Seufzen entrann seiner Kehle. Er zitterte am ganzen Leib, doch war ihm nicht kalt, sondern die Nervosität übermannte ihn.
Plötzlich fühlte er etwas Kaltes auf seiner Schulter – ein Schaudern, kalt wie ein Eis, lief ihm über den Rücken. Er wandte sich ganz langsam um.
Er sah den dunklen, bedrohlich dreinblickenden Wald mit den knorrigen Bäumen, doch keine Menschenseele war zu sehen. Noch nicht einmal eine Katze oder ein Hund war in der Nähe.
Thomas ergriff nackte Panik. Er sah sich nicht mehr um, sondern rannte den Weg durch die sechs Linden gehetzt. Erst als er wieder vor dem Haus seiner Eltern stand, wagte er, einzuhalten und nach Atem zu schöpfen. Und während er keuchend nach Atem rang, nahm die Angst langsam ab.
Doch ein unangenehmes Gefühl blieb zurück, was ihn die gesamte Nacht nicht losließ – es war ihm, als ob er von unsichtbaren Augen beobachtet werden würde.
Er wachte am nächsten Morgen von der Stimme seiner Mutter auf, die nach ihm rief. Stöhnend und müde blinzelnd ging er hinunter in die Küche und ließ sich auf einen Stuhl nieder.
Seine Mutter rührte in einem Topf und nickte ihm zu, als er eintrat. Der Geruch von süßem Gries zog durch den Raum.
„Thomas, kannst du dann für mich auf den Markt gehen? Ich brauche noch einige Lebensmittel – das Mehl ist schon knapp geworden.“, meinte sie nachdenklich.
„Kann ich machen...“, antwortete er schläfrig – sein Kopf pochte schmerzhaft.
Seine Mutter dankte ihm, legte ihm einige Geldmünzen auf den Tisch und verließ dann eilig die Küche. Dass sie schwanger war, trübte ihren Eifer nicht im Geringsten, doch nur anstrengende Arbeiten tätigte sie nicht mehr.
Thomas nahm sich eine trockene Scheibe Brot und machte sich dann auf den Weg zum Dorfplatz, auf dem auch immer der Markt stattfand.
Seine Gedanken schweiften an den Tag zurück, an dem er sie zum ersten Mal gesehen hatte – sie... Magdalena... das Schönste, was seine Augen je erblickt hatten. Er war mit seinen Gedanken so sehr beschäftigt, dass er erstaunt war, als er sich schon mitten auf dem Markt befand, inmitten einer Schar tratschender Frauen, die sich die neuesten Neuigkeiten erzählten.
Thomas schnappte einige Wortfetzen auf und da fiel ihm auf, dass es vor allem nur ein Thema gab: Maries Freitod. Auch schwirrten wohl die wildesten Gerüchte herum und irgendwer hatte weitererzählt, dass Marie schwanger gewesen war und deswegen zu Magdalena gegangen war und dort dann ihr Kind verloren hatte. Thomas fand es seltsam, dass sich die Nachricht ihres Todes so schnell verbreitet hatte – schien doch jetzt schon das ganze Dorf davon zu wissen.
Die Frauen, die ihn sahen, bedachten ihn mit einem merkwürdigen Blick, der eine Mischung aus Mitgefühl und Schaudern war. Er ging starren Blickes durch die Menge und er rief sich die Anweisungen seiner Mutter in Erinnerung. Was, hatte sie gesagt, war knapp geworden? War es Mehl oder Met gewesen? Sollte er Salz oder Salat mitbringen?
Verzweifelt versuchte er, seine Gedanken zu ordnen, doch je lauter das Tuscheln wurde, desto schwieriger wurde sein Vorhaben.
Plötzlich tippte ihn jemand auf die Schulter. Erschrocken fuhr er herum und erblickte Amalie. Siedendheiß fiel ihm ein, dass er vorgestern mit ihr zum Tanz verabredet gewesen war – das hatte er durch das Geschehene total vergessen. Doch dies schien ihr nichts auszumachen – ihr Blick zeigte Mitgefühl und Trauer.
Sie ließ einen dumpfer Seufzer vernehmen.
„Thomas“, begann sie bedauernd. „das mit Marie tut mir ehrlich leid!“
Thomas nickte – ein dicker Stein schien in seiner Kehle zu sitzen, der ihm am Sprechen hinderte.
„Ich weiß, dass das schrecklich für euch sein muss.“ Ihre Stimme klang nun zögerlich.
Erneut nickte er ruckartig.
„Und ich weiß, dass du sicherlich nichts zu den näheren Umständen ihres Todes weiß“, fügte sie noch eilig hinzu. „Allerdings zerreißen sich die Weiber hier schon das Maul deswegen, - ich glaube ihnen keine ihre Geschichte! - doch würde ich gerne erfahren, ob die Gerüchte stimmen, dass sie bei ... bei ihr gewesen war? Die Müllersfrau meint nämlich, dass sie gesehen hat, wie... wie sie ein Kind in ihrem Garten vergraben haben sollte...“ Aus ihrer Stimme hörte man nun deutlich Neugierde heraus.
Thomas konnte es nicht glauben – er schüttelte nur eilig den Kopf, zu eilig für Amalies Geschmack. Sie sah ihn nun skeptisch an.
Er machte zaghafte Gesten zu den Ständen hinüber.
„Ich soll noch etwas für Mutter besorgen.“, meinte er leise.
„Oh, entschuldige – ich wollte dich nicht aufhalten!“ Jedoch klang ihre Stimme noch immer misstrauisch. „Oder soll ich dich begleiten?“
Thomas schüttelte eilig den Kopf und murmelte etwas von „beeilen“ und „keine Zeit“.
Sie nickte ihm zu.
„Dann werde ich mich auch noch ein wenig umsehen. Bis bald, Thomas!“
Sie legte ihm noch einmal die Hand auf die Schulter, dann verschwand sie wieder durch die Menge.
Thomas sah nach, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war. Dann wandte er sich dem erstbesten Stand zu, den er finden konnte und blickte auf die ausgelegten Waren.
Die verschiedensten Gewürze reihten sich dort aneinander und es roch scharf und ungewohnt verschiedenartig. Er sah sich unschlüssig um und schließlich verlangte er bei der Frau, die ihn mit hochgezogenen Augenbrauen musterte, ein halbes Pfund Salz.
´Besser, als mit gar nichts heimzukommen...“, dachte er im Stillen bei sich und zahlte zwei Silberlinge bei ihr.
Er nahm das Päckchen entgegen und hielt es grübelnd in der Hand. Sollte er noch etwas kaufen? Doch so sehr er sich auch zu erinnern versuchte, ihm fiel nichts mehr ein.
Als er sich schon wieder auf den Heimweg machen wollte – in seinem Kopf fühlte er ein wohlbekanntes Pochen – da hörte er von der Kirche her laute Schreie. Normalerweise interessierte ihn dies nicht, doch heute zog ihn eine seltsame Macht geradezu dorthin.
Er drängte sich durch die hektische Menschenmenge, die sich beinahe ohne Ausnahme auf die Zehenspitzen gestellt hatten, um zu sehen, was es dort zu rufen und zu schreien gab.
Thomas schaffte es, sich bis ganz nach vorne hindurchzuschieben und da sah er, was es dort zu schreien gab: Sie war auf den Markt gekommen und stand nun wie erstarrt auf dem Platz und schien die anklagenden Schreien gar nicht wahr zu nehmen.
Thomas hörte die Schreie, die aus der Menge drangen.
„Sie ist eine Hexe! Gott steh uns bei - eine Hexe in unserem Dorf!“
„Sie hat uns alle verhext!“
„Und sie hat Säuglinge entführt und diese dann zu unsittlichen Praktiken verwendet!“
„Ich hörte, sie habe dieser Frau das Kind aus dem Leibe gerissen haben und es dann für den Teufel geopfert!“
„Sie ist definitiv eine Hexe!“
Thomas traute einen Ohren kaum. Sie – Magdalena – eine Hexe? Ein Weib Satans? Nein – er schüttelte den Kopf, das konnte nicht sein, dies konnte er nicht glauben.
Magdalena, die langsam begriff, welche Beleidigung man ihr an den Kopf warf, sah sich hektisch um. Dann drehte sie sich um. Sie wollte wieder zurück zu ihrem Haus eilen, doch der Kreis der Schaulustigen um sie hatte sich schon geschlossen. Sie verharrte mitten in der Bewegung.
Zum ersten Mal konnte Thomas in ihren Augen Angst stehen sehen – pure Angst, nackte Panik.
Sie wand sich nach links und nach rechts, doch nirgends schien es einen Ausweg zu geben.
Die Schreie der Menschenmasse verstärkten sich immer mehr, sie wurden immer lauter, immer höhnischer. Sie schloss die Augen und rang um Fassung.
Thomas überkam ein Schauer, als er sie so sah, doch war es kein angenehmer Schauer, wie es ein lauer Sommerregen hervorrief. Eher war es, als ob ihm lauter spitze Nadeln in den Rücken gestochen wurden.
Thomas sah sich hektisch um. Seine Gedanken rasten. Er wollte ihr unbedingt in dieser misslichen Lage helfen, doch wusste er nicht, wie.
Da erblickte er einige Knaben, wohl kaum älter als er, die einige Schritte entfernt von ihm standen. Sie wogen schwere Kieselsteine in den Händen und tuschelten untereinander. Als einer von ihnen – ein blonder, schlaksiger Junge – seinen Blick bemerkte, grinste er ihm unverhohlen zu.
„Ich wusste schon immer, dass sie eine Hexe ist! Ich wette, wenn der Pater davon Wind bekommt, wird sie schneller brennen, als wir ahnen können!“ Seine Stimme juchzte vor Entzücken.
Fassungslos war Thomas nicht in der Lage, ihm zu antworten. Er starrte ihn nur mit offenen Mund an.
„Obwohl-“, meinte er abschätzend und musterte Magdalena noch einmal knapp. „- es schade um ein so schönes Weib, wie sie, ist... Jedoch ist es nicht schwer, ihre Liebe zu erwerben – die ist ja käuflich...“
Nun verstärkte sich das Grinsen auf seinen Lippen zu einem anzüglichen Lächeln.
Thomas krallte seine Finger so stark in die Tüte Salz, dass diese mit einem leisen Puffen auseinander riss und sich der Inhalt leise rieselnd auf die Pflastersteine verteilte.
„Das ist nicht wahr! Du lügst!“, presste er zwischen den Zähnen hervor und funkelte ihn wütend an.
Der blonde Junge bemerkte seine noch unterdrückte Wut anscheinend und er ging langsam auf ihn zu. Thomas fühlte, wie er seine Hand auf seine – vor unterdrücktem Zorn schüttelnde – Schulter legte.
„Hast du das wohl nicht gewusst, Kleiner? Hast du nicht gewusst, dass sie –“ Er nickte zu Magdalena. „- ihren Körper für wenige Kupferstücke verkauft? Wusstest du das nicht, als du dich in sie verliebtest?“
Etwas unbegreiflich Großes explodierte bei diesen Worten in Thomas Kopf und er schlug dem Blonden mit voller Wucht hart ins Gesicht. Man hörte ein unschönes Knacken und beinahe sofort begann Blut aus seinen Nasenlöchern zu schießen.
Der blonde Junge heulte vor Schmerz auf und stolperte zurück, doch Thomas war egal, ob er ihn verletzt hatte.
Er drängte sich durch die Menschenmenge, die von der kleinen Rangelei scheinbar nichts mitbekommen hatte, und eilte auf Magdalena zu, die immer noch verwirrt und verängstigt aussah.
Als sie ihn bemerkte, war ihm so, als ob in ihren Augen neue Hoffnung aufkeimte. Er stürzte auf sie zu und schloss sie fest in seine Arme.
Es war ihm egal, dass dies alle sahen – es war ihm egal, was sie über ihn denken würden. Was für ihn in diesem Moment zählte war, dass sie hier war und dass er sie in den Armen hielt. Und selbst wenn man ihr den Prozess machen würde, er würde ihr zur Seite stehen und sie verteidigen.
Er spürte ihren hastigen, warmen Atem an seinem Hals und ihr leises Wimmern, und er konnte beinahe spüren, wie die Menschen ihn fassungslos anstarrten.
Er löste sich zärtlich von ihr und strich ihr über die blasse Wange.
„Keine Angst, ich helfe dir...“
Er versuchte ihr aufmunternd zuzulächeln, doch es misslang kläglich. Sie klammerte sich panisch an seinen Arm, doch ihr Atem beruhigte sich langsam wieder.
Thomas sah sich nun um und tatsächlich waren alle Augen auf ihn gerichtet. Seine Augen verengten sich zu todbringenden Schlitzen.
Er atmete tief aus, als er den Dorfrand passierte. Nun lag nur noch die Straße mit den sechs Linden vor ihm und ihrem Haus. Er sputete sich – bald würde sein Vater aus dem Wirtshaus kommen und da wollte Thomas schon zu Hause sein.
Das kleine, verwucherte Häuschen trat nun in sein Blickfeld. Sein Herz begann schnell zu klopfen und eine wohlige Gänsehaut übermannte seinen Körper.
Ungesehen stolperte er zu ihrer Tür und steckte das Pergament in die Ritze oberhalb der Türschwelle. Er blieb einen Moment lang stehen und sah erwartungsvoll auf ihre Tür, doch sie blieb unbewegt.
Ein trauriges Seufzen entrann seiner Kehle. Er zitterte am ganzen Leib, doch war ihm nicht kalt, sondern die Nervosität übermannte ihn.
Plötzlich fühlte er etwas Kaltes auf seiner Schulter – ein Schaudern, kalt wie ein Eis, lief ihm über den Rücken. Er wandte sich ganz langsam um.
Er sah den dunklen, bedrohlich dreinblickenden Wald mit den knorrigen Bäumen, doch keine Menschenseele war zu sehen. Noch nicht einmal eine Katze oder ein Hund war in der Nähe.
Thomas ergriff nackte Panik. Er sah sich nicht mehr um, sondern rannte den Weg durch die sechs Linden gehetzt. Erst als er wieder vor dem Haus seiner Eltern stand, wagte er, einzuhalten und nach Atem zu schöpfen. Und während er keuchend nach Atem rang, nahm die Angst langsam ab.
Doch ein unangenehmes Gefühl blieb zurück, was ihn die gesamte Nacht nicht losließ – es war ihm, als ob er von unsichtbaren Augen beobachtet werden würde.
Er wachte am nächsten Morgen von der Stimme seiner Mutter auf, die nach ihm rief. Stöhnend und müde blinzelnd ging er hinunter in die Küche und ließ sich auf einen Stuhl nieder.
Seine Mutter rührte in einem Topf und nickte ihm zu, als er eintrat. Der Geruch von süßem Gries zog durch den Raum.
„Thomas, kannst du dann für mich auf den Markt gehen? Ich brauche noch einige Lebensmittel – das Mehl ist schon knapp geworden.“, meinte sie nachdenklich.
„Kann ich machen...“, antwortete er schläfrig – sein Kopf pochte schmerzhaft.
Seine Mutter dankte ihm, legte ihm einige Geldmünzen auf den Tisch und verließ dann eilig die Küche. Dass sie schwanger war, trübte ihren Eifer nicht im Geringsten, doch nur anstrengende Arbeiten tätigte sie nicht mehr.
Thomas nahm sich eine trockene Scheibe Brot und machte sich dann auf den Weg zum Dorfplatz, auf dem auch immer der Markt stattfand.
Seine Gedanken schweiften an den Tag zurück, an dem er sie zum ersten Mal gesehen hatte – sie... Magdalena... das Schönste, was seine Augen je erblickt hatten. Er war mit seinen Gedanken so sehr beschäftigt, dass er erstaunt war, als er sich schon mitten auf dem Markt befand, inmitten einer Schar tratschender Frauen, die sich die neuesten Neuigkeiten erzählten.
Thomas schnappte einige Wortfetzen auf und da fiel ihm auf, dass es vor allem nur ein Thema gab: Maries Freitod. Auch schwirrten wohl die wildesten Gerüchte herum und irgendwer hatte weitererzählt, dass Marie schwanger gewesen war und deswegen zu Magdalena gegangen war und dort dann ihr Kind verloren hatte. Thomas fand es seltsam, dass sich die Nachricht ihres Todes so schnell verbreitet hatte – schien doch jetzt schon das ganze Dorf davon zu wissen.
Die Frauen, die ihn sahen, bedachten ihn mit einem merkwürdigen Blick, der eine Mischung aus Mitgefühl und Schaudern war. Er ging starren Blickes durch die Menge und er rief sich die Anweisungen seiner Mutter in Erinnerung. Was, hatte sie gesagt, war knapp geworden? War es Mehl oder Met gewesen? Sollte er Salz oder Salat mitbringen?
Verzweifelt versuchte er, seine Gedanken zu ordnen, doch je lauter das Tuscheln wurde, desto schwieriger wurde sein Vorhaben.
Plötzlich tippte ihn jemand auf die Schulter. Erschrocken fuhr er herum und erblickte Amalie. Siedendheiß fiel ihm ein, dass er vorgestern mit ihr zum Tanz verabredet gewesen war – das hatte er durch das Geschehene total vergessen. Doch dies schien ihr nichts auszumachen – ihr Blick zeigte Mitgefühl und Trauer.
Sie ließ einen dumpfer Seufzer vernehmen.
„Thomas“, begann sie bedauernd. „das mit Marie tut mir ehrlich leid!“
Thomas nickte – ein dicker Stein schien in seiner Kehle zu sitzen, der ihm am Sprechen hinderte.
„Ich weiß, dass das schrecklich für euch sein muss.“ Ihre Stimme klang nun zögerlich.
Erneut nickte er ruckartig.
„Und ich weiß, dass du sicherlich nichts zu den näheren Umständen ihres Todes weiß“, fügte sie noch eilig hinzu. „Allerdings zerreißen sich die Weiber hier schon das Maul deswegen, - ich glaube ihnen keine ihre Geschichte! - doch würde ich gerne erfahren, ob die Gerüchte stimmen, dass sie bei ... bei ihr gewesen war? Die Müllersfrau meint nämlich, dass sie gesehen hat, wie... wie sie ein Kind in ihrem Garten vergraben haben sollte...“ Aus ihrer Stimme hörte man nun deutlich Neugierde heraus.
Thomas konnte es nicht glauben – er schüttelte nur eilig den Kopf, zu eilig für Amalies Geschmack. Sie sah ihn nun skeptisch an.
Er machte zaghafte Gesten zu den Ständen hinüber.
„Ich soll noch etwas für Mutter besorgen.“, meinte er leise.
„Oh, entschuldige – ich wollte dich nicht aufhalten!“ Jedoch klang ihre Stimme noch immer misstrauisch. „Oder soll ich dich begleiten?“
Thomas schüttelte eilig den Kopf und murmelte etwas von „beeilen“ und „keine Zeit“.
Sie nickte ihm zu.
„Dann werde ich mich auch noch ein wenig umsehen. Bis bald, Thomas!“
Sie legte ihm noch einmal die Hand auf die Schulter, dann verschwand sie wieder durch die Menge.
Thomas sah nach, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war. Dann wandte er sich dem erstbesten Stand zu, den er finden konnte und blickte auf die ausgelegten Waren.
Die verschiedensten Gewürze reihten sich dort aneinander und es roch scharf und ungewohnt verschiedenartig. Er sah sich unschlüssig um und schließlich verlangte er bei der Frau, die ihn mit hochgezogenen Augenbrauen musterte, ein halbes Pfund Salz.
´Besser, als mit gar nichts heimzukommen...“, dachte er im Stillen bei sich und zahlte zwei Silberlinge bei ihr.
Er nahm das Päckchen entgegen und hielt es grübelnd in der Hand. Sollte er noch etwas kaufen? Doch so sehr er sich auch zu erinnern versuchte, ihm fiel nichts mehr ein.
Als er sich schon wieder auf den Heimweg machen wollte – in seinem Kopf fühlte er ein wohlbekanntes Pochen – da hörte er von der Kirche her laute Schreie. Normalerweise interessierte ihn dies nicht, doch heute zog ihn eine seltsame Macht geradezu dorthin.
Er drängte sich durch die hektische Menschenmenge, die sich beinahe ohne Ausnahme auf die Zehenspitzen gestellt hatten, um zu sehen, was es dort zu rufen und zu schreien gab.
Thomas schaffte es, sich bis ganz nach vorne hindurchzuschieben und da sah er, was es dort zu schreien gab: Sie war auf den Markt gekommen und stand nun wie erstarrt auf dem Platz und schien die anklagenden Schreien gar nicht wahr zu nehmen.
Thomas hörte die Schreie, die aus der Menge drangen.
„Sie ist eine Hexe! Gott steh uns bei - eine Hexe in unserem Dorf!“
„Sie hat uns alle verhext!“
„Und sie hat Säuglinge entführt und diese dann zu unsittlichen Praktiken verwendet!“
„Ich hörte, sie habe dieser Frau das Kind aus dem Leibe gerissen haben und es dann für den Teufel geopfert!“
„Sie ist definitiv eine Hexe!“
Thomas traute einen Ohren kaum. Sie – Magdalena – eine Hexe? Ein Weib Satans? Nein – er schüttelte den Kopf, das konnte nicht sein, dies konnte er nicht glauben.
Magdalena, die langsam begriff, welche Beleidigung man ihr an den Kopf warf, sah sich hektisch um. Dann drehte sie sich um. Sie wollte wieder zurück zu ihrem Haus eilen, doch der Kreis der Schaulustigen um sie hatte sich schon geschlossen. Sie verharrte mitten in der Bewegung.
Zum ersten Mal konnte Thomas in ihren Augen Angst stehen sehen – pure Angst, nackte Panik.
Sie wand sich nach links und nach rechts, doch nirgends schien es einen Ausweg zu geben.
Die Schreie der Menschenmasse verstärkten sich immer mehr, sie wurden immer lauter, immer höhnischer. Sie schloss die Augen und rang um Fassung.
Thomas überkam ein Schauer, als er sie so sah, doch war es kein angenehmer Schauer, wie es ein lauer Sommerregen hervorrief. Eher war es, als ob ihm lauter spitze Nadeln in den Rücken gestochen wurden.
Thomas sah sich hektisch um. Seine Gedanken rasten. Er wollte ihr unbedingt in dieser misslichen Lage helfen, doch wusste er nicht, wie.
Da erblickte er einige Knaben, wohl kaum älter als er, die einige Schritte entfernt von ihm standen. Sie wogen schwere Kieselsteine in den Händen und tuschelten untereinander. Als einer von ihnen – ein blonder, schlaksiger Junge – seinen Blick bemerkte, grinste er ihm unverhohlen zu.
„Ich wusste schon immer, dass sie eine Hexe ist! Ich wette, wenn der Pater davon Wind bekommt, wird sie schneller brennen, als wir ahnen können!“ Seine Stimme juchzte vor Entzücken.
Fassungslos war Thomas nicht in der Lage, ihm zu antworten. Er starrte ihn nur mit offenen Mund an.
„Obwohl-“, meinte er abschätzend und musterte Magdalena noch einmal knapp. „- es schade um ein so schönes Weib, wie sie, ist... Jedoch ist es nicht schwer, ihre Liebe zu erwerben – die ist ja käuflich...“
Nun verstärkte sich das Grinsen auf seinen Lippen zu einem anzüglichen Lächeln.
Thomas krallte seine Finger so stark in die Tüte Salz, dass diese mit einem leisen Puffen auseinander riss und sich der Inhalt leise rieselnd auf die Pflastersteine verteilte.
„Das ist nicht wahr! Du lügst!“, presste er zwischen den Zähnen hervor und funkelte ihn wütend an.
Der blonde Junge bemerkte seine noch unterdrückte Wut anscheinend und er ging langsam auf ihn zu. Thomas fühlte, wie er seine Hand auf seine – vor unterdrücktem Zorn schüttelnde – Schulter legte.
„Hast du das wohl nicht gewusst, Kleiner? Hast du nicht gewusst, dass sie –“ Er nickte zu Magdalena. „- ihren Körper für wenige Kupferstücke verkauft? Wusstest du das nicht, als du dich in sie verliebtest?“
Etwas unbegreiflich Großes explodierte bei diesen Worten in Thomas Kopf und er schlug dem Blonden mit voller Wucht hart ins Gesicht. Man hörte ein unschönes Knacken und beinahe sofort begann Blut aus seinen Nasenlöchern zu schießen.
Der blonde Junge heulte vor Schmerz auf und stolperte zurück, doch Thomas war egal, ob er ihn verletzt hatte.
Er drängte sich durch die Menschenmenge, die von der kleinen Rangelei scheinbar nichts mitbekommen hatte, und eilte auf Magdalena zu, die immer noch verwirrt und verängstigt aussah.
Als sie ihn bemerkte, war ihm so, als ob in ihren Augen neue Hoffnung aufkeimte. Er stürzte auf sie zu und schloss sie fest in seine Arme.
Es war ihm egal, dass dies alle sahen – es war ihm egal, was sie über ihn denken würden. Was für ihn in diesem Moment zählte war, dass sie hier war und dass er sie in den Armen hielt. Und selbst wenn man ihr den Prozess machen würde, er würde ihr zur Seite stehen und sie verteidigen.
Er spürte ihren hastigen, warmen Atem an seinem Hals und ihr leises Wimmern, und er konnte beinahe spüren, wie die Menschen ihn fassungslos anstarrten.
Er löste sich zärtlich von ihr und strich ihr über die blasse Wange.
„Keine Angst, ich helfe dir...“
Er versuchte ihr aufmunternd zuzulächeln, doch es misslang kläglich. Sie klammerte sich panisch an seinen Arm, doch ihr Atem beruhigte sich langsam wieder.
Thomas sah sich nun um und tatsächlich waren alle Augen auf ihn gerichtet. Seine Augen verengten sich zu todbringenden Schlitzen.
den Rest poste ich morgen... Mogelpower will momentan anscheinend net ;)
Danke :)
Im Moment will Mogelpower meine Texte (egal welche Länge) nimmer annehmen *snief*
Aber sobald es wieder geht, kriegt ihr die Fortsetzung :)
Und ich bin auch grad dabei, den Text noch mal auf Herz und Nieren zu überarbeiten. (Bin fassungslos, welche Formulierungen ich verwendet habe *g*)
Wer die Fassung dann haben möchte, kann eine Email an Randir1@gmx.net schreiben :)
Im Moment will Mogelpower meine Texte (egal welche Länge) nimmer annehmen *snief*
Aber sobald es wieder geht, kriegt ihr die Fortsetzung :)
Und ich bin auch grad dabei, den Text noch mal auf Herz und Nieren zu überarbeiten. (Bin fassungslos, welche Formulierungen ich verwendet habe *g*)
Wer die Fassung dann haben möchte, kann eine Email an Randir1@gmx.net schreiben :)
Hi, könntest du mir bitte die Fortsetzung schicken. An:
lm-maria@web.de
lm-maria@web.de
Mir bitte auch!
Du bist echt talentiert! Willst du das buch dann auch einem Verlag schicken?
Du bist echt talentiert! Willst du das buch dann auch einem Verlag schicken?
An einen Verlag wohl nicht wirklich;
Dafür ist die Geschichte zu kurz ^^
Aber ich schreibe wahnsinnig gerne "Kurzgeschichten". Wenn ich da genug zusammen hab... mal gucken ;-)
Dafür ist die Geschichte zu kurz ^^
Aber ich schreibe wahnsinnig gerne "Kurzgeschichten". Wenn ich da genug zusammen hab... mal gucken ;-)
Kannst du die mir bitte die gesammte Fassung schicken? An: julia.schlachter@stud.wi.htl-hl.ac.at
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